„Ein Weckruf an die internationale Solidarität“

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Anti-Milei-Monat unterm Fernsehturm: Protestaktion in Berlin (Foto: ASA)

Wie kam es dazu, dass ihr einen Anti-Milei-Monat organisiert habt?
Lucio Piccoli (LP): Dieses Bündnis ist aus einer Initiative der Asamblea sowie anderer NRO und Vereine aus Berlin und Hamburg entstanden, die schön länger zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur arbeiten. Mileis Reise war eine Möglichkeit, strategische Bündnisse zu vertiefen. Und so entstand die Idee für einen Anti-Milei-Monat mit verschiedensten Veranstaltungen: Diskussionen, Filme, Seminare, eine Kunstausstellung in Kassel, außerdem Protestaktionen und Demos.

Was wolltet ihr mit dem Anti-Milei-Monat erreichen?
LP: Wir hatten zwei Ziele: Erstens wollten wir auf die Gefahren des Mercosur-Freihandelsabkommens hinweisen. Zweitens ging es darum, die Verbindungen zwischen Mileis Regierung und dem ganzen Panorama an sogenannten neuen Rechten in den Mittelpunkt zu stellen. Wir sind uns sicher: Man kann sich Mileis Regierung nur erklären, wenn man ihre verheerenden Maßnahmen in Argentinien mit einem internationalen Programm in Verbindung bringt – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch-ideologisch.

Was meint ihr damit?
LP: Wenn man eine internationale Perspektive einnimmt und auf die konkreten Verbindungen von Milei nach Europa und in die USA schaut, ergibt vieles einen Sinn. Einerseits hat die Hälfte seines Kabinetts in den USA studiert und Kontakte zu großen internationalen Finanzunternehmen. Andererseits zeigen Mileis Reisen nach Israel und in europäische Länder in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit, zu welchen Schlüsselfiguren er intensiven Kontakt pflegt: so besuchte er eine Wahlkampfveranstaltung der ultrarechten VOX in Spanien, an der auch Marine Le Pen, André Ventura aus Portugal, José Antonio Kast aus Chile, der ungarische Präsident Viktor Orbán, Amichai Chikli aus Israel und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni teilnahmen. Zusätzlich erhielt Milei drei Auszeichnungen neoliberaler Thinktanks in Prag, Madrid und Hamburg. Und das alles, während in Argentinien die sozialen Institutionen des Staates zerlegt werden. Mit dem Anti-Milei-Monat wollten wir vor allem zeigen, dass Milei nicht nur für das steht, was in Argentinien passiert: Die Ereignisse in Argentinien sind von Grund auf verbunden mit der politischen Entwicklung, die wir gerade in Europa erleben.

Was bedeutet das Treffen von Milei und Bundeskanzler Scholz in diesem Kontext?
LP: Das Treffen steht vor allem in einem strategischen Zusammenhang um die Verhandlungen über das Mercosur-Freihandelsabkommen. Das Interesse an diesem Projekt, dessen Geschichte über 25 Jahre zurückreicht, hat durch Investitionsvorhaben beider Regierungen im Cono Sur neuen Aufschwung bekommen. In Argentinien sind die Zoll- und Devisenvorteile des Sonderinvestitionsregimes für Großunternehmen (RIGI) des kürzlich verabschiedeten Ley Bases Grundlage. Auf deutscher Seite stehen nicht nur die klassischen Interessen der Auto- und Petrochemieindustrie im Vordergrund, sondern auch die an den Lithiumreserven im sogenannten Lithium-Dreieck, eines der größten Vorkommen der Welt, das von grundlegender Bedeutung für die sogenannte Energiewende ist. Im Zusammenhang mit Mileis Reise nach Deutschland haben wir aber auch sein Verhältnis mit AfD, CDU, Werteunion und gewissen Teilen der FDP wie der Friedrich-Naumann-Stiftung öffentlich angeprangert. Wenn Mileis Programm in Argentinien Erfolg hat, dient das als Grundlage für die Programmentwicklung rechter Politiker an anderen Orten. Deshalb schicken wir einen Weckruf an die internationale Solidarität.

