Bis in den letzten Winkel

Aktivismus im äußersten Süden Die Gemeinschaft der Küstengemeinden Feuerlands, Antarktis und Inseln des Südpazifik (Foto: Comunidad Costera)

„Uns eint die Gewissheit, dass es andere Formen gibt, auf diesem Land zu leben“, sagt Carla Wichmann von der Gemeinschaft der Küstengemeinden Feuerlands, Antarktis und Inseln des Südatlantiks. Seit knapp zwei Jahren engagiert sich die Aktivistin gegen extraktive Unternehmen in Feuerland, der südlichsten Provinz Argentiniens. Hier peitscht der Wind ununterbrochen über das steppenartige Land, in dem bis vor wenigen Jahrzehnten kaum Menschen lebten. Südlich von Feuerland liegt nur noch die Antarktis, auf die Argentinien ebenso wie Chile und Großbritannien seit der Staatsgründung Besitzansprüche anmeldet.

Mit dem Klimawandel rückt der bisher wenig beachtete äußerste Süden des amerikanischen Kontinents in den Fokus internationaler Energie­unternehmen. Während die Regierungen gerne über Projekte für erneuerbare Energien berichten, schielen die Öl- und Gasunternehmen dort auf neue Abbaustätten für fossile Energieträger. Das stellt nicht nur nationale Klimaziele in Frage, sondern birgt auch die Gefahr, alte Territorialkonflikte wiederzubeleben.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde im argentinischen und chilenischen Feuerland nach Öl- und Gasvorkommen gesucht. Doch die geringe Ausbeute, der weite Transportweg in die Städte und die harschen Wetterbedingungen machten den Abbau unattraktiv.

Das hat sich geändert: Mittlerweile sind Steuereinnahmen aus dem Abbau fossiler Energieträger die Haupteinnahmequelle für die argentinische Provinz Feuerland, wie die ständige Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) im Jahr 2022 berichtete. Durch den Öl- und Gasboom, den Tourismus und Maßnahmen des argentinischen Zentralstaats zur Förderung seiner entlegensten Provinzen ist Ushuaia, die Hauptstadt der Provinz Feuerland, stark gewachsen: von nur 10.000 Einwohner*innen im Jahr 1980 auf knapp 80.000 in 2022.

Ebenfalls 2022 wurden unter der Regierung Alberto Fernández seismische Explorationen vor den Küsten Feuerlands genehmigt. Umweltorganisationen im ganzen Land kritisierten die Erlaubnis. „Die Organisation gegen die Gasför­derung wurde auch durch das Bevölkerungs­wachstums im Feuerland begünstigt“, erklärt die Aktivistin Wichmann. „Lange Zeit gab es wenig Bewusstsein darüber, was draußen auf dem Meer geschah. Bis heute gibt es die absurde Situation, dass nicht einmal die Regierung über geeignete Hubschrauber verfügt, um die Gasplattformen zu erreichen. Sie müssen auf die der Unternehmen zurückgreifen“, erklärt sie. Es ist diese Schwäche des argentinischen Staates, die es unmöglich macht, das Handeln der internationalen Energieunternehmen zu kontrollieren.

Heute kontrolliert ein Konsortium aus dem französischen Unternehmen TotalEnergies, der deutschen Wintershall und der argentinischen Pan American die gesamte Gasförderung vor Feuerland. Erst im September 2024 eröffnete das Konsortium das größte Offshore-Erdgasfeld Argen­tiniens, das laut Angaben von Wintershall mindestens 15 Jahre lang ausgebeutet werden soll. Die Suche nach neuen Fördergebieten beschränkt sich nicht auf Lateinamerika. Im Schatten der Energiewendestimmung in den Hauptstädten bauen Energiemultis die Förderung fossiler On- und Offshore-Anlagen aus, besonders in Ländern des Globalen Südens. Expert*innen sprechen seit dem Ausbleiben russischer Gaslieferungen von einem regelrechten Boom.

Dieser Trend läuft konträr zum Diskurs der Energiewende und Klimaschutzversprechen. Bereits 2021 stellte die Internationale Energieagentur in ihrem Bericht „Net Zero by 2050“ fest, dass ab 2021 keine neuen Öl- oder Gasfelder mehr zugelassen werden dürften, um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten.

„Die argentinische Regierung ist bezüglich Klimaschutz nur bei Worten geblieben“, sagt Wichmann. „Das hatte keine Auswirkungen auf die Genehmigungen zur Erkundung und Ausbeutung von fossilen Energieträgern.“ Auch wenn bereits unter den Vorgängerregierungen Konsens zur Ausbeutung der Gasvorkommen bestand, habe sich die Situation unter dem ultralibertären Präsidenten Javier Milei noch verschlimmert: „Früher gab es zumindest Absichtsbekundungen, die extraktivistischen Tätigkeiten von Unternehmen zu beschränken“, berichtet Wichmann. „Heute wird mit dem neuen Anreizsystem für Großinvestitionen (RIGI, siehe Seite 38) der Weg für Unternehmen vollkommen frei gemacht.“ Um wieder flüssig zu werden, setzt die Regierung allerdings nicht nur auf die argentinischen Gasreserven.

Ausbau der Gasförderung im Schatten der Energiewende

„Wir stehen heute vor dem Paradox, dass die Regierung neue Gasbohrungen genehmigt und gleichzeitig zum Zentrum der grünen Wasserstoffproduktion werden will“, sagt Wichmann. Eine Trendwende hin zu einer Energiewende ist das nicht. „Ich erkläre mir das so: Extraktive Interessen finden immer neue Formen der Legitimation, um Kontrolle über Gebiete zu erlangen. Heute ist die Förderung der Erneuerbaren eine neue Vertiefung des extraktiven Modells und somit des Wachstums der Unternehmen.“

Die Vorgänge in Patagonien verdeutlichen, wie die Öl- und Gaskonzerne diese Gleichzeitigkeit für sich nutzen, denn längst sind sie auf den Zug der Energiewende aufgesprungen. Schon in den 90er Jahren nahmen ihre Führungsköpfe Abstand vom Herunterspielen der Klimakrise und einer PR-Strategie, die jahrzehntelang Zweifel an der Klimaforschung säte. Heute sprechen CEOs von Shell und Co. von der Notwendigkeit der Energiewende und investieren geringe Summen in Pilotprojekte.

Während in Argentinien die Wasserstoffprojekte noch ferne Zukunftsmusik sind, ist das benachbarte chilenische Feuerland bereits zum Zentrum sogenannter grüner Investitionen geworden. TotalEnergies kaufte im vergangenen Jahr den Erneuerbaren-Stromerzeuger Total Eren für 1,5 Milliarden Euro und übernahm damit auch dessen Wasserstoffprojekt H2-Magallanes im Süden Chiles, das 2027 den Betrieb aufnehmen soll. Einige hundert Kilometer weiter westlich hat sich der Ölkonzern ExxonMobil in das vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützte Leuchtturm-Projekt Haru Oni eingekauft. Dort produziert ein Konsortium mit Beteiligung von Porsche und Siemens in einer Testanlage sogenanntes E-Fuel, dessen Ausbau vor kurzem angekündigt wurde.

Mit deutschen Geldern finanzierte E-Fuel-Anlage in Chile Präsident Boric zu Besuch bei Haru Oni in Punta Arenas (Foto: Prensa Presidencia)

Chiles linksreformistische Regierung von Präsident Gabriel Boric führt dabei die Wasserstoffpolitik von dessen rechtem Vorgänger Sebastián Piñera fort. Bereits 2021 hatte das Energieministerium in einer Studie berechnet, allein aus der Provinz Magallanes 13 Prozent des weltweiten grünen Wasserstoffbedarfs decken zu können. Die Umsetzung der bereits angekündigten Projekte würde in Magallanes zu einer Landnahme von knapp 13.000 Quadratkilometern führen, kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief an Boric. Dies entspricht in etwa der fünffachen Fläche des Saarlands. Im Brief forderten die Organisationen Boric auf, nicht „dieselben Fehler zu machen, die die Ungleichheit vertiefen, und neue Gebiete für die Industrie zu opfern“.

Laut der Regierung soll Chile in wenigen Jahren zum weltweit größten Produzenten von grünem Wasserstoff aufsteigen – durch Energie aus der Sonne im Norden des Landes und den starken Winden in Magallanes. Ankündigungen wie diese und Erleichterungen ausländischer Investitionen, die im nationalen Aktionsplan für grünen Wasserstoff angelegt sind, sollen Investitionen in den Aufbau der chilenischen Wasserstoffindustrie anheizen. Diese sind bisher eher verhalten gewesen.

Die Geschäftszahlen von TotalEnergies legen nahe, dass das fossile Zeitalter längst nicht vorbei ist. Laut einer Studie von Urgewald hat das Unternehmen 2023 2,5-mal mehr Geld in Öl und Gas als in Stromproduktion und -speicherung investiert. Die Umweltorganisation sieht das Unternehmen klar auf Expansionskurs in der Öl- und Gasförderung. Dabei sollen geringe Summen in erneuerbare Energien, aber auch in die umstrittene Carbon-Capture-and-Storage-Technologie (Abscheidung und Abspeicherung von CO2 im Untergrund, Anm. d. Red.) an Anteilseigner ausstrahlen, dass die Unternehmensleitung die Zeichen der Zeit verstanden hat. Jene werden in der gesamten Öl- und Gasindustrie seit Jahren mit hohen Gewinnausschüttungen bei der Stange gehalten.

Die Spannungen zwischen Argentinien und Chile nehmen zu

Das neue Investitionsinteresse in Chiles und Argentiniens Süden wird von diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern begleitet. Seit der Staatsgründung beider Länder Anfang des 19. Jahrhunderts streiten sie sich um die genaue Grenzführung im äußersten Süden. Nachdem in den 1980er Jahren noch der Papst die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch rufen musste, schien es in den vergangenen Jahren so, als hätten sich die Streitigkeiten gelegt. Doch Mileis Amtsübernahme hat das Szenario verändert.

Heute geht es bei Bekundungen der Vormachtstellungen längst nicht mehr nur um das lateinamerikanische Festland. Im April weckte ein Manöver der argentinischen Marine im früher umkämpften Beagle-Kanal in Chile Erinnerungen an die argentinischen Eroberungspläne in den 80er Jahren. Die chilenische Regierung dagegen übt sich darin, ihre Position auf der Antarktis auf diplomatischem Weg zu stärken. So reiste im November 2023 der UN-Generalsekretär António Guterres mit Gabriel Boric auf die Antarktis und bekräftigte die Stellung Chiles in der Region.

Aus der Antarktis rief Guterres die Welt dazu auf, mehr gegen die Klimakrise und den Ausstoß von CO2 zu übernehmen. Das schmelzende Eis führe zu einer enormen Umweltkatastrophe auf dem Kontinent, so die Pressemitteilung des UN-Generalsekretärs. Bereits seit 2021 zeigt sich die Klimaforschung besorgt, da die Eisschmelze weltweit den Worst-Case-Szenarien des Weltklimarats entspreche. Allein in der Antarktis könnten bis Ende des Jahrhunderts 17.000 Quadrat­kilometer eisfrei sein.

Die Frage ist, ob mit dem Eis auch der diplomatische Konsens schmilzt, der den Kontinent bisher als Naturschutzgebiet gesichert hat. Grundlage dafür ist der Antarktisvertrag von 1959, in dem sich ursprünglich zwölf Staaten darauf geeinigt hatten, ihre Gebietsansprüche auf die Region einzufrieren und den Kontinent zu einem Ort der wissenschaftlichen Kooperation zu machen.

Expert*innen warnen seit einigen Jahren davor, dass die sich verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und dem Westen langfristig auch Auswirkungen auf die Antarktis haben könnten. Im April dieses Jahres schien die Nachricht um den Fund von Erdöl durch die russische Forschungsmission diese Sorge zu bestätigen. Sollte die Angabe des Forschungsteams der Wahrheit entsprechen, befände sich unter der Antarktis die größte Erdöllagerstätte der Welt. Diese dürfe jedoch laut dem Umweltprotokoll, das die Erkundung und Ausbeutung der Bodenschätze der Antarktis verbietet, nicht angetastet werden. Laut dem Protokoll kann das Verbot ab 2048 theoretisch von jedem Vertragsstaat zur Neuverhandlung auf den Tisch gebracht werden. Doch die Hürden für die Aufhebung sind hoch; erforderlich wäre eine quasi-konsensuale Entscheidung zur Änderung sowie die Einführung eines neuen Rechtsinstruments.
„Ich persönlich denke, es ist wichtig, die Antarktis im Blick zu behalten“, sagt Wichmann. „Nicht nur in Hinblick auf den Massentourismus und die Überfischung, sondern gerade auch die militärischen Operationen.“

Fakt ist: Im Zuge des Klimawandels blicken immer mehr Akteure auf den Süden. Ob die Energiewende dafür sorgt, dass antarktisches Eis erhalten bleibt oder dazu beiträgt, dass extraktive Unternehmen bis in die letzten Winkel der Erde vordringen, ist offen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Vom Stigma der Armut und dem Kampf um Veränderung

Unermüdlich im Kampf gegen Armut im Viertel Mitglieder des Netzwerks Angelli (Foto: Autorin)

Was sind die Besonderheiten von Florencio Varela?
Obwohl Florencio Varela nur eine Stunde vom Zentrum Buenos Aires‘ entfernt liegt, unterscheidet es sich stark von der Metropole. Eines der auffälligsten Merkmale ist die auf den Straßen überall sichtbare extreme Armut. Durch die neoliberalen Reformen der 1990er Jahre haben viele Menschen ihren festen Wohnsitz verloren und waren dazu gezwungen, sich in oft provisorischen Unterkünften in Florencio Varela niederzulassen. Sie haben keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen.

Zudem ist der Ort seit Jahren stark von Migration aus Bolivien, Chile und Paraguay geprägt. Viele dieser Migrant*innen haben keine offiziellen Papiere und können somit einfach in illegale Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Dadurch entstehen weitere Probleme wie (Kinder-)Prostitution und Drogenhandel. Es kommt hier regelmäßig vor, dass Menschen spurlos verschwinden oder tot aufgefunden werden. Die Alltäglichkeit solcher Ereignisse stellt für die Menschen im Viertel eine enorme psychische Belastung dar. Darüber hinaus kämpfen wir mit einer tief verwurzelten Korruption, die sowohl Politiker*innen als auch Polizeibeamt*innen betrifft. Dies erschwert unsere Zusammenarbeit mit den Behörden und verkompliziert unsere Arbeit zusätzlich.

Wie versucht ihr, mit eurer Arbeit gegen all diese Probleme anzukämpfen?
Wir haben ein Netzwerk von Zentren in Florencio Varela und der Umgebung aufgebaut, um die Bewohner*innen auf vielfältige Weise zu unterstützen. Als wir vor fast 31 Jahren unsere Arbeit aufgenommen haben, lag der Schwerpunkt zunächst auf der Unterstützung von Kindern. Doch im Laufe der Zeit sind diese Kinder älter geworden, und so hat sich unser Fokus auch auf Jugendliche ausgeweitet. Mittlerweile bieten wir zudem Programme für Frauen an, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Partnerschaft geworden sind. Außerdem sind wir aktiv auf der Straße unterwegs, um Menschen ohne festen Wohnsitz zu erreichen. Unsere Angebote haben sich stetig weiterentwickelt, um auf die sich verändernden Bedürfnisse der Gemeinschaft zu reagieren. Dabei geht es uns auch um die Stärkung und Ermächtigung der Menschen: Sie sollen langfristig in der Lage sein, ihre Lebens­umstände selbst zu verbessern.

Wie kann man sich eure Angebote vorstellen?
Unsere Angebote sind vielfältig: Im Bereich der Arbeit mit Frauen bieten wir beispielsweise verschiedene Workshops an. Dazu gehören etwa ein Backworkshop oder ein Kurs für das Lackieren von Fingernägeln. Damit bieten wir in unseren Zentren einen sicheren Raum, in dem Frauen zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam eine schöne Zeit verbringen können. Viele der Frauen sind in gewalttätigen Beziehungen isoliert, in denen der Partner oft über die materiellen Ressourcen verfügt und ihnen damit den Ausweg aus der Beziehung zusätzlich erschwert. In den Workshops lernen sie, dass es vielen anderen Frauen ähnlich geht, sie können sich gegenseitig Mut machen und ihre Rechte einfordern. Denn neben dem emotionalen und sozialen Austausch bieten wir auch juristische Unterstützung. Unsere Anwält*innen begleiten die Frauen zu Gerichtsterminen und stehen ihnen zur Seite, wenn es darum geht, rechtliche Schritte gegen ihre Partner einzuleiten. Oft stehen die betroffenen Frauen vielfältigen Herausforderungen, gegenüber: Es kann sein, dass eine Frau nicht nur mit Partnerschaftsgewalt, sondern auch mit Suchtproblemen zu kämpfen hat. Unsere Arbeit beginnt vielleicht bei Problem A, aber endet dann bei Problem C. Das macht unsere Arbeit so anspruchsvoll, denn die verschiedenen Problemlagen sind oft miteinander verflochten oder bedingen sich sogar.

Wie schafft ihr es, ein so großes Projekt in einem Viertel wie Florencio Varela aufrechtzuerhalten?
Das ist eine große Herausforderung. Mittlerweile arbeiten etwa 50 Personen in unseren Zentren, und jeder bringt ihre Energie und ihr Engagement in das Projekt ein. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist die kontinuierliche Fortbildung unserer Mitarbeiter*innen. Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, verändern sich ständig, und es ist wichtig, dass wir immer auf dem neuesten Stand sind, um adäquat reagieren zu können. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Finanzierung. Soziale Projekte wie unseres sind stark von den politischen Gegebenheiten abhängig und die Unterstützung durch den Staat variiert je nach Regierung. Unsere Finanzierung stammt größ­­ten­teils von Stiftungen aus dem Ausland. Doch die anhal­tende Inflation in Argentinien erschwert diese Finanzierung: Die Kosten vor Ort steigen, während die Fördermittel gleichbleiben. Wir müssen ständig neue Wege finden, um die Finanzierung zu sichern und unsere Arbeit fortsetzen zu können.

