Gesang im Zeichen des Widerstands

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LEBENSRAUM UND KOSMOVISION

Auf Tour zur Unterstützung des Yasuní-Volksentscheids Manaí Prado, Ene Nemquino, und Dayuma Nango in Berlin (Foto: Leonard Mikolei)

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, mit uns zu sprechen. Könnt ihr uns ein wenig über euch erzählen?

Dayuma: Mein Name ist Dayuma Nango. Als Vizepräsidentin der Vereinigung der Waorani-Frauen von Ecuador, AMWAE, verteidige ich die Frauen und unseren Regenwald.

Ene: Mein Name ist Ene Nemquimo, Vizepräsidentin der Waorani-Nationalität Ecuadors (NAWE) und Verteidigerin unserer gemeinsamen Heimat. Im Moment bin ich eine politische Führungsperson, obwohl ich die Politik nicht mag. Aber um das Leben der Menschen und das Leben von Yasuní zu garantieren, muss ich mich positionieren, damit mich niemand mit Füßen treten kann.

Manaí: Mein Name ist Manaí Prado und ich komme aus Quito. Ich beschäftige mich seit etwa 11 Jahren mit dem Thema Yasuní, mehr oder weniger seit dem ersten Versuch des Volksentscheids im Jahr 2013. Zurzeit bin ich Teil der NGO Acción Ecológica (Ökologische Aktion) und arbeite auch an anderen Projekten in Zusammenarbeit mit Indigenen Organisationen im Regenwald und in den Anden. Ich bin Historikerin und studiere Soziologie.

Was bedeutet Yasuní für euch?

Ene: Yasuní ist für mich unsere gemeinsame Heimat, meine Welt, meine Kosmovision, er ist unser gemeinsames Zuhause.

Dayuma: Für mich ist Yasuní unser Leben, die Lunge der Welt. Der Ort mit der größten Artenvielfalt auf der Welt. Und genau dafür kämpfen wir.

Manaí: Yasuní steht für mich für das Leben und für einen jahrelangen Kampf. Er ist etwas sehr Wichtiges in meiner Geschichte, auch persönlich. Er steht für diesen ganzen Widerstand, aber vor allem für die Hoffnung.

Wie ist die Situation im Yasuní nach der Volksbefragung?

Ene: Die Menschen mit Interessen im Ölsektor sind diejenigen, die verlieren, wenn die Ölförderung im Yasuní gestoppt wird. Die westliche Welt, die Welt der Interessen, verliert. Deshalb drängen die Investoren und Maschinenbesitzer darauf, weiterzumachen. Wir haben aber auch eine interne Situation unter den Waoranis. Einige wollen, dass die Erdölförderung fortgesetzt wird. Sie sind sich nicht bewusst, welche Folgen das für ihren Lebensraum hat. Es gibt keinen angemessenen Wohnraum, keine Gesundheitsversorgung, keine gute Bildung. So kommen viele schon in jungen Jahren zum Alkohol, und dann wird alles nach und nach zerstört.

Wie sieht die Situation besonders für Kinder und Frauen aus?

Dayuma: Die Lage ist wirklich sehr schwer für die Frauen. Als AMWAE wollen wir sie unterstützen, damit sie sich selbst versorgen können. Wir haben jetzt einen Laden für unser Kunsthandwerk eröffnet, aber wir müssen diesen Laden weltweit sichtbar machen, damit es mehr wirtschaftliche Ressourcen für die Frauen gibt. Wir bringen Lebensmittelpakete und Medizinpakete in die Gemeinden, die lebensnotwendig sind, denn wir haben einige Anführerinnen, die an Krebs sterben, und die Kinder in unserem Gebiet leiden unter akuter Mangelernährung.

Was hat die ecuadorianische Regierung getan, seitdem ihr den Volksentscheid gewonnen habt?

Ene: Die Regierung hat mit den Ministern, sogar mit Petroecuador (staatliches Erdölunternehmen), eine Kommission gegründet, aber sie haben uns nicht eingeladen.

Wer ist Teil dieser Kommission?

Manaí: Das Komitee für die Ausführung des Volksentscheides zu Yasuní ITT besteht aus dem Ministerium für Umwelt, Wasser und Ökologische Transition, dem Ministerium für Energie und Bergbau, dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, dem Ministerium für Frauen und Menschenrechte und Petroecuador.

Mit anderen Worten, es gibt nur Mitglieder, die den Staat vertreten. Gibt es jemanden aus der Privatwirtschaft?

Manaí: Nein, auch keine Wissenschaftler*innen und keine Indigenen sozialen Organisationen.

Deshalb habt ihr im August 2024 den Internationalen Gipfel für den Yasuní organisiert?

