Ecuador | Nummer 513 - März 2017 | Politik

VERPASSTE CHANCE

Nach zehn Jahren Linksregierung unter Rafael Correa Ist die Aufbruchstimmung verflogen

2007 kam Rafael Correa in Ecuador an die Regierung. 2017 trat er verfassungsgemäß bei den Wahlen nicht mehr an. Correas Projekt der „Bürgerrevolution“ zur Erneuerung des Landes hat auf halbem Weg die Richtung gewechselt. Die Indigenen- und Studierendenbewegung sind heute ein Schatten ihrer selbst. Protest trifft auf Ausnahmezustand und Militarisierung.

Von Ximena Montaño

Es war eine historisch einzigartige Konstellation, die Lateinamerika vor gut zehn Jahren erlebte. In einem Land nach dem anderen gewannen linksgerichtete Kräfte demokratische Wahlen. Nach der Schuldenkrise der 1980er Jahre und den Jahren neoliberaler Strukturanpassung schien es möglich, dass ein ganzer Kontinent aus dem Mainstream des Primats von Finanz und Profit ausscheren könnte. Ein neuer Prozess regionaler Integration wurde eingeleitet, der ganz andere Ziele verfolgte als die von der US-Regierung gewünschte und ein Jahr zuvor von Lateinamerika abgelehnte gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA. In vielen Ländern, darunter Ecuador, hatten soziale Bewegungen nicht nur Regierungen unblutig zu stürzen vermocht, sondern auch Visionen einer anderen Gesellschaft entwickelt. Seit den späten 1960er Jahren hatte soziale Emanzipation nicht einen solchen Aufwind erlebt.

In den ersten Jahren atmete Ecuador Demokartie von unten.

In dieser Konjunktur kam der Ökonom Rafael Correa in Ecuador an die Macht. Er begann seinen Wahlkampf als Außenseiter, doch gelang es ihm und seiner Bewegung Alianza País, die Forderungen der sozialen Bewegungen auf die wahlpolitische Ebene zu übersetzen. Das Land sollte am besten neu gegründet werden – eine neue Verfassung musste her. Der neue Präsident regierte in den ersten Monaten hauptsächlich mit Ausnahmedekreten, um das alte Establishment in Schach zu halten und das Parlament zu umschiffen. Dennoch atmete Ecuador in diesen ersten Jahren Demokratie von unten.

Student*innen, Indigene, die Frauenbewegung, Gewerkschaften – alle machten sich daran, ihre Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft, vom Ende des Patriarchats, von kostenloser allgemeiner höherer Bildung, von wahrhaft interkulturellen Institutionen auszuformulieren: Institutionen, die nicht nur Indigene und Schwarze und Frauen per Quote beteiligen, sondern sich auch anderen Logiken als den herrschenden westlichen, patriarchalpaternalistischen und rassistischen öffnen sollten, was Vorstellungen von Gerechtigkeit und Rechtssprechung, von Gesundheit, ja vom Funktionieren des Staates selbst anbelangte. Das war die Vision eines entkolonialisierten, plurinationalen Staats, in dem die Ureinwohner*innen nicht nur am Funktionieren eines vorgegebenen, liberalen Räderwerks beteiligt werden sollten. Ihre eigene Erfahrung von Gemeinschaft, von Entscheidungsfindung und Konfliktlösung sollte dieses Räderwerk vielmehr selbst von Grund auf umbauen.

Zehn Jahre später ist diese Aufbruchstimmung in ihr Gegenteil umgeschlagen. Nach der Annahme der Verfassung per Volksabstimmung im Jahr 2009 ersetzten die Dynamiken der Realpolitik bald die Konjunktur der Visionen. Zum einen aufgrund der Wirkungsmacht der staatlichen Institutionen selbst. Die Correa-Regierung hat sie nach neoliberalen Managementkriterien modernisiert und auf Effizienz getrimmt. Wobei ihr interkultureller und emanzipatorischer Umbau, der nur als behutsamer, experimenteller Prozess möglich gewesen wäre, zwangsläufig auf der Strecke blieb.

Hinzu kam zum anderen die durch die außerordentlich hohen internationalen Rohstoffpreise attraktiv gewordene Vertiefung des Extraktivismus. Zwar sollte mit den Einnahmen aus dem Rohölexport die wirtschaftliche Diversifizierung und Abkehr von der strukturellen Abhängigkeit finanziert werden – doch blieb der vielbeschworene Cambio de la Matriz Productiva, also die strukturelle Veränderung der Produktionsmatrix, ein Papiertiger. Ecuador ist heute abhängiger von Rohstoffexporten denn je, und im amazonischen Nationalpark Yasuní, bis 2013 internationales Symbol für effektive Klimapolitik unter dem Motto „lasst das Öl im Boden“, entstehen die ersten von 600 geplanten Bohrlöchern. Die ecuadorianische Unternehmenslandschaft weist in vielen Bereichen einen hohen Konzentrationsgrad auf, den die Correa- Regierung nicht antastete. Während rhetorisch oft gegen die wirtschaftlichen Eliten gewettert wurde, erzielten diese unter der Bürgerrevolution historische Gewinnmargen.

