Bloß nicht zurückschauen

Blutkohle aus El Cesar Der US-Konzern Drummond hat mutmaßlich paramilitärische Gruppen finanziert (Foto: Leonard Mikoleit)

Uniper hat das Thema just transition für sich entdeckt. Diesen Eindruck vermittelt der Konzern zumindest in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung seines aktuellen Nachhaltigkeitsberichts Ende April 2024. Uniper – eine Abspaltung von E.ON und seit 2022 fast vollständig in der Hand des deutschen Staates – sei „davon überzeugt, dass der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft für möglichst alle Betroffenen gerecht sein muss.“ Dabei bezieht sich der Konzern in erster Linie auf die eigenen Beschäftigten der fossilen Kraftwerke, die geschlossen oder umgenutzt werden sollen.

Doch bleibt der Konzern nicht bei diesem engen Verständnis einer just transition, eines „gerechten Übergangs“ beim Ausstieg aus fossilen Energien, stehen: „Darüber hinaus ist Uniper aktiv an der Unterstützung von Programmen zur wirtschaftlichen Diversifizierung in Kohlebergbauregionen beteiligt, wie beispielsweise an der Initiative von Bettercoal in Kolumbien“, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Was das konkret bedeutet, scheint Uniper selbst noch nicht sagen zu können. Auf der Webseite von Uniper wird vage der Aufbau einer „Finanzierungsstruktur“ in Aussicht gestellt, um „die Entwicklung einer alternativen regionalen Wirtschaft zu fördern.“

Ausgerechnet Uniper will Nachhilfe in wirtschaftlicher Diversifizierung geben. Dabei dürfte es kaum ein Energieunternehmen aus Deutschland geben, das darin selbst mehr Nachhilfe nötig hat, besteht doch sein Geschäftsmodell weiterhin maßgeblich auf dem Handel mit fossilem Gas. Und dann auch noch via „Bettercoal“, jenem erfolglosen Versuch der hiesigen Kohlekonzerne, Verbesserungen bei Sozial- und Umweltstandards entlang der globalen Steinkohle-Lieferketten durch Minen-Audits und Dialoge zwischen Konzernen, Regierungen und lokalen Gemeinschaften anzuregen. Seit über zehn Jahren führt „Bettercoal“ nicht zu einer substantiellen Verbesserung der Lebensbedingungen der vom Kohleabbau betroffenen Gemeinden. Es sind also Zweifel angebracht, wenn Uniper ankündigt, an einem „Just Transition Framework“ zu arbeiten.

Dabei ist ein wirklich sozial- und klimagerechter Kohleausstieg entlang der Lieferketten bitter nötig. Genauso nötig: ein Blick zurück, um die ganzen Schäden und Ungerechtigkeiten durch den Kohleabbau zu erfassen, vor allem in Kolumbien.

„Bettercoal“ hat keine substantielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Gemeinden zur Folge

Mit dem in Deutschland politisch beschlossenen Kohleausstieg bis spätestens 2038 haben auch die Steinkohleimporte ein klares Enddatum. Jene aus Kolumbien dürften dabei noch schneller zurückgehen. Kein Konzern möchte länger als nötig in direkter Verbindung zu den Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen beim Kohleabbau in Kolumbien stehen. Uniper meidet schon jetzt Langzeitverträge mit dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore bzw. Cerrejón, dem Betreiber der größten Kohlemine in Kolumbien, im Departamento La Guajira. Doch darf mit dem Ende von Lieferverträgen nicht auch die Verantwortung enden, wenn Uniper eine just transition verspricht.

Die Indigene Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Jakeline Romero der Organisation Fuerza de Mujeres Wayuu, die Ende Februar 2024 unerwartet verstorben ist, hatte die Folgen der Wasserknappheit in La Guajira so beschrieben: „Tausende von Wayuu-Kindern sind in den letzten zehn Jahren gestorben.“ Die Behörden sprächen von Todesfällen aufgrund von Mangelernährung, verschwiegen aber die eigentliche Ursache, nämlich den Diebstahl des Wassers der Wayuu. „Früher gab es Brunnen in La Guajira. Jeder hatte Tiefen von 30 bis 40 Metern, selbst in den trockensten Gebieten. Aber der Bergbau hat dazu geführt, dass der Grundwasserspiegel gesunken ist.“

Ein überstürzter Ausstieg aus der Kohleförderung ist auch keine Lösung, wie Glencores Agieren in El Cesar, neben La Guajira das wichtigste kohlefördernde Departamento, zeigt: 2020 hat der Konzern unabgesprochen zwei Tagebaue geschlossen und die Bewohner*innen der Region, die extrem vom Bergbau abhingen, in eine schwere soziale Krise gestürzt. Seinen Verpflichtungen, wie soziale und ökologische Kompensationsmaßnahmen durchzuführen, ist Glencore nur unzureichend nachgekommen.

Im Norden Kolumbiens kämpft die betroffene Bevölkerung schon längst nicht nur mit den direkten Folgen des Tagebaus, sondern mit Dürren, unregelmäßigen Regenfällen und extrem hohen Temperaturen in Folge der Klimakrise. Für Indigene, wie die Wayuu in La Guajira oder die Yupka in El Cesar, ist es eine weitere zerstörerische Folge der kolonialen Ausbeutung der Ressourcen ihres Landes. Treffend spricht Yukpa-Aktivist Juan Pablo Gutiérrez nicht von einer Klimakrise, sondern einer kolonialen Krise.