Ihr habt euch auch mit anderen Städten auf Mileis Europareise vernetzt …
Marina Yaya (MY): Auf den Aufruf der Asamblea hin haben sich Leute in anderen Städten organisiert. Jede Stadt hat ihre Eigenheiten, ihre Kämpfe und Bedürfnisse. Das Netzwerk ist mit der Idee entstanden, nicht nur lokal Einfluss zu nehmen. Das ist eine recht neue Erfahrung, aber sie hat enormes Potenzial: Das Netzwerk wächst viel schneller, als wir dachten. Unser wichtigstes Mittel sind dabei die sozialen Netzwerke. Wir denken, dass unsere Aktionen so viel mehr gebracht haben, als hätten wir sie allein organisiert.

Das erinnert teilweise sehr an die internationale Solidarität der 70er und 80er Jahre. Seht ihr euch in dieser Tradition?
LP: Der Beitrag, den migrantische Menschen während der Diktaturen im Cono Sur damit geleistet haben, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, war entscheidend für den politischen Kurswechsel. Viele Mitglieder der Asamblea finden sich gern in dieser Tradition wieder, ja. Ganz konkret haben wir zwei sehr erfolgreiche Spendenaktionen für die Opfer des Lesbizids in Barracas (siehe LN 600) gestartet. Diese traditionelle Art der Solidarität mit Lateinamerika ist sehr wichtig und hat in Berlin eine lange und produktive Geschichte, aber wir wollen weiter gehen: Wir versuchen nicht nur daran zu denken, was die Menschen in Argentinien brauchen. Wir wollen auch die Menschen hier anhand ihrer konkreten Bedürfnisse politisieren. Europa ist für viele Menschen in Argentinien eine wichtige Projektionsfläche, eine Art Ausweg, in dem die Probleme und Sorgen, die es in Argentinien gibt, verschwinden. Uns ist es wichtig, diese Vorstellung kritisch zu bearbeiten. Wenn man es schafft, in Hamburg eine Demonstration mit 400 Leuten zu organisieren, während Milei seine Medaille überreicht bekommt, oder, wenn es „Nazis, wir kommen euch holen“ schallt, wenn Milei die Hand von Scholz schüttelt, hat das ein symbolisches Gewicht, das bis Argentinien widerhallt. In diesem Sinne war der Anti-Milei-Monat sehr erfolgreich: Es gab ein großes Medienecho, welches insbesondere die antidemokratischen Tendenzen der argentinischen Regierung beleuchtet hat und Raum für kritische Stimmen innerhalb des offiziellen deutschen politischen Spektrums geschaffen. Daher denken wir, dass unsere Interviews und Aktionen ein wichtiger Faktor dafür waren, dass die geplanten militärischen Ehren zurückgezogen und die Dauer des Besuchs verkürzt wurden.

Seit wann gibt es euch als Asamblea?
LP: Der Bloque Latinoamericano hat im Dezember 2023 zur ersten Versammlung aufgerufen. Wir haben ein strategisches, politisches und ideologisches Interesse daran, Initiativen wie die Asamblea zu begleiten: Ihre Entwicklung bedeutet den Ausbau einer Gegenmacht, die Migrant*innen als Subjekte gesellschaftlicher Transformation begreift.

MY: Die Asamblea ist in der hitzigen Zeit des Amtsantritts von Mileis Regierung als basisdemokratische Organisation entstanden. Ich habe darin nach fünf Jahren in Berlin meinen Ort für politisches Handeln gefunden. Wir treffen uns einmal im Monat, die Asamblea ist eine sehr dynamische, partizipative und bewegte Organisation.