Leere und Armut Straßenszene in Florencio Varela (Foto: Autorin)

Hat sich seit dem Amtsantritt von Milei im Dezember viel verändert?
Ja, definitiv. Was Milei macht, ist besorgniserregend. Es ist eine Entmenschlichung, die wir in der Geschichte bereits gesehen haben. Solche Denkweisen gab es auch im Nationalsozialismus, wo die Menschenrechte so weit untergraben wurden, dass Mitgefühl für die Opfer größter Ungerechtigkeiten fehlte. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir hier in Florencio Varela, wo viele Menschen unter furchtbaren Bedingungen leben müssen. Gleichzeitig gibt es Gruppen, die sich freuen würden, wenn wir unsere Arbeit einstellen würden. Oder wenn ein Viertel wie Florencio Varela komplett aus dem Stadtbild entfernt würde. Auch die Inflation macht uns zu schaffen. Wir bieten normalerweise zwei Mahlzeiten am Tag an, aber es wird immer schwieriger, dieses Angebot aufrechtzuerhalten. Allerdings sind diese Probleme nicht alle neu oder erst unter Milei entstanden. Ein großes Problem ist zudem, dass oft mehr Wert auf die Person gelegt wird, die etwas sagt, als auf den Inhalt. Es gibt zum Beispiel Menschen, die die Repressionen von Milei ablehnen, gleichzeitig aber die Regierungen von Putin in Russland oder Maduro in Venezuela verteidigen. Das ist ein doppelter Standard. Wenn es falsch ist, sozialen Protest zu unterdrücken, dann ist es überall falsch – egal, ob in Russland, Venezuela oder Argentinien.

Ihr seid ein politisch aktives Projekt und geht beispielsweise am internationalen feministischen Kampftag auf die Straße. Mobilisiert ihr auch gegen Milei?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Obwohl wir nur eine Stunde vom Kongress oder der Casa Rosada entfernt sind, ist es für uns nicht einfach, an Protesten teilzunehmen. Viele der Menschen, die wir in unseren Zentren unterstützen, müssen lange arbeiten, und können dort nicht einfach fehlen. Zudem müssen wir immer sicherstellen, dass eines unserer Zentren geöffnet bleibt. Viele Menschen sind auf die dort täglich verteilten Mahlzeiten angewiesen. Wenn wir alle an einer Demonstration teilnehmen würden und die Türen unserer Zentren geschlossen blieben, könnte es sein, dass einige Menschen den ganzen Tag nichts zu essen bekommen. Daher engagieren wir uns politisch auf andere Weise. Zum Beispiel gab es vor einigen Jahren eine intensive Debatte über die Legalisierung der Abtreibung. Auch innerhalb unseres Netzwerks gab es dazu unterschiedliche Meinungen. Statt uns in einem hitzigen Streit zu verlieren, haben wir uns dafür entschieden, Informationsmaterial bereitzustellen, das einen respektvollen Dialog förderte. Ähnlich ist es bei anderen politischen Themen: Wir setzen auf den Austausch von Argumenten und gegenseitigem Respekt. Wir glauben, dass Respekt und die Wahrung der Menschenwürde die Basis eines jeden Diskurses sein müssen. Nur so können wir als Gesellschaft wirklich vorankommen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Feindmarkierung am Río de la Plata

Der Feind steht links Mileis Rede bringt kaum politische Vorschläge, macht aber eine Feindmarkierung deutlich (Foto: Frederic Schnatterer)

Die Atmosphäre erinnert eher an eine schlecht inszenierte Talkshow als an eine politische Konferenz. Der große Saal des Centro Cultural Kirchner im Zentrum von Buenos Aires, das bald in „Freiheitspalast“ umbenannt werden soll, ist ganz in dunkelblaues Licht gehüllt. Im Hintergrund erklingt Dudelmusik, die an eine Telefonwarteschleife erinnert. Aus dem Off begrüßt eine weibliche Stimme die Anwesenden: „In Argentinien wird ein Kampf um die Freiheit geführt, der die Zukunft aller Nationen Lateinamerikas bestimmen wird.“

Bereits der Einstieg in das Programm macht deutlich: Heute und morgen werden hier große Töne gespuckt. Es ist Anfang September, noch sind die Morgende in Buenos Aires kalt. Das sogenannte Forum Madrid hat zum zweitägigen „Regionaltreffen Río de la Plata 2024“ geladen. Gekommen sind Vertreter*innen der internationalen Ultrarechten, größtenteils aus spanischsprachigen Ländern. Die bekanntesten Namen sind die des Chefs der faschistischen Partei Vox aus dem spanischen Staat, Santiago Abascal, des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Vorsitzenden der chilenischen Republikaner, José Antonio Kast und der von Javier Milei.

Letzterer ist eindeutig der Star der Konferenz. Seit Ende 2023 Präsident Argentiniens, ist Milei der erste Staatschef, der als Gastgeber eines Regionaltreffens des Forum Madrid fungiert. Die Allianz, die offiziell am 26. Oktober 2020 gegründet wurde, vereint ultrarechte Parteien und Organisationen aus Spanien und Lateinamerika, doch auch Vertreter*innen aus den USA – wie die Heritage Foundation – und von europäischen rechten Parteien sind eingebunden. Die Initiative für die Gründung geht auf die Stiftung Disenso („Dissens“) zurück, die zur spanischen Vox gehört.

Als Milei als dritter Redner des noch jungen Tages an das Sprecherpult auf der hölzernen Bühne tritt, kommt tosender Applaus auf. Die Zuschauer*innen erheben sich von ihren Sitzen, jubeln, rufen in den Saal. Immer wieder wird die folgende und für Milei typisch trocken gehaltene Rede von Anfeuerungsrufen unterbrochen, die der argentinische Präsident teils mit einem Lächeln, teils mit einer Antwort quittiert. Milei genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Sich selbst bezeichnet er als „bekanntesten Politiker der Welt neben Donald Trump“.

Es sind nur wenige hundert Zuschauer*innen, die sich zu der Konferenz eingefunden haben. Obwohl offiziell rund 1.000 Eintrittskarten abgegeben wurden – gratis, wohlgemerkt –, sind nur wenige Sitze im großen Saal des Kulturzentrums besetzt. Dank der während fast des gesamten Programms herrschenden Dunkelheit fällt das auf den ersten Blick nicht auf. Auch die Kameras, die die Reden und Podiumsdiskussionen frei ins Internet übertragen, achten penibel darauf, dass ein gegenteiliger Eindruck entsteht.

Interesse besteht vor allem an Mileis Rede, in deren Anschluss viele die Konferenz wieder verlassen. Tatsächlich nehme Milei „eine sehr spezielle Rolle“ in der internationalen Ultrarechten ein, bestätigt auch Miquel Ramos. Der Journalist und Experte für die spanische und internationale radikale Rechte führt diese Rolle unter anderem darauf zurück, dass Milei der ultrarechten Bewegung „mit seiner zur Schau gestellten Respektlosigkeit und seiner Rolle als Fernsehpersönlichkeit“ eine Art ästhetisches Element gebe. Damit sei der argentinische Präsident für die internationale Ultrarechte „sehr nützlich“.

In Mileis Rede wird deutlich, was die in Buenos Aires Versammelten inhaltlich verbindet. Es sind weniger konkrete politische Vorschläge, als vielmehr eine eindeutige Feindmarkierung. Dieser Feind steht links, wird mal – je nach Kontext – Sozialismus, Kommunismus, Kaste, Staatspartei, mal einfach nur Diktatur genannt. Diese „Ratten an der Macht“ sähen den Politbetrieb als „eine Kiste, aus der sie sich ihr Leben lang parasitär bedienen“ könnten. Sie seien „dreckig, gescheitert und domestiziert“, tobt Milei.

Abascal, der Gründungsvater der Vernetzung zwischen spanischer und hispanoamerikanischer Ultrarechter, hatte zuvor auf den Punkt gebracht, was den Hintergedanken der Zusammenkunft darstellt. In seiner Eröffnungsrede erklärte der Vox-Chef, während „die Bösen vereint sind“, seien „wir Guten uneinig und unorganisiert“ gewesen. Von Seiten der Ultrarechten habe es früher „keine Organisation, keine Struktur, keinen Willen zur Zusammenarbeit“ gegeben. „Das war der Grund für die Gründung des Forums vor drei Jahren. Und es macht mich stolz, zu sehen, wie weit wir es gebracht haben.“ Letztlich, fassten Abascal und auch andere auf dem Kongress vertretene Politiker*innen zusammen, handle es sich um einen Kampf zwischen jenen, die „die Freiheit“ verteidigen, und dem „organisierten Verbrechen“, das die Linke repräsentiere.

„Iberosphäre“ als ideologisches Fundament

Einen zentralen Platz nimmt dafür das von der Vox-Stiftung Disenso vertretene politische Projekt der „Iberosphäre“ ein. Demnach verfügen die Länder der Iberischen Halbinsel sowie Lateinamerikas über gemeinsame Werte. Verwiesen wird auf die „gemeinsame Geschichte“ – dass es sich bei dieser Verbindung um die eines Kolonisatoren mit seinen Kolonien handelte, wird verschwiegen –, ebenso wie auf Traditionen, Bräuche, die gemeinsame Sprache und den christlichen Glauben. Verortet wird die „Iberosphäre“ eindeutig in einer „westlichen“ Tradition.

Das Gründungsmanifest des Forums, die „Charta von Madrid: in Verteidigung der Freiheit und der Demokratie in der Iberosphäre“ spricht von der Notwendigkeit der „Verteidigung des Erbes der westlichen Zivilisation, des kulturellen Vermächtnisses Spaniens in der Welt und seiner Berufung in Europa und Amerika“. Ein Teil Hispanoamerikas befinde sich in „Geiselhaft totalitärer, kommunistisch inspirierter Regime, die vom Drogenhandel und von Drittstaaten unterstützt werden, alle unter der Ägide Kubas“. Auch sozialdemokratische Regierungen wie die Mexikos, Kolumbiens oder Honduras’, aber auch die des spanischen Premiers Pedro Sánchez werden in den selben Topf geworfen. Der Journalist Ramos betont, dass die Feindmarkierung der Linken den gemeinsamen Nenner des Forum Madrid ausmache. Hinzu komme das, „was sie Identitätspolitik nennen, also die Politik der Gleichstellung von Frauen oder LGTBQ-Personen“. Darauf verweisen auch die zahlreichen Aufrufe des Forums, einen „allumfassenden Kulturkampf zur Verteidigung des Westens gegen den zerstörerischen Kulturmarxismus“ zu führen.

Denn, auch das wird beim Regionaltreffen der Allianz in Buenos Aires deutlich: Es gibt durchaus große Unterschiede zwischen den verschiedenen Akteuren. Während beispielsweise Milei den entgrenzten Kapitalismus zu seinem Flaggschiff gemacht hat, setzen Parteien wie Vox oder auch die US-Rechte um Trump auf eine protektionistische Wirtschaftspolitik.

Zuschnitt der Länder auf Kapitalinteressen

Letztlich handelt es sich jedoch um zwei Seiten der gleichen Medaille: Das Projekt der lateinamerikanischen Rechten besteht darin, die Funktion ihrer Länder auf die Bedürfnisse des Globalen Nordens zurechtzuschneiden. Konkret bedeutet das: billige Rohstofflieferanten zu sein, Spielplatz für ausländisches Kapital und Wirtschaftsräume mit günstiger Arbeitskraft, deren Beschäftigte so wenig wie möglich bürgerliche und gewerkschaftliche Rechte haben. Nutznießende sind die Kapitalvertreter*innen Ges globalen Nordens.

Es war das dritte Mal, dass das Forum Madrid in Südamerika zusammenkam. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá hetzten die Teilnehmer*innen 2022 gegen den damaligen Kandi­daten und heutigen Präsidenten des Landes, Gustavo Petro, den sie als „Kommunisten“ brandmarkten. Im vergangenen Jahr ging es nur kurze Zeit nach der Amtsenthebung des Staatschefs Pedro Castillo ins peruanische Lima, wo das Forum den Staatsstreich verteidigte und Castillo und seiner Anhänger*innenschaft Demokratiefeindlichkeit vorwarf.

Auch bei der Zusammenkunft in Buenos Aires spielten neben den abstrakten „Warnungen“ vor der Linken aktuelle politische Entwicklungen eine wichtige Rolle. Einen besonderen Platz nahm die Situation in Venezuela im Nachgang der Präsidentschaftswahl vom Juli ein. Aus dieser war laut nationaler Wahlbehörde Amtsinhaber Nicolás Maduro als Sieger hervorgegangen. Zahlreiche Ungenauigkeiten und die Nichtveröffentlichung der Stimmzettel lassen allerdings Zweifel am offiziellen Ergebnis aufkommen (siehe LN 603/604).

Das Forum Madrid, das in der venezolanischen Regierung auch weiterhin eine Vertreterin der „internationalen Linken“ sieht, rief bereits in der Einladung zur Konferenz zur Unterstützung „des venezolanischen Volkes“ auf. Die Europäische Union wurde kritisiert, nicht genug gegen die „Maduro-Diktatur“ zu unternehmen. Beifall erhielt diese Positionierung unter anderem auch von rechtsoppositionellen Venezolaner*innen im Publikum, die jedes Mal aufjohlten, wenn Maduro als „Tyrann“ oder „Mörder“ geschmäht wurde. Auch Unterstützende des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro waren mit Nationalfahnen und einheitlichen T-Shirts gekommen. Sie forderten „Freiheit für die politischen Gefangenen des 8. Januar“, also die wegen des Umsturzversuchs gegen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Anfang 2023 Festgenommenen. Nur kurz vor dem Treffen in Buenos Aires hatte der brasilianische Bundesrichter Alexandre de Moraes den Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) wegen der Verbreitung von Fake-News und weil das Unternehmer von US-Milliardär Elon Musk über keine rechtliche Vertretung im Land verfügte, sperren lassen. Den Schritt kritisierten mehrere Redner*innen als „Schlag gegen die Meinungsfreiheit“.

Neben der Parteinahme für alle rechtsgerichteten Kräfte in der Region nahm auch die eindeutige Positionierung für „den Westen“ großen Raum ein. Omnipräsent waren der Krieg in der Ukraine, dem das uneingeschränkte „Recht auf Verteidigung“ zugesprochen wurde, sowie der Krieg Israels gegen Gaza, der als „Selbstverteidigung gegen den Terrorismus“ bezeichnet wurde. In der bei dem Treffen beschlossenen „Deklaration“ heißt es darüber hinaus: „Wir lehnen das Vordringen nach Lateinamerika und Europa von totalitären Mächten und Feinden des Westen ab, darunter Iran, China und Russland.“


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Rote Linie in Gefahr

Ehemaliges Haft-, Folter-, und Vernichtungszentrum Olimpo Menschenketten vor dem Zentrum im August 2024 (Foto: Tomás Fernández)

Seit seinem Amtsantritt vor knapp neun Monaten demontiert der argentinische Präsident Javier
Milei die Politik der Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit, für die Argentinien in der Region und weltweit bekannt ist. Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in der Erinnerungspolitik werden
zunichte gemacht: Milei entzieht den zuständigen Regierungsstellen die Mittel, entlässt deren
Mitarbeiter*innen, baut Programme ab und ändert Vorschriften, die den Zugang zu Archiven für die juristische und historische Forschung erschweren. Dieser Angriff wird von Debatten begleitet, die die Strafprozesse zur Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit delegitimieren. Zum Beispiel, indem die Straffreiheitsgesetze und Begnadigungen der 1980er und 1990er Jahre gelobt werden oder Positionen lauter werden, die behaupten, dass die Streitkräfte in den letzten Jahrzehnten durch die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit gedemütigt würden. Diese Rückschritte in der Erinnerungsarbeit spitzten sich vor einem Monat zu, als ein Foto von regierungsnahen Kongressabgeordneten mit wegen Folter und Mord während der letzten Diktatur einsitzenden Verurteilten in einem Bundesgefängnis öffentlich wurde. Vier Jahrzehnte nach der Rückkehr der Demokratie besteht die Gefahr, dass die rote Linie, die nur mit großen gesellschaftlichen und institutionellen Anstrengungen gezogen werden konnte, wieder verschwindet.

Eine nicht so alte Diktatur

Am 24. März 2024 jährte sich zum 48. Mal der Militärputsch in Argentinien. Die Diktatur dauerte
sieben Jahre und hinterließ Zehntausende Verschwundene, Ermordete, Verbannte und Inhaftierte, etwa 500 gestohlene Kinder, deren Identität vertauscht wurde, sowie ein in diesem Land bis dahin unbekanntes Ausmaß an Armut und Auslandsverschuldung. Unmittelbar nach dem Ende der Diktatur im Jahr 1983 begann ein nachhaltiger Prozess der Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit, der im Laufe der Jahrzehnte verschiedene Etappen durchlief, mit Schwankungen und nie frei von Schwierigkeiten. Über die Jahre engagierten sich verschiedene Verwaltungseinrichtungen, die drei Staatsgewalten und die Staatsanwaltschaft als außerparlamentarisches Organ gemeinsam, was von einem Großteil der Gesellschaft getragen wurde. Besonders betroffen von den gegenwärtigen Angriffen auf die Erinnerungsarbeit sind die Verfolgung und Bestrafung der Verantwortlichen für die während der Diktatur begangenen Massenverbrechen, sowie die Freigabe und Untersuchung der Archive der Streit- und Sicherheitskräfte. Auch Prozesse der Wiedergutmachung für die Opfer, der Suche nach den gestohlenen Säuglingen und Kindern und der Wiederaufbau der mit der Unterdrückung in Verbindung stehenden Orte, um sie als Erinnerungsorte neu zu beleben, sind bedroht.

