RINGEN UM DAS MENSCHENRECHT AUF WASSER

Omar Flores kämpft für die gesetzliche Verankerung des Menschenrechts auf Wasser (Foto: Tobias Lambert)

Im Jahr 2010 haben die Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser anerkannt. Was tut El Salvador, um den flächendeckenden Zugang zu sauberem Trinkwasser zu gewährleisten?
Der Staat kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Das Parlament hat sich bislang geweigert, ein Gesetz zu verabschieden, welches das Menschenrecht auf Wasser ausdrücklich anerkennt. Stattdessen haben die rechten, konservativen Parteien ab 2016 versucht, das Trinkwasser zu privatisieren. Sie bedienen damit ausschließlich die Interessen des Unternehmerverbandes ANEP, der hinter der Initiative steht.

Von 2009 bis 2019 regierte in El Salvador die linke „Befreiungsbewegung Farabundo Martí“ (FMLN). Wieso war es nicht möglich, das Menschenrecht auf Wasser in dieser Zeit gesetzlich zu verankern?
Die FMLN hatte zu keinem Zeitpunkt eine parlamentarische Mehrheit und musste daher Kompromisse mit der rechten Opposition aushandeln. Es gab in den letzten Jahren mehrere Gesetzesvorlagen zum Thema Wasser, unter anderem von der FMLN, der kritischen Zivilgesellschaft und dem Unternehmerverband ANEP. Von den 84 Abgeordneten müssten einem Gesetz mindestens 43 zustimmen. Momentan hätten wir 23 bis 24 Stimmen zugunsten des Menschenrechts auf Wasser. Aber auch die Privatisierung konnte nicht durchgesetzt werden.

Wenn es im Parlament seit Jahren eine rechte Mehrheit gibt: Woran sind die Privatisierungstendenzen gescheitert?
Am Widerstand der Bevölkerung! Zahlreiche soziale Bewegungen und Organisationen mobilisierten dagegen, es bildeten sich breite Bündnisse wie zum Beispiel die Allianz gegen die Privatisierung des Wassers. Die Politiker machten einen Rückzieher, weil sie Angst davor hatten, dass eine Privatisierung des Wassers sie Wählerstimmen kosten könnte. Das Thema ist jedoch nicht vom Tisch. Eine Privatisierung würde die ohnehin schon bestehenden Bedrohungen für sauberes Trinkwassers weiter verschärfen.

Welche Bedrohungen sind das?
Zum einen der Abbau von Edelmetallen. Zwar ist dieser in El Salvador seit 2017 verboten. Doch gibt es noch giftige Rückstände in stillgelegten Minen und auf der anderen Seite der Grenze in Guatemala die Mine „Cerro Blanco“, die direkt den wichtigsten salvadorianischen Fluss, den Río Lempa, gefährdet. Weitere Bedrohungen entstehen durch Monokulturen von Zuckerrohr, zu deren Bewässerung die großen Unternehmen massiv Wasser aus Flüssen oder aus dem Boden abpumpen. Hinzu kommen die aufgrund schwacher Umweltgesetzgebung verbreitete Entwaldung für Agrar- und Holzwirtschaft sowie die Folgen des Klimawandels. Dadurch verliert der Boden seine Fähigkeit zur Speicherung von Wasser. Außerdem entstehen neue Wohnkomplexe im Luxusbereich mit Golfplätzen, die enorme Wassermengen verschlingen, damit der Rasen grün bleibt. Gleichzeitig haben viele Menschen in El Salvador weder Zugang zu angemessenem Wohnraum noch zu sauberem Trinkwasser.

Wie ist die Situation für die Menschen konkret?
Laut offiziellen Zahlen haben 88 Prozent aller Salvadorianer Zugang zu Trinkwasser, darunter 95 Prozent in urbanen, aber nur 77 Prozent in ländlichen Gebieten. Das heißt jedoch nicht, dass sie Wasser über die Leitung beziehen. Die Zahl umfasst auch den Zugang über Lastwagen, Brunnen oder Flüsse, aus denen Wasser in Kanister abgefüllt wird, vor allem auf dem Land. Viele Familien müssen bei privaten Lieferanten bis zu fünf US-Dollar täglich für Wasser bezahlen. Und das bei einem Mindestlohn, der in ländlichen Gebieten gerade einmal 250 Dollar beträgt.

