LENÍN MUSS IN DIE STICHWAHL

„Una sola vuelta!” – „Im ersten Wahlgang!” riefen Anhänger*innen der amtierenden Regierungspartei Ecuadors, Alianza País (AP), noch wenige Tage vor den Wahlen am 19. Februar 2017 vor dem Präsidentenhaus mit dem Regierungssitz der Zentralregierung. Dorthin war Rafael Correa 2006 das erste Mal feierlich eingezogen (siehe folgenden Artikel). Seit den vergangenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Februar 2013 regiert die Partei, die Correa mit groß gemacht hat, mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Im Herzen Quitos schwanken die paar Dutzend Regierungsanhänger*innen siegessicher Fahnen in der Farbe ihrer Partei (quietsch-grün) und tanzten zu Musik ihres Kandidaten. Beschallt aus Musikboxen, wie es in Ecuador vor Wahlen üblich ist. Das Lied mit dem Titel Lenín presidente wurde am meisten gespielt, der Titel war aber auch schon der größte Teil des Inhaltes. Im Gegensatz zu Rafael Correas Lied aus dem Jahr 2006 Sueños Correa (Correas Träume), welches das Ende der Ausbeutung und der Armut versprach, blieb das Lied des aktuellen AP-Kandidaten Lenín Moreno, wie auch der gesamte diesjährige Wahlkampf, erstaunlich inhaltslos.

Der Wunsch, in einem einzigen Wahlgang wieder den Präsidenten stellen zu können, ist nicht aufgegangen. Am 22. Februar kündigte die Wahlbehörde CNE nach Auszählung von 99,5 Prozent der Stimmen die Notwendigkeit eines zweiten Wahlgangs an. Nach diesen Ergebnissen erreichte Lenín Moreno 39,3 Prozent während der Kandidat der beiden rechten Parteien CREO (Creando Oportunidades) und SUMA (Sociedad Unida Más Acción), Guillermo Lasso, 28,1 Prozent der Stimmen erzielen konnte. Damit fehlte Moreno nur ein knappes Prozent, um 40 Prozent zu erreichen und mit zehn Prozent Abstand zu seinen Konkurrenten zu gewinnen. Dies hätte einen Wahlsieg in der ersten Runde bedeutet.

Obwohl sich dieses Ergebnis bereits am Wahlabend abzeichnete, hielten sich Personen aus staatlichen Institutionen lange mit öffentlichen Statements zurück. Von Montagmorgen bis zur Ankündigung am Mittwoch versammelten sich Anhänger*innen der rechten Parteien vor dem Sitz des Nationalen Wahlrates in Quito. Dort protestierten sie mit Parolen wie: „Wir lassen uns nicht betrügen und zwingen Alianza País in die zweite Runde.“ Der Verkehr auf der zentralen Avenida 10 de Agosto wurde stundenlang lahm gelegt. Aus Angst vor gewaltvollen Ausschreitungen beendeten am 20. Februar einige private Schulen in Quito den Unterricht frühzeitig und schickten die Kinder nach Hause. Die staatlichen Medien berichteten derweil bis zum Montag von der „hohen Wahrscheinlichkeit“ des Triumphs des Regierungskandidaten.

Abgesehen von der Unklarheit, ob Moreno in eine zweite Runde muss oder nicht, gab es am Rest der Ergebnisse keine Zweifel. Die anderen Kandidat*innen konnten weder dem Ex-Bankier Lasso noch dem früheren Vizepräsidenten Moreno das Wasser reichen. Die in Umfragen zuvor hochgehandelte Kandidatin der rechten PSC (Partido Social Cristiano), Cynthia Viteri, erhielt nur etwa 16 Prozent der Stimmen. Schon am Wahlabend sagte Viteri mit Blick auf die Stichwahl: „Wir wählen Lasso.“