Ene: Ja, und als wir gerade dabei waren, den Gipfel zu organisieren, rief uns der Geschäftsführer von Petroecuador an. Er sagte: „Wir wissen, dass ihr jetzt eure Stimme auf internationaler Ebene erhebt und den Gipfel abhalten werdet. Stattdessen schlage ich vor: Wir geben 50 Millionen an NAWE als Organisation. Ihr müsst nur unterschreiben. Aber bitte machen Sie diesen Gipfel nicht.“ Daraufhin sagte der Präsident der NAWE: „Vielen Dank, aber ich werde nicht alleine entscheiden. Wir sind ein Rat in der NAWE, in dem wir Entscheidungen im Konsens treffen.” Nach unserer Besprechung ging er dann nach Quito, um den Vertrag zu unterschreiben, den Petroecuador vorbereitet hatte.

Haben sie euch das Dokument vorher gegeben, damit ihr es sehen könnt?

Ene: Nein, sie haben ihm, wie auch in vorherigen Fällen, nur das letzte Unterschriftenblatt gegeben. Aber wir waren clever. Der Präsident der NAWE sagte: „Geben Sie mir den Entwurf. Wir werden ihn Absatz für Absatz mit unseren Anwälten lesen. Und dann werde ich ihn unterschreiben.“ Aber am Ende entschied er: „Wenn ich das unterschreibe, verkaufe ich das Leben von mehr als 4.000 Waorani. Ich beende unseren historischen Kampf. Viele von uns haben Verträge mit staatlichen Unternehmen unterzeichnet, die nicht erfüllt worden sind. Bis jetzt haben sie uns in Armut gelassen. Ich werde nicht unterschreiben.”

Daraufhin habt ihr dann den Gipfel organisiert. Wie ist es dort gelaufen?

Ene: Das Gipfeltreffen wurde von den Waorani mit dem Ziel organisiert, einen gemeinsamen Vorschlag auszuarbeiten. In diesem Rahmen haben wir sieben Thementische zusammengestellt: Einhaltung des Volksentscheids, nachhaltige Wirtschaft, territoriale Selbstbestimmung, Indigene Gemeinschaften in freiwilliger Isolation, Waorani Frauen und Jugend sowie strategische internationale Allianzen für Yasuní. Es kamen viele Verbündete. Jeder wählte einen Thementisch, und wir erarbeiteten verschiedene Vorschläge. Jetzt liegt die Zusammenfassung im Entwurf vor, und wir hoffen, sie bis Ende Januar fertig zu stellen, damit wir einen Aktionsplan haben. Welche Organisationen können mitarbeiten? Wie sollen die Mittel aufgebracht werden? Das Wichtigste ist, ein gutes Team zusammenzustellen.

Wie ist es für euch als Frauen, in Führungspositionen zu sein?

Dayuma: Wir sagen, genug mit dieser Art von Herablassung! Als meine Großmutter − Dayuma Kento − ihre Unterschrift vor 30 Jahren bei Repsol hinterließ, dachte sie, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung, eine gute Bildung und ein Zuhause haben würden. Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als meine Großmutter unterschrieb. Ich erinnere mich sehr gut daran: Sie sagte zu mir, „Liebling, ich habe unterschrieben und wir werden gut leben.” Ich glaube, dass wir Frauen heute sehen, wie sich die Ölgesellschaft über uns lustig gemacht hat. Jetzt haben wir unsere Stimme, um ihnen die Stirn zu bieten, um diese Dinge zu stoppen, diesen Schaden, den sie uns zugefügt haben.

Ene: Meine Amtszeit beträgt vier Jahre, es bleiben noch zwei Jahre. Danach möchte ich, so Gott will, Präsidentin der NAWE werden und zeigen, dass wir Frauen dazu fähig sind. Es geht auch darum, dass unsere Position und unsere Haltung respektiert wird. Wir können nicht von Gleichberechtigung sprechen, wenn eine Frau die Position der Präsidentin nicht erreicht, sondern Männer weiterhin dominieren. Die Tatsache, dass eine Frau Stellung bezieht, bedeutet nicht, dass die Männer außen vor bleiben, sondern, dass wir zusammen gehen. Aber wir sind auch in Gefahr. Trotzdem, bevor wir schweigen, ist es besser, die Stimme zu erheben.

Dayuma: Wir erhalten direkte Morddrohungen, weil wir gegen die Ölgesellschaft sind: „Wir werden dich zum Schweigen bringen, wir werden dich töten.” Aber ich werde nicht schweigen. Ich stamme aus einer Familie, die für ihr Territorium und für ein gutes Leben gekämpft hat. Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen, wir werden uns zusammenschließen und kämpfen, um voranzukommen.

Wie können wir von hier aus unterstützen?