Ein Blick zurück rückt auch die Verwicklung der Bergbaukonzerne in paramilitärisch Gewalt in den Fokus. Neben Glencore ist der US-Konzern Drummond der größte Kohleförderer der Region. Dessen aktueller und ein früherer Geschäftsführer sind von der kolumbianischen Justiz wegen der mutmaßlichen Finanzierung paramilitärischer Gruppen angeklagt.

Konzerne haben von der billigen Blutkohle aus Kolumbien profitiert

Deutsche Energiekonzerne wie Uniper haben zwischen 2004 und 2023 fast 110 Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien bezogen. Die deutschen Importeure haben damit maßgeblich das desaströse Geschäftsmodell des Kohleexports ermöglicht, mit seinen fortgesetzten Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in Form von gewaltsamen Landvertreibungen und Zwangsumsiedlungen in den Kohleregionen Kolumbiens.

Kolumbianische Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wie Censat Agua Viva oder Cinep fordern auch von deutschen Energiekonzernen, sich an fairen Prozessen zu Reparationen und Entschädigungen zu beteiligen. Das schließt die Opfer paramilitärischer Gewalt mit ein.

Nicht nur Uniper, sondern alle Konzerne, die von der billigen Blutkohle aus Kolumbien profitiert haben, müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Dazu zählen neben EnBW, RWE und Vattenfall selbstverständlich in erster Linie Glencore, Drummond und alle anderen Unternehmen, die Kohleminen betreiben und betrieben haben. Der Verantwortung müssen sich aber auch jene Staaten stellen, welche die Konzerne gewähren ließen.

Die Opfer paramilitärischer Gewalt dürfen nicht vergessen werden

Die bittere Botschaft zwischen den Zeilen von dem, was über Unipers „Just Transition Framework“ bisher bekannt ist: Bloß nicht zurückschauen auf die vielschichtigen Dimensionen der historischen Verantwortung, aufgrund des jahrelangen Profits aus dem Bezug kolumbianischer Steinkohle.

Für eine just transition, die diesen Namen verdient, braucht es eine umfassende Unterstützung der Regionen und Gemeinden, die am stärksten unter den Folgen des deutschen Energiehungers nach Steinkohle leiden mussten. Dabei dürfen weder die Opfer paramilitärischer Gewalt vergessen werden, noch die Personen, die langfristig an gesundheitlichen Problemen wegen des Kohlestaubs leiden. Es geht um mehr als nur die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Betroffenen in den Kohleregionen müssen selbst entscheiden können, welche Form des Wirtschaftens und welche Arbeitsplätze sie nun schaffen möchten. Nicht zuletzt geht es auch um eine faire Verteilung der absehbar steigenden Kosten klimakrisenbedingter Schäden. Ohne Beachtung dieser vielschichtigen Aspekte wird es keinen klimagerechten Übergang geben.


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„Prodeco betrügt uns immer wieder“

Prodeco hat im Jahr 2021 seine Schürfrechte im César zurückgegeben. Wie ist der aktuelle Stand?
Claudia Blanco (CB): Prodeco spricht von einer Minenschließung, aber das Unternehmen kauft weiterhin Kohle aus anderen Regionen, bringt sie mit Lastwagen zur Calenturitas-Mine und exportiert sie von dort auf dem normalen Weg mittels Zug und Schiff.
Auf der Glencore-Hauptversammlung in der Schweiz im Mai habe ich den CEO Gary Nagle damit konfrontiert: „Den Aktionären erzählt ihr etwas von Dekarbonisierung und Minenschließung, aber vor Ort operiert ihr weiter und erzielt Gewinne damit. Ihr habt Angestellte entlassen und stellt sie dann unter schlechteren Bedingungen wieder ein, ohne Recht auf gewerkschaftliche Organisation.“ Gary Nagle hat mir geantwortet, dass sie weiter mit Kohle handeln werden, solange es rentabel ist. Zum Beispiel auch mit Israel, weswegen es auf der Versammlung viel Protest gab. In schönen Videos präsentieren sie sich als Dekarbonisierer und schweizer Vorzeigebürger, aber in Kolumbien, Peru oder Afrika machen sie etwas ganz anderes, das ist scheinheilig.

Welche Folgen hatte die Schließung für die Menschen der Region?
CB: Als die Minen geschlossen wurden, haben mehr als 7.000 Menschen ihre Arbeit verloren, die direkt oder indirekt von der Kohleförderung abhing. Dazu kommt noch die informelle Arbeit vor allem von Frauen – sie haben die Wäsche der Bergarbeiter gewaschen, für sie gekocht und geputzt, ihnen Zimmer vermietet oder waren als Sexarbeiterinnen tätig. Die meisten Arbeiter stammten nicht aus dem Cesar und kehrten in ihre Heimatregionen zurück. Die Siedlungen nahe der Minen sind zu Geisterdörfern geworden.
Das Unternehmen erkennt noch nicht einmal an, dass es für chronische Erkrankungen seiner Angestellten verantwortlich ist, die in den Minen vielen Risiken ausgesetzt waren. Sie wollen auch sie widerrechtlich entlassen.
Minenschließungen sind in Kolumbien Neuland – für die Regierung, die Gemeinden und auch für uns als Gewerkschaft. Es gibt keine Garantien für einen Dialog, für einen transparenten Prozess mit dem Unternehmen und dafür, dass es seiner Verantwortung nachkommt. Den staatlichen Kontrollstellen fehlt es an Durchsetzungskraft.

