Gesang im Zeichen des Widerstands

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 Der Chor Er existiert, um miteinander Widerstand zu leisten (Foto: Mishelle Calle Sánchez)

Es ist acht Uhr abends und es ist kalt. Rosa nähert sich dem blauen Zelt neben der Brücke an der Vía Soldados in Azuay. Sie schraubt eine Glühbirne ein und erleuchtet den kleinen Raum, den man La Resistencia (der Widerstand) genannt hat. Rosa zieht einen Krug Wasser aus ihrem Garten unter ihrem Umhang hervor und beginnt es in der improvisierten Küche zu erhitzen.

Kurz darauf treffen Fer und ihre Mutter ein. Fer kommt von der Universität und ist ein bisschen erschöpft, aber sie hält die ausgedruckten Lieder, die sie mit vielen anderen Frauen die letzten Jahre geübt hat, in den Händen. Mutter und Tochter suchen sich ihren Lieblingsplatz auf einer kleinen Holzbank und ihre Stimmen und ihr Lachen beginnen in die Nacht zu schallen. Zehn Minuten später kommt Herica von ihrer Arbeit in Cuenca; zugeknöpft bis zum Hals, denn die Brise am Fluss ist frisch. In ihren Händen hält sie einen Beutel mit Brot als kleine Belohnung nach der Probe. Schließlich erscheint auch Mama Tere aus der Dunkelheit der Straße, eine enthusiastische Frau, die auch für ihr Restaurant in der Gegend bekannt ist und signalisiert, dass die Probe beginnt, denn die Auftritte rücken näher und am nächsten Tag müssen alle arbeiten.

Diese kleine Gruppe von Frauen ist an den Ufern des Flusses Yanuncay geboren und hat ihr ganzes Leben dort verbracht. Der Yanuncay ist einer der vier Flüsse, die die Stadt Cuenca umgeben und der wesentliche Touristenspot, wo alle „Cuy” (andines Meerschweinchen, Anm.d.Red.) und die traditionelle Küche des ecuadorianischen Hochlands probieren. Jede der Frauen hat ihre Gemeinschaft und eine Familie rund um den Fluss gegründet. „Ich erinnere mich, wie ich als Mädchen zum Fluss mitgenommen wurde, um die Wäsche zu waschen“, erzählt Herica unter anderem.

Klar ist, dass die Nähe zum Fluss jeden Tag bestimmt und das Leben in dem Gebiet gestaltet. Über den Fluss erzählt man sich Legenden. Das alles veranlasste die Frauen zu handeln. „Wenn der Yanuncay wütend wird, wird er wild, ich erinnere mich wie er 2007 die Häuser, die Tiere mit sich riss und wie Padre Salvador mir sagte, dass der Fluss den Weg nahm, den er eben ging, denn er ist lebendig. So wie jede Person ihr Schicksal sucht, sucht es auch der Fluss.” Rosa betont ihrerseits: „Er ist wie ein lebendiges Wesen, denn wenn man ihn während der Flut nicht provoziert, tut er auch nichts. Ich sehe, dass er Macht hat, deswegen soll man ihn nicht provozieren. An seinen freundlichen Tagen ist es schön, auf den Steinen zu sitzen. Ich setze mich gerne dorthin, wo das Wasser klar ist, dort tauscht man sich mit den Nachbarn aus. Es ist wie in einer Familie, man redet, man teilt.”

Nach der ersten Hälfte der Probe nehmen wir Platz, im Hintergrund läuft „Vasija de Barro” (ecuadorianisches Lied, in der Andenregion bekannt als die „inoffizielle Hymne Ecuadors”, Anm.d.Red.). Doña Rosa nähert sich mir vorsichtig mit einem Glas Agua de Flores (Blumenwasser) und sagt: „Trink, trink, compañera (Kameradin), gegen die Kälte, achachai!” Das Gespräch geht weiter und ich frage, wann das Wasserkraftprojekt Soldados Yanuncay zum ersten Mal in der Gemeinschaft zur Sprache kam. Einige sagen 2010, andere 2020, wieder andere 2005. Auf einmal erhebt Doña Eloisa die Stimme: „Ich glaube, es war zwischen 2002 und 2004, da sagten sie, sie würden die Berge erkunden. Wir haben nicht darauf geachtet, dachten, sie würden nur spazieren gehen und das war ein großer Fehler. Aber wir waren Teil des Wasserprojekts und darum haben wir angefangen, das Wasser zu verteidigen, in San Joaquín. Die Dinge wurden ernst, denn es tauchte eine kleine Maschine auf, mit der sie mit Gas auf uns losgingen, sie nannten sie Trucucutú. Seitdem lernen wir, uns dem entgegenzustellen. Es gab viel Unruhe und wir beschlossen, dass wir das Projekt nicht weitergehen lassen können.”

Das Wasserkraftprojekt Soldados Yanuncay, das an der Grenze der Gemeinden Baños und San Joaquín geplant ist, ist ein Mehrzweckprojekt. Einerseits soll es die Nutzung des Flussbeckens möglich machen, andererseits Strom erzeugen − 22 Megawatt − , sowie die Wasserversorgung gewährleisten. Für den Bau wurde die Konstruktion eines 42 Meter hohen Staudammes geplant, mit einem Fassungsvermögen von 21.000.000 Kubikmetern. Die betroffenen Gemeinden befinden sich hauptsächlich im Biokorridor des Yanuncay.

In einer kurzen Pause sprechen die Sängerinnen darüber, wie sie sich selbst bezeichnen. Es gibt ein gemeinsames Wort: „der Widerstand”. Es ist dieses Wort, das seit der Bedrohung durch das Wasserkraftprojekt in der täglichen Konversation der Familien schwebt. Hinter diesem Widerstand stehen die Gefühle, manche der Frauen erwähnen Sorge und Angst, andere Wut und Trauer. Wie bei unzähligen anderen Projekten nationaler und lokaler Institutionen wurden sie weder konsultiert noch um Erlaubnis gebeten. „Im Jahr 2020 verkündete der Geschäftsführer von Elecaustro (Öffentliches Stromerzeugungsunternehmen, Anm. d. Red.), dass bereits alles legalisiert sei und das Projekt so oder so laufe. Gott sei Dank waren sich die Leute einig, dass sie das nicht erlauben würden. Wir waren erst wenige, aber dann schlossen wir uns zusammen. Erinnert euch, compañeras, sie sagten, dass es schon Projekte gäbe, die allen zugutekämen, aber so war es nicht und der Kampf ging weiter”, erzählt Eloisa. Herica will weiter proben und betont zuvor, dass „deswegen der Chor existiert, um miteinander zu teilen, um Widerstand zu leisten”.