Manaí: Ich denke, dass die konkretesten und dringendsten Bedürfnisse in Bezug auf die technischen Fragen bestehen, wie die Ölfelder geschlossen, wie sie gewartet werden, wie der Reparationsprozess durchgeführt werden soll. Und davon ausgehend brauchen wir natürlich auch Mechanismen, um die Einhaltung des Volksentscheides zu überwachen. Ich glaube nicht, dass es dafür notwendig ist, vor Ort präsent zu sein, sondern wachsam zu sein, um Druck auf den Staat auszuüben, also eher eine mediale und virtuelle Funktion. Es geht nicht darum, ob die Regierung ihn einhält oder nicht, denn sie müssen ihn einhalten, sondern wie sie es tun und wer daran beteiligt ist.

Was ist eure Vision für die Zukunft des Yasuní?

Ene: Meine Vision ist, dass Yasuní ein Ort des Friedens und der Harmonie wird. Dass Yasuní ein Beispiel auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene ist, dass ein Volk nach so vielen Kämpfen den eigenen Lebensraum genießen kann. Wir wurden mehrmals geschlagen, vergewaltigt und misshandelt. Es ist Zeit, dass wir uns ausruhen.

Manaí: Ich sehe Yasuní in der Zukunft als einen Ort, an dem diese Ungleichheit nicht existiert, an dem es eine staatliche Präsenz gibt, um die Rechte der Gemeinschaften zu garantieren, an dem das Leben der Indigenen Gemeinschaften von Yasuní angemessener und würdiger ist. Und ich sehe einen Yasuní, der wiederhergestellt wird.

Dayuma: Ecuador war im Kampf um den Yasuní geeint und wir haben gewonnen. Wir haben für das „gute Leben” gewonnen (El buen vivir ist ein Leitprinzip in Ecuadors Verfassung, Anm.d.Red.). Für unsere Kinder, für die kommenden Generationen. Und auch für unsere Brüder und Schwestern in freiwilliger Isolation, damit sie in Stille leben können, denn im Moment leiden sie unter viel Lärm. Es wird dieser Tag kommen, ohne Lärm, ohne Verschmutzung, ohne dergleichen und ihr unsere Heimat besuchen könnt, unser Land, die Lunge der Welt.


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ALLES FÜR LA NEGRA

Der Umweltaktivist Rubén Collío ist am 16. Februar 2022 bei einem Verkehrsunfall in der Nähe der chilenischen Stadt Villarica ums Leben gekommen. Sein Fahrzeug hatte sich auf einer Brücke überschlagen, Collío verstarb noch am Unfallort. Der Aktivist war über die chilenischen Landesgrenzen hinweg vor allem durch den Fall Macarena Valdés bekannt, auch die LN haben ihn mehrfach getroffen. Collíos Ehefrau, die Umweltschützerin Macarena Valdés, war im Jahr 2016 tot aufgefunden worden. Zuvor hatte sie sich gemeinsam mit Anwohner*innen gegen den Bau eines Kleinwasserkraftwerkes engagiert – ein Projekt des österreichischen Unternehmens RP Global und der chilenischen Firma Saesa (siehe LN 526).

Seit dem Tod von Valdés, die von Freund*innen und Angehörigen nur „La Negra“ genannt wurde, kämpfte Rubén Collío unermüdlich für Gerechtigkeit. Denn während die chilenische Justiz lange behauptete, Valdés hätte Suizid begangen, sprechen zahlreiche Beweise dagegen. Auch Angehörige gehen von Mord als Todesursache aus, Ninoska Pailaküra von der Koordinationsgruppe „Gerechtigkeit für Macarena Valdés“ beschreibt Valdés Tod als feminicidio empresarial, also „Feminizid durch die Hände eines Unternehmens“ (siehe LN-Dossier 18).

Über seinen Kampf für Gerechtigkeit sagte Collío einmal: „Ich könnte der Suche nach Gerechtigkeit für La Negra mein ganzes Leben widmen, sie wäre es wert. (…) Sie hat mir Leben gegeben, echte Liebe, echtes Lebensgefühl. Sie hat mir meine Kinder geschenkt. Und ich werde niemals aufwiegen können, was sie mir gegeben hat. Das ist keine Zermürbung, das ist Liebe. Es ist das Mindeste, was man für einen Menschen tun kann, der wirklich zählt. Und wir werden weitermachen, bis zum Schluss. Wir werden uns stärken und erneuern, bis wir das erreichen, was wir für gerecht halten.“ Collío hatte sich zuletzt um seine Kinder gekümmert und neben seinem Aktivismus als Goldschmied gearbeitet.

Im Fall von Collíos Tod hat die Staatsanwaltschaft nun standardmäßige Ermittlungen des tödlichen Unfalls eingeleitet und eine Autopsie in der Rechtsmedizin von Temuco angeordnet. Hinweise auf Fremdverschulden waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt.