Die Correa-Regierung nutzte, wie auch ‚linke‘ Regierungen andernorts, ihre hohe Legitimität, um Maßnahmen durchzusetzen, die unter einer rechten Regierung am Widerstand der organisierten Bevölkerung gescheitert wären. Ein Beispiel ist das zum 1. Januar 2017 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der EU. Auch mit der Ausweitung des Extraktivismus – der Erschließung neuer Ölvorkommen im Amazonasbecken und der Einführung des transnationalen Megabergbaus in dem biodiversen Land – nahm die Regierung strukturelle Weichenstellungen vor, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Auswirkungen haben: Die für die Verteilung der Rente zuständige staatliche Zentralmacht wird gestärkt, die Kontrollinstanzen werden geschwächt. Dies begünstigt Korruption, und dass Ecuador hierbei keine Ausnahme darstellt, zeigen die zahlreichen Korruptionsskandale rund um das staatliche Ölunternehmen Petroecuador und die brasilianische Baufirma Odebrecht im Vorfeld der Wahlen. Diese warfen auch lange Schatten auf Jorge Glas, der für Alianza País erneut als Vizepräsident kandidiert. Dass sich diese Skandale nicht nennenswert auf die Wahlprognosen ausgewirkt haben, liegt unter anderem an der politischen Erlahmung der Bevölkerung angesichts eines Staates, der sich als einzig legitimer Akteur sozialen Wandels versteht. Aber auch an der Dominanz der Regierungssicht in der ecuadorianischen Medienlandschaft und der in den vergangenen Jahren aufgrund der Petrodollars intensivierten Konsumkultur.

Die hohe Konzentration der Unternehmen hat die Regierung nicht angetastet.

Die nach dem Neoliberalismus populäre Forderung nach der „Rückkehr des Staates“ ist in einem disziplinierenden Etatismus gemündet, der einige Steuerungsinstrumente des Realsozialismus des 20. Jahrhunderts mit dem Erbe der zutiefst kolonial geprägten, autoritär-populistischen und strukturell korrupten politischen Kultur Lateinamerikas verbindet: enge Verstrickung zwischen Staat und Partei, Personenkult und faktische Aufhebung der Gewaltenteilung, Koppelung von Vergünstigungen und Sozialleistungen an politische Loyalität, und schließlich eine Polarisierungslogik, in der Kritik und Debatte auch in den eigenen Reihen von vornherein unterbunden ist. So hat sich Alianza País 2014 einen Ethikcode gegeben, der zum Beispiel der eigenen Parlamentsfraktion das Öffentlichmachen von Dissidenz unter Androhung des Mandatsverlustes verbietet.

Die Bürgerrevolution hat dem Land eine lang ersehnte politische Stabilität und eine neue Infrastruktur beschert. Während sie darauf bedacht war, im Ausland ihr revolutionäres Bild zu pflegen und beispielsweise Julian Assange politisches Asyl zu gewähren, baute sie im Inland im Zuge der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen auch die staatliche Überwachung der Bürger*innen aus. Vor allem aber betrachtete sie jegliche Form autonomer sozialer Organisierung als Bedrohung der eigenen Macht und bekämpft sie – mit einigem Erfolg. Die Indigenen- und Studierendenbewegung sowie die Gewerkschaften sind heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Andauernde Diffamierung in der Öffentlichkeit, die Gründung von regierungstreuen Parallelorganisationen, aber auch Repression und Militarisierung, wie sie das im lateinamerikanischen Kontext außerordentlich friedliche kleine Land am Äquator nicht kannte, haben schließlich gefruchtet. Über 400 Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen sind derzeit anhängig. Im Süden des Landes, wo die indigenen Shuar-Gemeinden gegen die Konzessionierung ihrer angestammten Gebiete an eine chinesische Bergbaufirma protestieren, herrschen seit Monaten die Armee und der Ausnahmezustand.

Über 400 Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen sind derzeit anhängig.

Als Erfolg der Correa-Regierung gilt vor allem die Reduzierung von Armut und Ungleichheit – in deren Namen der Extraktivismus stets gerechtfertigt wurde. Zwischen 2007 und 2015 war die Armut nach offiziellen Angaben um 13,4 Prozentpunkte gesunken. Aufgrund des Zusammenbruchs der Ölpreise auf dem Weltmarkt seit der zweiten Jahreshälfte 2014 ist sie jedoch seitdem wieder gestiegen – was zeigt, wie wenig nachhaltig die von der Correa-Regierung ergriffenen Maßnahmen waren. Ein offener Brief der Shuar-Indigenen macht außerdem deutlich, wie monodimensional der produktivistische Armutsbegriff der Regierung ist: „Kommen Sie uns nicht damit, dass Sie Bergbau betreiben, um uns aus der Armut zu holen. Denn wir fühlen uns mit unserer Lebensweise nicht arm. Sagen Sie uns lieber, wie Sie uns als Volk und unsere Kultur schützen werden.“

Wer die bevorstehende Stichwahl gewinnt, tritt ein problematisches Erbe an. Er oder sie erbt ein Land, das sich auf Jahrzehnte verschuldet und obendrein überteuerte Kredite mit Zinssätzen von teils über zehn Prozent aufgenommen hat. Selbst die produktivsten, zuvor staatlichen Ölfelder wurden vor kurzem gegen schnelles Geld an transnationale Konzerne wie Schlumberger und die chinesische CERGG verscherbelt – ganz im Gegensatz zur Politik der frühen Jahre, die den Anteil der Staatseinnahmen aus der Ölförderung erweitert hatte.

Hinzu kommt, dass ein beträchtlicher Teil der an sich schon eher bescheidenen Ölreserven bereits im Voraus an China verkauft wurde und die Einnahmen hieraus längst ausgegeben sind – ebenso wie auch die erwarteten Lizenzgebühren aus dem erst beginnenden Bergbau bereits zu einem Großteil kassiert wurden und in Schulneubauten und Ähnliches geflossen sind. Da bleibt in Zukunft nicht viel finanzieller Spielraum für staatliche Politik. Vielmehr wurden die natürliche Vielfalt des Landes und die Optionen künftiger Generationen im Rahmen kurzfristigen politischen Kalküls verpfändet.

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