Wie ließe sich der Zugang zu Wasser gerade auf dem Land verbessern?
Auf kommunaler Ebene sind in den vergangenen Jahren mehr als 2.000 selbstverwaltete Wassersysteme entstanden, die über eine Million Menschen versorgen. Das heißt, nicht der Staat, sondern engagierte Menschen vor Ort bohren Brunnen und kümmern sich gemeinschaftlich um die Instandhaltung. Auch forsten sie jeweils die Gebiete drum herum auf, damit der Boden das Wasser besser speichert. Immer wieder gibt es aber Konflikte mit Politikern, Bürgermeistern zum Beispiel, die sich einzelne Wassersysteme aneignen und diese kontrollieren wollen, um sie als ihren eigenen Verdienst darzustellen. Und wir kämpfen weiterhin dafür, das Menschenrecht auf Wasser gesetzlich zu verankern. Durch eine Volksbefragung im Landkreis Suchitoto konnten wir im Oktober vergangenen Jahres einen ersten Erfolg verzeichnen.

Über was genau wurde in Suchitoto abgestimmt?
Die Frage lautete, ob in diesem Landkreis das Menschenrecht auf Wasser offiziell festgeschrieben werden soll oder nicht. Über 97 Prozent stimmten mit ja, auch das notwendige Quorum von mindestens 40 Prozent Wahlbeteiligung wurde deutlich überschritten. Damit ist die Verwaltung des Landkreises Suchitoto nun dazu verpflichtet, das Menschenrecht auf Wasser anzuerkennen und die Politik im gesamten Landkreis darauf auszurichten. Wir haben vor Ort eine lebhafte Kampagne geführt, an der sich viele soziale Organisationen, Studierende und kulturelle Gruppen beteiligt haben. Dadurch konnten wir das Thema bekannter machen und die Menschen sensibilisieren. Wir wollen dies in anderen Orten wiederholen, um auch auf die Politik auf zentralstaatlicher Ebene den Druck zu erhöhen, das Menschenrecht auf Wasser umzusetzen.

Seit Juni vergangenen Jahres ist die neue Regierung unter dem früheren FMLN-Politiker Nayib Bukele im Amt. Wie positioniert sich der Präsident zum Menschenrecht auf Wasser?
In der Vergangenheit pflegte Bukele einen Diskurs, der nah bei den sozialen Organisationen war, er sprach sich sogar dafür aus, das Menschenrecht auf Wasser gesetzlich zu verankern. Die politische Praxis hingegen weist in die andere Richtung, hier können wir keine fortschrittliche Haltung erkennen. Als eine seiner ersten Handlungen als Präsident forderte Bukele das Umweltministerium dazu auf, Umweltverträglichkeitsprüfungen, die bei bestimmten Bauprojekten vorgeschrieben sind, viel schneller durchzuführen. Die langen Genehmigungsverfahren würden die Privatwirtschaft ausbremsen. Dadurch schwächt der Präsident aber den Umweltschutz, was auch weitere negative Auswirkungen auf das Wasser haben könnte. Insgesamt gibt es momentan keine kohärente Wasserpolitik.

AVOCADOS IN DER WÜSTE

Hier wächst kaum noch etwas Die Provinz Petorca leidet unter Wassermangel (Foto: Viola Güse)

Wasser plätschert auf den Boden, der Duft vertrockneter Erde und von der Sonne verbrannter Pinienzapfen liegt in der Luft. Eine Frau wässert die Pflanzen im Schulhof. Ein Pavillon spendet wenige Quadratmeter ersehnten Schatten in der trockenen Hitze. Die Pflanzen, die sich durch die spröde, rissige Erdoberfläche gekämpft haben, saugen das spärliche Wasser auf. Einige grüne Blätter, Kakteen und die bunten Türen des Schulgebäudes bringen etwas Farbe in die wüstenähnliche Umgebung. Aktivistische Dorfbewohner*innen aus Guayacán, einem Ortsteil der Gemeinde Cabildo einige hundert Kilometer nördlich von Santiago de Chile, sind in der Schule zusammengekommen, um bei einer internationalen Gruppe Studierender auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Das Wasser ist knapp in ihrer Region, zumindest für die Bevölkerung. Bergbau und Agroindustrie florieren, während die dort lebenden Menschen um jeden Tropfen Wasser kämpfen müssen. Kämpferisch deklariert Rufino Hevia, Sprecher des Consejo de Defensa Territorial de Guayacán (Rat für die Verteidigung der Territorien Guayacáns): „Mobilisieren bedeutet mehr als auf die Straße zu gehen. Mit der ganzen Provinz Petorca, besonders den ländlichen Orten der Gemeinde Cabildo wollen wir einen gemeinsamen Plan erarbeiten, um den Wassermangel in all seinen Dimensionen zu bekämpfen, Forderungen zu stellen und Bedürfnisse zu artikulieren – aus eigener und gemeinschaftlicher Kraft.“