Mapuche-Organisationen riefen noch am Tag seines Todes zu einer Veranstaltung zu Collíos Ehren auf. Sie versammelten sich am Gebäude der Rechtsmedizin, um gemeinsam zu trauern und dem Aktivisten mit Musik zu gedenken. Auch die studentische Mapuche-Organisation Wecheke Kawiñ in Valdivia rief am gleichen Abend zu einer Gedenkveranstaltung auf, in den nächsten Tagen folgten Demonstrationen und Kundgebungen auch in den großen Städten des Landes. Am 20. Februar wurde Rubén Collío in Boroa im Rahmen der Mapuche-Bestattungszeremonie eluwun beigesetzt.

Collío stammte aus einer Familie von Mapuche-Aktivist*innen. Erst im Februar vergangenen Jahres war sein Vater, Marcelino Collío Calcomín, ein Kämpfer der Vereinigung Mapuche We Kuyen, an Covid-19 gestorben. Er hatte Widerstand gegen die Pinochet-Diktatur geleistet und sich in den 90er Jahren dem Umweltrat von Lo Espejo angeschlossen. Auch er unterstützte seinen Sohn im Kampf für Gerechtigkeit für Macarena Valdés.

Collío hinterlässt neben seinen fünf Kindern zahlreiche Freund*innen, Familienangehörige und Gefährt*innen im Kampf für Gerechtigkeit. Viele Gruppen haben angekündigt, diesen Kampf weiterzuführen. In einer Rede, die die Band Waikil vertont hat, sagte Rubén Collío einmal: „Sie hätten sich niemals vorstellen können, dass die allerschönsten Dinge in der Dunkelheit passieren. (…) Heute erheben wir uns aus der Dunkelheit – mit mehr Kraft denn je. Marichiweu!“.


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ZUFÄLLIGER TOD EINES AKTIVISTEN

Hunderte Menschen verabschiedeten sich in Quintero vom Aktivisten Alejandro Castro (Foto: Frente Fotográfico)

„Ein Anarchist, der verhört wurde, fiel durch ein Fenster. Während meine Kollegen ziemlich vernünftig behaupten, dass der Anarchist Selbstmord begangen hatte, war das Urteil des Gerichts, dass der Tod des Anarchisten ein Unfall war.“ So der ermittelnde Polizeikommissar in der weltberühmten Groteske von Dario Fo „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, das auf der wahren Geschichte des Todes des Anarchisten Guiseppe Pinelli basiert. Die Realität für Aktivist*innen in Chile ist mindestens genauso bitter, wie das Theaterstück grotesk ist. Aktivist*innen werden bedroht, zusammengeschlagen, sterben in scheinbaren Unfällen oder bringen sich um. Ermittlungen verlaufen im Sande, Verantwortliche werden selten ausfindig gemacht.
Für das Jahr 2017 hatte die internationale Nichtregierungsorganisation Global Witness in ihrem Bericht „At what cost“ (Zu welchen Kosten) mehr als 120 ermordete Aktivist*innen in Lateinamerika gemeldet, die Zahlen für 2018 sind noch nicht bekannt. Besonders in Kolumbien, Mexiko und Brasilien ist der Einsatz für die Umwelt oft tödlich, nicht zuletzt wegen einer entgrenzten staatlichen Gewalt, ausgeübt von Paramilitärs und Milizen. Diese morden öffentlich und offensichtlich; der Terror gegen die Aktivist*innen soll einschüchtern und tut das auch.

Nicht nur Macarena Valdés ist unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen

In Chile hingegen, wo die Sicherheitslage stabiler ist und staatliche Gewalt in Uniform daherkommt, sterben Umweltaktivist*innen einen stillen Tod. Ihr Ableben wird nur zu gerne als Suizid kategorisiert, wohl am offensichtlichsten im Fall der jungen Mapuche und Umweltaktivistin Macarena Valdés (s. LN 526) Am 22. August 2016 fand ihr damals elfjähriger Sohn seine Mutter erhängt in ihrem Haus in Tranguil in der Nähe der Kleinstadt Pangipulli im Süden Chiles auf. Sie muss gestorben sein, während ihr anderer – zum damaligen Zeitpunkt eineinhalbjähriger – Sohn im Haus war. Nur einen Tag zuvor waren sie und ihr Ehemann Rubén Collío von Unbekannten wegen ihres Einsatzes gegen ein Wasserkraftwerk bedroht worden. Das Projekt wird von der österreichischen Firma RP Global und der chilenischen Firma Saesa vorangetrieben. Das Kleinwasserkraftwerk, das mittlerweile in Betrieb ist, verspricht Energiesicherheit und Jobs im armen Süden Chiles. „Am 21. haben sie dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem wir wohnen, gedroht. Wenn er uns nicht rauswerfen würde, würde uns etwas sehr Schlimmes passieren, weil es Leute gebe, die uns Schaden zufügen wollten. Am nächsten Tag fand man Macarena erhängt in unserem Haus auf, ohne Erklärung”, so Collío in einem Interview mit Radio UChile.
Trotz der Morddrohungen gegen Valdés ist sich die Staatsanwaltschaft bis heute sicher, dass sie Suizid begangen hat. Und das obwohl es mittlerweile ein forensisches Gutachten gibt, das besagt, dass Valdés zum Zeitpunkt, an dem sie aufgehängt wurde, bereits tot war. RP Global bestreitet jedwede Verbindung zum Tod von Valdés.