Heißt das, eure Mitglieder sind auch sehr unterschiedlich?
LP: Im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Politgruppen würde ich sagen, dass es eine eher jüngere Gruppe ist: Die meisten Personen haben keine Kinder, arbeiten und leben unter prekärem Wohn- und Aufenthaltsstatus. Dieses Publikum, das erst nach dem Macrismus nach Berlin gekommen und zum Beispiel eher für Feminismus und Geschlechterthemen sensibilisiert ist, beeinflusst die Dynamik der Asamblea.

MY: Dennoch sind über die vergangenen sechs Monate sehr unterschiedliche Personen Teil der Asamblea gewesen: verschiedene Generationen mit verschiedenen Geschichten, manche länger, manche kürzer in Deutschland. Zum Beispiel Leute von HIJOS Alemania (Vereinigung von Angehörigen von in der Diktatur Verschwundenen, Anm. der Red.) oder von lateinamerikanischen Organisationen aus Zeiten der Pinochet-Diktatur. Die Asamblea ist überzeugt von der internationalen Solidarität, deshalb rufen wir auch alle aus Argentinien, migrantische Menschen oder Menschen jeder Nationalität auf, ihren Kummer und Ärger einzubringen, um eine Plattform für politischen Aktivismus zu schaffen.

Was sind auf diesem Weg eure nächsten Schritte?
MY: Bei der absurden politischen Agenda in Argentinien ist es vor allem aus der Ferne schwierig, nächste Schritte festzulegen. Langfristig wollen wir aus der Asamblea eine politische Plattform machen, die nicht nur auf das aktuelle Geschehen reagiert. Milei wird irgendwann gehen, aber die Katastrophen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und die Vernetzung der globalen Rechten sind etwas viel Größeres als diese Person. Wir müssen die vorübergehenden Fragen überwinden, um einen Raum für widerständige internationale Politik zu schaffen und weitere Solidaritätsnetzwerke zu spannen: heute mit Argentinien, vielleicht morgen mit Bolivien, anderen lateinamerikanischen Ländern und Palästina. Wenn wir es schaffen, uns als Plattform zu halten, sind uns keine Grenzen gesetzt.

LP: Wir werden auch weiterhin mit deutschen Organisationen zusammenarbeiten. Besonders bei der Arbeit zum Vormarsch der Rechten in Europa oder dem Antiextraktivismus, der direkt mit den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in Verbindung steht, können wir uns gegenseitig stärken. Wenn man sich auf solche Dinge konzentriert, eröffnet sich ein ganzes Spektrum mittelfristiger Möglichkeiten. Das ist nicht ganz einfach für uns, denn die meisten von uns sind emotional stark davon mitgenommen, was in Argentinien passiert. Wir wollen am liebsten immer direkt reagieren, aber wissen auch, dass wir unsere politische Praxis auf nachhaltige Sicht vorantreiben müssen.


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„BESSER LEBEN OHNE KOHLE”

El Cerrejón – so nannten die Wayúu einst den heiligen Berg. Heilig, weil er ihnen seit Jahrhunderten Medizinpflanzen spendete und das spirituelle Erbe der Gemeinschaft, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens, barg. Heute steht El Cerrejón für einen Großkonzern, eine Mine, ein Loch, Zerstörung. Der Berg ist ausgehöhlt, die Menschen vertrieben.

Samuel Arregoces ist Sprecher der afrokolumbianischen Gemeinde Tabaco und wurde 2001 selbst Opfer einer gewaltvollen Vertreibung durch El Cerrejón. Der gesamte Ort wurde dem Unternehmen übergeben, um dort weiter Kohleabbau zu betreiben. Bis heute warten die Menschen von Tabaco darauf, dass ein Ort für die Neugründung ihrer Gemeinde bereitgestellt wird.

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“, schildert Arregoces den Verlust. Mit der Vertreibung und Hinauszögerung der Umsiedlung sterbe etwas in der Gemeinschaft, im sozialen Gefüge. Der Aktivist ringt um Worte. „Unsere Kinder verlieren das Bewusstsein für die anzestrale Mythologie, hören auf zu träumen“. Ein wesentlicher Bestandteil der Wayúu-Spiritualität ginge somit verloren. „Der Verlust dieses Gedächtnisses des Territoriums ist irreparabel“, sagt Arregoces.