Wie sieht die gewerkschaftliche Arbeit aus, was sind Formen des Kampfes?
CB: Auf lokaler und Bundesebene haben wir Demonstrationen organisiert – vor dem Arbeitsministerium, vor Gerichten oder dem Sitz des Unternehmens. Und auch bei der Glencore-Hauptversammlung in der Schweiz haben wir uns dieses Jahr sehr gut mit Nichtregierungsorganisationen, anderen Gewerkschaften und sogar Aktionär*innen vernetzt.
Robinson Moreno (RM): Letztes Jahr waren wir auch bei einer öffentlichen Anhörung im Abgeordnetenhaus. Mit unserem Aktivismus wollen wir Kolumbien und der Welt zeigen, was bei der Energiewende schiefläuft. Gegen die Angriffe der Firma auf die Gemeinde und die Arbeiter beschreitet die Gewerkschaft beständig den Rechtsweg. Auch die Medienarbeit ist Teil unseres Kampfes, wie jetzt dieses Interview.

Es gibt auch einen runden Tisch verschiedener betroffener Gruppen, was hat er bewirkt?
RM: Daran sind bäuerliche, Indigene, gewerkschaftliche und Umweltgruppen aus der Minenregion beteiligt, auch Tierra Digna und weitere Nichtregierungsorganisationen. Gemeinsam haben sie die für Umweltgenehmigungen zuständige Behörde ANLA gebeten, das Unternehmen aufzufordern, sich mit ihnen zu treffen, um den Schließungsplan für die Minen zu erläutern. Ein Gericht hat dies auch angeordnet, aber das Unternehmen hat es nicht umgesetzt.
CB: Prodeco setzt solche Anordnungen meist nicht um und versucht immer wieder zu täuschen und zu betrügen. Vor Behörden und Gerichten behauptet die Firma, dass sie die Anordnung umgesetzt hat, aber das stimmt nicht. Das Gleiche ist ja auch den Indigenen Yukpa wiederfahren (siehe LN 597).

Was folgt aus alledem für das Ziel einer gerechten Energiewende?
RM: In Deutschland gibt es positive Beispiele wie im Ruhrgebiet, wo versucht wurde, den Verlust an Arbeitsplätzen und die sozialen Folgen zu kompensieren. Hier bei uns sieht das ganz anders aus. Die Lizenzgebühren und Steuern aus dem Bergbau sind für die betroffenen Gemeinden die Haupteinnahmequelle. Aber die von der Firma verantwortete Umweltzerstörung wiegt viel schwerer – abgesehen davon, dass diese Einnahmen wegen der Korruption oft gar nicht bei den Gemeinschaften ankommen.
Die Energiewende ist hier weder für die Gemeinschaften noch für die Arbeiter und die Umwelt gerecht. Ein multinationaler Konzern darf die Gemeinschaften und Arbeiter nicht unvorbereitet lassen, wenn es um die enormen wirtschaftlichen Transformationen nach einer Minenschließung geht. Und der Staat sollte auch keine Verträge abschließen, die nur auf die Interessen solcher Konzerne zugeschnitten sind.
Man darf auch nicht von einem fossilen zu einem grünen Extraktivismus übergehen, ohne die Energieversorgung zu demokratisieren und die Armut zu beenden. Weniger als zehn Kilometer von den Minen im César entfernt liegt zum Beispiel der größte Solarpark Kolumbiens, der der italienischen ENEL gehört. Aber das ein oder zwei Kilometer entfernte Dorf hat keine gute Energieversorgung.

Welche Erwartungen und Forderungen haben Sie an Prodeco und den Staat?
CB: Wir brauchen alle Bergbau-, Umwelt-, Arbeitsrechts- und Rentenreformen, die die derzeitige Regierung gerade plant. Denn im Moment gibt es für Gemeinschaften und Arbeiter keine Garantien. Die Unternehmen werden nicht die Folgen von 25 Jahren Bergbau kompensieren, indem sie schnell ein paar Pflanzen aussäen. Im Moment versuchen sie nämlich den Behörden weiszumachen, dass das als Ausgleich ausreicht, bevor sie die Minen an den Staat zurückgeben.
Prodeco verheimlicht Informationen und vernachlässigt seine Sorgfaltspflicht. Wir wollen dagegen einen offenen, transparenten, inklusiven und demokratischen Dialog mit allen Betroffenen: Indigene, Afrokolumbianer, Frauen, Arbeiter. Prodeco muss mit allen zusammenarbeiten, statt sich davonzustehlen. Denn was machen wir mit der Armut, was mit der Umweltverschmutzung, wenn sie jetzt gehen? An vielen Orten ist die Luft zu dreckig zum Atmen, das Wasser zu dreckig zum Trinken.
RM: Die Gewerkschaften schlagen einen Fonds zur Wiedergutmachung mit Blick auf soziale, Arbeits- und Umweltaspekte vor, was aber nicht einfach ist. In Kolumbien machen die Firmen nur dann etwas, wenn sie durch Gesetze, Urteile, öffentlichen Druck oder kollektive Aktionen dazu gezwungen werden. Die Regierung Petro bemüht sich zwar sehr um unsere Region: Sie soll der neue „Korridor des Lebens” werden, es gibt Unterstützung für selbstverwaltete comunidades energéticas (dt. Energiegemeinschaften, z.B. Dörfer oder Stadtviertel, die ihre Energie mit Solarzellen selbst erzeugen können, Anm. d. Red.). Aber all das reicht nicht.