Im Parlament, in dem 137 Sitze zu vergeben waren, stellt die Alianza País künftig 76 Abgeordnete und damit die absolute Mehrheit, während mehrere Oppositionsparteien zusammen 61 Sitze innehaben werden. Über dieses Ergebnis kann sich die Alianza País nach dem lahmen Wahlkampf und den gegen AP-Mitglieder erhobenen Korruptionsvorwürfen glücklich schätzen. Allerdings hat AP die Zwei- Drittel-Mehrheit verloren. Von den Verlusten der AP profitierte insbesondere ihr Rivale CREO, die 30 Sitze im Parlament erhält. CREO konnte sein Ergebnis gegenüber 2013 fast verdreifachen. Viteris PSC kam zwar nur auf 15 von 137 Sitzen der Nationalversammlung, verdoppelte damit jedoch ihr Ergebnis gegenüber 2013. Der Verlust der AP geht damit eindeutig zu Gunsten der Rechten.

Nicht erholen konnte sich die Indigene Partei Pachakutik von ihrem Absturz 2013, sie stagniert weiterhin bei vier bis fünf Sitzen im Parlament. Der von ihr unterstützte Präsidentschaftskandidat Paco Moncayo kam mit sechs Prozent nicht über ein Achtungsergebnis hinaus.

Die letzte Ankündigung der größten indigenen Basisorganisation CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), dem Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors, eventuell den Kandidaten Lasso zu unterstützen, könnte Pachakutik weiter schaden. Bisher ist jedoch unklar, ob die CONAIE einen geschlossenen Antrag für die Unterstützung Lassos bei ihrer Partei einreichen wird. Ohne Zweifel ist diese Verlautbarung ein Anzeichen dafür, dass der Präsidentschaftswahlkampf in der zweiten Runde für größere politische Debatten sorgen könnte. Ob der Raum dafür genutzt wird, bleibt offen.


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ZUKUNFT OHNE IDEEN

Den Wahlslogans nach zu urteilen, hat die Bevölkerung Ecuadors bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen keine Wahl. „Die Vergangenheit kommt nicht zurück“, heißt es etwa auf einem Wahlplakat von Lenín Moreno, Präsidentschaftskandidat der amtierenden Regierungspartei Ecuadors, Alianza País – Aufrechtes und Souveränes Vaterland (AP). Sein Rivale Guillermo Lasso, Bankier und Parteivorsitzender der demokratisch-liberalen Partei Creando Oportunidades (CREO), wirbt mit dem Spruch „Auf zur Veränderung“. Nach zehn Jahren an der Macht muss AP diesmal hart für die Wiederwahl kämpfen. Wenngleich es der Partei unter dem Präsidenten Rafael Correa gelang, den Anteil der armen Bevölkerung von 31,8 auf zwölf Prozent zu senken und erhebliche Investitionen im Bereich der Infrastruktur vorzunehmen, veränderte sie nicht Ecuadors strukturelle wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ressourcenabbau. Seit seiner Unabhängigkeit ist Ecuador vom Export von Kakao und Bananen abhängig, Mitte der 1970er Jahre kam das Erdöl hinzu.

Paco Moncayo ist der einzige Kandidat, der sich gegen weitere Rohstoffausbeutung ausspricht.

Rafael Correa trat bei den Wahlen 2006 noch mit dem Versprechen an, diese wirtschaftliche Abhängigkeit einzuschränken, doch schon bald war von diesem Vorhaben nichts mehr zu hören. Während AP die junge Demokratie Ecuadors (seit 1979) zunächst stärkte, machte sie seit 2013 vermehrt durch Menschenrechtsverletzungen und einem autokratischen Regierungsstil auf sich aufmerksam. Die progressiv-technokratische Regierung steht für einen Bruch mit den neoliberalen Vorgängerregierungen. Gleichzeitig sind alle Regierungen Ecuadors in ihrem Handeln durch die wirtschaftlichen Bedingungen eingeschränkt. Seit 1999 besitzt Ecuador keine eigene Währung mehr und ist mehr denn je vom US-amerikanischen Dollar abhängig. Hierdurch hat das Land keine eigene Währungspolitik mehr. Rafael Correa hat dies stets kritisiert, ändern konnte er es jedoch nicht. Er reiht sich ein in die Liste der progressiven Regierungen Lateinamerikas, die mit der Präsidentschaft Hugo Chávez’ in Venezuela 1999 eingeläutet wurden. Diese Zeit wurde geprägt durch die Gründung des UNASUR-Verbundes, welcher anstrebte, die Idee der Europäischen Union auf Südamerika zu übertragen. Außerdem versuchten sich die südamerikanischen Länder aus der Vormundschaft der USA zu befreien und die wirtschaftlichen Beziehungen mit anderen Ländern, wie China, auszubauen.