In Bezug auf die juristische Aufarbeitung ist eines besonders alarmierend: Präsident Javier Milei
lobte kürzlich die Begnadigungen von Militärs zwischen 1989 und 1990, Vizepräsidentin Victoria
Villarruel ermutigte die Suche nach einer „juristischen Lösung” für die Inhaftierten und die Ministerin für Sicherheit, Patricia Bullrich, betonte, es gäbe Inhaftierte „ohne Grund” und dass „[die Inhaftierung] zu einem Racheakt geworden ist”. Beamte des Verteidigungsministeriums besuchten hochrangige Mitglieder der damaligen repressiven Militär- und Polizeistruktur, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit inhaftiert sind. Außerdem trafen sich sechs Abgeordnete der Regierungspartei mit Personen, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden, um Strategien zur Straffreiheit zu entwickeln.

Fortschritte zur Aufarbeitung

In den letzen eineinhalb Jahren stützte sich die Aufarbeitung in Argentinien auf den Beitrag der staatlichen Archive der Streit- und Sicherheitskräfte, die 2010 freigegeben wurden. Es gab Fortschritte hinsichtlich der Zusammenstellung und Analyse von Dokumenten in wichtigen Bereichen wie dem Verteidigungs- und dem Sicherheitsministerium. Dies ermöglichte, die Strukturen und Befehlsketten des repressiven Systems zu verstehen und Verantwortliche im Militärpersonal zu identifizieren. Das derzeitige Verteidigungsministerium beendete diese Arbeit, indem Mitarbeiter*innen seitens der Regierung als „Verfolgungsgruppe“ und des McCarthyismus bezichtigt wurden, sowie ihre Rechtmäßigkeit als „parajuristisch“ diffamiert wurde.

Darüber hinaus weigerten sich sowohl das Verteidigungs- als auch das Sicherheitsministerium,
auf die von der Nationalen Kommission für das Recht auf Identität (CONADI) gestellten Anträge, Auskünfte über die Archive der Streit- und Sicherheitskräfte zu geben. Die 1992 gegründete Stiftung sucht nach Kindern, die während der Militärdiktatur verschwunden sind und zumeist von Familien adoptiert wurden, die Streit- und Sicherheitskräften nahe standen. Die Regierung beschloss außerdem, die der CONADI unterstellte Sonderermittlungseinheit (UEI) aufzulösen und damit auch ihren direkten Zugriff auf Archive einzustellen, wodurch bisher Fälle von Kindesdiebstahl dokumentiert und die Ermittlungen der Richter*innen und Staatsanwält*innen unterstützt werden konnten.

Argentinien war zudem Vorreiter in der Region bei der Verabschiedung eines progressiven Gesetzes
für Gedenkstätten. Dieses sieht sowohl ein Kennzeichnung von Orten vor, die als geheime Zentren für Inhaftierung, Folter und Vernichtung dienten, als auch die Unterstützung von Gedenkstätten durch Bildungs-, Kultur-, Kunst- und Forschungsaktivitäten. All das dient der Vermittlung und Förderung der Menschenrechte. Die Regierung halbierte zunächst die Stellen des Nationalen Sekretariats für Menschenrechte. Und obwohl ein großer Teil der Mitarbeiter*innen wieder eingestellt wurde, sind ihre Verträge nun auf drei Monate befristet. Dies bringt nicht nur die Mitarbeiter*innen in eine prekäre Lage, sondern auch die Nachhaltigkeit dieser Einrichtungen. Gleichwohl sind die Räume unterfinanziert, und die geplanten Infrastrukturarbeiten wurden vollständig eingestellt.

Der symbolträchtigste dieser wiedergewonnenen Erinnerungsräume auf nationaler und internationaler Ebene ist die ehemalige Marineschule (ESMA), die zum Nationalen Historischen Denkmal, zum Kulturgut der Wirtschaftsorganisation MERCOSUR und zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Im Mai besichtigte eine Gruppe von Unteroffizieren der Marine das Gelände, die an zwei symbolträchtigen
Orten den Marsch der Marine anstimmten und ein Loblied auf die ESMA sangen. Vor einem der an den Todesflügen eingesetzten Flugzeuge haben sie Selbstporträts aufgenommen. Die beteiligten Besucher*innen teilten die Fotos in den Sozialen Medien mit expliziten Botschaften, in denen sie ihren Besuch als einen Akt der Rückeroberung eines „usurpierten Raums“ bezeichneten. Auf eine öffentliche Anfrage zur Erklärung hin, spielte Verteidigungsminister Luis Petri den Vorfall herunter.

Die mit der Erfahrung des Staatsterrorismus verbundene Vermittlungsarbeit, die an Gedenkstätten und auch von Lehrenden in Bildungseinrichtungen geleistet wird, wird heute von der Regierung als „Aktion der Indoktrination“ bezeichnet und als Mittel verzerrender oder bösartiger Darstellungen disqualifiziert. Gleichzeitig verwenden hochrangige Beamte eine breite Palette von Argumenten, die typisch für das Repertoire der Leugner*innen oder Relativist*innen sind: Sie schaffen Kontroversen über die Opferzahlen, leugnen den systematischen Charakter der begangenen Verbrechen, verharmlosen oder ignorieren diese, rechtfertigen die staatliche Gewalt, entmenschlichen die Opfer und diskreditieren Aktivist*innen im Kampf um Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Wiedergutmachung in Gefahr

Auch die Politik der finanziellen Wiedergutmachung für die Opfer des Staatsterrorismus, die seit 1990 unter wechselnden Regierungen fortgesetzt, aufrechterhalten und ausgeweitet wurde, ist in Gefahr. Der Minister für Justiz und Menschenrechte kündigte eine umfassende Prüfung aller laufenden Entschädigungsanträge an, die 22.500 Akten umfassen würde. Das Ministerium teilte mit, dass während der laufenden Prüfung „die Zahlungen gestoppt werden“ und begründete die Entscheidung mit der Annahme, dass es sich um „ein Festival der Zahlungen, der Schaffung von Strukturen, um Geld vom Staat zu erhalten“ handele, in der klaren Absicht, die Erinnerungspolitik zu delegitimieren. Ihre Demontage erfolgt im Zusammenhang wiederholter Erklärungen des Präsidenten, der Vizepräsidentin und verschiedener Minister, die sich gegen den Prozess der Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit und für die Gewaltakte der Streitkräfte während der Diktatur aussprechen. Im Kabinett herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass man „die Vergangenheit hinter sich lassen“ muss. Die neue Regierung fördert eine Verachtungskultur für den Prozess der Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit, während sie gleichzeitig die Lehren der letzten Jahrzehnte verwirft und die Akteur*innen stigmatisiert, die diese vorangetrieben und weitergeführt haben.

Dieser Paradigmenwechsel zwingt die Teile der Gesellschaft in die Defensive, die seit der Wiederherstellung der Demokratie im Jahr 1983, unter verschiedenen Regierungen und mit dem Engagement aller Staatsgewalten, eine Erinnerungsarbeit und Aufarbeitung der Verbrechen aufgebaut haben. Letztlich handelt es sich um den Versuch, die kritische Bilanz der Diktaturerfahrung umzuschreiben, die die argentinische Gesellschaft über Jahrzehnte mühsam aufgebaut hat, um die Gültigkeit autoritären Konsenses wiederherzustellen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

“Nuestras vidas están implosionando”

Für die deutschsprachige Version hier klicken

Colectivo YoNoFui Desde talleres de poesía hasta unidades productivas (Foto: YoNoFui)

Ayer ocurrió el brutal atentado a cuatro lesbianas – Pamela, Roxana, Andrea y Sofía – en el barrio Barracas de Buenos Aires. ¿Cómo se puede entender esto en la situación política actual?

Este caso puntal muestra cómo los discursos de odio del gobierno de Milei en la práctica tienen efectos concretos. Nos parece importante plantear que estos discursos no son solamente de este gobierno, sino que son prácticas que ya estaban latentes en el sentido común. Lo que pasa es que ahora hay legitimación desde el más alto nivel de representación institucional para ejercer crueldad explícita. Y eso definitivamente es peligroso. El gobierno actual es declaradamente antifeminista y antidisidente. La semana pasada, por ejemplo, uno de los biógrafos de Milei salió a decir que la homosexualidad estaba siendo financiada por los partidos de izquierda. El gobierno actual es declaradamente antifeminista y antidisidente. Pero también resistimos. Ayer hubo una asamblea de aproximadamente 400 lesbianas de distintas partes del país para definir qué hacer. La situación es muy complicada, pero es tan solo el comienzo. Nuestras vidas están implosionando. Todos los días hay novedades de algo cercano que nos golpea. Observamos que estamos atravesando una crisis de salud mental que nos abre muchas preguntas, acerca de cómo combatir esta guerra, que es  no solo es cultural y económica sino también anímica.

Pero con los discursos de odio Milei hizo campaña, ¿no? ¿Cómo explican ustedes que mucha gente haya votado por Milei?

No hay una única respuesta, hay muchas razones por las cuales la gente votó por Milei. Observamos que está sucediendo una trasmutación en los procesos de subjetivación que se intensificaron en la post pandemia. En ese proceso se están perdiendo historicidades de ciertas experiencias comunes que hicieron que lleguemos hasta acá. Por ejemplo que somos un país que tiene o tuvo procesos de construcción y de lucha de una memoria histórica. Creíamos que esto era un pilar social y nos dimos cuenta que era muy frágil. Como parte de una autocrítica, creemos que esto tiene que ver con una omnipotencia de parte de los movimientos de derechos humanos, de los movimientos de izquierda en pensar que algunas discusiones ya estaban saldadas en vez de radicalizar en esa vía. Económicamente el kirchnerismo integró a una gran parte de la población vía consumo con toda una carga de neoliberalismo. Pero al final no fue que “todes consumamos” como un modo de redistribución de la riqueza, sino que al mismo tiempo había mucha gente pasándola mal y atravesando situaciones muy precarias. La brecha se siguió abriendo. Ahora es peor obviamente. La pérdida de la clase media es inaudita.

Antes de pasar a la autocrítica, ¿nos pueden contar un poco más sobre YoNoFui?

YoNoFui nació en el año 2002 a partir de una taller de poesía en la cárcel de Ezeiza que daba María Medrano, una de nuestras compañeras. Allí nos encontramos con las dificultades que tiene alguien que recupera su libertad. No había políticas públicas post encarcelamiento. Entonces nos empezamos a juntar e hicimos talleres en diferentes espacios. El colectivo fue creciendo y pasaron más de 20 años. Hoy somos un colectivo que tiene diferentes espacios. En nuestra casa colectiva funciona la cooperativa que tiene varias unidades productivas: textil, encuadernación y serigrafía. Además hay otra unidad productiva más reciente de estética y cuidados corporales que se llama “Bell, toda belleza es política” y que funciona en nuestro otro espacio de Palermo. Acá, en la casa colectiva en Flores, tenés la biblioteca anticarcelaria. Hacemos libros también, tenemos una editorial. Nuestro colectivo nació de un taller de poesía, por lo tanto hay algo con la palabra que nos interesa interpelar constantemente.

Otro espacio del colectivo es el de segundeo. Es un poco difícil de explicar. Acá en las calles se dice primerear para ponerse delante de alguien, como compitiendo sin que te importe el otro. En cambio, segundear tiene que ver con ir juntes. Es como la acción opuesta a primerear. Segundeo también muestra la manera en que a lo largo del tiempo nos fuimos renombrando. Al principio decíamos apoyo social, después acompañamiento y hoy para nosotres segundeo tiene más sentido, porque el segundeo es una práctica de reciprocidad, de par, de volverse un conjunto en eso, es un gesto muy específico que nosotres valoramos mucho.

¿Qué significa en la práctica concreta?

El segundeo tiene varias instancias. En segundeo jurídico tenemos actualmente compañeres que tienen mucha experiencia en lo jurídico por su paso por el encierro y cuatro abogades anticarcelarios y abolicionistas penales. Juntes hacemos seguimientos de causas de compañeres. También tenemos instancias de mediaciones colectivas. Somos un colectivo y también hay conflictos acá. Con el segundeo intentamos buscar soluciones no punitivas y no castigadoras . A otro segundeo lo llamamos “autonomía y autogestión de la vida cotidiana”: subsidios, armar un currículum, buscar lugares para vivir y administrar el día a día de la casa colectiva. Después de la pandemia vimos que había mucha necesidad de armar espacios de salud mental. Por eso inauguramos el segundeo en salud mental. Acá tenemos espacios de atención grupal e individual. Trabajamos desde una idea, quizás, en contra de la salud hegemónica que solo lee la salud en términos de bienestar y felicidad individual.

Si bien nosotres venimos con una experiencia de muchísimos años dictando talleres de artes y oficios, recién este año inauguramos nuestra Escuela de Artes, Oficios y Experimentación Política. Estamos muy enamorades de este proyecto pedagógico y político porque abrimos nuestro espacio a la comunidad y se está armando algo muy vital, un refugio en un momento tan complejo. Hay 70 personas inscritas y casi todas son personas cuir.

Ya mencionaron un poco la autocrítica en estos tiempos. Tal vez un poco más general: ¿Qué problemas enfrentan hoy en día?

Creemos que todavía no tomamos en cuenta lo suficiente el impacto que tiene la cárcel en cualquier vínculo de nuestras vidas cotidianas, no se trata solamente de si estuviste en la cárcel o no. Ahí hay algo negado socialmente, hay algo en los efectos prácticos y cotidianos de cómo nos tratamos que convive con nosotres como una amenaza constante como un rumor que no se detiene.

Otro desafío que estamos intentando abordar es la necesidad de crear una lengua abolicionista de las cárceles con perspectiva sudamericana o desde el sur global. Porque todos los imaginarios que tenemos son del norte global con el nacimiento de la criminología crítica o Angela Davis. Es todo brillante y nos sirve, pero también nos interesa pensar contextualmente, es decir: ¿Qué es una cárcel acá? ¿Qué es el castigo acá? ¿Cuál es la economía del castigo acá? ¿Cómo se piensa la justicia? Nosotres recibimos conceptos del norte global como una caja cerrada. Entonces empezamos a hacer un mapeo de cuáles son las justicias alternativas, por ejemplo justicias indígenas o los modos de resolver conflictos en nuestra vida cotidiana, que también son parte de otro modo de hacer justicia. Igualmente al interior de la cárcel: ¿Qué es hacer justicia al interior de la cárcel? ¿Qué es construir comunidad dentro de las cárceles? En un mundo que tiende a la hiperindividualización, construir comunidad puede ser un modo de hacer justicia en un mundo que tiende a la hiperindividualización.

Y al mismo tiempo ahora es muy difícil. Ahora tenemos el problema de que, por ejemplo, quieren bajar la edad de punibilidad a los 12 años con una reforma judicial. ¿Pero qué haces? De repente quedas en una posición conservadora y decís: “No, ¡paren! No vayamos a los 12, volvamos a los 18.” Pero eso tampoco nos sirve. En un punto menos mal, pero como colectivo no estamos conformes con este sistema punitivista. Quizás sea un buen momento para preguntarnos: ¿Qué se criminaliza?

¿Cómo se vinculan en esa situación con otros movimientos, tal vez movimientos transfeministas o también anarquistas?

En general somos pequeños los colectivos de activistas independientes que no tenemos banderas partidarias por detrás. Y nosotres sostenemos ese espacio autónomo. Articular desde la autonomía nos parece muy importante. Una autonomía que siempre es interdependiente.

Este año, para el 8 de marzo, armamos la columna Mostri junto a activistas transfeministas y cuir. Esto nos entusiasmó mucho, porque la idea de esta columna es que sobrepase la discusión de la identidad. Entonces Mostri puede ser alguien que pasó por la cárcel, Mostri puede ser una persona disca, Mostri podemos ser los colectivos antipunitivistas, Mostri puede ser la comunidad cuir. Y ahí empezamos a convocarnos con colectivos travesti trans, maricas, lesbianas, todo el colectivo LGBT y otres activistas Mostris. En el día a día también articulamos con el colectivo de trabajadoras sexuales y con “No Tan Distintes”, un colectivo que trabaja con personas en situación de calle. Pero con algunos feminismos es complicado, sobre todo cuando son muy mujeriles, académicos y punitivistas. Hay una disputa ahí como colectivo antipunitivista y abolicionista penal que es la insistencia en el planteo acerca de que la cárcel no soluciona nada. Por eso una compañera, Eva Reinoso, siempre dice: “Nosotras somos incómodas para el feminismo, pero mucho más incómodas son las camas de los pabellones de las cárceles.”

Y con los movimientos anarquistas sí hay una cercanía con ciertas ideas, si entendemos anarquismo como una práctica en contra de la autoridad. Además hay una tradición histórica de alianza: Los inicios de la criminalización de disidencias sexuales y trabajadoras sexuales coinciden con la criminalización de los movimientos anarquistas y comunistas.

Tal vez esto ayuda a reforzar las relaciones dentro del colectivo, pero también hacia afuera ¿no? Dentro de todo esto ¿qué esperan de las próximas semanas?

Uff, difícil. Creemos que las próximas semanas van a ser cada vez más complejas, pero al mismo tiempo también es importante seguirnos entramando. Recuperando la experiencia de haber vivido el macrismo, que no fue ni una décima parte  de esto, pero fue terrible, tal vez podemos tener un gesto ni de esperanza ni de optimismo. Porque también fue el momento de mayor creación de alternativas. Estábamos tan ahogades, tan oprimides y tan imposibilitades de vivir, que había que crear vida. Y la única manera que había era juntándonos y movilizándonos. Lo mismo estamos haciendo ahora. Pero el panorama es bastante desesperante y es un gran desafío. Es muy triste y doloroso. Al mismo tiempo, por ejemplo la columna Mostri en la marcha del 8M fue una fiesta y eso nos recrea una vitalidad. Por eso insistimos, sin esperanza y sin optimismo, en confiar en las tradiciones de lucha de nuestros territorios, que son muy potentes y nos habitan.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Was lange währt, wird endlich schlimm

Von Repression begleitet Monatelange Proteste gegen das Ley Bases (Foto: Santiago Sito via Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Die nun verabschiedete Fassung weicht somit stark von dem ursprünglichen, von der Regierung im vergangenen Dezember eingereichten Entwurf ab. Dazu kommt das Steuerpaket, eine Regelung, mit der ein neuer Verwaltungszyklus eingeleitet werden soll. Mit der Verabschiedung der beiden Gesetze erhält Milei für ein Jahr Gesetzgebungsbefugnisse. Arbeiter*innen müssen wieder Einkommenssteuern zahlen, während die Steuersätze für Reiche gesenkt werden. Firmen in öffentlicher Hand sollen privatisiert und multinationalen Konzernen mehr Gewinn versprochen werden. Zu den 238 von ursprünglich 600 Artikeln gehört auch eine rückschrittliche Arbeitsreform. Gewerkschaften hatten versucht, diese auf juristischem Wege zu verhindern.