Welche Strategien haben die Gewerkschaften für ihre künftige Arbeit?
CB: Wir müssen uns um Bildung kümmern, denn vielen Menschen fehlt es für den Strukturwandel an beruflichen Kenntnissen. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit der Universidad de Magdalena einen Lehrgang zur Erlangung des „Gerechte-Energiewende-Diploms” organisiert, an dem viele Arbeiter und engagierte Leute aus den Gemeinschaften teilgenommen haben. Wir planen mit dieser Universität und dem landesweiten Ausbildungsdienst SENA auch einen Kurs zur Solarenergie.

Wie stellen Sie sich Ihr Territorium vor, sobald der Bergbau Geschichte ist?
CB: Wir haben während des Lehrgangs dazu eine Übung gemacht: Wir können uns wieder auf Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang besinnen, aber denken auch an Tourismus. Unser Güterzug kann nicht nur Kohle transportieren, sondern auch Touristen. Wir könnten Kunsthandwerk herstellen und verkaufen, gerade die Frauen – aus Kohleklumpen lassen sich Skulpturen fertigen.
RM: Ideen gibt es viele. Bei diesen riesigen Flächen haben auch Solaranlagen ein großes Potenzial. Das Problem ist aber der Landbesitz: Glencore wird sein Land nicht den Gemeinschaften schenken, und niemand kann es der Firma abkaufen, denn das ist sehr teuer. Selbst wenn das der Staat übernehmen würde, wer tätigt dann die großen Investitionen, die für eine wirtschaftliche Wiederbelebung erforderlich wären?


DIE MINEN VON PRODECO

In den 1980er und 1990er Jahren haben Glencore und andere multinationale Konzerne in Kolumbien Minen eingerichtet. Die Aneignung von Land, die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen, Morde und Vertreibung der Landbevölkerung waren dabei Mittel, um Verträge zur Rohstoffausbeutung zu erhalten. Diese Verträge sowie das derzeit in Kolumbien geltende Bergbaugesetz lassen soziale Verantwortung und Umweltbelange außer Acht und enthielten auch keine Bestimmungen für eine spätere Schließung der Minen, die die Gesamtheit ihrer Auswirkungen und der Betroffenen im Blick gehabt hätte.

Im Jahr 2020 beantragte Prodeco, den Betrieb der Minen La Jagua y Calenturitas aufgrund des niedrigen Kohle-Weltmarktpreises sowie Auswirkungen der Pandemie für vier Jahre ruhen zu lassen. Die damalige Regierung lehnte dies aufgrund der großen Auswirkungen auf die Region ab, daraufhin beantragte das Unternehmen im Januar 2021 die Rückgabe der Schürfrechte. Die Regierung akzeptierte die Rückgabe von drei der beantragten fünf Schürfrechtstiteln.

Prodecos Mutterkonzern Glencore hat Kolumbien wegen der Verzögerung bei der Rückgabe der Schürfrechte zudem vor dem internationalen Schiedsgericht ICSID auf Entschädigung verklagt.

Die Regierung Petro arbeitet an einem neuen Bergbaugesetz, das Entschädigungen für Gemeinschaften vorsieht sowie die soziale, arbeitsrechtliche und Umwelthaftung der Bergbauunternehmen regelt.


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Verschmutzt und allein gelassen

Im Norden Kolumbiens wird in mehreren Minen Kohle gefördert. Neben der Region La Guajira mit dem bekannten Tagebau El Cerrejón geschieht dies auch in der Region Cesar. Der Kohleabbau ist dort in der Hand multinationaler Unternehmen wie Glencore (aus der Schweiz) und Drummond (aus den USA). Gemäß kolumbianischer Gesetze haben diese Unternehmen gegenüber den Gemeinden eine soziale Verantwortung in Bezug auf Bildung und Infrastruktur, sie haben zudem eine Verantwortung gegenüber der Umwelt – selbst nachdem sie ihre Bergbaulizenzen zurückgegeben oder verkauft haben.

Drummond ist noch da Nach Schließung der Glencore-Minen leiden die Städte immer noch unter der Verschmutzung durch andere Minen wie El Descanso von Drummond

Glencore schloss im Jahr 2020 offiziell zwei ihrer Minen (La Jagua und Calenturitas) aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie angeblich fehlender Ressourcen zur Fortsetzung des Bergbaus. Da die Wirtschaft der Region Cesar hochgradig abhängig von diesen Minen war, ließ ihre Schließung die meisten zuvor dort tätigen Menschen ohne Einkommensquelle zurück.

Minenarbeiter*innen auf dem Weg zur Arbeit

Ein Mangel an staatlicher Präsenz und damit an Kontrolle der Bergbauunternehmen im Hinblick auf Umweltverschmutzung und soziale Investitionen führten zur Entstehung vergessener Ort­schaften wie Boquerón.

Einfaches Spielzeug Ein Junge hat sich etwas aus recycleten Eierpackungen gebastelt
Don Guillermo, ein örtlicher Bauer hat aufgrund der Verschmutzung all seine Fische, Rinder und Mais verloren. Sie waren die einzige Einnahmequelle neben der Kohle

Regiert manchmal von Kriminellen, manchmal von Guerillakämpfern, manchmal von paramilitärischen Gruppen und manchmal von sich selbst, schafft es Boquerón, auch ohne staatliche Präsenz zu überleben. Die Straßen sind nicht asphaltiert, die Energieversorgung erstreckt sich nur auf bestimmte Haushalte und die Schule. Die Mehrheit der Bewohner von Boquerón arbeiteten in den Glencore-Minen, bevor diese geschlossen wurden. Jetzt sind die meisten arbeitslos und kämpfen jeden Tag um das Nötigste.