Ein Ausschnitt der Neukomposition des Liedes „Resistencia Indígena” von Ángel Guaraca, geschrieben vom Chor der Frauen des Widerstands:


„Vor über 20 Jahren, verdammt
kamen die von Elecaustro, verdammt
Sie brachten ihre compinches (Kumpel), verdammt
um uns das Wasser zu stehlen, verdammt
Sie besetzten unsere Berge, verdammt
um uns unsere Rechte zu nehmen, verdammt
Der Geschäftsführer von Elecaustro, verdammt
zerstört unsere Fauna, verdammt
Am 25. Januar veränderten sie unsere Zukunft, verdammt
Seitdem sind es die gleichen, verdammt
Die unsere Zukunft stehlen, verdammt”

Der Chor der Frauen vom Land ist ein Projekt, das vor einigen Jahren von der Direktion für Gleichberechtigung einer Provinzbehörde ins Leben gerufen wurde. Es war als therapeutischer Raum gedacht, aber auch als Ermächtigung für Frauengemeinschaften, unterrichtet von professionellen Musiker*innen und auf reginalen Bühnen wie Theatern aufgeführt. Leider wurde das Projekt von den Behörden aufgegeben, funktionierte aber als roter Faden, der die Frauen des Biokorridors des Yanuncay zusammenbrachte und ihnen ermöglichte, ihre Bedenken zu äußern und gegen das Wasserkraftprojekt zu kämpfen. „Ich erinnere mich, dass schon meine Mama zum Chor ging, ich fand es so schön und cool, dass es ihrem Leben mehr Sinn gab. Sie sangen sogar das Lied „Vivir Sin Miedo” von Vivir Quintana, das mir sehr gefiel und so wollte ich auch singen”, erzählt Fer. Ähnlich wie sie berichten auch die anderen Teilnehmerinnen des Chors des Widerstandes von ihrem ersten Kontakt. Mayra erzählt: „Eines Tages entschied ich, zur Probe zu gehen, jetzt üben wir, tauschen uns mit den Lehrerinnen aus, mit den Teilnehmerinnen. Auch wenn wir die Techniken nicht besitzen, haben wir die Berufung von Sängerinnen und mit etwas Übung werden wir auch singen.”

Gemeinschaft und Widerstand

Unter ihren Auftritten gibt es einen, den sie niemals vergessen werden: „Das erste Mal, dass wir mit dem Symphonieorchester auftraten war wirklich unglaublich, denn ich hätte mir nie vorstellen können, so zu singen. Das waren bereichernde Erfahrungen für uns, denn es ist eine Art und Weise, das auszudrücken, was wir fühlen”, erinnert sich Mayra. Bei dieser Vorführung sangen sie die Kantate „Boletín y Elegía de las Mitas”. Es ist ein Werk des Dichters und Erzählers César Dávila Andrade aus Cuenca, das den Kampf und Widerstand der Indigenen Völker widerspiegelt. In ihren besten polleras (traditioneller Rock) und gemeinsam mit anderen Frauen der Provinzen von Azuay hatten sie damals ein ganzes Theater in Cuenca zu Tränen und überschwellenden Emotionen gerührt.

Es ist neun Uhr dreißig abends und man merkt die Kälte kaum noch. Wir trinken wieder etwas Agua de Flores. Fer unterbricht das Gespräch und fragt nach den Liedern, die sie in Zukunft singen wollen. Doña Mari sagt: „Ich singe das „Hallelujah” von ganzem Herzen, es gibt mir sehr viel Frieden”, während Fer das Lied „Vivir Sin Miedo” hervorhebt: „Das ist für mich ein Beispiel für einen vereinten Kampf und ich würde gerne weiterhin auf Kichwa singen.” Am Rand des Zeltes singt Doña Rosa einen kleinen Teil des Liedes „La Bocina” und sagt: „Das ist die Musik vom Land selbst, die gefällt mir.“ Mayra unterbricht ihr Singen und erklärt: „Compañera, jedes Lied das wir singen, repräsentiert uns, unsere Freude, unsere Nostalgie, so wie „Vasija de Barro”.” Wenig später geht Herica zu jeder Frau und sammelt ein paar Münzen ein, um weiter für Gesangslehrerinnen zu sparen.

Der Frauenchor der comunidades ancestrales von San Joaquín hat das Projekt wieder aufgenommen, um mehr Frauen zu ermöglichen, sich dem Widerstand anzuschließen und weiterzumachen. Mit der finanziellen Unterstützung von früher rechnen sie nicht mehr. Teil ihrer Träume sei es, sich mit Chören aus ganz Südamerika auszutauschen, mit anderen Frauen, die Widerstand leisten. „Ich wäre sehr zufrieden, weil wir zum Beispiel schon eine sehr diverse Gruppe sind, wir kommen gut miteinander aus. Das hilft mir, mehr im Einklang mit der Gemeinschaft zu sein. Ich bin hier, weil ich von hier komme, obwohl ich auch in der Stadt studiert habe. Ich würde gerne mehr Frauen vom Land sehen, die in die Stadt gezogen sind, sie singen sehen und vor allem im Widerstand, im Kampf. So können wir mehr Frauen inspirieren, denn wenn wir dazu fähig sind, sind sie es auch”, sagt Herica.

Um sich zu organisieren und eine Mahnwache gegen das Wasserprojekt aufrecht zu erhalten, das mehr Zweifel als Gewissheit über seinen wahren Zweck säht, haben die Frauen eine Spendenaktion gestartet. Damit sollen die Kosten für eine Gesangslehrerin gedeckt werden. Zurzeit appellieren sie an lokale und internationale Gemeinschaften,, ihnen zu helfen.


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LEBENSRAUM UND KOSMOVISION

Auf Tour zur Unterstützung des Yasuní-Volksentscheids Manaí Prado, Ene Nemquino, und Dayuma Nango in Berlin (Foto: Leonard Mikolei)

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, mit uns zu sprechen. Könnt ihr uns ein wenig über euch erzählen?

Dayuma: Mein Name ist Dayuma Nango. Als Vizepräsidentin der Vereinigung der Waorani-Frauen von Ecuador, AMWAE, verteidige ich die Frauen und unseren Regenwald.

Ene: Mein Name ist Ene Nemquimo, Vizepräsidentin der Waorani-Nationalität Ecuadors (NAWE) und Verteidigerin unserer gemeinsamen Heimat. Im Moment bin ich eine politische Führungsperson, obwohl ich die Politik nicht mag. Aber um das Leben der Menschen und das Leben von Yasuní zu garantieren, muss ich mich positionieren, damit mich niemand mit Füßen treten kann.

Manaí: Mein Name ist Manaí Prado und ich komme aus Quito. Ich beschäftige mich seit etwa 11 Jahren mit dem Thema Yasuní, mehr oder weniger seit dem ersten Versuch des Volksentscheids im Jahr 2013. Zurzeit bin ich Teil der NGO Acción Ecológica (Ökologische Aktion) und arbeite auch an anderen Projekten in Zusammenarbeit mit Indigenen Organisationen im Regenwald und in den Anden. Ich bin Historikerin und studiere Soziologie.

Was bedeutet Yasuní für euch?

Ene: Yasuní ist für mich unsere gemeinsame Heimat, meine Welt, meine Kosmovision, er ist unser gemeinsames Zuhause.

Dayuma: Für mich ist Yasuní unser Leben, die Lunge der Welt. Der Ort mit der größten Artenvielfalt auf der Welt. Und genau dafür kämpfen wir.

Manaí: Yasuní steht für mich für das Leben und für einen jahrelangen Kampf. Er ist etwas sehr Wichtiges in meiner Geschichte, auch persönlich. Er steht für diesen ganzen Widerstand, aber vor allem für die Hoffnung.

Wie ist die Situation im Yasuní nach der Volksbefragung?

