EIN LEBEN IN WÜRDE
Utama zeigt, was der Klimawandel im Altiplano Boliviens mit Indigenen macht
(Quelle: Karios Filmverleih Göttingen)
Virginio und Sisa wohnen nach einem langen gemeinsamen Leben am Rande des bolivianischen Hochlands in einer einsamen Hütte, bestellen das Feld und hüten ihre Herde Lamas. Ihre traute Zweisamkeit ist jedoch bedroht: Die ohnehin karge Landschaft ist von einer Dürre geplagt, im ausgetrockneten Boden klaffen Risse, die Pflanzen verdorren und Sisa hat keine Kraft mehr, den weiten Weg bis zum Fluss zu gehen, um Wasser zu holen. Der Brunnen im nahen Dorf ist schon versiegt und selbst die Gletscher, die den Fluss speisen, verschwinden. Die meisten anderen indigenen Quechua aus der Gegend sind aufgrund der Perspektivlosigkeit bereits weggezogen. Als Clever, der Enkel der beiden, zu Besuch kommt, will er sie überzeugen, ihm ebenfalls in die Stadt zu folgen. „Und dort? Sollen wir auf den Märkten betteln gehen? Sollen wir Kartoffeln verkaufen? Uns von deinem Vater aushalten lassen?“, entgegnet ihm Virginio. Die Stadt bedeutet mehr Wohlstand und Bequemlichkeit, aber auch die Aufgabe von Lebensweise, Kultur und Sprache: Clever hat bereits kein Quechua mehr gelernt und spricht nur noch Spanisch. Für Virginio kommt es nicht in Frage, seine Heimat zu verlassen, denn in der Stadt wäre er nicht mehr er selbst. Dazu kommt: Virginio ist todkrank, was er aber seiner Frau verschweigt.
Alejandro Grisi hat mit Utama – Ein Leben in Würde seinen ersten Spielfilm vorgelegt und gewann damit bereits einige Preise, darunter den Grand Jury Prize des Sundance Film Festivals. Zuvor hatte der Regisseur lange als Fotograf, dann als Kameramann in Dokumentarfilmen gearbeitet. Mit Ausnahme von Clever werden alle Personen von Laien gespielt, die Darsteller von Virginio und Sisa sind auch im wahren Leben ein Paar.
Dass nur wenig an dem Film wie Fiktion wirkt, liegt daneben aber vor allem an seinem feinen Gespür für die Verletzlichkeit von Menschen, Natur und Kultur auf dem Land. In einer einprägsamen Szene debattieren die wenigen verbliebenen Dorfbewohner*innen, ob sie weiter ihrer Tradition treu bleiben, weiter für Regen beten und Opfer darbringen sollen, ob sie weiter darauf hoffen sollen, dass die Regierung mehr Brunnen bohrt, oder ob das alles keinen Sinn mehr hat.
Ähnliches dürfte sich seit Jahren in vielen Dörfern Lateinamerikas abspielen. Alternde Indigene auf dem Wind und Wetter ausgesetzten Altiplano – nicht zufällig erzählt der Film von besonders verwundbaren Menschen in einer besonders verwundbaren Landschaft und klagt auf diese Weise an, wie der Klimawandel die ohnehin vorhandene kulturelle Erosion noch beschleunigt. Sinnbild für die verschwindenden Kulturen ist dabei neben dem sterbenden Virginio der Kondor, der als Beschützer der Berge verehrt wird, aber als Aasfresser auch mit dem Tod assoziiert ist und gleichzeitig selbst vom Aussterben bedroht ist. Trotzdem endet der Film schließlich nicht ganz frei von Hoffnung.
Alejandro Loayza Grisi // Utama – Ein Leben in Würde // Kairos-Filmverleih // Bolivien 2022 // Quechua und Spanisch // 87 Minuten // Kinostart: 9. Februar