Hinzu kommt, dass die Dorfgemeinschaft beständig unter Druck von außen durch den Bergbaukonzern steht. Durch unterschiedliche Strategien wie zum Beispiel lukrative Jobangebote versucht El Cerrejón, den Zusammenhalt im Widerstand zu schwächen. Dass diese Strategie der internen Spaltung oft genug aufgeht, beschreibt Arregoces mit Bedauern: „Ein Riss zieht sich durch Familien und Freundschaften: Manche arbeiten in der Mine, andere verlieren durch sie jegliche Existenzgrundlage.“ Im Fall von Tabaco gestalte es sich darüber hinaus schwierig Widerstand zu organisieren, da alle ehemaligen Dorfmitglieder nun an verschiedenen Orten verstreut lebten. Geld für die Anreise und Organisation von Treffen sei fast nie da.

„Und daher sind wir nun hier in Deutschland, um uns mit sozialen Bewegungen und Aufklärungskampagnen zu vernetzen und internationalen Druck aufzubauen. Wenn man hier im Norden davon spricht, von der Kohle als Energiequelle wegzukommen, dann heißt das für uns notwendigerweise, dass man uns unsere Territorien zurückgibt.“ Arregoces verdeutlicht, dass es den Menschen von Tabaco nicht nur um die Einhaltung internationaler Standards und Verträge seitens des Unternehmens geht. Nein, auch ein definitives Ende des Extraktivismus in der Region, stehe auf ihrer Agenda. Die Rechtfertigung der Konzerne, Arbeitsplätze zu schaffen und den “Fortschritt” der Region zu befördern, hält Arregoces für einen Vorwand.

Tabaco ist nicht die einzige Gemeinde, die große Verluste zu beklagen hat. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden durch die Mine große Teile des Territoriums der Wayúu zerstört. Ganze Landstriche wurden verwüstet, Böden unbrauchbar gemacht, Biodiversität vernichtet und die Versteppung vorangetrieben. Wasserläufe versiegen aufgrund des riesigen Wasserbedarfs für die Mine, was die übliche kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft unmöglich macht. Vielen Dörfern droht nun mit der geplanten Erweiterung des Tagebaus bereits die zweite Vertreibung.

Die im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist der größte Steinkohletagebau der Welt.

Die auf der Halbinsel La Guajira im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist mit einer Gesamtfläche von 69.000 Hektar der größte Steinkohletagebau der Welt. Noch bis 2034 läuft der Vertrag zwischen den beteiligten Konzernen Anglo American aus Großbritannien, BHP Billiton aus Australien, dem Schweizer Glencore und dem kolumbianischen Staat. In dem „Plan Colombia País Minero 2019“ sieht Kolumbien eine Ausweitung aller bestehenden Minen vor, sowie eine Steigerung der landesweiten Kohleförderung. 98 Prozent der kolumbianischen Kohle sind für den Export bestimmt. Immer noch wird auf die Bergbauindustrie als „Lokomotive für die Entwicklung Kolumbiens“ gesetzt und verheerende Folgen für die Bevölkerung werden in Kauf genommen.

Während die Mine für die ansässige Bevölkerung den Inbegriff von Gewalt und Ungerechtigkeit darstellt, importieren Unternehmen wie Vattenfall, RWE oder E.ON weiterhin kolumbianische Kohle, um sie unter anderem in Deutschland zu verstromen. Die versprochene Energiewende in Deutschland, und das Einstellen der eigenen Steinkohleproduktion bis 2018, ist tatsächlich nur durch das Festhalten an Kohleimporten möglich. Deutschland allein importiert momentan pro Jahr rund 54 Millionen Tonnen Steinkohle und ist damit Spitzenreiter in der EU.