„Der Geist dieses Gesetzes hängt direkt mit einem Paradigmenwechsel zusammen. Dieser betrifft nicht nur ökonomische oder finanzpolitische Fragen, sondern umfasst neben politischen und sozialen besonders demokratische Dimensionen“, so die Soziologin Valentina Castro gegenüber LN. Für sie ist klar, dass die gesetzlichen Regelungen „eine Übertragung von Zuständigkeiten aus staatlicher Hand hin zum privaten Sektor“ bedeuten. „Dem Staat wird so die Möglichkeit genommen, auf Wirtschaft und Politik Einfluss zu nehmen. Dieses Machtmonopol wird stattdessen den wirtschaftlich Machthabenden übertragen“, so Castro weiter.

Damit das Gesetz verabschiedet werden konnte, musste die Regierung einige Artikel des in erster Lesung im Abgeordnetenhaus angenommenen Textes verändern. So ist nicht mehr geplant, die staatliche Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas, die Postgesellschaft Correo Argentino und die öffentlich-rechtlichen Medien zu privatisieren. Auch die geplante Rentenreform wurde gestrichen. Sie hätte ein Moratorium beendet, welches jenen zugutekommt, die im Rentenalter keine 30 Beitragsjahre vorweisen können. Ein Teil der Opposition wehrte sich gegen dieses Vorhaben, denn fast die Hälfte der Werktätigen in Argentinien ist informell beschäftigt.

Keine Anpassung ohne Repression

Dennoch sind genug rückschrittliche Inhalte des Gesetzes erhalten geblieben. Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt ermöglicht die neue Verordnung Arbeitgeber*innen, bis zu drei Angestellte als Selbstständige zu beschäftigen. Diese fallen damit nicht mehr unter das Arbeitsvertragsgesetz und genießen weniger Arbeitsrechte als Festangestellte. Hinzu kommt, dass die Teilnahme an Blockaden oder Besetzungen Kündigungsgrund werden und das Streikrecht für Angestellte im öffentlichen Dienst stark eingeschränkt wird – Streiktage gehen künftig von der Arbeitszeit ab.

Besonders weitreichende Folgen dürften die Ausrufung eines einjährigen öffentlichen Ausnahmezustandes in Verwaltungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Energiefragen sowie die Übertragung besonderer Befugnisse an Milei haben: Der Präsident hat nun in diesen Bereichen direkten Einfluss. Insgesamt acht staatliche Unternehmen sollen privatisiert werden, der Öl- und Gassektor wird dereguliert und soll nun nicht mehr vornehmlich auf die Versorgung, sondern auf den Export ausgelegt sein. Auch darf die Regierung nun Bauvorhaben in öffentlicher Hand neu verhandeln oder kündigen.

Einer der umstrittensten Punkte des Ley Bases sieht die Einführung eines Systems vor, das ausländische Investitionen in Höhe von mindestens 200 Millionen US-Dollar anlocken soll. Diese Reform wurde von der Opposition vehement bekämpft, weil sie die argentinische Industrie gefährdet. Gleichzeitig werden dem internationalen Finanzsektor nur geringe Beschränkungen auferlegt. Auf den Druck der Opposition hin wird sich das System auf die Bereiche Tourismus, Infrastruktur, Minen, Technik, Stahl, Energie, Öl und Gas beschränken.

„Diese Verordnung wird als das Herz des Ley Bases betrachtet, vor allem aufgrund der Gewinnübertragung an das internationale Finanzkapital. Es untergräbt die lokale Entwicklung und schadet kleinen und mittleren Firmen sowie solchen in öffentlicher Hand. Große Besorgnis erzeugen dabei die strukturellen Veränderungen und ihre möglichen Folgen in der argentinischen Produktionsleistung“, erklärt Castro. Denn die Reform gelte für 30 Jahre, es handelt sich somit nicht um konjunkturabhängige Maßnahmen. Auf Drängen der Opposition steht im verabschiedeten Text, dass die Investor*innen für mindestens 20 Prozent der Gesamtsumme lokale Lieferant*innen unter Vertrag nehmen sollen.

„Ein maßgeschneidertes Gesetz für die Mächtigen in Argentinien“

„Wir geben der Regierung von Präsident Milei die Mittel, um den Staat endlich und endgültig zu reformieren“, sagte der Chef der Regierungsfraktion La Libertad Avanza im Abgeordnetenhaus, Gabriel Bornoroni, in seiner Abschlussrede, wenige Minuten bevor das Gesetz verabschiedet wurde. „Dies ist ein maßgeschneidertes Gesetz für die Mächtigen in Argentinien“, erwiderte der Abgeordnete und Gewerkschaftsführer Hugo Yasky, Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion, der peronistischen Unión por la Patria. Die Pressestelle des Präsidenten feierte „das erste Gesetz, das in Richtung des freien und wohlhabenden Landes geht, welches die Argentinier gewählt haben.“

Während im Abgeordnetenhaus noch verhandelt wurde, wurde draußen demonstriert. Bei Protesten am 13. Juni nahmen staatliche Sicherheitskräfte 33 Personen fest, bei Redaktionsschluss waren davon vier Personen weiterhin inhaftiert. Ihnen wurden Straftaten vorgeworfen, die mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden können, darunter Landfriedensbruch, Aufruf zu Straftaten, gemeinschaftlich begangene Gewalttaten und Rebellion. Am gleichen Tag sprach die Regierung von Terrorismus und einem versuchten Staatsstreich – und schuf damit ein gefährliches und in der jüngeren politischen Geschichte beispielloses Narrativ.

Vier Protestierende noch immer in Haft

„Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Albtraum. Als sie mich zum ersten Mal schlugen, um mich festzunehmen, spürte ich die Verwirrung und das Adrenalin. Das ging einige Tage so weiter, im Gefängnis und später, als sie uns die Vorwürfe eröffnet haben“, erzählt der Musiker Santiago Adano, einer der Festgenommen, gegenüber LN. Es sei ein Gefühl, das sich erst dann zu verflüchtigen begonnen habe, als der Mangel an Beweisen deutlich wurde und die Gefahr, ins Gefängnis zurückzukehren, in die Ferne rückte.

Die Vorwürfe gegen die Freigelassenen wurden inzwischen fallengelassen. Die vier Personen, die weiterhin in Haft sind, wurden hingegen angeklagt – allerdings nicht mit den eigentlichen Vorwürfen, sondern wegen konkreterer Delikte wie etwa Steinwürfen oder Angriffen und Widerstand gegen die Staatsgewalt. „Viele Rechtsexpert*innen sind sich einig, dass für diese Vorwürfe keine Untersuchungshaft verhängt werden soll. Denn es besteht weder Verdunklungs- noch Fluchtgefahr. Sie sollten also frei sein, während der Prozess geführt wird“, erklärt Adano.

Währenddessen sind Menschenrechtsorganisationen und Anti-Repressionsgruppen aktiv, um der Forderung nach Freilassung der Gefangenen Gehör zu verschaffen. „Die Kriminalisierung des Protests verletzt nicht nur Grundrechte, sondern verhindert auch die öffentliche Beteiligung und die Ausübung demokratischer Rechte. Anstatt auf Repression und Kriminalisierung zurückzugreifen, hat der Staat die Pflicht, die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern. Außerdem muss er garantieren, dass die Personen ihre Forderungen und Anliegen auf freie und sichere Art ausdrücken können“, mahnt auch die argentinische Vernetzung zur Verteidigung der Menschenrechte und Demokratie.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Feldzug gegen die Meinungsfreiheit

„Bringt die Presse nicht zum Schweigen!“ Protestcamp vor der geschlossenen Nachrichtenagentur Telám (Foto: Somos Telám)

Im Juni unterzeichneten mehr als 2.000 Journalist*innen die öffentliche Stellungnahme und verurteilten die extreme Tragweite, mit der Pressetätigkeiten durchkreuzt werden. Die Regelmäßigkeit, mit der Milei Journalist*innen beleidigt und diskreditiert, ist in der jüngeren politischen Geschichte Argentiniens beispiellos: Laut Untersuchungen verschiedener Presseverbände hat Argentiniens Präsident über das soziale Netzwerk X bereits über ein Dutzend Journalist*innen angegriffen. Manuel Adorni, sein Sprecher, tut es ihm während seiner Pressekonferenzen gleich. Der Ökonom Milei ist erst durch die Medien bekannt geworden – nun hat er die dort Beschäftigten zur Zielscheibe erklärt.

Die Angriffe verbleiben aber nicht auf der diskursiven Ebene. Über Präsidialdekrete und weitere Regulierungsinstrumente hat die Regierung bereits konkrete Kürzungen, Anpassungen und sogar die Schließung von Medien und Agenturen vorangetrieben. Das bedeutet nicht nur einen symbolischen, sondern auch einen materiellen Schlag gegen das nationale Informationssystem und damit die Demokratie des Landes. Während Argentinien in der jährlichen Aufstellung von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit vor der Amtsübernahme Mileis weltweit auf Platz 40 stand, fiel das Land in diesem Jahr um 26 Plätze zurück.

Das Verhalten der Regierung gegenüber der Presse sei ein „systematischer Angriff in vielerlei Hinsicht“, so Carla Gaudensi, Generalsekretärin des argentinischen Verbands der Pressearbeiter*innen im Gespräch mit den LN. „Auf der einen Seite will man einzelne Journalist*innen für Nachrichten, die den Erwartungen der Regierung widersprechen, bestrafen und ihnen das Wort verbieten. Gleichzeitig ist auch der Versuch erkennbar, die öffentlichen Medien zum Schweigen zu bringen“, führt Gaudensi aus, die bei der staatlichen Nachrichtenagentur Télam arbeitet.

Verbale Angriffe, Entlassungen, Privatisierung

Der Fall von Télam ist mustergültig: Mileis Androhung von Anfang März, die Agentur zu schließen, wurde inzwischen umgesetzt, die Website vom Netz genommen und alle Mitarbeiter*innen „entlassen“. Da dieses Verfahren illegal ist, konnte die Regierung ihnen keine echten Kündigungen aussprechen, sondern stellte sie bezahlt frei. Als Antwort darauf campen Télam-Mitarbeiter*innen seit mehr als vier Monaten vor den Türen der Agentur und protestieren für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze und das Recht, zu informieren.

„Télam hat eine 79-jährige Geschichte und ist eine der wichtigsten Nachrichtenagenturen Lateinamerikas. Sie spiegelt den Föderalismus und die Pluralität der Stimmen“, betont Gaudensi, für die die Nachrichtenagentur ausschlaggebend ist, um „Perspektiven, die kommerzielle Medien auslassen” an die Öffentlichkeit zu bringen. Bereits unter der konservativen Regierung von Mauricio Macri hatte es 2018 massive Entlassungen gegeben, nach einem heftigen Gewerkschaftskampf hatte die Justiz aber zugunsten der Beschäftigten entschieden.

Neben Télam sind auch die Rundfunkanstalten Televisión Pública und Radio Nacional Teil der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft Argentiniens. In ihren Fällen ging die Regierung einen anderen Weg: den Versuch der Privatisierung im Rahmen des Ley Bases. Da dieser inzwischen vom Tisch ist, kündigte Milei an, andere Wege für die Privatisierung zu suchen. Im Fall von Radio Nacional treibt der Präsident währenddessen die Beschränkung lokaler Programme der Sender im Landesinneren voran. Dabei wird dem Sender eine strenge Zensur auferlegt: Inhalte aus Buenos Aires werden priorisiert und den Journalist*innen weder erlaubt, als regierungsfeindlich eingestufte Thematiken zu behandeln noch beispielsweise über soziale Proteste zu berichten. Neben den öffentlichen greift die libertäre Regierung auch kooperative, selbstverwaltete Medien an, die ebenfalls ungemein wichtig für die Medienlandschaft sind. Gleich nach Amtsantritt schaffte sie eine Richtlinie ab, die auch finanzielle Unterstützun für kleinere Medien vorsieht. Malena Winder, Präsidentin der Arbeitsgenossenschaft Por Más Tiempo, die die Tageszeitung Tiempo Argentino herausgibt, berichtet, die Kürzung sei „plötzlich und abrupt“ gewesen. Dazu komme, dass die Regierung keinen Zeitplan für die Zahlung der bereits bestehenden Schulden bei kleinen Medien vorlege. Winder erklärt: „Das hat direkte Auswirkungen auf die Einnahmen der Genossenschaft und damit auf die Gehälter der Mitglieder.“ Nur eine öffentliche Förderung könne „Pluralität und Gerechtigkeit garantieren“ und „den Zugang zum Recht auf Information im Land gewährleisten.“ Laut einer aktuellen Umfrage der Pressegewerkschaft von Buenos Aires (SiPreBA) hat sich die Situation der Pressearbeiter*innen seit Mileis Antritt allgemein verschlechtert. Infolge der Inflation der ersten zwei Monate seiner Amtszeit erhielten über drei Viertel der Beschäftigten in der Hauptstadt und dem Großraum Buenos Aires Gehälter unterhalb der Armutsgrenze. Der Rest des Landes weist ähnliche Zahlen auf.

Gleichzeitig betonen Expert*innen, wie wichtig es ist, den Angriff auf die Medien in den größeren Kontext zu stellen. Diego de Charras, Professor und Vizedekan der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Buenos Aires, sieht darin einen Angriff auf die Öffentlichkeit als Ganzes: „Dieser Angriff ist im Zusammenhang mit einem allgemeinen Angriff auf die Rolle des Staates zum Schutz, zur Verteidigung und Förderung von Rechten zu interpretieren. Es handelt sich um den sogenannten Kulturkampf, von dem Milei spricht und durch den er versucht, alles, was Kultur und Kommunikation als Menschenrecht darstellt, anzugreifen, zu schwächen oder aufzulösen.“


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

„Un llamado de atención a la solidaridad internacional“

Für die deutschsprachige Version hier klicken

Mes Anti-Milei en Berlín Evento organizado por la Asamblea en Solidaridad con Argentina en Berlín (Foto: ASA)

¿Cómo surgió la idea de organizar un mes anti-Milei en Berlín?

Lucio Piccoli (LP): Esta alianza surgió de una iniciativa de la Asamblea, pero también de otras organizaciones no gubernamentales y fundaciones políticas de Berlín y Hamburgo que todas venían teniendo un trabajo enfocado en el tratado de libre comercio entre la Unión Europea y el Mercosur. Entre ellas estaban organizaciones como Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift y Attac. Entonces la visita de Milei significó una posibilidad de poder estrechar alianzas estratégicas y surgió esta idea de hacer todo un mes con actividades muy diversas, desde discusiones en torno a películas, hasta una exposición de arte en Kassel. Además hubo protestas, movilizaciones y seminarios – más de 20 actividades en Kassel, en Berlín y en Hamburgo.

Marina Yaya (MY): El avance de las políticas regresivas de Milei te ponen una agenda realmente muy ambiciosa, que a veces es muy difícil de seguir como migrante en un territorio lejano. Pero había varias organizaciones que querían formar parte de esta lucha y nos pareció súper importante canalizar toda esta energía política en una acción que tenga un resultado más profundo.

¿Cuáles eran sus objetivos concretos?

LP: Los objetivos fueron dos: denunciar, por un lado, la amenaza que representaría este tratado de comercio internacional, y, por el otro lado, visibilizar el tipo de conexiones que el gobierno de Javier Milei tiene con todo el arco de las así llamadas nuevas derechas. Nosotros estamos convencidos de que el gobierno de Milei solo puede entenderse de una manera coherente si se contempla el modo en que las medidas desastrosas implementadas en Argentina se relacionan con un programa internacional, no solamente económico sino también político-ideológico.

¿Qué quiere decir eso?

LP: Cuando uno adopta una perspectiva más internacional y empieza a prestar atención a los vínculos concretos y a las diversas giras que Milei hizo en Europa y en Estados Unidos, empieza a tener sentido el hecho de que la mitad de su gabinete de economía haya estudiado en Estados Unidos, que tengan contacto con los principales grupos financieros internacionales. Uno de los objetivos fundamentales del mes anti-Milei era señalar como Javier Milei no solamente tiene una repercusión sobre lo que sucede en Argentina, sino que está intrínsecamente relacionado con la coyuntura política que tenemos en Europa.

¿Qué importancia tiene en este contexto el encuentro de Milei con el canciller alemán, Olaf Scholz?

LP: La visita de Milei a Scholz nos permitía trabajar la relación que existía con la Fundación Friedrich Naumann del FDP. Está demostrado que la fundación financió aspectos de la campaña de Milei, lo que es prácticamente ilegal desde el punto de vista alemán. Determinados políticos de la AfD, de la CDU y Maaßen de la Werteunion estuvieron presentes en la entrega de la medalla de la Fundación Hayek. Si el programa de Milei avanza en Argentina, esto representa un antecedente fundamental para el desarrollo de los programas políticos de las derechas en otros lugares del mundo. Por eso nuestro llamado de atención es a la solidaridad internacional.