Ene: Die Menschen mit Interessen im Ölsektor sind diejenigen, die verlieren, wenn die Ölförderung im Yasuní gestoppt wird. Die westliche Welt, die Welt der Interessen, verliert. Deshalb drängen die Investoren und Maschinenbesitzer darauf, weiterzumachen. Wir haben aber auch eine interne Situation unter den Waoranis. Einige wollen, dass die Erdölförderung fortgesetzt wird. Sie sind sich nicht bewusst, welche Folgen das für ihren Lebensraum hat. Es gibt keinen angemessenen Wohnraum, keine Gesundheitsversorgung, keine gute Bildung. So kommen viele schon in jungen Jahren zum Alkohol, und dann wird alles nach und nach zerstört.

Wie sieht die Situation besonders für Kinder und Frauen aus?

Dayuma: Die Lage ist wirklich sehr schwer für die Frauen. Als AMWAE wollen wir sie unterstützen, damit sie sich selbst versorgen können. Wir haben jetzt einen Laden für unser Kunsthandwerk eröffnet, aber wir müssen diesen Laden weltweit sichtbar machen, damit es mehr wirtschaftliche Ressourcen für die Frauen gibt. Wir bringen Lebensmittelpakete und Medizinpakete in die Gemeinden, die lebensnotwendig sind, denn wir haben einige Anführerinnen, die an Krebs sterben, und die Kinder in unserem Gebiet leiden unter akuter Mangelernährung.

Was hat die ecuadorianische Regierung getan, seitdem ihr den Volksentscheid gewonnen habt?

Ene: Die Regierung hat mit den Ministern, sogar mit Petroecuador (staatliches Erdölunternehmen), eine Kommission gegründet, aber sie haben uns nicht eingeladen.

Wer ist Teil dieser Kommission?

Manaí: Das Komitee für die Ausführung des Volksentscheides zu Yasuní ITT besteht aus dem Ministerium für Umwelt, Wasser und Ökologische Transition, dem Ministerium für Energie und Bergbau, dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, dem Ministerium für Frauen und Menschenrechte und Petroecuador.

Mit anderen Worten, es gibt nur Mitglieder, die den Staat vertreten. Gibt es jemanden aus der Privatwirtschaft?

Manaí: Nein, auch keine Wissenschaftler*innen und keine Indigenen sozialen Organisationen.

Deshalb habt ihr im August 2024 den Internationalen Gipfel für den Yasuní organisiert?

Ene: Ja, und als wir gerade dabei waren, den Gipfel zu organisieren, rief uns der Geschäftsführer von Petroecuador an. Er sagte: „Wir wissen, dass ihr jetzt eure Stimme auf internationaler Ebene erhebt und den Gipfel abhalten werdet. Stattdessen schlage ich vor: Wir geben 50 Millionen an NAWE als Organisation. Ihr müsst nur unterschreiben. Aber bitte machen Sie diesen Gipfel nicht.“ Daraufhin sagte der Präsident der NAWE: „Vielen Dank, aber ich werde nicht alleine entscheiden. Wir sind ein Rat in der NAWE, in dem wir Entscheidungen im Konsens treffen.” Nach unserer Besprechung ging er dann nach Quito, um den Vertrag zu unterschreiben, den Petroecuador vorbereitet hatte.

Haben sie euch das Dokument vorher gegeben, damit ihr es sehen könnt?

Ene: Nein, sie haben ihm, wie auch in vorherigen Fällen, nur das letzte Unterschriftenblatt gegeben. Aber wir waren clever. Der Präsident der NAWE sagte: „Geben Sie mir den Entwurf. Wir werden ihn Absatz für Absatz mit unseren Anwälten lesen. Und dann werde ich ihn unterschreiben.“ Aber am Ende entschied er: „Wenn ich das unterschreibe, verkaufe ich das Leben von mehr als 4.000 Waorani. Ich beende unseren historischen Kampf. Viele von uns haben Verträge mit staatlichen Unternehmen unterzeichnet, die nicht erfüllt worden sind. Bis jetzt haben sie uns in Armut gelassen. Ich werde nicht unterschreiben.”

Daraufhin habt ihr dann den Gipfel organisiert. Wie ist es dort gelaufen?

Ene: Das Gipfeltreffen wurde von den Waorani mit dem Ziel organisiert, einen gemeinsamen Vorschlag auszuarbeiten. In diesem Rahmen haben wir sieben Thementische zusammengestellt: Einhaltung des Volksentscheids, nachhaltige Wirtschaft, territoriale Selbstbestimmung, Indigene Gemeinschaften in freiwilliger Isolation, Waorani Frauen und Jugend sowie strategische internationale Allianzen für Yasuní. Es kamen viele Verbündete. Jeder wählte einen Thementisch, und wir erarbeiteten verschiedene Vorschläge. Jetzt liegt die Zusammenfassung im Entwurf vor, und wir hoffen, sie bis Ende Januar fertig zu stellen, damit wir einen Aktionsplan haben. Welche Organisationen können mitarbeiten? Wie sollen die Mittel aufgebracht werden? Das Wichtigste ist, ein gutes Team zusammenzustellen.

Wie ist es für euch als Frauen, in Führungspositionen zu sein?

Dayuma: Wir sagen, genug mit dieser Art von Herablassung! Als meine Großmutter − Dayuma Kento − ihre Unterschrift vor 30 Jahren bei Repsol hinterließ, dachte sie, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung, eine gute Bildung und ein Zuhause haben würden. Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als meine Großmutter unterschrieb. Ich erinnere mich sehr gut daran: Sie sagte zu mir, „Liebling, ich habe unterschrieben und wir werden gut leben.” Ich glaube, dass wir Frauen heute sehen, wie sich die Ölgesellschaft über uns lustig gemacht hat. Jetzt haben wir unsere Stimme, um ihnen die Stirn zu bieten, um diese Dinge zu stoppen, diesen Schaden, den sie uns zugefügt haben.

Ene: Meine Amtszeit beträgt vier Jahre, es bleiben noch zwei Jahre. Danach möchte ich, so Gott will, Präsidentin der NAWE werden und zeigen, dass wir Frauen dazu fähig sind. Es geht auch darum, dass unsere Position und unsere Haltung respektiert wird. Wir können nicht von Gleichberechtigung sprechen, wenn eine Frau die Position der Präsidentin nicht erreicht, sondern Männer weiterhin dominieren. Die Tatsache, dass eine Frau Stellung bezieht, bedeutet nicht, dass die Männer außen vor bleiben, sondern, dass wir zusammen gehen. Aber wir sind auch in Gefahr. Trotzdem, bevor wir schweigen, ist es besser, die Stimme zu erheben.

Dayuma: Wir erhalten direkte Morddrohungen, weil wir gegen die Ölgesellschaft sind: „Wir werden dich zum Schweigen bringen, wir werden dich töten.” Aber ich werde nicht schweigen. Ich stamme aus einer Familie, die für ihr Territorium und für ein gutes Leben gekämpft hat. Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen, wir werden uns zusammenschließen und kämpfen, um voranzukommen.

Wie können wir von hier aus unterstützen?

Manaí: Ich denke, dass die konkretesten und dringendsten Bedürfnisse in Bezug auf die technischen Fragen bestehen, wie die Ölfelder geschlossen, wie sie gewartet werden, wie der Reparationsprozess durchgeführt werden soll. Und davon ausgehend brauchen wir natürlich auch Mechanismen, um die Einhaltung des Volksentscheides zu überwachen. Ich glaube nicht, dass es dafür notwendig ist, vor Ort präsent zu sein, sondern wachsam zu sein, um Druck auf den Staat auszuüben, also eher eine mediale und virtuelle Funktion. Es geht nicht darum, ob die Regierung ihn einhält oder nicht, denn sie müssen ihn einhalten, sondern wie sie es tun und wer daran beteiligt ist.