Die Trendwende hat längst begonnen: In Argentinien wurden die Linksperonisten von einer rechtskonservativen Partei unter Mauricio Macri abgelöst; in Venezuela regiert seit zwei Jahren politisch und wirtschaftlich das Chaos; Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wurde durch ein Amtsenthebungsverfahren entmachtet.

In Ecuador sorgte die Regierung von Rafael Correa für die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 2008, in welcher das Konzept des Buen Vivir (Gutes Leben) zum übergeordneten Staatsziel und die Natur zu einem eigenen Rechtssubjekt erklärt wurde. Dennoch entfernte sich Correa von der anfänglich revolutionären Umweltpolitik als er im Jahr 2013 bekannt gab, die Erdölquellen im ecuadorianischen Naturschutzgebiet Yasuní-ITT fördern zu wollen, nachdem der UN-Treuhandfonds zur Kompensation für die Nichtförderung nicht ausreichend Mittelzuflusss bekam. Im Umgang mit Protesten gegen die Ressourcenausbeutung zeigte die ecuadorianische Regierung ein vermehrt autokratisches Vorgehen. Das jüngste Beispiel hierfür war die angestrebte Schließung der umweltpolitischen Nichtregierungsorganisation Acción Ecológica im Dezember 2016. Die Regierung warf der Organisation vor, die gewalttätigen Proteste des indigenen Shuar-Volkes gegen ein Bergbauprojekt in der Region Cordillera del Condor unterstützt zu haben. Bei den Demonstrationen sind bereits drei Aktivisten zu Tode gekommen, zuletzt starb zudem ein Polizist.

Der Versuch, die NGO zu schließen, scheiterte jedoch im Januar 2017, weil die ecuadorianische Regierung nicht genug Beweise für den Vorwurf verfassungswidriger Handlungen seitens der Acción Ecológica vorlegen konnte und die zuständigen Behörden beschlossen, das Verbotsverfahren einzustellen. Wenngleich das Vorgehen gegen Acción Ecológica Medienaufmerksamkeit erzeugte, ist die Rohstoffausbeutung in diesem Wahlkampf ein Randthema.

Der einzige Kandidat, der sich zum Thema Ressourcenausbeutung kritisch positioniert, ist Paco Moncayo. Der 73-jährige ehemalige Militärbefehlshaber wird von drei linken Parteien unterstützt. Von 2000 bis 2009 war er Bürgermeister Quitos unter der Partei Demokratische Linke. Danach wurde er als Abgeordneter in das Parlament gewählt. Unter seine Zeit als oberster Militärsbefehlshaber fiel der Cenepa-Krieg, der bis datot letzte bewaffnete Konflikt zwischen Peru und Ecuador 1995.

Außerdem entschied er 1997, dass sich das Militär nicht in die vom ecuadorianischen Kongress entschiedene Abberufung des damaligen Präsidenten Abdalá Bucaram einmischen würde. Heute spricht er sich für die Beendigung der Erdölförderung im Yasuní-ITT aus. Außerdem möchte er die nationale und internationale Verschuldung Ecuadors auf den Prüfstand stellen und die Abtreibung entkriminalisieren.