Rund ein Drittel der Importe stammt aus Russland. Nummer zwei der Importländer ist Kolumbien mit ungefähr 20 Prozent. Weiterhin gibt es kaum Transparenz über die Lieferbeziehungen, was der Missachtung von Grundrechten Tür und Tor öffnet. Laut einer aktuellen Studie von den Nichtregierungsorganisationen Germanwatch und MISEREOR betrifft ein Drittel der unternehmensbezogenen Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen den Energie- und Rohstoffsektor. Anders als Frankreich, Großbritannien und die Niederlande hat sich Deutschland jedoch immer noch nicht dazu durchringen können, Gesetze mit Menschenrechtsvorgaben für Auslandsgeschäfte von Unternehmen zu verabschieden.

So kann ein hier geführter Protest gegen Vattenfall und Co. die Gemeinden in der Guajira ganz konkret in ihrem alltäglichen Widerstand unterstützen. Auch das ist eine Botschaft der drei Aktivist*innen. Die Ziele und Vorstellungen der betroffenen Menschen müssen in den Vordergrund gestellt werden, um Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Solidarität auszumachen.

Auftaktveranstaltung der Rundreise war die Filmvorführung des Dokumentarfilms La buena vida (Das gute Leben) von Jens Schanze in Berlin. Der Film erzählt die Geschichte der Dorfgemeinschaft Tamaquito am Río Ranchería, die 2011 zum Vorzeigeprojekt „gelungener Umsiedlung“ unter „Einhaltung internationaler Standards“ durch El Cerrejón werden sollte. Dies misslang vollauf.

Catalina Caro Galvis, ebenfalls Aktivistin und Bergbaureferentin der Umweltorganisation CENSAT – Agua Viva kann im Kampf gegen das Kohlegeschäft aber auch von Erfolgen berichten. So wurde im März 2017 ein Besuch einer Konzerndelegation von Vattenfall in der Guajira erwirkt, bei dem die Führungsebenen des schwedischen Staatskonzerns mit den Menschenrechtsverletzungen in den Minen Kolumbiens konfrontiert werden sollten. Die Besonderheit: Kolumbianische Aktivist*innen, unter anderem Caro Galvis, bestimmten den Ablauf dieses Besuches. Bis heute steht das versprochene Abschlussgutachten von Vattenfall jedoch aus. Caro Galvis vermutet, dass jede weitere zeitliche Verzögerung dazu führen wird, dass die Zustände abgeschwächt und beschönigt werden. Einmal mehr ruft sie daher dazu auf, von Deutschland aus Druck auf Vattenfall auszuüben und die Veröffentlichung eines weitreichenden und transparenten Gutachtens einzufordern.

Vattenfall spielt weiterhin auch im deutschen Kohleabbau eine bedeutende Rolle. Ironischerweise finanziert der Konzern seit 2006 das „Archiv verschwundener Orte“, in dem an die 136 Dörfer erinnert wird, die allein in der Lausitz seit 1924 dem Braunkohlebergbau ganz oder teilweise weichen mussten. Bei einer Fahrradtour um den Braunkohletagebau Jänschwalde an der deutsch-polnischen Grenze tauschen die kolumbianischen Gäste ihre Erfahrungen aus der Guajira mit deutschen und polnischen Klimaaktivist*innen aus. Arregoces zieht aus diesem Zusammentreffen vor allem eine Erkenntnis: dass Kohleabbau überall auf der Welt mit einer gewaltvollen Geschichte von Vertreibung und Umweltzerstörung verbunden ist – auch in Deutschland, dem vermeintlichen Vorreiter des Umweltschutzes und der Menschenrechte. Strategie, Logik und Argumentation der Konzerne seien überall auf der Welt gleich, wenn auch die Bedingungen der Vertreibung mehr oder weniger gewaltvoll sein können, schlussfolgert er aus der Rundreise. „Hinter all dem steht die gleiche Grundidee“, sagt er.

„Extraktivismus und Wirtschaftwachsum gehen vor, Menschen müssen weichen und Lebensräume werden zerstört.“

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen.