Was ist eure Vision für die Zukunft des Yasuní?

Ene: Meine Vision ist, dass Yasuní ein Ort des Friedens und der Harmonie wird. Dass Yasuní ein Beispiel auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene ist, dass ein Volk nach so vielen Kämpfen den eigenen Lebensraum genießen kann. Wir wurden mehrmals geschlagen, vergewaltigt und misshandelt. Es ist Zeit, dass wir uns ausruhen.

Manaí: Ich sehe Yasuní in der Zukunft als einen Ort, an dem diese Ungleichheit nicht existiert, an dem es eine staatliche Präsenz gibt, um die Rechte der Gemeinschaften zu garantieren, an dem das Leben der Indigenen Gemeinschaften von Yasuní angemessener und würdiger ist. Und ich sehe einen Yasuní, der wiederhergestellt wird.

Dayuma: Ecuador war im Kampf um den Yasuní geeint und wir haben gewonnen. Wir haben für das „gute Leben” gewonnen (El buen vivir ist ein Leitprinzip in Ecuadors Verfassung, Anm.d.Red.). Für unsere Kinder, für die kommenden Generationen. Und auch für unsere Brüder und Schwestern in freiwilliger Isolation, damit sie in Stille leben können, denn im Moment leiden sie unter viel Lärm. Es wird dieser Tag kommen, ohne Lärm, ohne Verschmutzung, ohne dergleichen und ihr unsere Heimat besuchen könnt, unser Land, die Lunge der Welt.


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La Casa de la Chinampa

Das Projekt „Axolotl Digital“ zielt darauf ab, die ökologische, kulturelle und historische Bedeutung des Axolotls durch ein Programm von Live-Übertragungen aus dem Chinampa-Ökosystem von Xochimilco, einem Vorort von Mexiko-Stadt, zu verbreiten.

Der Axolotl ist eine endemische Spezies der Region, die schon in vorkolonialer Zeit eine wichtige Rolle in der Ernährung, Medizin und Mythologie der Bewohner*innen Mesoamerikas spielte. Mittlerweile ist er jedoch vom Aussterben bedroht, genau so wie das Ökosystem, in dem er beheimatet ist: die Chinampas. Dabei handelt es sich um ein uraltes Insel- und Kanalsystem, das schon seit der Zeit der Mexicas dem Anbau von Obst, Gemüse und anderen Nutzpflanzen dient. Bis heute ist das fruchtbare Ökosystem zentral für die Versorgung der Stadt mit Obst und Gemüse. Viele der Chinamperxs bauen dort seit vielen Generationen für die Bevölkerung Nahrungsmittel auf möglichst ökologische Art und Weise an. Doch das empfindliche Gleichgewicht des Systems gerät zunehmend unter Druck durch sich verändernde klimatische Bedingungen, Dürren und das rasante Wachstum der Stadt, das mit Gentrifizierung und der Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen zu Bauland einhergeht. „Axolotl Digital“ versucht durch weltweit ausgestrahlte Zoomcalls auf das Problem aufmerksam zu machen und Menschen über die Bedeutung der Chinampas und des Axolotls aufzuklären. Im Zentrum steht dabei das Wissen aus der Perspektive der Bewohner*innen der Region.


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Im Kampf gegen die Trockenheit

Einkommen für die Gemeinde Die Frauen stellen mochilas her (Foto: Carmela Daz)

Im Dokumentarfilm Territorio Puloui – Im heiligen Land des Wassers,produziert von Maik Gleitsmann-Frohriep und Carmela Daza, berichten Wayuu-Frauen von ihren erschwerten Lebensbedingungen und wie sie gegen Trockenheit und Armut kämpfen. Doch die größte Bedrohung scheint nicht vom sagenumwobenen weiblichen Wasserwesen Puloui auszugehen, sondern vom Kohleabbau im Steinkohlebergwerk El Cerrejón.

Regisseurin Carmela Daza begibt sich in die Heimat ihres Vaters, nach La Guajira. Die im Nordosten von Kolumbien liegende Region leidet unter extremer Trockenheit, umso mehr, seit der Kohletagebau El Cerrejón zur Austrocknung von Gewässern beiträgt. Besonders schwer davon betroffen sind die Wayuu, ein Indigenes Volk, das auch „Volk der Sonne und des Sandes“ genannt wird.

In enger Zusammenarbeit Die Wayuu Frauen als Protagonistinnen (Foto: Carmela Daz)

Seit mehr als 40 Jahren wird in El Cerrejón auf einer Fläche so groß wie Hamburg ununterbrochen Kohle abgebaut. In der Region um den Tagebau leben mehrere Indigene Gemeinden der Wayuu in rancherías (kleine landwirtschaftliche Dörfer), die Carmela Daza im Laufe der Dokumentation besucht. Dabei spricht sie mit Vertreterinnen der einzelnen Gemeinden, die ihr eindrücklich von den Auswirkungen des Kohleabbaus berichten. Zwischen den Berichten der Wayuu-Frauen sind Sequenzen mit mystisch-animierten Zeichnungen des spirituellen Universums der Wayuu-Kultur eingefügt. Sie erklären auf Wayuu das Zusammenspiel von Wasser, Erde, Sonne und Wind sowie die Entstehung des Volkes.

El Cerrejón bedroht die Lebensgrundlage der Wayuu: In den Flüssen fließt weniger Wasser und es gibt weniger Fische. “Eine Sache ist, als Volk auszusterben. Eine andere, dass multinationale Konzerne und lokale Machthaber Hand in Hand versuchen, uns auszulöschen”, prangert Aleida aus der ranchería Patsuaralii an. “Wir bleiben durstig”, sagt Doña Susana aus der ranchería Iparu. Es wächst kaum noch Gemüse, Tiere verdursten. “Es macht mich traurig, wenn ich heimkomme, und kein Feuer im Ofen brennt. Dann weiß ich, es gibt kein Mittagessen”, erzählt Yorlei unter Tränen. Aber die Wayuu kämpfen, wie beispielsweise der Bericht der ranchería Iparu zeigt. Die Gemeinde engagiert einen Geologen, der ihre Böden auf Wasservorkommen untersucht, um herauszufinden, ob ein Brunnen gegraben werden kann.

Hier verfehlt der Film die Möglichkeit, die Auswirkungen des Extraktivismus und den Kohleabbau erneut anzuprangern, denn er verschlimmert nicht nur die Dürre, sondern steht auch im Widerspruch mit dem Glauben der Wayuu. Sie betonen, dass der Mensch der Natur nur so viele Rohstoffe entnehmen sollte, wie sie abgeben kann, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Absehbar ist somit auch, dass ein Brunnen die fortschreitende Austrocknung der Region nicht verhindern kann, sondern eine Einzellösung darstellt.