(Foto: Frente Fotográfico)

Valdés ist nicht die einzige Aktivist*in, die unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen ist. Die Gemeinden Quintero, Ventanas und Puchuncaví, rund 50 Kilometer nördlich der Küstenmetropole Valparaíso gelegen, sind in Chile zum Symbol für eine fehlgeleitete Industriepolitik geworden. 1961 wurde der Industriepark Ventanas eingerichtet, er ist eine der sogenannten zonas de sacrificio, der geopferten Zonen, in denen dem industriellen Fortschritt alles, das Meer, die Luft und auch die Gesundheit und das Leben von Menschen untergeordnet, sprich „geopfert“ wird. Mittlerweile gibt es 14 Fabriken und Kraftwerke in der Region, die Wohlstand versprechen, aber Gift und Galle liefern.
Ein trauriger Höhepunkt dieser permanenten Umweltkatastrophe fand im August 2018 statt. Eine Giftwolke zog durch Quintero, die dazu führte, dass mindestens 301 Personen, darunter 53 Schüler*innen, mit Vergiftungserscheinungen behandelt werden mussten. Die lokale Bevölkerung reagierte mit Protest, es gab Straßenblockaden und Schulbesetzungen, die mit Wasser­werfereinsätzen und Tränengas beantwortet wurden. Schließlich wurde auch noch das Militär entsandt, das mit Gummigeschossen auf Demonstrant*innen schoss.
Einer derjenigen, der die Proteste mitorganisierte, war der junge Gewerkschafter Alejandro Castro (27) von der Kleinfischergewerkschaft Sindicato S24. Am 24. September wurde er erhängt neben der U-Bahn in Valparaíso aufgefunden. Die Geschichten gleichen sich. „Ich habe Zweifel, genau wie seine ganze Familie, und das sind berechtigte Zweifel, denn es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass Alejandro sie durchlebt hat. Er wurde von Carabineros der siebten Polizeistation in Santiago bedroht. Sie haben unsere Leute angegriffen. Er war mein Freund, er ist mein Freund, er hatte einen Sohn, er war ein engagierter Mann, mit viel Disziplin, Loyalität, er war ein Verteidiger der Umwelt wie kein anderer.“ erklärte Carolina Orellana Sepúlveda, eine Freundin von Castro der Tageszeitung La Tercera.
Mehrere Quellen bestätigten, dass Castro bedroht wurde. Bei einer Demonstration hat ein unbekannter Polizist ihm zugerufen: „Alejandro Csatro, wir haben dich auf dem Zettel!“ Für die ermittelnden Behörden war dennoch schnell klar, dass sich Castro das Leben genommen hat und dass keinerlei Dritte an seinem Tod beteiligt waren. Auch wenn selbst die Kriminalpolizei davon ausgeht, dass Castro wiederholt bedroht wurde. Wieder ein Aktivist, der in der Öffentlichkeit erhängt aufgefunden wurde, nachdem er bedroht wurde. Anders als im Fall von Macarena Valdés ermittelt im Fall von Castro ein Sonderstaatsanwalt, die Ergebnisse seiner Ermittlungen stehen allerdings noch aus.
Am 31. Januar 2019 wurde der 47-jährige Marcelo Vega Cortés in der Mündung des Lingue-Flusses tot aufgefunden. Sein Pick-up-Truck war halb versenkt. Vega war Präsident der Vereinigung der indigenen Gemeinschaften von Chan Chan und ein historischer Gegner der Installation einer Pipeline der Firma Celulosa Arauco – CELCO zur Deponierung von Abfällen im Meer von Mehuín.
Eliab Viguera, Sprecherin des Komitees zur Verteidigung des Meeres von Mehuín, wies darauf hin, dass die Bedingungen, unter denen das von Vega besetzte Fahrzeug gefunden wurde, „eine äußerst gründliche Untersuchung verdienen, da der LKW halb untergetaucht war, eine Situation, die es Marcelo ermöglicht hätte, aus dem Fahrzeug auszusteigen und sich zu retten, vor allem, da es sich um eine Person mit Kenntnissen im Tauchen handelt”. Es ist gut möglich, dass es sich beim Tod von Vega um einen einfachen Autounfall handelt. Zweifel bleiben aber trotzdem bestehen – gerade auch, weil Gewalt gegen Aktivist*innen in Chile alltäglich ist. Zuletzt wurde am 22. April bekannt, dass Manuel Montenegro von der Gewerkschaft Sinamoc brutal zusammengeschlagen wurde. Sinamoc befindet sich im Arbeitskampf mit der Firma Acciones, die in Talca ein neues Gefängnis baut. Im Arbeitskampf geht es darum, dass Acciones fünf Arbeiter, die sich in Verhandlung mit der Firma befanden, entlassen hat. Montenegro wurde in einem Internetcafé mit Knüppeln verprügelt. Nach Angaben des Onlinemagazins El porteño riefen die Angreifer, bevor sie flüchteten: „Wenn du nicht abhaust und aufhörst die Firma zu nerven, wirst du das teuer bezahlen. Und wenn du nicht die Forderungen zurückziehst, bringen wir deine Familie um.“
Rodrigo Mundaca, von der Organisation Modatima, die sich in Petorca, wo Avocado-Plantagen ganze Landstriche austrocknen, für Umweltschutz einsetzt, hält diese vielen zufälligen Todesfälle für unwahrscheinlich. Mundaca selbst wurde wegen seinem Einsatz für das Wasser in Petorca mit Mord gedroht, genau wie seine Partnerin. „All dies führte zu einem Wiederaufleben von Drohungen und Folgemaßnahmen, so dass der Staatsanwalt der Region Valparaíso, Pablo Gómez, im Juli 2018 Schutzmaßnahmen für mich und unsere Kollegin Verónica Vilches erließ”, so Mundaca in der Onlinezeitschrift El soberano. Dort ergänzt er auch: „Mehrere Genossen haben davon berichtet, dass versucht wurde, sie zu überfahren, sie bei der Arbeit zu verfolgen … Es ist offensichtlich. In Chile müssen wir anfangen, uns anzusehen, was mit den sozialen Kämpfern passiert.“ Kleinkriegen lassen will er sich, wie viele andere Aktivist*innen auch, trotz der Gewalt nicht, trotz der Drohungen, trotz der vielen zufälligen Todesfälle: „Wir werden aber deswegen nicht aufhören zu kämpfen und Probleme sichtbar zu machen.“