Se conectaron también con grupos en otras ciudades de Europa durante la gira de Milei…

MY: Esta red internacional surge cuando la Asamblea en Berlín convoca a otras ciudades a organizarse. Cada ciudad tiene su idiosincrasia, sus luchas, sus necesidades. La red surge con la idea de tener un impacto más allá de lo local. Nos mantenemos constantemente en contacto para ir alineándonos al correr de los sucesos. Esta experiencia es muy nueva, pero tiene una potencialidad enorme que creció mucho más rápido de lo que todos imaginábamos. Impulsamos acciones en conjunto, sean jornadas de comunicación masiva en las redes sociales o la redacción de comunicados con adhesiones en las distintas ciudades. Nuestro principal medio de lucha hoy son las redes. Creemos que el haber coordinado las actividades así tuvo un impacto muy superior a lo que hubiese sido hacerlo individualmente.

Esto recuerda en parte a los movimientos de solidaridad internacional de los años 70 y 80. ¿Se ven ustedes en esta tradición?

LP: La contribución que hicieron los migrantes sobre todo durante las dictaduras en el Cono Sur con respecto a la denuncia de los crímenes a los derechos humanos fue fundamental para el cambio de la coyuntura. Hay un peso simbólico que es muy importante. Es algo en lo que muchos de los miembros de la Asamblea estamos pensando, nos gusta reconocernos en esa suerte de tradición. En lo concreto, se organizaron dos colectas solidarias muy exitosas para las víctimas del lesbicidio en Barracas. Ese tipo de solidaridad internacional es fundamental, pero queremos ir un poco más allá. Aunque esa forma tradicional de pensar la solidaridad con América Latina en Berlín tiene una larga historia muy productiva, estamos tratando no solamente de pensar qué es lo que necesita la gente de allá, pero también politizar a la gente que está acá en función de sus necesidades concretas. Para la mayor parte de argentinos, Europa representa una suerte de escape y un aislamiento de los problemas y de las preocupaciones que afectan directamente al territorio de su población. Entonces nos parece siempre muy importante trabajar críticamente sobre esa representación. Si vos lográs que haya una manifestación en Hamburgo de 400 personas el día que Milei recibe la medalla o que se escuche que le están gritando „nazis, los vamos a ir a buscar“ cuando le da la mano a Scholz, eso tiene un peso simbólico y una repercusión directa sobre la política Argentina y local. En ese aspecto, con el mes anti-Milei se interpeló directa y exitosamente a la opinión pública alemana y a los medios. No ha sido el único factor que contribuyó a eso, pero uno de los factores importantes fueron las decenas de entrevistas que hicimos y los distintos actos que se llevaron a cabo.

¿Cuándo se fundó la Asamblea en Solidaridad con Argentina en Berlín?

LP: El Bloque Latinoamericano fue la instancia organizativa que convocó a la primera sesión de la Asamblea en Berlín en diciembre de 2023. El Bloque tiene un interés estratégico, político e ideológico en impulsar y en acompañar iniciativas como la Asamblea.

MY: La asamblea se conformó al calor de lo sucedido en Argentina con el anuncio del nuevo gobierno de Milei. Para mí, es una organización ampliamente democrática en donde pude encontrar mi espacio de intervención política luego de 5 años en Berlín. Nos reunimos una vez por mes, la Asamblea en sí tiene una característica de mucha dinámica, de participación y de movimiento.

¿Significa eso que son muy diferentes como miembros de la Asamblea?

LP: En comparación con otros espacios de politización latinoamericana diría que es preponderantemente un público más bien joven, sin familias y en condiciones de trabajo, visa y vivienda precarias. Mucha de la dinámica de la Asamblea tiene que ver con ese público más joven que ha migrado a Berlín después del Macrismo y que tiene una sensibilidad política por temas cercanos al feminismo y a la política de género.

MY: Pero sí hemos visto pasar durante estos 6 meses a muchísimas personas por la Asamblea de distintas generaciones, con distintas historias, con trayectorias muy diferentes en Alemania. Ha venido gente de Hijos Alemania, gente de organizaciones latinoamericanas que se formaron a partir de la dictadura de Pinochet, por ejemplo. La Asamblea cree en la solidaridad internacional, por eso convocamos a cualquier persona argentina, migrante o de cualquier nacionalidad a canalizar su angustia, su bronca, tratando de formar una plataforma de intervención política.

¿Cuáles van a ser sus próximos pasos?

MY: Con esta agenda política ridícula en Argentina es difícil establecer cuál es nuestra próxima acción. No es sencillo hacer lecturas desde el exterior. Vamos ajustando nuestras tareas, reafirmando nuestros objetivos, nos vamos reconociendo también identitariamente como organización política. En sentido amplio y pensando a un mediano y largo plazo, desde la Asamblea tenemos como ambición generar una plataforma política que no solo esté respondiendo a lo coyuntural. Somos conscientes de que Milei en algún momento se va a ir, pero los desastres en materia económica, política, social y este tejido de las derechas en el mundo son muy superiores a lo que significa la presencia de Milei. Tenemos que trascender las cuestiones coyunturales para generar un espacio de resistencia política internacional, para seguir tejiendo canales de solidaridad hoy con Argentina y mañana quizás con Bolivia, conectándonos con organizaciones de Argentina, de Latinoamérica, de Europa, de Palestina. Si logramos sostenernos como plataforma, las posibilidades son infinitas.

LP: Vamos a seguir estrechando los vínculos con las organizaciones alemanas que tienen agendas distintas a las nuestras, pero que se van superponiendo en distintos puntos: el trabajo sobre el avance de las derechas en Europa y sobre el extractivismo, el cual está ligado directamente con los intereses económicos alemanes. Cuando uno se empieza a fijar en otras cosas aparece todo un espectro de posibilidades a mediano plazo que permite planificar independientemente. Y eso es una cuestión que es muy difícil de llevar a cabo porque la mayoría de nosotros estamos emocionalmente muy afectados por lo que sucede allá y queremos todo el tiempo reaccionar a lo que pasa, pero entendemos que queremos llevar adelante nuestra práctica política de una forma más sostenible.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

„Ein Weckruf an die internationale Solidarität“

Para leer en español, haga clic aquí.

Anti-Milei-Monat unterm Fernsehturm: Protestaktion in Berlin (Foto: ASA)

Wie kam es dazu, dass ihr einen Anti-Milei-Monat organisiert habt?
Lucio Piccoli (LP): Dieses Bündnis ist aus einer Initiative der Asamblea sowie anderer NRO und Vereine aus Berlin und Hamburg entstanden, die schön länger zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur arbeiten. Mileis Reise war eine Möglichkeit, strategische Bündnisse zu vertiefen. Und so entstand die Idee für einen Anti-Milei-Monat mit verschiedensten Veranstaltungen: Diskussionen, Filme, Seminare, eine Kunstausstellung in Kassel, außerdem Protestaktionen und Demos.

Was wolltet ihr mit dem Anti-Milei-Monat erreichen?
LP: Wir hatten zwei Ziele: Erstens wollten wir auf die Gefahren des Mercosur-Freihandelsabkommens hinweisen. Zweitens ging es darum, die Verbindungen zwischen Mileis Regierung und dem ganzen Panorama an sogenannten neuen Rechten in den Mittelpunkt zu stellen. Wir sind uns sicher: Man kann sich Mileis Regierung nur erklären, wenn man ihre verheerenden Maßnahmen in Argentinien mit einem internationalen Programm in Verbindung bringt – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch-ideologisch.

Was meint ihr damit?
LP: Wenn man eine internationale Perspektive einnimmt und auf die konkreten Verbindungen von Milei nach Europa und in die USA schaut, ergibt vieles einen Sinn. Einerseits hat die Hälfte seines Kabinetts in den USA studiert und Kontakte zu großen internationalen Finanzunternehmen. Andererseits zeigen Mileis Reisen nach Israel und in europäische Länder in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit, zu welchen Schlüsselfiguren er intensiven Kontakt pflegt: so besuchte er eine Wahlkampfveranstaltung der ultrarechten VOX in Spanien, an der auch Marine Le Pen, André Ventura aus Portugal, José Antonio Kast aus Chile, der ungarische Präsident Viktor Orbán, Amichai Chikli aus Israel und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni teilnahmen. Zusätzlich erhielt Milei drei Auszeichnungen neoliberaler Thinktanks in Prag, Madrid und Hamburg. Und das alles, während in Argentinien die sozialen Institutionen des Staates zerlegt werden. Mit dem Anti-Milei-Monat wollten wir vor allem zeigen, dass Milei nicht nur für das steht, was in Argentinien passiert: Die Ereignisse in Argentinien sind von Grund auf verbunden mit der politischen Entwicklung, die wir gerade in Europa erleben.

Was bedeutet das Treffen von Milei und Bundeskanzler Scholz in diesem Kontext?
LP: Das Treffen steht vor allem in einem strategischen Zusammenhang um die Verhandlungen über das Mercosur-Freihandelsabkommen. Das Interesse an diesem Projekt, dessen Geschichte über 25 Jahre zurückreicht, hat durch Investitionsvorhaben beider Regierungen im Cono Sur neuen Aufschwung bekommen. In Argentinien sind die Zoll- und Devisenvorteile des Sonderinvestitionsregimes für Großunternehmen (RIGI) des kürzlich verabschiedeten Ley Bases Grundlage. Auf deutscher Seite stehen nicht nur die klassischen Interessen der Auto- und Petrochemieindustrie im Vordergrund, sondern auch die an den Lithiumreserven im sogenannten Lithium-Dreieck, eines der größten Vorkommen der Welt, das von grundlegender Bedeutung für die sogenannte Energiewende ist. Im Zusammenhang mit Mileis Reise nach Deutschland haben wir aber auch sein Verhältnis mit AfD, CDU, Werteunion und gewissen Teilen der FDP wie der Friedrich-Naumann-Stiftung öffentlich angeprangert. Wenn Mileis Programm in Argentinien Erfolg hat, dient das als Grundlage für die Programmentwicklung rechter Politiker an anderen Orten. Deshalb schicken wir einen Weckruf an die internationale Solidarität.

Ihr habt euch auch mit anderen Städten auf Mileis Europareise vernetzt …
Marina Yaya (MY): Auf den Aufruf der Asamblea hin haben sich Leute in anderen Städten organisiert. Jede Stadt hat ihre Eigenheiten, ihre Kämpfe und Bedürfnisse. Das Netzwerk ist mit der Idee entstanden, nicht nur lokal Einfluss zu nehmen. Das ist eine recht neue Erfahrung, aber sie hat enormes Potenzial: Das Netzwerk wächst viel schneller, als wir dachten. Unser wichtigstes Mittel sind dabei die sozialen Netzwerke. Wir denken, dass unsere Aktionen so viel mehr gebracht haben, als hätten wir sie allein organisiert.

Das erinnert teilweise sehr an die internationale Solidarität der 70er und 80er Jahre. Seht ihr euch in dieser Tradition?
LP: Der Beitrag, den migrantische Menschen während der Diktaturen im Cono Sur damit geleistet haben, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, war entscheidend für den politischen Kurswechsel. Viele Mitglieder der Asamblea finden sich gern in dieser Tradition wieder, ja. Ganz konkret haben wir zwei sehr erfolgreiche Spendenaktionen für die Opfer des Lesbizids in Barracas (siehe LN 600) gestartet. Diese traditionelle Art der Solidarität mit Lateinamerika ist sehr wichtig und hat in Berlin eine lange und produktive Geschichte, aber wir wollen weiter gehen: Wir versuchen nicht nur daran zu denken, was die Menschen in Argentinien brauchen. Wir wollen auch die Menschen hier anhand ihrer konkreten Bedürfnisse politisieren. Europa ist für viele Menschen in Argentinien eine wichtige Projektionsfläche, eine Art Ausweg, in dem die Probleme und Sorgen, die es in Argentinien gibt, verschwinden. Uns ist es wichtig, diese Vorstellung kritisch zu bearbeiten. Wenn man es schafft, in Hamburg eine Demonstration mit 400 Leuten zu organisieren, während Milei seine Medaille überreicht bekommt, oder, wenn es „Nazis, wir kommen euch holen“ schallt, wenn Milei die Hand von Scholz schüttelt, hat das ein symbolisches Gewicht, das bis Argentinien widerhallt. In diesem Sinne war der Anti-Milei-Monat sehr erfolgreich: Es gab ein großes Medienecho, welches insbesondere die antidemokratischen Tendenzen der argentinischen Regierung beleuchtet hat und Raum für kritische Stimmen innerhalb des offiziellen deutschen politischen Spektrums geschaffen. Daher denken wir, dass unsere Interviews und Aktionen ein wichtiger Faktor dafür waren, dass die geplanten militärischen Ehren zurückgezogen und die Dauer des Besuchs verkürzt wurden.

Seit wann gibt es euch als Asamblea?
LP: Der Bloque Latinoamericano hat im Dezember 2023 zur ersten Versammlung aufgerufen. Wir haben ein strategisches, politisches und ideologisches Interesse daran, Initiativen wie die Asamblea zu begleiten: Ihre Entwicklung bedeutet den Ausbau einer Gegenmacht, die Migrant*innen als Subjekte gesellschaftlicher Transformation begreift.

MY: Die Asamblea ist in der hitzigen Zeit des Amtsantritts von Mileis Regierung als basisdemokratische Organisation entstanden. Ich habe darin nach fünf Jahren in Berlin meinen Ort für politisches Handeln gefunden. Wir treffen uns einmal im Monat, die Asamblea ist eine sehr dynamische, partizipative und bewegte Organisation.

Heißt das, eure Mitglieder sind auch sehr unterschiedlich?
LP: Im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Politgruppen würde ich sagen, dass es eine eher jüngere Gruppe ist: Die meisten Personen haben keine Kinder, arbeiten und leben unter prekärem Wohn- und Aufenthaltsstatus. Dieses Publikum, das erst nach dem Macrismus nach Berlin gekommen und zum Beispiel eher für Feminismus und Geschlechterthemen sensibilisiert ist, beeinflusst die Dynamik der Asamblea.

MY: Dennoch sind über die vergangenen sechs Monate sehr unterschiedliche Personen Teil der Asamblea gewesen: verschiedene Generationen mit verschiedenen Geschichten, manche länger, manche kürzer in Deutschland. Zum Beispiel Leute von HIJOS Alemania (Vereinigung von Angehörigen von in der Diktatur Verschwundenen, Anm. der Red.) oder von lateinamerikanischen Organisationen aus Zeiten der Pinochet-Diktatur. Die Asamblea ist überzeugt von der internationalen Solidarität, deshalb rufen wir auch alle aus Argentinien, migrantische Menschen oder Menschen jeder Nationalität auf, ihren Kummer und Ärger einzubringen, um eine Plattform für politischen Aktivismus zu schaffen.

Was sind auf diesem Weg eure nächsten Schritte?
MY: Bei der absurden politischen Agenda in Argentinien ist es vor allem aus der Ferne schwierig, nächste Schritte festzulegen. Langfristig wollen wir aus der Asamblea eine politische Plattform machen, die nicht nur auf das aktuelle Geschehen reagiert. Milei wird irgendwann gehen, aber die Katastrophen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und die Vernetzung der globalen Rechten sind etwas viel Größeres als diese Person. Wir müssen die vorübergehenden Fragen überwinden, um einen Raum für widerständige internationale Politik zu schaffen und weitere Solidaritätsnetzwerke zu spannen: heute mit Argentinien, vielleicht morgen mit Bolivien, anderen lateinamerikanischen Ländern und Palästina. Wenn wir es schaffen, uns als Plattform zu halten, sind uns keine Grenzen gesetzt.

LP: Wir werden auch weiterhin mit deutschen Organisationen zusammenarbeiten. Besonders bei der Arbeit zum Vormarsch der Rechten in Europa oder dem Antiextraktivismus, der direkt mit den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in Verbindung steht, können wir uns gegenseitig stärken. Wenn man sich auf solche Dinge konzentriert, eröffnet sich ein ganzes Spektrum mittelfristiger Möglichkeiten. Das ist nicht ganz einfach für uns, denn die meisten von uns sind emotional stark davon mitgenommen, was in Argentinien passiert. Wir wollen am liebsten immer direkt reagieren, aber wissen auch, dass wir unsere politische Praxis auf nachhaltige Sicht vorantreiben müssen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Pizza, Champagner und Wut

Die Nachrichten aus Argentinien sind in letzter Zeit ziemlich beschissen. So abgedroschen es auch klingt, aber in dieser Zeit kommt das neue Album des transfeministischen Reggaeton-Projekts Chocolate Remix genau richtig. Die Frage, ob sich eine lesbische Person wie Romina Bernardo a.k.a. Chocolate, alle Pronomen, eine als immer noch hauptsächlich sexistisch und frauenfeindlich gelabelte Musikrichtung aneignen darf, ist sowas von 2010er Jahre. Minga, ein argentinischer Lieblingsausdruck von Chocolate, der sich etwas harmlos geraten mit „auf gar keinen Fall!“ übersetzten lässt, heißt das dritte Album der Produzentin und MC aus dem nordargentinischen Tucumán. Denn auf gar keinen Fall wird sich Chocolate von dem Faschisten, der seit Dezember 2023 in Argentinien an der Macht ist, die Laune verderben lassen.

Und so beginnt „La Fiesta“, der Opener des Werks, mit einer synthetischen Trompete, die das emble­matische „Todavía Cantamos“ von Victor Heredia schmettert. Im Eröffnungstitel geht es nicht nur um die Party als Ort des Widerstands – etwa für queere Personen – sondern auch um all die Demonstrationen, die festlich, aber entschlossen den Protest auf die Straße bringen. Dabei darf die Hoffnung und Kampf ausdrückende Hymne von Heredia aus postdiktatorischen Zeiten nicht fehlen. Darauf folgt „Otario“, ein aus der Hauptstadtschnauze lunfardo bis nach Brasilien verbreitetes Wort, welches im harmlosesten Fall „Idiot“ bedeutet. Im schnellen Rhythmus eines dominikanischen Dembow lässt Choco der Frustration und Hilflosigkeit über den Sieg Mileis freien Lauf und spuckt den Libertären ihre Wut entgegen. „Sie glauben, dass sie frei sind, die Liber-Otarios“– so das Wortspiel zwischen Libertär und Otario. Das Video zum Song wurde während der ersten Proteste gegen die Regierung Milei aufgenommen und zeigt Choco vor den Polizeiketten tanzend.

