Aktuell | El Salvador | Nummer 550 – April 2020 – Onlineausgabe

RINGEN UM DAS MENSCHENRECHT AUF WASSER

Interview mit Omar Flores, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei der Studienstiftung für angewandtes Recht (FESPAD) in El Salvador

Konservative und rechte Kräfte versuchen in El Salvador den Zugang zu Wasser zu privatisieren mit bereits verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Dem stehen allerdings erfolgreiche Kampagnen für die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser entgegen.

Interview: Tobias Lambert

Omar Flores kämpft für die gesetzliche Verankerung des Menschenrechts auf Wasser (Foto: Tobias Lambert)

Im Jahr 2010 haben die Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser anerkannt. Was tut El Salvador, um den flächendeckenden Zugang zu sauberem Trinkwasser zu gewährleisten?
Der Staat kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Das Parlament hat sich bislang geweigert, ein Gesetz zu verabschieden, welches das Menschenrecht auf Wasser ausdrücklich anerkennt. Stattdessen haben die rechten, konservativen Parteien ab 2016 versucht, das Trinkwasser zu privatisieren. Sie bedienen damit ausschließlich die Interessen des Unternehmerverbandes ANEP, der hinter der Initiative steht.

Von 2009 bis 2019 regierte in El Salvador die linke „Befreiungsbewegung Farabundo Martí“ (FMLN). Wieso war es nicht möglich, das Menschenrecht auf Wasser in dieser Zeit gesetzlich zu verankern?
Die FMLN hatte zu keinem Zeitpunkt eine parlamentarische Mehrheit und musste daher Kompromisse mit der rechten Opposition aushandeln. Es gab in den letzten Jahren mehrere Gesetzesvorlagen zum Thema Wasser, unter anderem von der FMLN, der kritischen Zivilgesellschaft und dem Unternehmerverband ANEP. Von den 84 Abgeordneten müssten einem Gesetz mindestens 43 zustimmen. Momentan hätten wir 23 bis 24 Stimmen zugunsten des Menschenrechts auf Wasser. Aber auch die Privatisierung konnte nicht durchgesetzt werden.

Wenn es im Parlament seit Jahren eine rechte Mehrheit gibt: Woran sind die Privatisierungstendenzen gescheitert?
Am Widerstand der Bevölkerung! Zahlreiche soziale Bewegungen und Organisationen mobilisierten dagegen, es bildeten sich breite Bündnisse wie zum Beispiel die Allianz gegen die Privatisierung des Wassers. Die Politiker machten einen Rückzieher, weil sie Angst davor hatten, dass eine Privatisierung des Wassers sie Wählerstimmen kosten könnte. Das Thema ist jedoch nicht vom Tisch. Eine Privatisierung würde die ohnehin schon bestehenden Bedrohungen für sauberes Trinkwassers weiter verschärfen.

Welche Bedrohungen sind das?
Zum einen der Abbau von Edelmetallen. Zwar ist dieser in El Salvador seit 2017 verboten. Doch gibt es noch giftige Rückstände in stillgelegten Minen und auf der anderen Seite der Grenze in Guatemala die Mine „Cerro Blanco“, die direkt den wichtigsten salvadorianischen Fluss, den Río Lempa, gefährdet. Weitere Bedrohungen entstehen durch Monokulturen von Zuckerrohr, zu deren Bewässerung die großen Unternehmen massiv Wasser aus Flüssen oder aus dem Boden abpumpen. Hinzu kommen die aufgrund schwacher Umweltgesetzgebung verbreitete Entwaldung für Agrar- und Holzwirtschaft sowie die Folgen des Klimawandels. Dadurch verliert der Boden seine Fähigkeit zur Speicherung von Wasser. Außerdem entstehen neue Wohnkomplexe im Luxusbereich mit Golfplätzen, die enorme Wassermengen verschlingen, damit der Rasen grün bleibt. Gleichzeitig haben viele Menschen in El Salvador weder Zugang zu angemessenem Wohnraum noch zu sauberem Trinkwasser.