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IRRWEG EXTRAKTIVISMUS

Welche Positionen konntet ihr bei der Klimakonferenz einbringen?
An erster Stelle ist es sehr wichtig, dort als Vertreter der Zivilgesellschaft hinzufahren und zu hören, was unsere Regierung sagt. Was verlangt sie? Bekommt sie Geld und wenn ja, wofür? In unserer Geschichte hat unsere Regierung uns nie erlaubt, Teil ihrer Delegation zu sein. Die mexikanische Delegation hat die Tradition, fünf NGO-Abgesandte in ihre Delegation aufzunehmen. Da unsere Regierung das nicht macht, versuchen wir mit Kollegen aus anderen Staaten wie Deutschland, Niederlande, Belgien oder Parteien wie zum Beispiel den Grünen, zu sprechen. Sie informieren uns über die Verhandlungen. Außerdem arbeiten wir mit anderen NGOs zusammen, besonders Fraueninitiativen aus Lateinamerika oder der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen in Bonn (IFOAM).

Was war die offizielle nicaraguanische Position?
Die Delegation bestand nur aus zwei Männern, die Vertreter der Regierung Paul Oquist und Javier Gutiérrez. Die zwei haben wir nicht gesehen, im Plenum blieb der Platz für Nicaragua unbesetzt. Man war anscheinend die ganze Zeit mit dem Green Climate Fund (GCF) beschäftigt. Dieser ist sehr wichtig, da er die Gelder des Pariser Klimaabkommens für Klimaprojekte in den ärmeren Ländern verwaltet. Die Entscheidungen des GCF werden sehr intransparent getroffen, obwohl dort über die Verwendung mehrerer 100 Millionen US-Dollar entschieden wird. Zur Einordnung der Rolle unseres Landes: Nicaragua hatte das Pariser Klimaabkommen zunächst nicht unterschrieben und sich auf das Anklagen der großen Klimasünder USA und EU beschränkt. Dadurch bekam Nicaragua politische Aufmerksamkeit. Nach dem Umschwenken Nicaraguas und der Unterzeichnung des Abkommens 2017 wurde ihr Delegationsleiter Oquist dann zum Vize-Präsidenten des GCF gemacht.