Bei den Wahlen am 19. Februar tritt er gegen den bereits erwähnten Kandidaten der Regierungspartei AP, Lenín Moreno, an. Der amtierende Vizepräsident Jorge Glas unterstützt diese Kandidatur und kandidiert selbst für die Fortführung seines Amtes. Themen, die sich AP auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Intensivierung der Erdölförderung und Investitionen in einheimische Raffinerien. Auch die geplanten Projekte des offenen Tagebaus im Amazonas und in den Anden sollen verwirklicht werden, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Zudem will der 63-jährige Moreno Steuerparadiese kontrollieren und bekämpfen.

Als einzige Kandidatin präsentiert sich Cynthia Viteri von der rechtskonservativen Sozialchristlichen Partei. Die Partei hat besonders an der Küste Unterstützer*innen, in urbanen Sektoren sowie bei der ländlichen Bevölkerung. Sie steht der Agrarwirtschaft nahe. Die 51-Jährige möchte die Steuern senken, um private Investitionen attraktiver zu machen. Außerdem wirbt sie für den Austritt aus den Verbünden UNASUR und der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA), um den Handel mit den USA auszubauen.

Eine noch radikalere neoliberale Politik will auch der anfangs genannte Guillermo Lasso einführen. Der Ex-Bankier gründete seine ebenfalls rechtskonservative Partei CREO erst 2013 und war unter der Regierung von Jamil Mahuad Wirtschaftsminister und mitverantwortlich für die Einführung des Dollars in Ecuador 1999. Jetzt will er die Austeritätspolitik Ecuadors ausweiten, Privatinvestitionen ausbauen, Freihandelsabkommen im pazifischen Raum abschließen und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Dieses neoliberale Turboprogramm soll den Wiederaufbau der durch das Erdbeben zerstörten Gebiete ermöglichen.

Das Thema, das die Diskussionen anregt und zu dem es die meisten Vorschläge gibt, ist die Arbeitslosigkeit. Seit dem Verfall des Erdölpreises im November 2008, befindet sich die vom Erdöl abhängige ecuadorianische Wirtschaft in einem rezessiven Zyklus, was sich in prekären Arbeitsverhältnissen widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund macht der Kandidat Lasso ein Angebot an die Wähler*innen: „Wir schlagen etwas Einfaches vor: Wir schaffen eine Million Arbeitsplätze in den nächsten vier Jahren.“ Doch wie das gehen soll, bleibt sein Geheimnis. Weiterhin spricht er die Themen an, um welche sich die Menschen in Ecuador am meisten sorgen. „Unsere Feinde sind die Armut, die Ungerechtigkeit und die Arbeitslosigkeit.“

Der progressive Kandidat Moncayo zielt in seiner Kampagne auch auf die Arbeitslosigkeit ab: „Wir werden Arbeitsplätze schaffen, indem wir Trinkwasserversorgung, Kanalisationsnetze und Wohnungen für 3,5 Millionen Ecuadorianer bauen.“ Die Trinkwasserversorgung und das Kanalisationsnetz für die armen Viertel im Süden der Hauptstadt Quito waren in seiner Amtszeit als Bürgermeister eine seiner Hauptsorgen. Der Kandidat der amtierenden Regierung, Moreno, schlägt seinerseits vor, einen Teil der Gelder, die durch die Einkommenssteuer vom Staat eingenommen werden, in Kredite für junge Unternehmer zu verwandeln: „Die Nutzung der Einkommenssteuer wird teilweise die Einstellung von jungen Leuten in Firmen erlauben, was ungefähr 140.000 Arbeitsplätze schaffen wird.“

Nicht nur beim Thema Arbeitslosigkeit zeigt sich: Große Unterschiede gibt es zwischen den Kandidat*innen nicht. Lediglich Moncayo hebt sich in puncto Umweltpolitik etwas von den anderen Bewerber*innen ab. Eine richtige Wahl haben die Ecuadorianer*innen bei dieser Präsidentschaftswahl allerdings nicht.


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