Harten, klassischen Reggaeton gibt es in „Pizza con Champagne“: Chocolate ist in den 90ern groß geworden, in jener bizarren Zeit, in der sich die Mittelschicht als Gewinnerin der dann 2001 platzenden Finanzblase wähnte und in einer aus heutiger Sicht grauenhaft trashiger Oberflächlichkeit eben Champagner zu ihrer Pizza gönnte. Ob manche auch in nostalgischer Erinnerung an diese Zeit Milei gewählt haben? Wie damals wird das Land völlig ausverkauft und privatisiert, aber Glamour lässt sich nicht erkennen, erklärt Chocolate in einem Reel auf Instagram.

Auf Minga geht es weiter durch verschiedene Stile und Themen: Da ist der House „Mostra“ mit seinen hypnotischen Wiederholungen; juicy wird es in dem sexpositiven Neoperreo „Pornostar“. In „Ey maricón“ nimmt Chocolate queerfeindliche Äußerungen auf und hält sie denen entgegen, die ihre Überforderung, ob Chocolate Mann, Frau oder wasauchimmer ist mit Hass ausdrücken – vielleicht sind sie ja heimlich fasziniert?

Das Album schließt mit einem Remix von Fede Haro von einem der besten Songs von Chocolate, „Quién Sos“, und lässt mit Wut und Hoffnung auf bessere Zeiten tanzen – ein bisschen Energie tanken, Kraftstoff für den Widerstand gegen den aufkeimenden Faschismus.

Mit seiner Energie und vor allem unermüdlichen Touren durch Europa erreicht Chocolate Menschen weit über die Grenzen Argentiniens hinaus – und verbindet Kämpfe in Zeiten der weltweit erstarkenden Rechten. Mit Freude kämpfen, obwohl die Umstände ziemlich ungut aussehen. Etwas, was der deutschen Linken eher abgeht.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Zwischen Kürzungen und kollektivem Widerstand

Kunstproduktion unter schwierigen Bedingungen Das Kunstkollektiv der Casa Junín bei der Arbeit (Foto: Casa Junín)

In der Casa Junín arbeiten fünf Menschen, die ihr Kunstprojekt als offenes, mediales Produktionshaus verstehen. Denn auch wenn Agustín Pecile, Nahuel Raiman, Boris Lawler, Octavio Pandolfo und Lucía González de Azcuénaga den Kern des Kollektivs bilden, sind weitaus mehr Menschen an den Projekten beteiligt. In der Casa Junín entstehen kreative Werke; darunter Musik, aber auch Videos und Fotos. Die Leidenschaft für die Kunst hat die Mitglieder an unterschiedlichen Orten und Zeitpunkten zusammengebracht: Teilweise kennen sie sich schon aus der Kindheit, teilweise erst seit wenigen Monaten.

Die Zukunft der Kunst- und Kulturwelt ist unter der Regierung von Milei ungewiss. Klar ist, dass drastische Veränderungen bevorstehen. Mit der Begründung, die extrem hohe Inflation des Landes zu bekämpfen, hat Milei auf seinem Sparkurs unter anderem die Schließung staatlicher Behörden in allen Provinzen Argentiniens und den Rückzug des Staates aus der Finanzierung des Bildungs- und Gesundheitswesens angeordnet. Auch staatliche Universitäten wie die Nationale Universität für Kunst oder die Universität Buenos Aires sollen in Zukunft weniger Fördergelder bekommen. So werden immer weniger junge Menschen ihre Abschlüsse machen können, da sie sich das Studium nicht mehr leisten können. Diese Aussichten beunruhigen die Mitglieder der Casa Junín sehr, denn selbst vor Milei konnten einige von ihnen ihre Abschlüsse wegen fehlender finanzieller Mittel nicht machen. „Wie wird Argentinien sich verändern, wenn es nur noch wenigen wohlhabenden Menschen vorbehalten ist, zu studieren?“, fragt sich beispielsweise Lucía González de Azcuénaga.

Auch verschiedene Kunstinstitutionen stehen auf Mileis Abschussliste, darunter der argentinische Kulturfond, das nationale Theaterinstitut und das INCAA, Institut für Film und audiovisuelle Kunst. Das staatliche Ministerium für Kultur wurde bereits mit Amtsantritt der neuen Regierung am 10. Dezember 2023 auf den Rang eines Sekretariats degradiert. Der Theaterproduzent Leo Cifelli, der das neue Sekretariat anleitet, hat bereits angekündigt, dass das Budget für den Bereich nicht sehr groß sei. Darüber hinaus wurde die Verwendung von gendergerechter Sprache im öffentlichen Dienst verboten. Auch das INADI, Argentiniens Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, wurde aufgelöst. Milei rechtfertigt die Maßnahmen mit anderen Prioritäten: „Wir können nicht so ein Institut betreiben, während Kinder auf der Straße hungern müssen“, so Argentiniens Präsident. Das mag logisch klingen, wäre da nicht Mileis Doppelmoral. So unterschrieb er zur gleichen Zeit ein Dekret, das sein Gehalt um 48 Prozent erhöht. Bei Nahuel Raiman der Casa Junín stoßen Entwicklungen wie diese auf Entsetzen: „Es ist ja verständlich, dass irgendwo gekürzt werden muss. Aber gerade in den Bereichen, die als Sprachrohre für die breite Gesellschaft fungieren? Es sagt doch schon alles, dass er sich trotz Argentiniens prekärer wirtschaftlicher Lage die eigenen Taschen vollmacht.“

Neben den Streichungen für die Universitäten und den Kulturbereich sollen künftig auch öffentliche Fernsehkanäle wie Pakapaka wegfallen. Pakapaka ist ein Kanal für Kinder, der nicht nur Unterhaltung, sondern auch Bildungsinhalte anbietet. In dem Programm gibt es beispielsweise eine Serie, die historische Persönlichkeiten Argentiniens vorstellt. Noch steht der Kanal kostenfrei für alle Bürger*innen zur Verfügung. Doch sollten Fernsehkanäle wie dieser bald wegfallen, dann geht Argentiniens Medienvielfalt auch im TV-Bereich verloren. Übrig bleiben Kanäle im Besitz privater Unternehmen und damit einer kleinen Gruppe von Menschen, die ähnliche Ansichten teilen und zu den Privilegiertesten des Landes gehören. Eine unabhängige Fernsehlandschaft wird damit unwahrscheinlicher.

Wenig Raum für Optimismus

Doch es werden nicht nur Menschen aus dem Kunst- und Kulturbereich den Preis für Mileis Maßnahmen zahlen müssen. Am Ende leiden alle Argentinier*innen unter den Kürzungen im Namen der Sparpolitik. Denn sobald kein Geld mehr in Kultur und öffentliche Bildungsarbeit investiert wird, fällt diese kulturelle Bildung in die Eigenverantwortung der Menschen. Die Kürzungen werden zwar auch den kulturellen Betrieb in der Metropole Buenos Aires stark verändern und beeinträchtigen, jedoch bleiben dort zahlreiche Möglichkeiten für die Stadtbewohner*innen, sich miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Ganz anders sieht es in den ländlichen Regionen aus. Dort gibt es von vornherein deutlich weniger Angebote. Dazu kommt die erschwerte Vernetzung über weite Distanzen, die eine Kollektivierung, zumindest außerhalb der virtuellen Welt nicht leicht macht. „Solche Ausblicke lassen wenig Raum für Optimismus“, meint Agustín Pecile, denn „Kultur ist Geschichte und Identität; jene Dinge, die ein Land ausmachen, die es einzigartig machen. Ohne all das ist die ganze nationale Identität in Gefahr.“

Auf den Straßen von Buenos Aíres Bisher noch Raum für Austausch zwischen Kulturschaffenden und Stadtbewohner*innen (Foto: Casa Junín)

Gefahr ist auch auf den Straßen Argentiniens deutlich zu spüren. Bei vielen friedlichen Demonstrationen und Kundgebungen kommt es immer öfter auch zu gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstrant*innen. Wie auch bei einem Protest vor wenigen Wochen, der vor dem Kino Gaumont in Buenos Aires stattfand. Er richtete sich gegen die Definanzierung des Instituts für audiovisuelle Kunst und Kino, das das Kino betreibt. Die Polizei setzte Tränengas gegen die protestierenden Kulturschaffenden und Studierenden ein, um den Protest aufzulösen. Wie schon so oft drohte das Sicherheitsministerium zudem damit, denjenigen, die an den Protesten teilnehmen, die Sozialleistungen zu streichen. Die Protestierenden sehen das als Form der Erpressung und des Missbrauchs.

Was dem Kollektiv der Casa Junín jedoch am meisten Angst macht, ist nicht der Präsident selbst, sondern die Menge an Menschen, die hinter seinen Maßnahmen stehen und ihn in seinen Vorhaben unterstützen. Bei Lucía González macht sich das Gefühl breit, dass „viele der Bürger*innen Argentiniens genug davon haben, Bürger*innen Argentiniens zu sein. Wenn sie lieber Milei zujubeln, während er stolz herumposaunt, wie er die Kultur unseres Landes zerstören wird, und damit prahlt, Argentinien zu den nächsten USA oder dem nächsten Deutschland machen zu wollen, dann stimmt das einen schon sehr nachdenklich.“

Wie die Zukunft der Kultur in Argentinien aussieht, bleibt ungewiss. Für die Filmwelt ist weiterhin mit Bewegtbild aus Argentinien zu rechnen – jedoch nicht immer aus eigener Produktion, meinen die Künstler*innen von der Casa Junín. Oft kämen ausländische Filmproduktionen aus der ganzen Welt nach Argentinien, um dort in der Natur zu drehen. Denn das Land bietet mit mehreren Klimazonen und diversen Landschaften – von subtropischen Wäldern und Graslandschaften bis hin zu Gletschern – viele verschiedenen Kulissen. Dies sei nicht nur attraktiv für großen Filmproduktionen. Auch der Staat verdient daran mit. Um die eigenen Filme steht es jedoch kritischer. Viele Argentinier*innen konnten sich vor Mileis Regierungszeit an Instituten wie das INCAA wenden und dort Förderungen für ihre Ideen beantragen. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Die Casa Junín schlussfolgert: „Kino und Kunst werden bald von Leuten bestimmt werden, die die finanziellen Mittel dazu haben. Durch die Kürzungen versucht man, die Menschen, die diese Mittel nicht haben, zum Schweigen zu bringen.“


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Mit vereinter Faust gegen die Kettensäge

Para leer en español, haga clic aquí.

Vor Kurzem hat sich der Tag des Militärputsches in Argentinien zum 48. Mal gejährt. In welchem politischen Kontext wurde in diesem Jahr der Opfer der Diktatur gedacht?
Wir beobachten mit Schrecken, dass die Regierung einige Errungenschaften der 1980er Jahre, darunter den demokratischen Grundkonsens, wieder über den Haufen werfen möchte. Dazu gehört auch das Bekenntnis zum Nunca Más („Nie wieder”). Sehr besorgt hat uns, dass eine Vertreterin der H.I.J.O.S., der Vereinigung der Kinder von Verschwundenen, zwei Tage vor dem Gedenktag am 24. März darüber berichtete, dass sie in ihrem Haus überfallen und mit einer Waffe bedroht wurde. Es ist unglaublich, dass Menschen, deren Familienangehöre verschwundengelassen wurden, nach 48 Jahren so etwas erleben müssen. Zurückgekommen ist auch die Diskussion darüber, ob es 30.000 Verschwundene waren oder nicht.

Wie geht ihr damit um?
Ich denke, auf solche Diskussionen müssen wir uns nicht einlassen. Stattdessen sollten wir das Menschenrechtsthema wieder mehr mit der Frage verbinden, für welches Projekt die Diktatur stand, nämlich für ein ungleiches, ungerechtes und gewaltvolles Land. Der Großteil der Verschwundengelassenen waren doch Arbeiter*innen! Diese Erfahrungen von Ausbeutung, Armut und Geschlechterungleichheit müssen wir wieder zum verbindenden Element machen. Damit die Menschen verstehen, dass Milei nicht für unsere Interessen einsteht. Und doch hat ihn die Klasse der Arbeiter*innen gewählt. Wir müssen also viel reden, Geduld haben und aktiver sein als je zuvor.

Poder Popular gibt es seit knapp zwei Jahren. Auf welchen Ebenen seid ihr aktiv?
Wir arbeiten zum Beispiel in Selbstverwaltungsstrukturen in den Stadtvierteln. Es gibt dort weiterführende Schulen, Kantinen und Gemeinde- zentren, in denen wir uns für bessere Wohnbedingungen engagieren. Außerdem sind wir mit Genoss*innen in gewerkschaftlichen Organisationen aktiv und kämpfen dort für bessere Arbeitsbedingungen, aber auch für demokratischere Gewerkschaften und versuchen, feministische Themen einzubringen. Dann gibt es noch Genoss*innen, die im Kulturbereich aktiv sind, zum Beispiel in unabhängigen Theatern, und natürlich auch an den Universitäten und in ökologisch-sozialistischen Kämpfen.

Was hat sich an eurer Arbeit verändert, seit Milei Präsident ist?
Wir leben schon seit Jahren in einer Wirtschaftskrise mit hoher Inflation, das macht uns das Leben als Aktivist*innen nicht leicht. Wenn man mehrere Jobs hat, um zu überleben, wird es schwierig. Seit Dezember 2023 erleben wir nicht nur eine Verschärfung dieser Krise, sondern auch noch einen repressiven Alltag: Viele Genoss*innen sind bei den Demos Opfer von Repression geworden und müssen sich jetzt vor Gericht verantworten, weil sie für den Schutz natürlicher Ressourcen, bessere Löhne oder gegen die Beschneidung ihrer Rechte demonstriert haben. Manche haben sogar ihren Job verloren.

Welche Probleme erlebt ihr in der Arbeit in Stadtvierteln und Gewerkschaften am häufigsten?
Mileis Regierung hat uns alle in eine prekäre Lage gebracht. Mit dem Ministerium für Humankapital zum Beispiel wurden viele frühere Ministerien zu Ämtern heruntergestuft, was dazu führt, dass alles lahmliegt. Diese Lähmung führt dazu, dass die Kantinen in den Vierteln keine Ware mehr bekommen und nicht mehr für die Kinder kochen können. Und das in einem Land, in dem 41 Prozent der Bevölkerung in Armut leben und weitere 11,9 Prozent als Bedürftige gelten.
Außerdem wurden viele staatliche Beihilfen gestrichen – mit seltsamen, kaum nachvollziehbaren Argumenten. Das betrifft Menschen, die zum Beispiel die Straße reinigen oder in Kooperativen mitarbeiten und für diese Arbeit mit Beihilfen unterstützt wurden. Nun bekommen sie nichts mehr. Wir sind also auch in der Gewerkschaftsarbeit mit der staatlichen Lähmung konfrontiert. Sie geht mit dem einher, was Milei die „Kettensäge“ nennt. Noch heute, Ende März, warten 70.000 Staatsangestellte auf die Nachricht, ob sie im April noch Arbeit haben oder nicht. Ihre Verträge waren im Dezember nur um drei Monate verlängert worden.

Mit dem Generalstreik am 24. Januar hatten die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ja schnell auf drastische Maßnahmen wie diese reagiert…
Ja, das war der schnellste Generalstreik, den die Gewerkschaft CGT jemals einer neuen Regierung entgegengesetzt hat, nach nur eineinhalb Monaten an der Macht. Das zeigt, in was für einer konfliktiven Lage wir uns befinden. In Argentinien gibt es zurzeit zwei wichtige Player, die den Widerstand auf die Beine stellen: die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen. Wir sind in beiden aktiv. Bei den sozialen Bewegungen gibt es jetzt – und das ist neu – eine Einheit der peronistisch-populistischen Linken und dem Teil der radikalen Linken, der nie für eine bestimmte Regierung stand.

Wie erklärt ihr euch, dass Milei in der argentinischen Bevölkerung noch immer viel Zustimmung erfährt?
Eine Regierung wie die von Milei wächst nicht auf der Oberfläche und wird auch nicht allein im Netz berühmt. Sie wurzelt tief in der immer schlechteren wirtschaftlichen Lage und erklärt sich außerdem durch die desaströsen Vorgänger­regierungen. Ich denke, nach der Pandemie leben die Menschen unter so schlechten Bedingungen, dass sie tatsächlich glauben: Wenn ich jetzt noch ein bisschen etwas opfere, wird es bald besser.
Außerdem sind Mileis Medienberater natürlich sehr gut darin, Verwirrung zu stiften, Falschinformationen und Propaganda zu streuen. Es gibt Maßnahmen, die die Bevölkerung im Allgemeinen gutheißt, darunter die Deckelung der Gehälter für Abgeordnete und Senator*innen. Die verdienen viel mehr als der Durchschnittsbürger. Solche Maßnahmen gegen die „Kaste”, wie Milei sie schimpft, und die Folgen der Vorgängerregierungen – insbesondere des Kirchnerismus – führen zu dem, was Nancy Fraser progressiven Neoliberalismus nennen würde: Sobald das Leben mit immer mehr Entbehrungen einhergeht, heißt es, das läge am Staat. Natürlich sagen die Leute dann: „Wenn das der Staat ist, dann weg damit!”