Der wasserintensive Anbau des Superfoods Avocado verschlimmert das eigentliche Problem

Der Weg nach La Ligua, der Hauptstadt der Provinz, ist gesäumt von weiten grünen Baumplantagen. Das Ausmaß der Wasserknappheit ist hier nicht zu erkennen. Die saftigen Blätter der Avocadobäume wiegen sich im Wind. Ein idyllischer Anblick, doch der Schein trügt. Sieht man auf die andere Seite der riesigen Anbaufläche, erstreckt sich dort ein langes, trist wirkendes Tal. Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass sich einst ein Fluss seinen Weg durch dieses trockene Stück Erde gebahnt haben muss. Noch vor zehn Jahren floss hier die Lebensquelle der Region, der Río Ligua. Von der mit ihm verbundenen vielfältigen Flora und Fauna sind nur noch Überbleibsel zu erkennen. Der zweite Fluss in der Provinz, der Río Petorca, ist schon seit 1997 ausgetrocknet. Fragt man die Bewohner*innen von La Ligua, bekommt man immer wieder eine ähnliche Antwort: „Ich kann mich noch erinnern, als ich als Kind hier war. Die Leute trafen sich zum Baden, machten Picknick.“ Die Jüngsten kennen den „Fluss“ oft gar nicht mehr in dieser Form.

Um dramatischen Entwicklungen wie dieser auf den Grund zu gehen, muss man einige Jahrzehnte zurückblicken. Der Código de Agua, ein Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur unter Pinochet (1973-90), gab dem Staat das Recht, Wasserrechte gratis an private Interessent*innen zu vergeben. Diese können seitdem mit Wasser handeln wie mit einer Ware. Wie so viele Überbleibsel aus der Diktatur begünstigt das Gesetz nur wenige Großunternehmer*innen. Besonders Indigene und die bäuerliche Bevölkerung leiden unter dieser Machtverteilung. Neben der Agrar- und Bergbauindustrie im Norden Chiles erzeugt die Forstwirtschaft sogar im feuchteren Süden ähnliche Probleme. Am Ende liegt die Wurzel der Probleme, wie so oft in Chile, im extrem neoliberalen Wirtschaftssystem, das fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. Das Absurde ist, dass das chilenische Entwicklungsmodell, das seit der Diktatur verfolgt wird, ungeachtet der sozialen und ökologischen Schattenseiten, einigen anderen lateinamerikanischen Ländern als Vorbild dient.

Für ein Kilo Avocados werden ca. 1.000 Liter Wasser benötigt

Aktuell liegen sowohl die Wasserrechte zur Stromversorgung als auch die konsumtiven – also die Rechte für das Wasser, das verbraucht wird – fast komplett in der Hand weniger riesiger nationaler und internationaler Unternehmen. Besonders gravierend ist dabei, dass mehr als 80 Prozent des Trinkwassers von der Agrar-industrie verbraucht werden und nur weniger als fünf Prozent für den menschlichen Konsum bestimmt sind. Neben vieler anderer Rohstoffe wird so auch das Grundrecht auf den Zugang zu Wasser zum Spielball marktgesteuerter Interessen und die Trinkwasserversorgung in Chile zur teuersten Lateinamerikas.

„Es ist ein Problem der politischen Strukturen. Seit der Diktatur gab es keinen Wandel. Dieses diktatorische System hat das komplette freiheitliche Grundprinzip, das wir hatten, zerstört, frei zu denken, sich frei zu organisieren“, bedauert Nibaldo Yturrieta, Mitglied des Rates zur Verteidigung der Ländereien von Guayacán (Consejo de Defensa Territorial de Guayacán).

Unternehmen zapfen das wertvolle Grundwasser illegal über unterirdische Leitungen  an

Obwohl der Großteil der Wasserressourcen in Petorca ohnehin in der Hand der Großproduzent*innen liegt, ist der Durst der Pflanzen und der Minen nicht gestillt. Über unterirdische Leitungen zapfen die Unternehmen illegal das wertvolle Grundwasser an. Die chilenische Bevölker­ung profitiert nicht von den immensen Gewinnen der oft transnationalen Konzerne. Europäische Konsument*innen sind jedoch Nutznießer*innen dieses Systems. Beispielsweise exportierten chilenische Produzent*innen 2016 mehr als 58.000 Tonnen Avocados nach Deutschland. Für ein Kilo – etwa zweieinhalb Früchte – werden circa 1.000 Liter Wasser benötigt. Im Vergleich dazu: Für die Produktion eines Kilos Tomaten braucht man circa 180 Liter. Der wasserintensive Anbau des gefeierten Superfoods verschlimmert so noch einmal das eigentliche Problem.