Wie ist die Situation für die Menschen konkret?
Laut offiziellen Zahlen haben 88 Prozent aller Salvadorianer Zugang zu Trinkwasser, darunter 95 Prozent in urbanen, aber nur 77 Prozent in ländlichen Gebieten. Das heißt jedoch nicht, dass sie Wasser über die Leitung beziehen. Die Zahl umfasst auch den Zugang über Lastwagen, Brunnen oder Flüsse, aus denen Wasser in Kanister abgefüllt wird, vor allem auf dem Land. Viele Familien müssen bei privaten Lieferanten bis zu fünf US-Dollar täglich für Wasser bezahlen. Und das bei einem Mindestlohn, der in ländlichen Gebieten gerade einmal 250 Dollar beträgt.

Wie ließe sich der Zugang zu Wasser gerade auf dem Land verbessern?
Auf kommunaler Ebene sind in den vergangenen Jahren mehr als 2.000 selbstverwaltete Wassersysteme entstanden, die über eine Million Menschen versorgen. Das heißt, nicht der Staat, sondern engagierte Menschen vor Ort bohren Brunnen und kümmern sich gemeinschaftlich um die Instandhaltung. Auch forsten sie jeweils die Gebiete drum herum auf, damit der Boden das Wasser besser speichert. Immer wieder gibt es aber Konflikte mit Politikern, Bürgermeistern zum Beispiel, die sich einzelne Wassersysteme aneignen und diese kontrollieren wollen, um sie als ihren eigenen Verdienst darzustellen. Und wir kämpfen weiterhin dafür, das Menschenrecht auf Wasser gesetzlich zu verankern. Durch eine Volksbefragung im Landkreis Suchitoto konnten wir im Oktober vergangenen Jahres einen ersten Erfolg verzeichnen.

Über was genau wurde in Suchitoto abgestimmt?
Die Frage lautete, ob in diesem Landkreis das Menschenrecht auf Wasser offiziell festgeschrieben werden soll oder nicht. Über 97 Prozent stimmten mit ja, auch das notwendige Quorum von mindestens 40 Prozent Wahlbeteiligung wurde deutlich überschritten. Damit ist die Verwaltung des Landkreises Suchitoto nun dazu verpflichtet, das Menschenrecht auf Wasser anzuerkennen und die Politik im gesamten Landkreis darauf auszurichten. Wir haben vor Ort eine lebhafte Kampagne geführt, an der sich viele soziale Organisationen, Studierende und kulturelle Gruppen beteiligt haben. Dadurch konnten wir das Thema bekannter machen und die Menschen sensibilisieren. Wir wollen dies in anderen Orten wiederholen, um auch auf die Politik auf zentralstaatlicher Ebene den Druck zu erhöhen, das Menschenrecht auf Wasser umzusetzen.

Seit Juni vergangenen Jahres ist die neue Regierung unter dem früheren FMLN-Politiker Nayib Bukele im Amt. Wie positioniert sich der Präsident zum Menschenrecht auf Wasser?
In der Vergangenheit pflegte Bukele einen Diskurs, der nah bei den sozialen Organisationen war, er sprach sich sogar dafür aus, das Menschenrecht auf Wasser gesetzlich zu verankern. Die politische Praxis hingegen weist in die andere Richtung, hier können wir keine fortschrittliche Haltung erkennen. Als eine seiner ersten Handlungen als Präsident forderte Bukele das Umweltministerium dazu auf, Umweltverträglichkeitsprüfungen, die bei bestimmten Bauprojekten vorgeschrieben sind, viel schneller durchzuführen. Die langen Genehmigungsverfahren würden die Privatwirtschaft ausbremsen. Dadurch schwächt der Präsident aber den Umweltschutz, was auch weitere negative Auswirkungen auf das Wasser haben könnte. Insgesamt gibt es momentan keine kohärente Wasserpolitik.

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