Mit welchen Strategien geht ihr gegen solche Diskurse und Maßnahmen vor?
Wir glauben, die wichtigste Strategie ist der Aufbau einer Einheitsfront mit vereintem Programm, Kandidat*innen und Sprecher*innen. Gleichzeitig finden wir es aber wichtig, weiterhin ohne Angst vor der Repression auf die Straße zu gehen. Wir müssen sichtbar machen, dass unfair ist, was hier passiert und dass nicht wir, die Leute aus den Stadtvierteln, die nichts zu Essen haben, die „Kaste” sind. Stattdessen versuchen wir zu entlarven, dass Mileis Wirtschaftsprogramm vor allem dem Großbürgertum in die Karten spielt. Denn während Milei sich über die „Kaste” beschwert, könnten die strategischen Firmen, die er mit dem Omnibus-Gesetz zu privatisieren versucht, am Ende in den Händen seiner Freunde landen.
Wir müssen also die Räume, die wir schon haben, weiter aufbauen und mit Inhalten füllen. Wir müssen jetzt dort sein, wo die Menschen sind – mehr denn je. Wir müssen wieder Verbindungen knüpfen: zwischen Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Frauen und Queers. Nur so können wir diesen Maßnahmen mit vereinter Faust entgegentreten.

Welche Rolle spielt dabei die feministische Bewegung?
Die Feminismen sind zurzeit permanenten Angriffen auf die Errungenschaften der vergangenen Jahre und ihre Rechte ausgesetzt, darunter das weltbekannte Recht auf Abtreibung. Der Diskurs der Regierung verwehrt Frauen ihre Rechte, zum Beispiel, indem Hausfrauen jetzt keinen Anspruch mehr auf ihre Rente haben. Ganz zu schweigen davon, wie Milei zum Recht auf die eigene Geschlechtsidentität oder jenem gegen sexualisierte Gewalt steht. Genauso wie andere rechte Politiker*innen weltweit hat er sich die feministische Bewegung als Feind ausgesucht, als Sündenbock, der für all unser Unglück verantwortlich sein soll.
Ich denke, der Feminismus muss jetzt Brücken bauen und vor allem jene Menschen ansprechen, die noch nicht verstanden haben, warum Identitätspolitik so wichtig ist und wie wenig sie den Staat am Ende kostet. Als vor vier Jahren die Abtreibung legalisiert wurde, dachten wir, dass sich manche Diskussionen erledigt hätten. Etwa jene, dass es für den Staat viel billiger ist, Abtreibungen zu gewährleisten, damit all jene Frauen, die illegal abtreiben, nicht medizinisch behandelt werden oder sterben müssen. Offensichtlich steht das nun wieder in Frage. Deshalb müssen wir mehr an die Basis gehen und erklären, warum es hier auch um Klassenfragen geht.
Dafür finde ich es wichtig, den Strafdiskurs beiseite zu lassen, den der Feminismus irgendwann entwickelt hat und der uns sehr geschadet hat. Wir müssen für einen Queerfeminismus kämpfen, der nicht ständig Menschen beschuldigt und verfolgt, die im riesigen Universum des Feminismus anders über bestimmte Themen denken. Stattdessen sollten wir uns jetzt überlegen: Was ist es, das wir nicht bereit sind zu verlieren?

Wie blickst du auf die nächsten Wochen?
Ich glaube an unsere Leute und an die Fähigkeit, uns zu organisieren. Wir haben eine Diktatur überlebt, eine komplett unfähige neoliberale Regierung wie die von Carlos Saúl Menem, eine Wirtschaftskrise im Jahr 2001, also werden wir auch das hier schaffen. Dafür müssen wir unsere Strukturen der Teilhabe wiederbeleben und es schaffen, Macht von unten aufzubauen.
Eine Sache möchte ich noch sagen: Die Welt sollte unbedingt wissen, dass viele Dinge, die in Argentinien passieren, nicht in den großen Medien auftauchen. Es ist also wirklich wichtig, diese Nachrichten weiterzutragen. So fühlen auch wir uns nicht allein.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Der Omnibus fährt gegen die Wand

Ein gigantischer Löwe hockt auf einem Käfig. Davor, auf dem Kongressplatz, eine riesige Menschenmenge, die Argentinienflaggen schwingt. Als Bildunterschrift ein Ausschnitt der argentinischen Nationalhymne: „Hört, ihr Sterblichen, den heiligen Schrei: Freiheit, Freiheit, Freiheit!“ Dieses KI-generierte Bild postete Javier Milei am 1. Februar auf Instagram. Seine Reaktion auf die starken Proteste am Vortag ist für viele ein Symbolbild für die Befreiung des argentinischen Volkes. Für andere hingegen steht es für die zunehmende Repression. Denn auf dem Bild verlässt die Menschenmasse den Käfig nicht, sondern läuft in diesen hinein.

Am 31. Januar kam es in Buenos Aires zu Demonstrationen vor dem Kongressgebäude gegen das „Omnibus-Gesetz“, das im Kongress intensiv debattiert wurde. Die Einsatzkräfte gingen dabei mit Gewalt gegen die Demonstrant*innen vor, es kam zu tumultartigen Szenen.

Im Kongress ist Milei mit seinem „Omnibus-Gesetz“ vorerst gescheitert. Das zum Ende „nur noch“ 386 – zu Beginn waren es 664 – Artikel umfassende Vorhaben sah Änderungen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen von Wirtschaft über Soziales bis zur Justiz vor. Durch den im Gesetzespaket enthaltenen Ausruf des Notstandes bis Dezember 2025 hätte es zu einer weiteren Machtkonzentration beim Präsidenten geführt. Nach dem Scheitern des Vorhabens twitterte Milei: „Die Kaste stellt sich gegen das Volk.“ Dazu veröffentlichte er eine Liste mit den Namen der Abgeordneten, die gegen das Paket gestimmt hatten. Dazu der Hinweis: „Das Präsidialamt weist auf den Verrat an seinen Wählern hin.“

Trotz Sommerpause – die offizielle Legislaturperiode beginnt am 1. März (nach Redaktionsschluss) – wurde das Gesetzespaket verhandelt, begleitet von sozialen Protesten. Diese hatten ihren bisherigen Höhepunkt neben dem 31. Januar mit dem Generalstreik am 24. Januar. Gewerkschaftsführer Pablo Moyano hat bereits angekündigt, dass der nächste Generalstreik „unmittelbar bevorstehe“. An den Protesten teilzunehmen, ist allerdings nicht ungefährlich. Sicherheitsministerin Patricia Bullrich lässt mit „harter Hand“ durchgreifen. Diese besteht primär aus dem Einsatz von Gummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfern. Bei den Ausschreitungen am 31. Januar wurden der Journalist*innen-Gewerkschaft zufolge 35 Journalist*innen und noch weitaus mehr Demonstrant*innen verletzt.

Alejandro, überzeugter Peronist und bereits im Rentenalter, sieht neben der Gewalt noch einen weiteren Grund dafür, dass die Proteste noch nicht die Dimensionen erreichen wie zu früheren Zeiten in Argentinien. Viele aus seinem Bekanntenkreis seien der Meinung, dass nur „arme Menschen“ auf die Straße gehen. Dieser Gruppe möchte niemand angehören.

Die Armutsrate steuert allerdings auf die 60 Prozent zu. De facto ist derzeit also ein Großteil der Argentinier*innen arm. Bei einer Inflationsrate von 254 Prozent im Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat sinkt die Kaufkraft immer weiter, da die Gehälter nicht im gleichen Maße stigen. Der frühere General und Präsident Juan Perón beschrieb das Phänomen zu Lebzeiten mit den Worten: „Die Löhne gehen die Treppe rauf, die Preise nehmen den Aufzug.“

Nicht nur in Buenos Aires regt sich Widerstand. Eine Gruppe patagonischer Gouverneure droht, die Lieferung von Erdöl und Erdgas an andere Landesteile zu stoppen. Die sechs für Erdöl- und Erdgasförderung bekannten Südprovinzen reagieren damit auf eine Ankündigung von Wirtschaftsminister Luis Caputo. Der hatte verkündet, Zahlungen an die Provinz Chubut aus Bundessteuern zu stoppen, um ausstehende Schulden der Provinz gegenüber dem Staat zu begleichen. Auch die nordwestliche Provinz La Rioja rebelliert. Sie kündigte an, eine cuasimoneda („Quasiwährung“) einzuführen. Beim sogenannten Bocade handelt es sich faktisch um einen Schuldschein, mit dem vor allem die Gehälter der Staatsangestellten bezahlt werden sollen. Auch La Rioja begründet sein Vorgehen mit dem Ausbleiben von Zahlungen der Zentralregierung, weshalb man sich anders behelfen müsse. Die Lage erinnert stark an die Staatspleite 2001, als es ebenfalls zahlreiche „Quasiwährungen“ gab.

„Die Löhne gehen die Treppe rauf, die Preise nehmen den Aufzug“

Trotz der sich vertiefenden sozialen Krise und aller Probleme steht noch immer ein Großteil der Argentinier*innen hinter Milei, der einen Achtungserfolg verbuchen konnte. Im Januar wies Argentinien das erste Mal seit August 2012 einen Haushaltsüberschuss vor. Dass ein solcher über eine Dekade lang kein einziges Mal erwirtschaftet wurde, zeigt, welch schweres Erbe die Regierung Milei antrat.

Das Defizit abzubauen war nur durch große Einsparungen und den Abbau des Staatsapparats möglich. Zuletzt wurde angekündigt, das Nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (INADI) zu schließen. Das geht allerdings nur per Gesetz mit Mehrheit im Kongress. Die Schließung schlägt in die gleiche Kerbe wie viele weitere Maßnahmen. Von Milei und vielen weiteren wird das gerne als „Gnocchis loswerden“ beschrieben. Traditionell werden im von italienischer Einwanderung geprägten Land am 29. eines jeden Monats Gnocchis gegessen. Wird der Begriff allerdings auf Staatsangestellte bezogen, sind mit Gnocchis diejenigen gemeint, die nur einmal im Monat (oder im Februar auch mal gar nicht) arbeiten.

Unterstützung erhält Milei vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Argentinien, mit 44 Milliarden US-Dollar Hauptschuldner der Washingtoner Finanzinstitution, wird eine weitere Kredittranche in Höhe von 4,7 Milliarden Dollar ausgezahlt bekommen, obwohl wichtige Ziele des Programms nicht erreicht worden seien. Für das Land machte der Exekutivrat des IWF eine Ausnahme. Die Frist zum Erreichen der Ziele wurde bis Ende des Jahres verlängert, die Kredittranche sofort.

Neben der innenpolitischen Situation wurden auch Mileis Auslandsbesuche genau beäugt. Gegenüber China und Brasilien, den wichtigsten Handelspartnern Argentiniens, zeigte er sich bisher pragmatischer als es nach seinen verbalen Ausfällen im Wahlkampf zu erwarten gewesen war. Mit US-Außenminister Antony Blinken führte er „produktive Gespräche“ in Buenos Aires, in Washington tauschte er mit Donald Trump ein schnelles „Make Argentina Great Again“ aus. Eine weitere Reise führte den Präsidenten nach Israel, inklusive Emotionsausbruchs an der Klagemauer. An seiner Loyalität gegenüber der Ukraine, Israel, den USA und auch der EU lässt er keine Zweifel.

Auf all seinen Flügen war Milei getreu seinem Motto „No hay plata“ („Es gibt kein Geld“) in Linienmaschinen unterwegs. Auch nach Deutschland wurde er bereits eingeladen, allerdings vom deutschen Libertären und Werteunion-Mitgründer Markus Krall. Hier soll er die Hayek-Medaille entgegennehmen.

Tatsache ist: Mileis Politik zeigt Wirkung. Der Haushalt konnte schneller stabilisiert werden als erwartet, während die soziale Misere im Land immer dramatischer wird. Der Widerstand organisiert sich ebenfalls. Auf der Straße wird mobilisiert, der Kongress beugt sich Milei nicht und auch die im föderalen Argentinien bedeutsamen Gouverneure formieren sich als Opposition. Alejandro resümiert kritisch: „Milei hat angekündigt, die Kaste bezahlen zu lassen, aber in Wirklichkeit bezahlen gerade die Armen.“ Und es gibt jede Menge offener Rechnungen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Warten auf das Schockprogramm

„Es gibt kein Geld“ Javier Milei setzt auf neoliberalen Kahlschlag (Foto: Martin Ling)

„Machen Sie sich Sorgen, dass Milei die Motorsäge ansetzt?“ Die Antwort seines Rivalen Sergio Massa um die Präsidentschaft Argentiniens in einem Meme fiel lakonisch aus: „Mit welchem Benzin denn?“ Diese Frage stellte sich jedoch nur während der kurzzeitigen Versorgungskrise mit Benzin auf der Zielgeraden zur Stichwahl am 19. November. Inzwischen haben sich die Schlangen an den Tankstellen längst wieder gelichtet und es gibt wieder hoch subventioniertes Benzin für rund 30 Eurocent den Liter bei Super. Selbst der Liter Milch ist mit rund 35 Eurocent ein wenig teurer, bei den von der Mitte-links-Regierung vorgegebenen subventionierten Mindestkontingenten, mit denen die Grundversorgung der ärmeren Bevölkerung zu tragbaren Preisen gesichert werden soll. Kaufen kann diese Milch freilich jeder und jede, solange die Vorräte reichen. Auch die hoch subventionierten Strom-, Gas- und Wassertarife und der preisgünstige öffentliche Nahverkehr kommen bisher allen Argentinier*innen zu Gute. Den Ärmeren hilft das, mit der hohen Inflation von über 140 Prozent im Jahr 2023 halbwegs klarzukommen, wenn wenigstens ein Teil der Grundbedürfnisse vom Staat subventioniert wird. Und Arme gibt es in Argentinien mehr als genug: Laut der jüngsten Anfang Dezember veröffentlichten Erhebung des Observatorio de la Deuda Social (ODSA-UCA) der katholischen Universität von Buenos Aires leben mehr als 44,7 Prozent der Gesamtbevölkerung entlang oder unterhalb der Armutsgrenze – und unter den Kindern unter 17 Jahren sind es gar 62,9 Prozent.

An Benzin wird es Milei sicher nicht fehlen, um mit seiner „Motorsäge“, mit der er seine Strukturanpassungspolitik symbolisiert, an den Subventionen anzusetzen oder auch an den Ministerien, wo er im Wahlkampf getönt hatte, acht von 18 Ministerien zu streichen, nicht zuletzt progressive wie das Ministerium für Umwelt und nachhaltige Entwicklung oder das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität. Wie radikal er seine Ankündigungen versuchen wird, umzusetzen, ist die offene Frage, auf deren Antwort die Argentinier*innen gespannt, aber bisher noch weitgehend gelassen, warten. Schließlich hat Milei sein Amt zum Redaktionsschluss noch gar nicht angetreten. Die Präsidentenschärpe bekam er erst am 10. Dezember – am Tag der Menschenrechte – umgelegt.

Am 11. Dezember 2023 wollte Milei dann loslegen. Einen seiner Vorsätze, der ihm viel Zuspruch gebracht hat, hat er schon gebrochen: Aufzuräumen mit dem politischen Establishment, mit der Kaste. Längst kursieren Memes mit „Die Kaste hat einen Job“, die Mileis Wahlkampfslogan „Die Kaste hat Angst“ verspotten. Und auch diese Memes beruhen auf Tatsachen: Milei hat bei der Bildung seines Kabinetts auf jede Menge etablierte Politiker*innen zurückgegriffen. So nominierte er als Sicherheitsministerin mit Patricia Bullrich seine Konkurrentin aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Die längst rechtsgewendete Bullrich war in den 1970er Jahren Mitglied der peronistischen Jugendbewegung, was Milei im Wahlkampf zum Anlass nahm, sie als Montonera-Mörderin, die Bomben in Kindergärten gelegt hätte, zu verunglimpfen. Die Montoneros waren eine linksperonistische Stadtguerilla. Es gibt bisher keinen Beleg, dass Bullrich da mitgemischt hätte, sie selbst dementiert den Vorwurf. Bomben in Kindergärten waren auch nicht der Ansatz der militanten Montoneros. Von der „Bombenlegerin“ zur Sicherheitsministerin ist ein steiler Aufstieg in der Wertschätzung des künftigen Präsidenten. Auch mit der Wahl des Wirtschaftsministers zeigte Milei, wie wenig ernst es ihm mit seinem angeblichen Ansinnen ist, mit dem politischen Establishment aufzuräumen. Seine Wahl fiel auf Luis Caputo, der genau wie Bullrich zur Kaste, aber entscheidender zur neoliberalen PRO-Partei von Expräsident Mauricio Macri (2015-2019) gehört. Der bekommt seine Unterstützung in der Stichwahl nun vergolten, indem Milei Macri-Parteigänger in wichtige Kabinettspositionen hievt.

Seit 2021 läuft eine Klage gegen den Exbanker von JP Morgan und Deutsche Bank, der in der Ära Macri zuerst Finanzminister und später kurz Chef der argentinischen Zentralbank war. Die Gerichte untersuchen, ob es unter seiner Führung im Finanzministerium bei dem 2018 beim IWF beantragten Rekordkredit über 57 Milliarden Dollar „betrügerische Verwaltung und Betrug an der öffentlichen Verwaltung“ gegeben habe. Eine interne Untersuchungskommission des IWF kam Ende 2021 zu dem Schluss, dass der Kredit gemessen an den eigenen, üblichen Vergabekriterien eine Fehlentscheidung gewesen sei. Dasselbe lässt sich über Caputos Wahl zum Finanzminister sagen.

An Benzin wird es Milei sicher nicht fehlen

Es war Caputo, der der Begleichung der illegitimen Schulden gegenüber den Geier-Investitionsfonds zustimmte, die im Stile von Geiern nach der Staatspleite 2002 auf dem Sekundärmarkt Schuldentitel zum Schrottwert von teils zehn Cent pro Dollar aufgekauft und dann nach US-amerikanischem Recht auf den vollen Nominalwert geklagt hatten: auf Renditeansprüche von teils mehr als 1.600 Prozent! Caputo stimmte der Begleichung der Schulden gegenüber den Geierfonds zu, um die Tür für internationale Kredite wieder zu öffnen und damit nichts anderes als einen neuen Verschuldungszyklus einzuleiten. Allein die neoliberale Regierung Macri hatte 2015 bis 2019 rund 100 Milliarden Dollar an neuen Auslandsschulden aufgenommen, die sich Ende 2022 auf 277 Milliarden Dollar beliefen. Und um den Staatshaushalt zu finanzieren, gab Caputo neue, über 100 Jahre laufende Staatsanleihen aus. Ausgerechnet Caputo soll nun die Staatsfinanzen sanieren, wie Milei es versprochen hat.