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen. Die jahrelangen Forderungen von Umweltschützer*innen erfüllen sich: Der Tagebau Jänschwalde wird nicht erweitert und Welzow-Süd in der Niederlausitz auf Eis gelegt. Fest steht nun: Spätestens 2050 ist Schluss mit der Kohleverstromung in der Lausitz. Und bereits im Oktober 2018 sollen in Jänschwalde erste Generatoren stillgelegt werden, voraussichtlich Mitte der 2020er Jahre wird das Feld ausgekohlt sein. Der Austausch bestärke alle Beteiligten einmal mehr, weiterzukämpfen, so die Aktivist*innen. Nicht nur der Protest, sondern auch die Möglichkeiten eines sozialverträglichen Kohleausstiegs und alternative Erwerbskonzepte müssten global gedacht werden.

Jakeline Romero Epiayu, Sprecherin von Fuerza de Mujeres Wayúu, macht sich darüber hinaus bei einem Vernetzungstreffen mit Berliner Anti-Kohle-Aktivist*innen von den Bewegungen Kohleausstieg Berlin, Ende Gelände und anderen dafür stark, das Thema Klimagerechtigkeit und Energie in den Diskurs um einen möglichen Frieden in Kolumbien zu integrieren. Sie fordert einen Friedensvertrag, in dem das aktuelle neoliberale Wirtschaftsmodell infrage gestellt wird. Eben dieses Modell sei seit jeher Triebfeder des Konfliktes. Romero Epiayu sagt das sowohl mit Blick auf die Situation der vertriebenen Gemeinden in der Guajira, als auch in Hinblick auf das Gebiet Catatumbo. Durch die dort herrschende Guerilla ist die Region bisher weitgehend von extraktivistischen Großprojekten verschont worden. Nun könnte Catatumbo jedoch als lukrativer Standort der Kohle- und Ölförderung ins Blickfeld der Konzerne geraten. Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie sie Ende Gelände in den vergangenen Jahren in Deutschland durchführte, seien in Lateinamerika jedoch undenkbar, glaubt Romero Epiayu. „In Kolumbien gleicht eine Mine einer militärischen Festung und das Verhältnis zum Staat ist ein anderes“, erklärt sie. „Wenn du einen Tagebau betrittst, kann das jederzeit mit einem tödlichen Schuss enden.“ Gerade in der derzeitigen Implementierungsphase des Friedensabkommens werden Aktivist*innen in erhöhtem Maße Opfer von Kriminalisierung und Bedrohung. Auch Jakeline und Samuel erlebten bereits konkrete Gewaltandrohungen aufgrund ihrer politischen Tätigkeit. „Schutz, Unterstützung und Sichtbarmachung für Betroffene, als auch deren Familien, muss ein internationales Interesse werden“, fordert Romero Epiayu.

Letzte Station der Rundreise: Der Gipfel der Globalen Solidarität im Rahmen des Anti-G20-Protests in Hamburg. „Wir wollen erreichen, dass die Regierungschefs beim Thema Klimaschutz uns indigenen Gemeinschaften zuhören“, sagt Romero Epiayu. „Immerhin haben wir unsere Territorien und natürlichen Ressourcen über Jahrhunderte konserviert. Unsere Hoffnung ist, dass ein Leben ohne Minen und so, wie wir es uns vorstellen, irgendwann wieder möglich ist.“ Die Zukunft sieht die Aktivistin in lokalen Initiativen und kommunitären Formen des Zusammenlebens. Agerroces ergänzt: „Was man aus dem Süden in den Norden schafft, kontaminiert den ganzen Planeten. Vielleicht erinnern sich die G20 irgendwann daran, dass wir in einem einzigen gemeinsamen Ökosystem leben.“ Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, wenige Tage nach dem Gipfel jedoch feststeht: US-Präsident Donald Trump hat in Hamburg in Sachen Missachtung des Pariser Klimaabkommens einen Verbündeten gefunden. Überraschend stellt nun auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Umsetzung des Pariser Vertrages durch sein Land infrage. Ein Grund mehr für Aktivist*innen, sich weltweit zu verbünden.


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