Unasphaltierte Straßen sind die Regel in Boquerón

Bereits im Jahr 2010 wurde Glencore vom kolumbianischen Bergbauministerium aufgefordert, die Menschen von Boquerón aufgrund der Verschmutzung durch Kohlestaub umzusiedeln. Dies ist jedoch nie geschehen, stattdessen wartete das Unternehmen elf Jahre ab, bis die zuständige Behörde im Jahr 2021 feststellte, dass Boquerón nun unterhalb des gesetzlichen Verschmutzungslimits lag. Die Einheimischen erhielten von den Bergbauunternehmen nie eine Entschädigung für die Verschmutzung. Während sie die Landwirtschaft als alternative Einkommensquelle durch die Verschmutzung verloren, existieren die Minen, für die sie immer gearbeitet hatten, nicht mehr.

Der örtliche Supermarkt Hier kaufen die Leute alles, von Reis bis hin zu Spirituosen

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WO KOMMT DIE KOHLE HER?

Die Steinkohlemine El Cerrejón Fast die gesamte hier geförderte Kohle wird nach Europa exportiert (Foto: Tanenhaus via commons.wikimedia.org, CC BY 2.0)

Anfang Oktober protestierten in Deutschland verschiedene Gruppen unter dem Namen deCOALonize Europe für einen weltweiten Kohleausstieg. Das Bündnis führte unter anderem in Dortmund, Hamburg und Bremen Demonstrationen und Blockaden durch. Es fordert einen vollständigen Ausstieg aus der Verstromung von Kohle – als ersten Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Denn ein europäischer Ausstieg aus der Kohleförderung verlagert den Kohleabbau nur in andere Regionen. Steinkohletagebaue weiten sich dort aus, wo sie häufig nicht sichtbar sind: Der Tagebau El Cerrejón, im Norden Kolumbiens, ist die größte Mine Lateinamerikas und mittlerweile die größte Steinkohlegrube der Welt. In Europa wird die Kohle verstromt und CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, doch die Folgen spürt man in Europa wesentlich schwächer als vor Ort. Die, die von der Kohle profitieren, sind nicht die, die unter den Folgen leiden.
Dabei ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromgewinnung in Kolumbien überraschend hoch: Allein die Wasserkraftwerke liefern 85 Prozent der elektrischen Energie. Gleichzeitig wird in Kolumbien Steinkohle gefördert wie sonst nur in den USA oder Russland. 2017 wurden in La Guajira und der südlicheren Region Cesar knapp 90 Millionen Tonnen aus der Erde geholt. Fast die gesamte Steinkohle wird exportiert. Der Kohletagebau El Cerrejón und andere Minen gehören meist multinationalen Konzernen, die diese Kohle aus dem nahe gelegenen Karibikhafen Puerto Bolívar direkt nach Europa verschiffen lassen. Auch nach Deutschland, wo Energiekonzerne wie RWE, E.ON und Vattenfall sie zur Stromgewinnung nutzen.

Der europäische Kohleausstieg verlagert den Kohleabbau und seine fatalen Folgen nur in andere Regionen

Die Bewohner*innen der Dörfer rund um die Mine El Cerrejón leiden unter ständigen Sprengungen, verschmutztem Regenwasser und der Belastung durch Schwefelsäure im Río Ranchería. Auch Räumungen ganzer Gemeinden für den Kohleabbau und paramilitärische Gruppen sind eine ständige Bedrohung. Nicht nur die unmittelbaren Folgen setzen dem Land zu, denn die Kohle kommt in anderer Form zurück. Die Verstromung von Steinkohle ist ebenso ineffektiv und dreckig wie die von Braunkohle: Um die gleiche Menge Energie zu gewinnen, wird bei der Verbrennung von Steinkohle im Vergleich zum Diesel 40 Prozent mehr CO2 freigesetzt. Damit ist die Steinkohle ein Anheizer des Klimawandels. Laut den Vereinten Nationen ist Kolumbien einer der extrem betroffenen Staaten. Mindestens die Hälfte der Fläche ist besonders anfällig für klimatische Veränderungen. Weite Teile der küstennahen Gebiete liegen nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel und werden bereits jetzt häufig überflutet. Gleichzeitig schmelzen die Andengletscher, deren Abflüsse die Bevölkerung seit Jahrhunderten mit sauberem Wasser versorgen. In La Guajira wird letzteres knapp – auch wegen des Kohleabbaus. Allein die Mine El Cerrejón verbraucht täglich 17 Millionen Liter Wasser. Im Rahmen der Proteste von deCOALonize Europe im Ruhrgebiet sagte die kolumbianische Aktivistin María Fernanda Herrera Palomo gegenüber der Online-Zeitung scharf-links.de dazu: „In La Guajira schützen indigene Wayuu und afrokolumbianische Gemeinden den für sie lebensnotwendigen Fluss Arroyo Bruno vor der Zerstörung durch den Kohleabbau. Wir schließen uns mit unseren Aktionen diesen mutigen Kämpfen an. Deshalb blockieren wir hier die Blutkohle.“

Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt


Klimagerechtigkeit ist ein schwer greifbarer Begriff. Am Rande von El Cerrejón haben die Menschen den Zusammenhang verstanden: Hier wird die Kohle abgebaut und die Landschaft zerstört, ihre Lebensgrundlage verschwindet. „Ich wünsche mir, dass die Menschen in Deutschland sich bewusst werden, wo die Kohle herkommt, die sie konsumieren. Und über die Konsequenzen“, zitiert deCOALonize Europe Luz Ángela Uriana Epiayu, Bewohnerin eines Dorfes am Rande des riesigen Tagebaus. Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt, oft mit brachialer Gewalt. Die Entschädigungen ersetzen nicht den Verlust der Lebens- und Einkommensgrundlagen. Wirtschaftliche und soziale Strukturen werden zerstört, ehemalige Kleinbauernfamilien landen in Vorstadtsiedlungen. Wer sich wehrt, muss in La Guajira mit Morddrohungen rechnen.
Das zeigt das Beispiel der Fuerza de Mujeres Wayuu, der Organisation der indigenen Wayuu-Frauen. Im April 2019 erhielten sie von Paramilitärs der Águilas Negras (Schwarze Adler) Drohbriefe. In Cesar wurden allein zwischen 1996 und 2006 59.000 Menschen vertrieben und 2.600 ermordet. Vor Gericht bestätigten die paramilitärischen Milizen in vielen Fällen, dass sie von Drummond, einem der Minenbetreiber, beauftragt wurden. „Die Morde und die Finanzierung paramilitärischer Einheiten stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Arbeiter klagen regelmäßig über fehlende Gewerkschaftsfreiheit, zu lange Arbeitszeiten und schlechten Gesundheitsschutz“, so Alirio Uribe, Menschenrechtsanwalt in einer Informationsbroschüre von deCOALonize Europe.
Diese Zustände sollen auch in Europa nicht länger unbekannt bleiben. Anfang Oktober gelang deCOALonize ein erfolgreicher Schritt: An verschiedenen Orten in Deutschland blockierten sie Kohleinfrastruktur. In Hamburg blockierten 200 Aktivist*innen den Zugang zum Kraftwerk Moorburg mit Kanus. In Nordrhein-Westfalen störten Aktivist*innen mit der Besetzung eines Krans den Betrieb des Trianel Steinkohlekraftwerks Lünen und organisierten gemeinsam mit Fridays for Future eine Fahrraddemo in Dortmund. „Das Klimapaket beweist wieder, dass die Bundesregierung lieber kapitalistische Interessen bedient, als Antworten auf die bevorstehende Klimakatastrophe zu finden“, sagt Aktivistin Jennifer Schneiders aus Hamburg. „Und es ist unsere Verantwortung, uns dem mutigen Widerstand in den Abbauregionen anzuschließen und hier den sofortigen Kohleausstieg zu fordern“, ergänzt ihre Mitstreiterin Lina Ottner. Die Bewohner*innen um El Cerrejón werden diese Worte sicher gerne hören.

 


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„BESSER LEBEN OHNE KOHLE”

El Cerrejón – so nannten die Wayúu einst den heiligen Berg. Heilig, weil er ihnen seit Jahrhunderten Medizinpflanzen spendete und das spirituelle Erbe der Gemeinschaft, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens, barg. Heute steht El Cerrejón für einen Großkonzern, eine Mine, ein Loch, Zerstörung. Der Berg ist ausgehöhlt, die Menschen vertrieben.

Samuel Arregoces ist Sprecher der afrokolumbianischen Gemeinde Tabaco und wurde 2001 selbst Opfer einer gewaltvollen Vertreibung durch El Cerrejón. Der gesamte Ort wurde dem Unternehmen übergeben, um dort weiter Kohleabbau zu betreiben. Bis heute warten die Menschen von Tabaco darauf, dass ein Ort für die Neugründung ihrer Gemeinde bereitgestellt wird.

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“, schildert Arregoces den Verlust. Mit der Vertreibung und Hinauszögerung der Umsiedlung sterbe etwas in der Gemeinschaft, im sozialen Gefüge. Der Aktivist ringt um Worte. „Unsere Kinder verlieren das Bewusstsein für die anzestrale Mythologie, hören auf zu träumen“. Ein wesentlicher Bestandteil der Wayúu-Spiritualität ginge somit verloren. „Der Verlust dieses Gedächtnisses des Territoriums ist irreparabel“, sagt Arregoces.

Hinzu kommt, dass die Dorfgemeinschaft beständig unter Druck von außen durch den Bergbaukonzern steht. Durch unterschiedliche Strategien wie zum Beispiel lukrative Jobangebote versucht El Cerrejón, den Zusammenhalt im Widerstand zu schwächen. Dass diese Strategie der internen Spaltung oft genug aufgeht, beschreibt Arregoces mit Bedauern: „Ein Riss zieht sich durch Familien und Freundschaften: Manche arbeiten in der Mine, andere verlieren durch sie jegliche Existenzgrundlage.“ Im Fall von Tabaco gestalte es sich darüber hinaus schwierig Widerstand zu organisieren, da alle ehemaligen Dorfmitglieder nun an verschiedenen Orten verstreut lebten. Geld für die Anreise und Organisation von Treffen sei fast nie da.