Abgesehen von den extremen Auswirkungen auf die Umwelt, sind die sozialen Folgen gravierend. In der gesamten Provinz verloren mehr als 7.000 Kleinbauern und -bäuerinnen ihre Existenzgrundlage. Teilweise muss die Bevölkerung über Lastwagen mit Trinkwasser versorgt werden. Die Wasserqualität ist fragwürdig und die Kosten für die Verbraucher*innen immens.

Die politischen Kräfte sehen, wie in vielen anderen Regionen, die Lösung im Bau eines Stausees. Dabei bekämpfen sie jedoch nur die Symptome, nicht die Ursachen. Die Trockenheit ist nicht das ursprüngliche Problem. Nicht ein Stausee wäre die richtige Reaktion, sondern die Überführung des Wassers in öffentliche Hand. Der Bau führt weniger zu einer Umwälzung der Eigentumsverhältnisse als zu zahlreichen weiteren Schwierigkeiten.

Ein Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur gab dem Staat das Recht, Wasserrechte gratis an private Interessent*innen zu vergeben

Direkt auf dem Gebiet von Guayacán soll der Stausee Los Ángeles entstehen. Mindestens 34 Familien müssen dafür umgesiedelt werden. Die Kommunikation mit den Betroffenen seitens des Bauministeriums ist dabei miserabel. Die Menschen sind besorgt, weil nicht einmal ein endgültiger Ort feststeht, an dem sie zukünftig wohnen können. Rufino Hevia bemängelt: „Wir wurden überhaupt nicht in den Prozess miteinbezogen, nur formelle Versammlungen haben stattgefunden. Niemals wurden wir nach unseren Visionen und Vorschlägen für die Lösung der Wasserproblematik gefragt, geschweige denn über die Auswirkungen des Projekts informiert.“ Er sieht den sozialen und kulturellen Verlust, der seiner Gemeinde bevorsteht, in der Geschichte des Stauseebaus in Chile bestätigt. In ihrer Manifestation hat der Rat niedergeschrieben: „Wir werden nicht die Kosten einer landwirtschaftlichen Entwicklung tragen, die nur den großen Plantagen nützt.“

Auf nationaler Ebene sind winzige Fortschritte im Streit um die Wasserrechte, wie deren Reform in der ersten Legislaturperiode Michelle Bachelets 2005, seit dem Regierungswechsel im März hinfällig. Damals wurde der Einzug des Patents und eine Strafzahlung eingeführt, falls die Erwerber*innen des Rechts keine Projekte zur Lösung des Wasserproblems durchführen. Viele der Zertifikate waren dennoch von der Regelung nicht betroffen. Nun kündigte Juan Andrés Fontaine – Bauminister der neuen Regierung unter Sebastián Piñera – an, den Verfall der Wasserrechte wieder auszusetzen. Er sieht die Aufgabe des Staates darin, „die Bedingungen zu erfüllen, damit der Markt in effizienter Weise funktioniert. Unsere Diskrepanz mit der vorgeschlagenen Reform liegt darin, dass die Rechte bestimmten Nutzen zugewiesen sind. Wir denken, dass diese zur freien Verfügung stehen sollten.”

Zwei Drittel der Einwohner*innen haben kein fließendes Wasser

Aus der Opposition kam Kritik. Die Senatorin Adriana Muñoz von der sozialdemokratischen PPD findet den Vorschlag absurd: „Es gäbe keinerlei öffentliche Kontrolle über die Nutzung der Wasserrechte. Der Gebrauch ist dann willkürlich von Seiten des Eigentümers und die Regierung distanziert sich davon, dass Wasser ein nationales Gut für den allgemeinen Gebrauch ist.“ Auch die Einwohner* innen Guayacáns sehen seitens der aktuellen Regierung keine Hilfe bei der Wasserfrage. Patricio Estrella, Direktor der Schule in Guayacán, die gleichzeitig als Versammlungsort für die Aktivist*innen dient, sagt: „Gerade ist alles paralysiert.