Drohnenaufnahmen von La Guajira mit ihren eintönigen und sandigen Flächen stehen im Kontrast zu den bunten mochilas (Taschen), die die Wayuu-Frauen herstellen, um Geld für ihre Gemeinde zu verdienen. Sowohl visuell als auch auditiv und emotional zeichnen Carmela Daza und Maik Gleitsmann-Frohriep in der rund 90-minütigen Dokumentation über das Wasser im Nordosten Kolumbiens ein beeindruckendes und zugleich verheerendes Bild eines Indigenen Volkes, das mit dieser Art von Bedrohung auf der Welt nicht alleine dasteht.

“Das Monster” wird der Tagebau im Film immer wieder genannt eine Metapher, die angesichts der bewegenden Erzählungen der Wayuu-Frauen die Bedrohung deutlich macht. Dramaturgisch führt die Dokumentation von einer ranchería zur nächsten und stellt dabei den Kontrast zwischen dem jetzt erschwerten Leben der Indigenen, die tief spirituell verwurzelt sind, und dem industriellen Abbau von Ressourcen durch den schweizer Konzern Glencore im großen Maßstab dar. So hält die Dokumentation bildhaft eine jahrhundertealte Kultur fest, die im Begriff ist, wegen 40 Jahren Extraktivismus auszusterben.

Es ist kaum möglich, als Zuschauer*in neutral zu bleiben und keine Sympathie für die Frauen der Wayuu zu entwickeln, die ihre Situation nicht hinnehmen, sondern sich aktiv für ihre Gemeinschaft einsetzen. Wie eine Märchenerzählerin schaffen es Carmen Daza und Maik Gleitsmann-Frohriep unterhaltsam Spannung in einer Geschichte aufzubauen, deren trauriges Ende bereits erzählt scheint. Während sich die Wayuu als düstere Vorboten einer sich zuspitzenden Entwicklung bereits heute mit Wassermangel beschäftigen müssen, erahnt das Publikum, was der Menschheit früher oder später in noch viel größerem Maßstab drohen könnte. Dennoch leistet die Doku einen konstruktiven Beitrag zur Darstellung der fatalen Realität der Wayuu und lässt die Zuschauer*innen nicht nur mit einem Kloß im Hals vor dem Bildschirm zurück.


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Das heilige Buch der Energiewende

Auch gegen Wasserkraft Internationale Bewegung gegen Staudämme (Foto: Rondas Campesinas del Perú)

Es ist kein leichter Weg, den heute öffentliche und private Institutionen beschreiten. Sie aber sind nicht bereit, überholte Produktionssysteme radikal zu ändern. Ihr Problem sind ein erhöhter Ressourcenverbrauch und die fehlende Regeneration dessen, was es einmal gab.

Die Veränderung der Energieerzeugung durch erneuerbare Energiequellen reicht nicht aus, wenn der Verbrauch nicht weniger wird. Es reicht nicht, wenn die Länder, deren Wirtschaft die größten Auswirkungen auf die Klimakrise hat, keine Abstriche machen. Es ist jene Wirtschaftsproduktion, die momentan die Temperatur auf der Erde und den Meeresspiegel ansteigen lässt und damit unsere Lebensweise unwiderruflich verändert.

Bergbauprojekte, in denen Lithium, Nickel, Eisen, Mangan und Kupfer gewonnen werden, dienen vordergründig der Energiewende im Globalen Norden. Es handelt sich um Rohstoffe für die Herstellung von Batterien, Windturbinen, Kabeln und Solarzellen. Wegen ihnen stehen lateinamerikanische Länder im Mittelpunkt des internationalen Drucks für die Energiewende im Globalen Norden. Gleichzeitig wird in der Werbung massiv die Botschaft von Umweltverantwortung, Elektromobilität und erneuerbaren Energien verbreitet.

Die Regionen Antofagasta und Magallanes scheinen weit entfernt von diesen Themen. Antofagasta liegt in der Atacama-Wüste, Magallanes hingegen im südlichsten Teil des chilenischen Patagoniens, am Rande der Meerenge, von der aus Schiffe in die Antarktis fahren. Die beiden Regionen haben kaum Gemeinsamkeiten, außer dass sie in den letzten Jahren zum Zentrum der Industrialisierung des Grünen Wasserstoffs wurden. Benötigt werden große Mengen Wasser, um den trendigen Kraftstoff für die Energiewende anderer Kontinente zu erzeugen. Wasser ist, besonders in den chilenischen Gebieten der Lithium­ausbeutung, besonders knapp.

Auch in Mexiko, Bolivien und Argentinien führt die Lithiumförderung zu Konflikten mit den vom Abbau betroffenen Gemeinden. Die indigenen Gemeinden der argentinischen Region Jujuy im sogenannten „Lithium-Dreieck“ mobilisierten sich im vergangenen Jahr gegen die Reform der politischen Verfassung ihrer Provinz. Die Reform verändert die traditionelle Nutzung des argentinischen Hochlands durch die indigenen Gemeinschaften zugunsten der Privatisierung von Lithiumabbau. Lithium gilt heute als strategischer Rohstoff, mit dem Druck auf lateinamerikanische Länder ausgeübt wird. Es sollen rechtliche, wirtschaftliche und politische Bedingungen entstehen, die eine Ausweitung der Industrie ermöglichen und die angestammten Rechte der Menschen und der Umwelt außer Kraft setzen. „Unser Land trocknet aus und unser Wasser ist verseucht“, sagt Nati Machaca, eine Demonstrantin in Purmamarca. Neben den Umweltauswirkungen kommen in den Ländern noch politische Spannungen um die Kontrolle der Ressource hinzu. Nationale und ausländische Akteure ringen um ein ausgewogenes Verhältnis von Investitionen in den Lithiumabbau.

Rohstoffe für die Energiewende anderer Kontinente

Brasilien dagegen setzt auf den Bau großer Staudämme für seine Wasserkraftwerke und lagert Rohstoffe aus dem Bergbau hinter hohen Mauern giftiger Abfälle. Das führte 2015 in der Kleinstadt Mariana und 2019 in der Kleinstadt Brumadinho zu massiven Dammbrüchen und Schlammlawinen. Die Folgen davon waren Hunderte Tote, Millionen von betroffenen Menschen und Hunderte von Kilometer, die mit Bergbauabfällen überflutet wurden. Bis heute sind die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und die Gesundheit in Bundesstaat Minas Gerais zu spüren.

Heutige Gesellschaften verfügen über die Kommunikations-, Informations- und Organisationsmöglichkeiten, um die Entwicklung von Großprojekten in ihrem Umfeld zu beeinflussen. Dies kann der erste Schritt im Kampf gegen nicht beteiligungsorientierte und groß angelegte Projekte sein. Es erfordert rechtliche, mediale, politische und soziale Mobilisierung – die wiederum an den Ressourcen und organisatorischen Kapazitäten der Gemeinschaften zehrt. Gelingt sie hingegen, werden organisierte Gemeinschaften zu Instrumenten der politischen Interessensvertretung.

Viele Basisorganisationen, die in den letzten Jahrzehnten überlebt und ihre Fähigkeit zu kollektivem Handeln verbessert haben, machen große Fortschritte auf internationaler Ebene. Es gibt kein wirksameres Rezept als Organisation, Kommunikation und Internationalismus gepaart mit educación popular (dt. Bildung von unten) und strategischer Planung. Mobilisierungen, wie die Via Campesina, die Bewegung der von Staudämmen betroffenen Menschen (MAR) und die jährlichen Teilnahmen an Austauschtreffen, haben sich mittlerweile etabliert. Das sind die Schlüssel für den Widerstand und den Aufbau von Alternativen von unten. Ziel ist ein wirtschaftlich tragfähiges, gerechtes und nachhaltiges Gesellschafts­­modell, das auf Solidarität und kollektivem Reichtum gründet.