Nutzt die nicaraguanische Regierung Klimagelder für andere politische Interessen?
Ich denke schon. In erster Linie will sie Werbung für die eigene Regierung machen und sich gegen die internationale Isolierung wehren. Nicaragua hat in den letzten Jahrzehnten viel Geld bekommen – von europäischen Staaten, von der UNESCO – aber mit der Umwelt geht es ständig bergab. Politiker sind straflos in Umweltskandale verwickelt: Das staatliche Unternehmen Alba Forestal fuhr 2017/2018 ununterbrochen wertvolles Holz aus den Naturschutzgebieten des Nordens ab, dem Besiedeln dieser Naturschutzgebiete in Nord- und Süd-Nicaragua wird kein Riegel vorgeschoben. Im Gegenteil, illegale Siedler werden beim Rauben von indigenem Land noch unterstützt, teilweise mit Waffengewalt.

Wird das Ergebnis der Klimakonferenz einen Einfluss auf den Umweltschutz in Nicaragua haben?
Kattowitz könnte einen negativen Einfluss auf Nicaragua haben, denn die Konferenz bedeutet Macht und Geld für die Regierung und nicht für die Zivilgesellschaft. Die Klimagelder werden an die Regierung überwiesen und kommen bei den Basisinitiativen, die tatsächlich für Umwelt und Klima arbeiten, nicht an. Diese werden sogar verfolgt oder verboten.

Welche Relevanz hat dabei insebsondere der Klimaschutz in der Region?
Natürlich trägt Nicaragua zur globalen Erwärmung ungeheuer wenig bei, aber das befreit uns nicht von der Pflicht, auch unser Verhalten entsprechend zu ändern. Vor allem aber geht es für die betroffenen, armen, äußerst verletzlichen Länder wie den mittelamerikanischen darum, die nicht mehr aufhaltbaren Folgen abzumildern. Ein Beispiel ist, die Bewaldung zu erhalten, die Landwirtschaft auf Agroforstwirtschaft umzustellen und vieles mehr. Stattdessen erlaubt die Regierung das Abholzen, die Verschwendung, die Vergiftung und das Versiegen der Gewässer. Auch in diesem ungeheuer wichtigen Bereich zur Erhaltung der Lebensgrundlagen ist das Regime unwillig und unfähig. Die neoliberalen Vorgängerregierungen konnten wir durch unsere Kritik stark unter Druck setzen. Die jetzige schießt.

Kannst du uns mehr über eure Arbeit als Umwelt-NGO in Nicaragua erzählen?
Wir sind schon lange als Umwelt-NGO in Nicaragua aktiv – schon seit mehr als 30 Jahren. Verschiedene NGOs haben sich nun zusammengetan, um zum Beispiel auf die Folgen des geplanten Kanalprojekts aufmerksam zu machen und auf den generellen Irrweg des Extraktivismus. Wir versuchen, die Bauernfamilien zu unterstützen, sie zu informieren und praktische landwirtschaftliche Widerstandsarbeit mit ihnen zu initiieren. Deswegen sind wir auch in Gefahr, da die Regierung unsere Arbeit als Anstiftung zum Aufruhr wertet.

Wie hat sich der politische Druck auf euch in den letzten Jahren verändert?
Die Bauern haben seit dem Gesetz zum Kanalbau mit Protesten angefangen, sich organisiert und mit uns zusammengearbeitet. Wir haben die gesamten wissenschaftlichen Informationen und Forschungsergebnisse, aus denen hervorgeht, warum vorherige Vorhaben für einen Kanal durch Nicaragua nicht umgesetzt wurden, gesammelt, analysiert und den Bauern gegeben. Die Bauerngruppen haben sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen, 25 Vertreter von Kommunen bilden diesen Rat. Von ihnen sind heute sechs Anführer im Gefängnis, andere leben im Exil oder verstecken sich. Sie hatten protestiert und sind mit LKWs von ihren Dörfern bis Managua gezogen. Auf die Demonstrationen antwortete die Regierung mit Polizeigewalt. Der politische Druck hat sich 2018 in einen polizeilichen, militärischen bewaffneten Druck verändert und das bei der Außerkraftsetzung aller anwendbaren Gesetze und Vorschriften.

Was wäre eine Forderung an Deutschland und europäische Staaten, wie eure Arbeit unterstützt werden könnte?
Wir als NGOs kriegen zum Teil Geld von europäischen Regierungen durch Stiftungen. Dieses Geld bekommen bisher nur Organisationen, die den Status einer juristischen Person haben. Immer mehr nicaraguanische NGOs verlieren diesen Status durch aktuelle Maßnahmen der Regierung. Sie werden enteignet, von den Bankkonten über die Büroeinrichtung bis zu ihren Gebäuden. Aktivisten werden verfolgt, immer mehr müssen fliehen oder sich verstecken. Wie können wir als „nicht eingetragene Vereine“ weiterhin Geld und Unterstützung aus Europa bekommen? In Zukunft müssen die Verwalter der Gelder für NGOs natürliche Personen sein – gegenseitiges Vertrauen und neue Methoden des Transfers und der Abrechnung müssen her. Aus den Erfahrungen mit anderen Diktaturen – wie unter Pinochet, während der Apartheid oder DDR – und der Hilfe für die Widerstandsarbeit gibt es sicher einiges zu lernen. Für Nicaragua bräuchten wir Solidarität, dass Unterstützer in Deutschland, die deutsche Regierung und andere in Europa uns helfen. Denn wenn es so weitergeht, können wir nicht nur enteignet werden, sondern auch als „Terroristen“ im Gefängnis landen. Wir brauchen größtmögliche Aufmerksamkeit, direkte materielle Hilfe sowie politischen und ökonomischen Druck auf das Regime. Die zurückgewiesene „Einmischung in interne Angelegenheiten” ist nur ein Trick des Regimes, um die Solidarität aufzuhalten.