„Und daher sind wir nun hier in Deutschland, um uns mit sozialen Bewegungen und Aufklärungskampagnen zu vernetzen und internationalen Druck aufzubauen. Wenn man hier im Norden davon spricht, von der Kohle als Energiequelle wegzukommen, dann heißt das für uns notwendigerweise, dass man uns unsere Territorien zurückgibt.“ Arregoces verdeutlicht, dass es den Menschen von Tabaco nicht nur um die Einhaltung internationaler Standards und Verträge seitens des Unternehmens geht. Nein, auch ein definitives Ende des Extraktivismus in der Region, stehe auf ihrer Agenda. Die Rechtfertigung der Konzerne, Arbeitsplätze zu schaffen und den “Fortschritt” der Region zu befördern, hält Arregoces für einen Vorwand.

Tabaco ist nicht die einzige Gemeinde, die große Verluste zu beklagen hat. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden durch die Mine große Teile des Territoriums der Wayúu zerstört. Ganze Landstriche wurden verwüstet, Böden unbrauchbar gemacht, Biodiversität vernichtet und die Versteppung vorangetrieben. Wasserläufe versiegen aufgrund des riesigen Wasserbedarfs für die Mine, was die übliche kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft unmöglich macht. Vielen Dörfern droht nun mit der geplanten Erweiterung des Tagebaus bereits die zweite Vertreibung.

Die im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist der größte Steinkohletagebau der Welt.

Die auf der Halbinsel La Guajira im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist mit einer Gesamtfläche von 69.000 Hektar der größte Steinkohletagebau der Welt. Noch bis 2034 läuft der Vertrag zwischen den beteiligten Konzernen Anglo American aus Großbritannien, BHP Billiton aus Australien, dem Schweizer Glencore und dem kolumbianischen Staat. In dem „Plan Colombia País Minero 2019“ sieht Kolumbien eine Ausweitung aller bestehenden Minen vor, sowie eine Steigerung der landesweiten Kohleförderung. 98 Prozent der kolumbianischen Kohle sind für den Export bestimmt. Immer noch wird auf die Bergbauindustrie als „Lokomotive für die Entwicklung Kolumbiens“ gesetzt und verheerende Folgen für die Bevölkerung werden in Kauf genommen.

Während die Mine für die ansässige Bevölkerung den Inbegriff von Gewalt und Ungerechtigkeit darstellt, importieren Unternehmen wie Vattenfall, RWE oder E.ON weiterhin kolumbianische Kohle, um sie unter anderem in Deutschland zu verstromen. Die versprochene Energiewende in Deutschland, und das Einstellen der eigenen Steinkohleproduktion bis 2018, ist tatsächlich nur durch das Festhalten an Kohleimporten möglich. Deutschland allein importiert momentan pro Jahr rund 54 Millionen Tonnen Steinkohle und ist damit Spitzenreiter in der EU.

Rund ein Drittel der Importe stammt aus Russland. Nummer zwei der Importländer ist Kolumbien mit ungefähr 20 Prozent. Weiterhin gibt es kaum Transparenz über die Lieferbeziehungen, was der Missachtung von Grundrechten Tür und Tor öffnet. Laut einer aktuellen Studie von den Nichtregierungsorganisationen Germanwatch und MISEREOR betrifft ein Drittel der unternehmensbezogenen Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen den Energie- und Rohstoffsektor. Anders als Frankreich, Großbritannien und die Niederlande hat sich Deutschland jedoch immer noch nicht dazu durchringen können, Gesetze mit Menschenrechtsvorgaben für Auslandsgeschäfte von Unternehmen zu verabschieden.

So kann ein hier geführter Protest gegen Vattenfall und Co. die Gemeinden in der Guajira ganz konkret in ihrem alltäglichen Widerstand unterstützen. Auch das ist eine Botschaft der drei Aktivist*innen. Die Ziele und Vorstellungen der betroffenen Menschen müssen in den Vordergrund gestellt werden, um Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Solidarität auszumachen.

Auftaktveranstaltung der Rundreise war die Filmvorführung des Dokumentarfilms La buena vida (Das gute Leben) von Jens Schanze in Berlin. Der Film erzählt die Geschichte der Dorfgemeinschaft Tamaquito am Río Ranchería, die 2011 zum Vorzeigeprojekt „gelungener Umsiedlung“ unter „Einhaltung internationaler Standards“ durch El Cerrejón werden sollte. Dies misslang vollauf.

Catalina Caro Galvis, ebenfalls Aktivistin und Bergbaureferentin der Umweltorganisation CENSAT – Agua Viva kann im Kampf gegen das Kohlegeschäft aber auch von Erfolgen berichten. So wurde im März 2017 ein Besuch einer Konzerndelegation von Vattenfall in der Guajira erwirkt, bei dem die Führungsebenen des schwedischen Staatskonzerns mit den Menschenrechtsverletzungen in den Minen Kolumbiens konfrontiert werden sollten. Die Besonderheit: Kolumbianische Aktivist*innen, unter anderem Caro Galvis, bestimmten den Ablauf dieses Besuches. Bis heute steht das versprochene Abschlussgutachten von Vattenfall jedoch aus. Caro Galvis vermutet, dass jede weitere zeitliche Verzögerung dazu führen wird, dass die Zustände abgeschwächt und beschönigt werden. Einmal mehr ruft sie daher dazu auf, von Deutschland aus Druck auf Vattenfall auszuüben und die Veröffentlichung eines weitreichenden und transparenten Gutachtens einzufordern.