Heute sieht es so aus, als ob in den kommenden Jahrzehnten der Druck der Industrieländer auf die Entwicklungsländer zunimmt, ihre strategischen Ressourcen möglichst billig zu verkaufen. Die großen Mengen an Lithium, Wasserstoff und Mineralien, die in die Länder des Globalen Nordens transportiert werden sollen, hinterlassen einen Fußabdruck in den Gemeinschaften und Gebieten des Südens. Doch die Geschichte von Opferung und Plünderung muss sich nicht endlos wiederholen. Vielmehr müssen wir versuchen, gemeinsam für den Planeten und seine Lebewesen einzustehen.

Weiterer Druck auf die Gebiete des Südens

Die Begrenzung des Reichtums ist der Schlüssel zur Bekämpfung von Überausbeutung, irrationalem Extraktivismus und Verschmutzung ohne Regeneration. Empfehlungen und Sanktionen reichen nicht aus, denn das Leben in einigen Regionen des Planeten steht in den kommenden Jahrzehnten auf dem Spiel. In dieser Zeit ist die Suche nach Antworten durch internationale Organisationen und die akademische Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung.

Die Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und den Rechten von Mutter Erde 2010 in Bolivien war ein solcher Auftakt, bei dem sich die Bewegungen über Umweltgerechtigkeit, Klimamigration und Energiewende ausgetauscht haben, um die schleppenden Diskussionen auf den COPs zu beeinflussen. Ebenso das Alternative Weltwasserforum 2018 in Brasilien, das parallel zum berühmten Weltwasserforum in Brasilia stattfand. Letzteres ist eine jährliche Veranstaltung, die Industrieunternehmen mit hohem Wasserverbrauch und die Vereinten Nationen organisieren – ohne die Beteiligung von Bewegungen, die um das Recht auf Wasser kämpfen. Die weltweite Wasserproblematik ist mittlerweile so drastisch, dass die UNO im Jahr 2023 erstmals nach 50 Jahren wieder eine Weltwasserkonferenz organisierte. Dieses Mal lud sie einige Nichtregierungsorganisationen und Bewegungen ein.

Neben der internationalen Vernetzung ist neu, dass ein Teil der Organisationen, die vom Rohstoffmodell betroffen sind, an Wahlprozessen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene in mehreren lateinamerikanischen Ländern beteiligt war. Demokratische Entscheidungsträger und die Entwicklung von politischen Programmen unter Bürgerbeteiligung und mit einer transformativen Perspektive auf Grundlage des solidarischen Wirtschaftens sollen zu einer positiven Änderung beitragen. Höhepunkt dieser Entwicklung in Chile war die Wahl unserer Umwelt- und Wasserbewegung Modatima im ersten Verfassungsprozess, der Rat der Maya Bevölkerung (CPO) in Guatemala, die bäuerliche Selbstorganisation der Rondas Campesinas in Peru und die linke Partei Frente Patria Grande in Argentinien.

Dieses Jahrzehnt ist für Lateinamerika und die Karibik von zentraler Bedeutung. Viele neuere Entwicklungen stehen auf dem Prüfstand: die Nutzungsrechte für Projekte wie Häfen, Straßen und der Mega-Infrastruktur. Dagegen endeten viele Grundleistungen wie Trinkwasser, Strom und öffentliche Verkehrsmittel. Nun ist der Moment, die Leistungsfähigkeit der Privatwirtschaft und des öffentlichen Sektors neu zu bewerten.

So sind die Herausforderungen der Gemeinschaften infolge der Energiewende mit neuen Kämpfen für die Wiedergewinnung von Wasser und Strom zu verbinden. Auch müssen sie sich gegen Megaprojekte und den Aufbau einer Industrie des Lithiums oder des grünen Wasserstoffs richten, die nicht für den Verbrauch in Lateinamerika, sondern der USA, Europa und China bestimmt ist.

Ein Moment der Neubewertung

Die Komplexität dieser Kämpfe ist, dass es einen hohen globalen Druck gibt, das Energiemodell zu ändern. Dieser Druck wirkt sich auf Gemeinden aus. Ihr Protest wird in Frage gestellt, weil sie sich gegen die Produktion erneuerbarer Energien in ihren Gebieten wehren. So unterzeichneten in Chile 2023 knapp 70 Umweltorganisationen eine Erklärung gegen die Nationale Strategie für grünen Wasserstoff, weil es am „Schutz der Gebiete vor negativen Umwelteffekten“ mangelt. Die aktuelle Regierung ignorierte ihre Kritik, denn sie wendet sich gegen die gestiegene Nachfrage des Kraftstoffs der nördlichen Hemisphäre.

Vor diesem Hintergrund wird dies eines der Themen sein, die 2025 auf dem Gipfel der Völker in Verbindung mit der COP 30 zum Klimawandel in Brasilien behandelt werden. Der Gipfel ist eine Gelegenheit, Regeln und Kontrollen für die Länder zu erwirken, die am meisten zur Umweltverschmutzung beitragen, aber auch für jene mit einer erhöhten Nachfrage nach erneuerbaren Energien. Der Gipfel soll ein Raum für die Reflexion und strategische Planung für die kommenden Jahrzehnte sein. Betroffene von allen Kontinenten werden anwesend sein, um über die Notwendigkeit zu diskutieren, eine globale Bewegung von Gemeinschaften und Nationen für ein neues Modell einer populären, gerechten und ökologischen Energiewende aufzubauen, die Wasser, Land und Ozeane schützt.

Die Frage, Energie wofür und für wen, bleibt. Gelingt es, durch sie die Energiearmut derjenigen zu überwinden, die bisher keinen Zugang zu Heizung und Strom haben? Gelingt es, die Stromtarife neuzugestalten, um Qualität und Verteilung zu verbessern, Stromausfälle zu verringern und somit letztendlich auch zur öffentlichen Sicherheit beizutragen? Denn nur so kann es gelingen: Energie muss erst den Gemeinschaften und dann der Produktion dienen – in dieser Reihenfolge. Oder wird die Energiewende zum neuen heiligen Buch im Sinne Galeanos? Eine Bibel, die uns mit ihren Lichtern blendet, sodass wir nicht sehen, dass sie uns wieder unsere Ressourcen für die Entwicklung Anderer nehmen – weit weg von unserem Amerika und der Karibik.