Das Vertrauen in die Politik ist ohnehin verschwunden. Teilweise profitieren die Politiker*innen nicht nur indirekt von den Regelungen, sondern sind direkt involviert. Der Fall des Ex-Ministers Edmundo Pérez Yoma von der Christdemokratischen Partei (DC) beispielsweise sorgte für einen Skandal. Gemeinsam mit vier weiteren Unternehmern wurde er 2015 des Wasserraubes angeklagt. Statt der ihm zustehenden 100 bepflanzbaren Hektar, hatte er 500 Hektar Land bewirtschaftet. Infolge der Intensivlandwirtschaft werden vielfach Anbauflächen genutzt, die eigentlich nicht zu diesem Zweck geeignet sind und deshalb die Wasserbeschaffung erst notwendig machen. Rodrigo Román, Anwalt der Nichtregierungsorganisation Defensoría Popular, sieht darin „das nationale Epizentrum des Wasserraubes.“ Während zwei Drittel der Einwohner*innen kein fließendes Wasser haben, zapft die Avocadoindustrie es illegal ab.

Teilweise sind Politiker*innen direkt in den Wasserraub involviert

Rodrigo Sánchez Villalobos, der Bürgermeister von La Ligua, bemängelt jedoch die mangelnde rechtliche Verfolgung, die Großproduzent*innen wenig schmerzt. „Die Gesetzgebung ist ziemlich mild, weil man zwar bestraft wird, jedoch einfach mit der illegalen Extraktion weitermachen kann. Wenn man eine Anbaufläche von 100, 200 Hektar hat, zahlt man die Strafe und macht weiter wie bisher oder kann die Plantage sogar noch ausbauen.“

Ähnliche Probleme gibt es auch mit dem Bergbau in der Region. Die Kupfermine Cerro Negro in Cabildo erweitert seit Jahren ihre Schlackeseen, vergiftet so die umliegende Natur und ist zudem maßgeblich an der Planung des Stausees beteilgt, der ihr die nötige Energie liefern soll. Entschädigungsangebote sind meist nur hohle Phrasen. „Diese Mine ist sehr ausgebufft, eine dreckige Mine. Sie spalten unsere Gemeinde und bieten uns alles Mögliche an. In dieser Schule wollten sie Fenster bauen, den Hof und den Weg pflastern und einen Internetzugang installieren. Das ist nie passiert. Und die wenigen Erfolge, die man sehen kann, sind nur unter dem Druck unserer Gemeinschaft zustande gekommen. Wir möchten eine Schule, einen Kindergarten von ihnen, eine soziale Struktur. Wasser, damit die Leute dauerhaft versorgt sind – das wäre angemessen. Wir möchten einen Brunnen für die landwirtschaftliche Bewässerung, denn wir können hier nichts anbauen, weil der Staat uns weder einen Brunnen noch einen Wasserspeicher für dauerhafte Wasserzufuhr ermöglicht. Durch unseren Druck haben sie nun zumindest angefangen, einen Speicher für 11.000 Liter Wasser zu bauen. Wenigstens etwas…“, meint Rufino Hevia.

Yturrieta gibt die Hoffnung nicht auf. Obwohl ihn schon so viele Regierungen enttäuscht haben, die wenn überhaupt nur leere Versprechungen gegeben haben, wird er Geduld haben und auf kommunaler Ebene bis zur nächsten Wahl weiterkämpfen. „Wir können ein besseres Chile erlangen, ein Chile, wie wir es möchten. Ich hoffe, dass Frente Amplio (2017 gegründetes Linksbündnis, Anm. d. Autorin) ihre Arbeit fortsetzt. Und, dass sie dieses Thema einbringen.“

Am 21. April gingen wieder zahlreiche wütende Bürger*innen auf die Straße und zeigten mit lauter Musik, Trommelrhythmen und Sprechchören, dass sie nicht zum Schweigen zu bringen sind. „Wasser ist zum Leben und nicht für den Tod“, schallte es durch die sonnigen Straßen in und um Guayacán. Der Protestzug startete an der Schule. Die jüngsten Einwohner*innen sind von klein auf Teil des Kampfes. „Ríos libres, pueblos vivos“ (Freie Flüsse, lebendige Völker) und „Aguante Guayacán“ (Halte aus, Guayacán) war auf den Transparenten zu lesen. Das Thema betrifft weite Teile der Bevölkerung und schafft Solidarität im ganzen Land und über die Grenzen hinweg. Protestaktionen wie der Plurinationale Marsch für das Wasser und die Erde am 28. April fanden vom höchsten Norden bis in den Süden Chiles statt. In Santiago waren Partnerorganisationen aus Brasilien, Kolumbien, Bolivien und Peru dabei. Denn Wasser ist ein nicht nur physisches, sondern auch symbolisch essenzielles Grundrecht. Es ist untrennbar mit dem Ökosystem und der Kosmovision der darin lebenden Völker verbunden.

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