 


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VON UND MIT AMAZONIEN LERNEN

„Zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik?“, fragte Elmar Altvater in seiner Abschlussvorlesung am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. „Wir betreiben sie in praktischer Absicht, weil wir die Welt verändern müssen, wenn wir wollen, dass sie bleibt. Die Geschichte ist nicht am Ende. Es gibt Alternativen.“ Das ist jetzt über 14 Jahre her. Und man kann es wie das Motto eines ganzen Lebens lesen.

Mit Elmar Altvater ist einer der großen kritischen Marxist*innen Europas gestorben. Sein Werk wurde in vielen Nachrufen gewürdigt, wenig beachtet blieb aber die Rolle, die Brasilien in seinem Werk und die er für Brasilien spielte. Insbesondere die Amazonasregion war für die Entwicklung seines globalisierungskritischen Ansatzes von großer Bedeutung.

Altvater hat viele Monate seines Lebens in Brasilien verbracht, zunächst als Gastprofessor in Belém, dann durch zahlreiche Einladungen zu Vorträgen und Symposien. Er sprach gut Portugiesisch. Gerne wird von denen, die während seines ersten Brasilienaufenthalts mit ihm zusammentrafen, folgende Anekdote kolportiert: Nachdem er am Vorabend seines ersten Vortrags darauf hingewiesen wurde, dass er seine Rede doch besser auf Portugiesisch halten solle, wurde er kurz bleich, verabschiedete sich höflich in den frühen Abend – und hielt am nächsten Tag seinen Vortrag in durchaus verständlichem Portugiesisch.

Wie so oft widmete er sich dabei Amazonien. Dabei stellte er die Kategorie der „Inwertsetzung“ in den Mittelpunkt seiner Analyse. Er verließ damit die traditionelle Perspektive auf „Entwicklung“, um dergestalt einen kritischen Blick auf das Verhältnis von Weltmarkt und einer peripheren Region zu werfen. Wichtig ist, dass sich Altvater nicht auf den abstrakten Sachzwang Weltmarkt – so der Titel seines Buches mit der Fallstudie zu Amazonien – beschränkte, sondern die konkreten Auswirkungen auf die Region Grande Carajás in den Blick nahm. Dort wurde 1967 das weltgrößte Eisenerzvorkommen entdeckt, dessen generalstabsmäßige Ausbeutung ab den 1980ern in die Wege geleitet wurde – mit allen sozialen und ökologischen Konsequenzen. Altvaters Verbindung von territorialer Analyse mit den Mechanismen des Weltmarkts macht das Buch noch heute lesenswert, vor allem in Zeiten, in denen sich die Debatte um Amazonien oftmals auf das Problem Entwaldung reduziert.

Altvater stellte die Frage nach den „gesellschaftlichen Naturverhältnissen“ neu: Die stoffliche Basis und das Energiemodell des Kapita­lismus waren für sein Werk zentral. Er sah damit die Grenzen des Kapitalismus nicht nur in der krisenhaften Kapitalakkumulation, sondern in dessen Verhältnis zur Natur. Aber als Marxist ging er viel weiter, als nur die Naturzerstörung zu beklagen, vielmehr insistierte er auf der Analyse der ökonomischen Logik, die dieser Zerstörung zugrunde liegt. Und er hörte auch nie damit auf, den Kapitalismus zu kritisieren und diesen als Ursache für die Zerstörung der natürlichen Grundlagen zu benennen – und nicht etwa verkürzt nur den Fleischkonsum oder die Rinderzucht.

Ebenso kritisierte er die extraktivistische Illusion, die Inwertsetzung durch Ausbeutung und Export von Rohstoffen betreibt. Dies produziere nur eine periphere Integration in den Weltmarkt und erzeuge Elend und Ausgrenzung. In den aktuellen Debatten in Lateinamerika bleiben Altvaters Analysen hochaktuell und in ihrem integrierten Blick auf ökonomische, soziale und territoriale Entwicklungen beispielhaft. Elmar Altvater ist am 1. Mai 79-jährig in Berlin verstorben. Ein großer Verlust, auch und nicht zuletzt für Amazonien.


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