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Gretchenfrage Goldmine

Menschenrechtsverletzungen registrieren Anhöhrung einer Gemeinde im Gebiet des Xingu-Flusses (Foto: Verena Glass)

Verena, Du bist gerade erst von der Delegationsreise zum Xingu-Fluss zurückge­kehrt. Was hattest Du für einen Eindruck von der Situation in dem Gebiet der geplanten Goldmine?
Die Lage in der Region ist sehr angespannt. Belo Sun will in der Volta Grande do Xingu (Große Schleife des Xingu, Anm. d. Red.) die größte brasilianische Goldmine unter freiem Himmel bauen. Das ist ein 100 Kilometer langer Abschnitt des Flusses Xingu, in dem die brasilianische Regierung bereits das Wasserkraftwerk Belo Monte gebaut hat – mit enormen Auswirkungen auf die traditionellen und indigenen Gemeinden sowie auf die Umwelt. Die indigene Gemeinde São Francisco, die noch nicht juristisch anerkannt ist, soll ihr Land verlieren und die Menschen vertrieben werden. Außerdem will sich Belo Sun das Land von Kleinbauern aneignen, die in der Agrarreformsiedlung PA Ressaca (Projeto de Assentamento Ressaca, Anm. d. Red.) leben. Aus Protest hat eine Gruppe von landlosen Familien ein Camp innerhalb der Siedlung errichtet. Und nicht zuletzt behauptet das Unternehmen, es habe von einem Großgrundbesitzer das Land der Gemeinde Vila Ressaca „gekauft“. Dort leben rund 200 Familien, die aus ihren Häusern vertrieben werden sollen.

Übt Belo Sun Gewalt gegen die Menschen der Region aus, um sie zu vertreiben?
Charakteristisch für die Gemeinde Vila Ressaca ist, dass ein Großteil der Bewohner vom traditionellen Goldschürfen lebt, bei dem das Gold aus der Oberfläche des Bodens gewonnen wird, indem man die Erde mit sehr einfachen Werkzeugen siebt. Als Belo Sun in die Region kam, hat sie den traditionellen Goldschürfern verboten zu arbeiten, was sehr viel Armut und Unfrieden gestiftet hat. Belo Sun hat dann eine Sicherheitsfirma namens Invictus unter Vertrag genommen. Deren Mitarbeiter tragen Waffen, schüchtern die Bewohner von Vila Ressaca ein, dringen in das Camp der Landlosen ein, zerstören Baracken, halten Personen auf der Straße an und überwachen alles. Als wir Ende Mai mit der Nationalen Kommission zur Eindämmung der Gewalt auf dem Land in das Gebiet reisten, um die Aussagen der bedrohten Personen und die Anzeigen gegen Belo Sun wegen Menschenrechtsverletzungen aufzunehmen, hat ein Fahrzeug von Invictus sogar die Arbeit der Regierungsmitglieder überwacht. Bewaffnete haben auch das Camp der Landlosen angegriffen, auf die Familien geschossen und versucht, Feuer in den Baracken zu legen.

Ist das Projekt der Goldmine eine Folge der Politik der Regierung Bolsonaro?
Tatsächlich hat Belo Sun bereits 2013 von der Landesregierung von Pará die erste Umweltgenehmigung erhalten. Der damalige Gouverneur ist heute Mitglied derselben Partei wie Bolsonaro. Die Bundesanwaltschaft, die für den Schutz der indigenen und traditionellen Völker verantwortlich ist, hat diese Genehmigung juristisch angefochten. 2017 wurde sie Belo Sun gerichtlich entzogen, weil das Unternehmen keine einzige Studie zu den Auswirkungen der Mine auf die indigenen Gemeinden der Arara und Juruna in der Volta Grande do Xingu durchgeführt hat. Die Regierung Bolsonaro hat Teile der Agrarreformsiedlung PA Ressaca, deren soziale Funktion die Produktion von Nahrungsmitteln durch Kleinbauern ist, für das Schürfen von Gold hergegeben. Die Goldmine wurde als nationales Projekt von prioritärer Bedeutung betrachtet. Ende 2023, bereits unter der Regierung von Lula, hat die Justiz allerdings entschieden, dass die Umweltgenehmigung für die Mine nicht von der Landesregierung von Pará, sondern vom nationalen Umweltinstitut Ibama ausgestellt werden muss. Das war für die bedrohten Gemeinden eine sehr positive Entscheidung.

Sicherheitsfirma Invictus: Beobachtet die Delegation bis die Bundespolizei sie vertreibt (Foto: Verena Glass)

Wer hat denn heute das größte Interesse daran, dass dieses Projekt durchgesetzt wird?
Der Bürgermeister der Gemeinde, in der die Mine gebaut werden soll, und der Gouverneur des Bundesstaates Pará. Denn sie würden sehr viel Geld aus den Royalties (Gebühren für den Abbau, Anm. der Red.) für die Goldschürfung erhalten. Diese Gebühren werden nicht für Pflichtausgaben eingesetzt und sind auch nicht Teil des städtischen oder des Landeshaushalts. Das Geld könnte ohne genaue Kontrolle ausgeben werden. Allein der Bürgermeister würde umgerechnet rund drei Millionen Euro im Jahr von Belo Sun erhalten.

Wie schätzen die sozialen und ökologischen Bewegungen denn die Umweltschäden durch die Goldmine ein?
Belo Sun möchte die Goldmine in einer Region errichten, die bereits schwer durch das Wasserkraftwerk Belo Monte geschädigt ist. Bis zu 80 Prozent des Flusswassers leitet Belo Monte heute durch die Turbinen. In der Volta Grande do Xingu gibt es fast keine Fische mehr und aus Wassermangel vertrocknen die Pflanzen. Hier will Belo Sun zwei Gruben von 200 Metern Tiefe ausheben, Berge aus Abraum von mehr als 100 Metern Höhe errichten sowie ein großes Staubecken für die teils giftigen Rückstände der Goldgewinnung bauen. Auf 2.428 Hektar soll dafür der Wald abgeholzt werden. Der tägliche Wasserverbrauch der Mine wäre so hoch, dass er ausreichen würde, um eine Stadt mit 45.000 Bewohner*innen zu versorgen. Die Region würde an dieser Mine zugrunde gehen.

Wie groß sind die Chancen, dieses Megaprojekt noch zu stoppen?
In der Region wird der Widerstand der Bevölkerung, mit der wir als Bewegung Xingu Vivo zusammenarbeiten, immer stärker – das ist sehr wichtig. Durch den Regierungswechsel haben wir einen besseren Dialog mit den zuständigen staatlichen Institutionen und es gibt Signale, dass die Ibama keine Umweltgenehmigung für die Goldmine erteilen wird. Wir haben außerdem unsere internationalen Partner mobilisiert und Belo Sun bei verschiedenen internationalen Instanzen angeprangert. Deshalb haben wir Hoffnung, dass wir das Projekt noch verhindern können.

Präsident Lula hat im Wahlkampf betont, dass er seit seiner letzten Amtszeit hinzugelernt habe: über Ökologie, über die Rechte der indigenen Völker. Er hat die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialen versprochen. Hält er dieses Versprechen?
Das ist eine sehr komplexe Frage. Es gibt ja nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament, in dem die extreme Rechte sehr stark ist. Der Kongress hat verschiedene Gesetze erlassen, die die Rechte der indigenen Völker verletzen. Hinzu kommen die Ministerien, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen. Das Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung oder das Umweltminis­terium zeigen eine gewisse Sensibilität für unsere Anliegen, andere Ministerien sind noch in der Hand der Rechten. Ich glaube aber nicht, dass sich die Einstellungen von Lula sehr geändert haben. Im Mittelpunkt seiner Politik steht immer die Frage der Regierbarkeit. Das bedeutet, dass die Regierung die Zufriedenheit der Agrarindustrie sicherstellen muss. Denn das Bruttoinlandsprodukt wuchs 2023 vor allem durch das Wachstum der Agrarindustrie und des Bergbaus um drei Prozent.