Vattenfall spielt weiterhin auch im deutschen Kohleabbau eine bedeutende Rolle. Ironischerweise finanziert der Konzern seit 2006 das „Archiv verschwundener Orte“, in dem an die 136 Dörfer erinnert wird, die allein in der Lausitz seit 1924 dem Braunkohlebergbau ganz oder teilweise weichen mussten. Bei einer Fahrradtour um den Braunkohletagebau Jänschwalde an der deutsch-polnischen Grenze tauschen die kolumbianischen Gäste ihre Erfahrungen aus der Guajira mit deutschen und polnischen Klimaaktivist*innen aus. Arregoces zieht aus diesem Zusammentreffen vor allem eine Erkenntnis: dass Kohleabbau überall auf der Welt mit einer gewaltvollen Geschichte von Vertreibung und Umweltzerstörung verbunden ist – auch in Deutschland, dem vermeintlichen Vorreiter des Umweltschutzes und der Menschenrechte. Strategie, Logik und Argumentation der Konzerne seien überall auf der Welt gleich, wenn auch die Bedingungen der Vertreibung mehr oder weniger gewaltvoll sein können, schlussfolgert er aus der Rundreise. „Hinter all dem steht die gleiche Grundidee“, sagt er.

„Extraktivismus und Wirtschaftwachsum gehen vor, Menschen müssen weichen und Lebensräume werden zerstört.“

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen.

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen. Die jahrelangen Forderungen von Umweltschützer*innen erfüllen sich: Der Tagebau Jänschwalde wird nicht erweitert und Welzow-Süd in der Niederlausitz auf Eis gelegt. Fest steht nun: Spätestens 2050 ist Schluss mit der Kohleverstromung in der Lausitz. Und bereits im Oktober 2018 sollen in Jänschwalde erste Generatoren stillgelegt werden, voraussichtlich Mitte der 2020er Jahre wird das Feld ausgekohlt sein. Der Austausch bestärke alle Beteiligten einmal mehr, weiterzukämpfen, so die Aktivist*innen. Nicht nur der Protest, sondern auch die Möglichkeiten eines sozialverträglichen Kohleausstiegs und alternative Erwerbskonzepte müssten global gedacht werden.

Jakeline Romero Epiayu, Sprecherin von Fuerza de Mujeres Wayúu, macht sich darüber hinaus bei einem Vernetzungstreffen mit Berliner Anti-Kohle-Aktivist*innen von den Bewegungen Kohleausstieg Berlin, Ende Gelände und anderen dafür stark, das Thema Klimagerechtigkeit und Energie in den Diskurs um einen möglichen Frieden in Kolumbien zu integrieren. Sie fordert einen Friedensvertrag, in dem das aktuelle neoliberale Wirtschaftsmodell infrage gestellt wird. Eben dieses Modell sei seit jeher Triebfeder des Konfliktes. Romero Epiayu sagt das sowohl mit Blick auf die Situation der vertriebenen Gemeinden in der Guajira, als auch in Hinblick auf das Gebiet Catatumbo. Durch die dort herrschende Guerilla ist die Region bisher weitgehend von extraktivistischen Großprojekten verschont worden. Nun könnte Catatumbo jedoch als lukrativer Standort der Kohle- und Ölförderung ins Blickfeld der Konzerne geraten. Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie sie Ende Gelände in den vergangenen Jahren in Deutschland durchführte, seien in Lateinamerika jedoch undenkbar, glaubt Romero Epiayu. „In Kolumbien gleicht eine Mine einer militärischen Festung und das Verhältnis zum Staat ist ein anderes“, erklärt sie. „Wenn du einen Tagebau betrittst, kann das jederzeit mit einem tödlichen Schuss enden.“ Gerade in der derzeitigen Implementierungsphase des Friedensabkommens werden Aktivist*innen in erhöhtem Maße Opfer von Kriminalisierung und Bedrohung. Auch Jakeline und Samuel erlebten bereits konkrete Gewaltandrohungen aufgrund ihrer politischen Tätigkeit. „Schutz, Unterstützung und Sichtbarmachung für Betroffene, als auch deren Familien, muss ein internationales Interesse werden“, fordert Romero Epiayu.

Letzte Station der Rundreise: Der Gipfel der Globalen Solidarität im Rahmen des Anti-G20-Protests in Hamburg. „Wir wollen erreichen, dass die Regierungschefs beim Thema Klimaschutz uns indigenen Gemeinschaften zuhören“, sagt Romero Epiayu. „Immerhin haben wir unsere Territorien und natürlichen Ressourcen über Jahrhunderte konserviert. Unsere Hoffnung ist, dass ein Leben ohne Minen und so, wie wir es uns vorstellen, irgendwann wieder möglich ist.“ Die Zukunft sieht die Aktivistin in lokalen Initiativen und kommunitären Formen des Zusammenlebens. Agerroces ergänzt: „Was man aus dem Süden in den Norden schafft, kontaminiert den ganzen Planeten. Vielleicht erinnern sich die G20 irgendwann daran, dass wir in einem einzigen gemeinsamen Ökosystem leben.“ Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, wenige Tage nach dem Gipfel jedoch feststeht: US-Präsident Donald Trump hat in Hamburg in Sachen Missachtung des Pariser Klimaabkommens einen Verbündeten gefunden. Überraschend stellt nun auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Umsetzung des Pariser Vertrages durch sein Land infrage. Ein Grund mehr für Aktivist*innen, sich weltweit zu verbünden.


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