Stagflation ist das Schlimmste aller Wirtschaftsszenarien

Milei hat Anfang Dezember ein wenig konkreter gemacht, woran er ansetzen will. Sicher ist, dass die Abschaffung des argentinischen Pesos zugunsten des Dollars erstmal auf die lange Bank geschoben wird. Auch dafür bedürfte es als Voraussetzung hunderter Milliarden US-Dollars, die das Land nicht hat. „Es gibt kein Geld“, bringt es Milei, der erste Ökonom, der in Argentinien zum Präsidenten gewählt wurde, auf den Punkt.

Der ultrarechte Milei setzt offensichtlich auf die neoliberalen Rezepte aus dem Washington Consensus, den die US-Regierung, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank Ende der 1980er Jahre den verschuldeten Ländern des Globalen Südens als Entwicklungsblaupause auferlegten: Privatisierung, Liberalisierung und Defizitreduzierung.

Zu Entwicklung im Sinne von Armutsbekämpfung und sozialem Ausgleich hat der Washington Consensus nirgendwo geführt, sondern stattdessen die Krisen verschärft, weshalb er inzwischen selbst von IWF und Co. nicht mehr offen propagiert wird. Milei hat dennoch vor, die Staatsausgaben massiv zu senken und beispielsweise das öffentliche Bauwesen auf Null herunterzufahren und ansonsten zu privatisieren, was zu privatisieren geht.

Direkt am Tag nach seinem Wahlsieg vom 19. November kündigte er die Privatisierung von Staatsbetrieben und dem öffentlichen Rundfunk an. „Alles, was in den Händen des privaten Sektors sein kann, wird in den Händen des privaten Sektors sein.“ Unter anderem will er den staatlichen Energiekonzern YPF, das öffentliche Fernsehen und Radio sowie die amtliche Nachrichtenagentur Télam privatisieren. Dass der Aktienkurs von YPF daraufhin um 43 Prozent in die Höhe schoss, kam nicht von ungefähr, der Konzern ist wertvolles Tafelsilber, das einst schon von Carlos Menem (1989-1999) an den spanischen Konzern Repsol verscherbelt und später von der Regierung Cristina Kirchner 2008 teuer rückverstaatlicht wurde. YPF verfügt über die Rohstoffe der Vaca Muerta (Tote Kuh), eine Region, die sich über die Provinzen Neuquén, Río Negro, La Pampa und Mendoza erstreckt. Dort befindet sich eines der weltweit größten Vorkommen von nicht-konventionellem Öl und Gas. Gefördert werden sie seit 2013 mit der aus Umweltgründen hoch umstrittenen Fracking-Methode. „Wenn Exportbeschränkungen, Kapitalkontrollen, Energiepreiskontrollen und Infrastrukturbeschränkungen vollständig aufgehoben werden, könnte Vaca Muerta bis 2030 zusätzliche 40 Prozent bei den Rohöl- und 30 Prozent bei den Erdgasvolumina produzieren“, schreiben die Analysten Ford Tanner und Pedro Martínez von der Kreditrating-Agentur S&P_Global Ratings. Die Gläubiger*innen sind sich sicher, dass sich in Argentinien somit weiter Schulden zu Lasten der Bevölkerung eintreiben lassen.

Milei hat auch in Aussicht gestellt, die staatlichen Subventionen für öffentliche Verkehrsmittel, Gas, Wasser und Strom zu kürzen. Wie tief die Einschnitte werden, lässt er noch offen. Direkte soziale Hilfen für die armen argentinischen Haushalte bekundete er inzwischen, will er nicht antasten. Rund 36 Prozent der argentinischen Haushalte sind auf irgendeine Art von Unterstützung vom Staat angewiesen, um ihre Grundbedürfnisse decken zu können. 2010 lag die Zahl bei 24,4 Prozent. Ohne die Hilfsprogramme würden heute 49 Prozent der Bevölkerung in Argentinien arm sein, heißt es in dem ODSA-UCA Bericht.

Milei stellt den Argentinier*innen eine harte Zeit des Übergangs in Aussicht: „Es wird zu einer Stagflation kommen, denn die Umstrukturierung der Finanzen wird sich negativ auf die Wirtschaftstätigkeit auswirken.“ Stagflation ist das schlimmste aller denkbaren Wirtschaftsszenarien, die Preise steigen weiter, die Wirtschaftsleistung geht zurück und damit die Arbeitslosigkeit hoch, die derzeit offiziell nur bei gut sechs Prozent liegt.

„Wir werden uns gegen Milei wehren müssen“

Für ein wenig Entlastung könnte die Landwirtschaft sorgen. Nach der katastrophalen Dürre in der vergangenen Saison steht nun eine gute Ernte bei Soja, Mais und Weizen bevor, die Milliarden Dollar in die schwindsüchtigen Kassen spülen könnte. Doch viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein wird es nicht sein, nachdem 2023 ein Einnahmenausfall von 20 Milliarden Dollar in der Agrarwirtschaft verzeichnet werden musste. Der Agrarsektor steht für rund zwei Drittel der Deviseneinnahmen, während die Petrochemie rund um das Fracking bisher nur auf zehn Prozent kommt. Auf diese beiden Säulen weiter zu setzen, ist einer der wenigen Punkte, in denen sich Massa und Milei einig waren, letzterer freilich will nicht nur dort die rohen Marktkräfte walten lassen.

„Wir werden uns gegen Milei wehren müssen“, sagt Dorián am Wahlabend sichtlich konsterniert, als Sergio Massa noch vor der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses seine Niederlage eingesteht. Über 14,5 Millionen Argentinier*innen und damit 56 Prozent haben für den Wandel und somit für den ultrarechten Javier Milei votiert. Dorían und seine Freundin Alejandra gehörten nicht dazu. Sie gehören zu den vielen Millionen nicht reicher Argentinier*innen, die am stärksten unter der kommenden Strukturanpassung zu leiden haben werden.

Argentinien steht ein Experiment mit großen Risiken für den Zusammenhalt der Gesellschaft bevor. Milei, der sich selbst in seiner Siegesrede als liberal-libertär bezeichnete, wird die Motorsäge ansetzen. Wie radikal ist die Frage, denn im Parlament ist er selbst mit seinem Bündnispartner, der Macri-Partei PRO, weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Und die Straße weiß, was auf dem Spiel steht und wird sich melden. Wenn Milei seine Vorschläge der sozialen Kürzungen umsetzt, sind eskalierende Armut und soziale Proteste gleichermaßen sicher.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Der Löwe ist auf dem Sprung

Inszenierung als Gegner des Establishments Milei hat die Nase voll von den “bürokratischen Faulpelzen” (in Argentinien ñoquis genannt) (Foto: Marcus Christoph)

„Wenn ihr mir 20 Jahre gebt, sind wir Deutschland. Wenn ihr mir 35 Jahre gebt, sind wir die Vereinigten Staaten.” Javier Milei, der sich selbst als Löwe und König einer verlorenen Welt stilisiert, richtete sich mit dieser vollmundigen Ankündigung an die Zuschauer*innen bei der ersten Debatte der Präsidentschaftskandidat*innen. Diese fand am 1. Oktober in Santiago del Estero im Norden Argentiniens statt, am 8. Oktober soll (nach Redaktionsschluss) in Buenos Aires eine weitere folgen. Dass in Argentinien mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten, also mehr als acht Jahre ohne Unterbrechung, in der Verfassung für eine Präsidentschaft nicht erlaubt sind, dürfte dem 52-jährigen Anarcho-Kapitalisten Milei egal sein. Ähnlich wie der Autokrat Najib Bukele in El Salvador wird der derzeit für die ultrarechte La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran, LLA) im Abgeordnetenhaus sitzende Milei versuchen, sich die Verfassung untertan zu machen, sollte er es in die Casa Rosada schaffen.

Beim ersten Wahlgang am 22. Oktober, bei dem es für die Präsidentschaft mehr als 45 Prozent der Stimmen oder mindestens 40 Prozent der Stimmen plus zehn Prozentpunkte Vorsprung bedarf, wird Milei der Sprung in die Casa Rosada, den Dienstsitz des argentinischen Präsidenten, laut Umfragen nicht gelingen. Ob bei einer Stichwahl am 19. November im zweiten Anlauf, steht in den Sternen. Ein am 1. Oktober von El País vorgelegter Querschnitt aus 18 Umfragen sieht Milei mit 35,3 Prozent vor dem Rechtsperonisten Sergio Massa mit 30 Prozent und der ehemaligen Innenministerin der rechten Regierung Macri, Patricia Bullrich, mit 25,9 Prozent. Weit abgeschlagen und ohne Chance auf die Stichwahl folgen der peronistische Gouverneur Juan Schiaretti aus Cordóba mit 3,4 und die trotzkistische Myriam Bregman mit 2,6 Prozent.

Diese Umfragen wurden allesamt vor dem Korruptionsskandal rund um Martín Insaurralde gemacht, der seit dem 30. September die Schlagzeilen beherrscht. Der bis dato Stabschef der peronistischen Regierung der Provinz Buenos Aires musste zurücktreten, nachdem eine Reihe von Fotos und Videos aufgetaucht war, auf denen er in Begleitung eines Models während eines Luxusurlaubs auf einer Yacht in Marbella zu sehen war. Laut seiner Steuererklärung ist Insaurralde arm wie eine Kirchenmaus. Von diesem Skandal profitiert Milei auf alle Fälle. Ob Massa auch zu Lasten von Bullrich deswegen Stimmen verliert, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Dass Milei Deutschland und die USA als Vorbild wirtschaftlicher Stärke nennt, hat einen Anflug von Größenwahnsinn angesichts der aktuellen Lage. Die wirtschaftliche Gegenwart ist düster und steht im Zentrum der politischen Auseinandersetzung im Wahlkampf, zumal mit Sergio Massa der seit Anfang August 2022 amtierende Minister für Wirtschaft, Produktion und Landwirtschaft selbst für das höchste Staatsamt kandidiert. Somit steht er in zentraler Mitverantwortung für die Inflation, die mit zuletzt 124,4 Prozent immer weitere Höhen erklimmt. Dasselbe gilt für die Armutsrate: Mehr als 40 Prozent der Argentinier*innen werden von der Statistikbehörde INDEC inzwischen als arm geführt — damit nähert sich die Zahl der größten Krise dieses Jahrhunderts an, als 2001/2002 mehr als die Hälfte aller Argentinier*innen in die Armut abrutschte. Damals gab es auf der Straße nur noch einen Slogan für die politische Klasse „Que se vayan todos“ (Alle sollen abhauen). An diesen knüpft Milei an, stellt sich als Außenseiter dar, der mit der „Politikerkaste“ samt Korruption und Vetternwirtschaft aufräumen will.

Gegenkandidat Sergio Massa gehört fraglos zum peronistischen Establishment. Der ehemalige Bürgermeister von Tigre war 2015 maßgeblich mitverantwortlich für die Spaltung des peronistischen Lagers, als er selbst neben der offiziellen Kandidatur von Daniel Scioli seinen Hut für die Präsidentschaft in den Ring warf und damit indirekt dem neoliberalen Mauricio Macri zum Sieg verhalf. 2019 gelang es dem amtierenden Präsidenten Alberto Fernández, Sergio Massa wieder mit ins peronistische Boot zu holen, wofür Massa als Gegenleistung den Vorsitz des Abgeordnetenhauses erhielt. Nun soll er im Namen der Peronisten für die Unión por la Patria (Union für das Vaterland, UxP) die Präsidentschaft holen.

Anfang August 2022 rückte Massa als Superminister ins Kabinett auf, mit dem Ziel, der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Das hat definitiv nicht geklappt. Die Wirtschaft stagniert, während die Preise steigen und der Wert des Peso immer weiter verfällt. Massa kündigte zuletzt erneut Maßnahmen an, die die Auswirkungen der Inflation abmildern sollen. Beispielsweise wurde ab September die Mindestrente auf umgerechnet rund 230 Euro erhöht und die Bezieherinnen staatlicher Renten und Pensionen erhalten für die drei Monate September, Oktober und November Zuschläge von rund 100 Euro monatlich.

Argentiniens Arme und große Teile der Mittelschicht gehen weiter schweren Zeiten entgegen

Die Spielräume für Massa sind eng, weil über allem die Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) steht. Diese sieht vor, das primäre Haushaltsdefizit – also ohne Einberechnung des Schuldendienstes – 2023 auf 1,9 Prozent zu senken und bis 2024 auszugleichen. Argentinien liegt dabei nicht auf Kurs, bekam aber vom IWF Ende August trotzdem eine neue Tranche von 7,5 Milliarden US-Dollar bewilligt, die in den Schuldendienst fließt und somit die Zahlungsunfähigkeit verhindert. Einerseits zeigte der IWF Verständnis, dass Argentinien die Ziele wegen des massiven Einbruchs bei den Agrarexporten wegen der langanhaltenden Dürre nicht einhalten konnte, andererseits gab es die neue Finanzspritze nur gegen neue Auflagen. Unter anderem müssen die Energietarife weiter angehoben werden und der Erhöhung von Pensionen und Gehältern wurden enge Grenzen gesetzt, die im letzten Maßnahmenpaket mit den dürftigen Erhöhungen sichtbar wurden. Immerhin wurden die Ausgaben von Sozialprogrammen dieses Mal nicht direkt vom IWF-Rotstift getroffen.

Massa ging in der Fernsehdebatte auf den IWF ein. Er räumte zwar eigene Fehler ein, lastete die Hauptverantwortung an der argentinischen Misere aber der Vorgängerregierung von Mauricio Macri (2015-2019) an, weil sie das Land unverantwortlich verschuldet habe. 2018 wurden Macri vom IWF auf Empfehlung von Donald Trump dubioserweise 57 Milliarden Dollar zugesagt, um mit besseren Karten in den Wahlkampf 2019 ziehen zu können. Abgewählt wurde er trotzdem und eine interne Untersuchungskommission des IWF kam Ende 2021 zu dem Schluss, dass der Kredit gemessen an den eigenen, üblichen Vergabekriterien eine Fehlentscheidung gewesen sei. Schon nach der Vereinbarung mit dem IWF hatte Massa verkündet: „Wir haben einen großen Schritt gemacht, um die Hypothek, die Mauricio Macri Argentinien hinterlassen hat, abzuarbeiten, aber sie besteht weiterhin. Argentinien wird erst wieder autonom sein, wenn wir uns ihrer entledigt haben.” Bei der Fernsehdebatte kritisierte er, dass der IWF die Wirtschaftspolitik diktiere.

Der selbsterklärte „Marktanarchist“ Javier Milei ist bereits mit dem IWF im Austausch über seine radikalen Liberalisierungs- und Deregulierungsvorhaben. „Wir haben vereinbart, dass die IWF-Analysten uns ihre Arbeitspapiere zur Verfügung stellen werden,“ sagte Milei nach einem ersten virtuellen Treffen. Milei will im Falle seiner Präsidentschaft in den ersten 100 Tagen die Dollarisierung der Wirtschaft in Gang setzen und deshalb die Zentralbank abschaffen, den Wechselkurs freigeben und die Exportsteuern abschaffen. Wie im Chile Pinochets (1973-90) ist Milton Friedman, nach dem auch einer der fünf Hunde Mileis benannt ist, und seine ultraliberale Chicagoer Schule das theoretische Referenzmodell. Grundstein des Plans, den Mileis Wirtschaftsteam ausarbeitet, ist ein Währungsstabilitätsfonds, der die Verbindlichkeiten der staatlichen Banken während der Schocktherapie abdecken soll. Der Fonds soll mindestens 26 Milliarden US-Dollar umfassen und in einem Finanzplatz außerhalb Argentiniens eingerichtet werden, um potenzielle Anlegerinnen mit Rechtssicherheit im Falle eines Zahlungsausfalls zu locken. Als Sicherheiten für die Investmentfonds sind die Schuldverschreibungen der Regierung gegenüber der Zentralbank und der Rentenkassen vorgesehen.

Mileis Wirtschaftspläne sind Zukunftsmusik, von der nicht klar ist, ob sie je gespielt wird. Es ist indes kein Zufall, dass in seinem Wirtschaftsteam sich mit Roque Fernández just der ehemalige Chef der argentinischen Zentralbank (1991-1996) befindet, der in der neoliberalen Ära von Carlos Menem (1989-1999) schon einmal das Ansinnen einer totalen Dollarisierung Argentiniens verfolgte und damals am Widerstand des IWF scheiterte.

Mileis wirtschaftspolitische Ausrichtung ähnelt der ultraliberalen in der Zeit von Menem, der dem rechten Flügel der Peronisten angehörte. Damals wurde zeitweise der Peso fix an den Dollar gebunden und damit zwar die Inflation gebrochen, aber um einen hohen Preis. Die Überbewertung des Pesos zerstörte die Wettbewerbsfähigkeit großer Teile der argentinischen Industrie, Hunderttausende verloren ihre Jobs, die Staatsverschuldung explodierte und mündete zwei Jahre nach dem Abgang von Menem in die tiefe Krise 2001/2002.

Wie auch immer die kommenden Präsidentschaftswahlen in Argentinien ausgehen werden und wer auch immer dann am 10. Dezember 2023 den Staffelstab von Alberto Fernández übernimmt: Argentiniens Arme und große Teile der Mittelschicht werden weiter schweren Zeiten entgegen gehen. Für den Fall, dass wirklich Milei das Ruder übernimmt und seine Vorschläge der sozialen Kürzungen umsetzt, sind eskalierende Armut und soziale Proteste gleichermaßen sicher. Auf alle Fälle sicherer als seine Wahl zum Präsidenten.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Newsletter abonnieren