Gibt es auch positive Entwicklungen?
Ja, das Ibama ist deutlich gestärkt worden. Zum Beispiel werden Eindringlinge in indigene Territorien jetzt vom Ibama aus diesen entfernt. In Bezug auf die Agrarreform gab es bisher keine großen Fortschritte. Bei der juristischen Anerkennung indigenen Landes gab es nur minimale Fortschritte. Die soziale Agenda auf dem Land hat für diese Regierung zwar offiziell Priorität, oft aber nur auf dem Papier. So sind die Einschätzungen der Bewegungen sehr ambivalent: Ist es eine bessere Politik als unter Bolsonaro? Ja. Ist es eine gute Politik gemessen an unseren Forderungen? Nein!


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Und wenn sie noch so viele Gefängnisse bauen

Foto: ADES

Es hat in den letzten Wochen viele besorgniserregende Berichte aus Santa Marta gegeben. Zuletzt wurde ihr Sohn Manuel verhaftet. Wie kam es dazu?
Ja, mein Sohn wurde am 17. Mai festgenommen. Er war mit seinen Freunden auf einem Fußballplatz, als die Polizei eintraf und ihn festnahm. Auf dem Polizeirevier in Santa Marta wurde mein Sohn von den Polizisten verprügelt. Von dort aus setzten sie ihn in ein Fahrzeug und brachten ihn nach Sensuntepeque, die Hauptstadt des Departamentos. Auf dem Weg dorthin wollte er wissen, warum sie ihn gefangen genommen haben. Statt ihm zu antworten schlugen sie weiter auf ihn ein. Zum Glück wurde er innerhalb von 24 Stunden wieder entlassen. Er hat starke Schmerzen und nimmt Medikamente.

Später kam raus, dass Ihrem Sohn vorgeworfen wurde, eine kriminelle Vereinigung zu unterstützen.
Das ist die harte Realität, die vor allem junge Menschen erleiden, wenn sie unter diesem Ausnahmeregime festgenommen werden. Zunächst einmal gibt es keine Informationen darüber, warum sie gefangen genommen werden. Laut Polizeibericht soll mein Sohn mit den Banden zusammengearbeitet haben. Nach diesem Muster nimmt die Nationale Zivilpolizei immer wieder junge Leute fest. In Wirklichkeit ist das aber eine totale Farce, denn wir kennen die Gemeinden und ihre Mitglieder. Wir waren es, die hart dafür gekämpft haben, dieses Phänomen (der Bandenkriminalität, Anm. d. Red) zu stoppen, das sich hier in El Salvador seit vielen Jahren wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat. Denn die Politik des Staates war völlig unfähig dieser Situation entgegenzuwirken. Jetzt versucht diese Regierung dem Ganzen mit Massenverhaftungen ein Ende zu setzen. Seitdem wurden mehr als 65.000 Menschen gefangen genommen. Männer und Frauen.

Wie wirkt sich diese Willkür auf das Zusammenleben aus?
Seit heute Morgen hat sich hier rund um die Gemeinde und an den Haupteingängen das Militär positioniert. Letzte Woche hat eine Anhängerin des Bukelismo einen Tweet abgesetzt, in dem sie die Regierung aufforderte, unsere Gemeinde zu militarisieren, weil sie angeblich voller Bandenmitglieder sei. Wir vermuten, dass das der Grund für die starke Militärpräsenz ist. Für uns ist das alles erschreckend, denn die Älteren und auch ich haben erlebt, was es bedeutet, wenn das Militär da ist und dich kontrolliert, dich beobachtet. Das lässt die Wunden, die die Menschen in der Vergangenheit (während des Bürgerkriegs 1980 bis 1992, Anm. d. Red) erlitten haben, wieder aufreißen. Die Regierung hat klar auf Militarisierung zur Bekämpfung der Banden gesetzt und das ist die Ursache für all diese schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Freiheit, die Meinungsfreiheit, die Organisationsfreiheit – so viele Rechte werden unter diesem Ausnahmezustand verletzt. Auch unsere Genossen wurden verhaftet, aus dem einfachen Grund, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich in schwierigen Momenten wie diesen irgendwie organisiert.

Die inhaftierten Aktivisten Miguel Ángel Gómez, Alejandro Laínez García, Pedro Antonio Rivas Laínez, Antonio Pacheco sowie Saúl Agustín Rivas Ortega sind durch ihren Einsatz gegen den Bergbau weltweit bekannt geworden. Internationale Menschenrechtsorganisationen fordern ihre Freilassung. Sogar die UNO meldete sich zu Wort und verlangte von der salvadorianischen Regierung detaillierte Informationen zu den erhobenen Anschuldigungen sowie zur humanitären und rechtlichen Situation der Inhaftierten. Diese behauptete, die Gefangenen würden rechtmäßig behandelt und medizinisch betreut. Was wissen Sie über die Situation?
Unsere Kameraden wurden am 11. Januar inhaftiert. Seit der ersten Anhörung am 19. Januar hatten die Familienangehörigen keine Möglichkeit mehr, mit ihnen in Kontakt zu treten. Allerdings war die Verteidigung regelmäßig bei ihnen, bis die Angeklagten am 7. März an das Gericht in Soyapango überstellt und in das dortige ehemalige Frauengefängnis verlegt wurden. Seitdem haben auch die Anwälte sie nicht mehr gesehen. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir nicht gegen die Fortführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens sind. Aber Sorgen bereiten uns die Bedingungen, in denen sich die Kameraden jetzt befinden, zum Beispiel, was ihren Gesundheitszustand angeht. Einige von ihnen sind schon älter. Es gibt zwei, die gesundheitliche Probleme und chronische Krankheiten wie Asthma und Diabetes haben. Der Anwalt reiste vor dem 7. März jeden Tag zu ihnen, um ihnen ihre Medikamente zu geben, weil er ihnen nicht die Dosis für den nächsten Tag geben durfte. Aber seit dem 7. März ist auch das nicht mehr möglich. Von zwei Genossen verschlechterte sich der Gesundheitszustand so sehr, dass sie in ein Gefängnis namens Quezaltepeque in San Salvador verlegt wurden. Einmal durfte das Rote Kreuz die übrigen Kameraden in Soyapango besuchen. Zu unserer Überraschung empfahlen sie den Gefängniswärtern dringend, sie medizinisch versorgen zu lassen. Das beunruhigte uns sehr, denn es scheint, dass ihr Gesundheitszustand nicht gut ist. Besonders große Sorgen machen wir uns aber um Saúl Agustín Rivas. Er ist Rechtsanwalt und hat in der Vergangenheit viel mit unserer Vereinigung zusammengearbeitet. Er wurde im April in das berüchtigte Izalco-Gefängnis verlegt. Er ist dringend auf Medikamente gegen seine Zuckerkrankheit angewiesen. Aber wir haben gehört, dass es dort keine medizinische Versorgung gibt. Außerdem wurden von dort die meisten Todesfälle registriert. Wir machen uns große Sorgen um die Sicherheit und den Gesundheitszustand von Saúl.

Die Gemeinde Santa Marta war vom Bürgerkrieg und den damals vom Militär begangenen Verbrechen schwer betroffen. Welchen Zusammenhang sehen Sie in Bezug auf den Aktivismus, der in Santa Marta seit den Jahren des Bürgerkrieges ungebrochen scheint?
Diese Gemeinde hat während des bewaffneten Konflikts in den 80er Jahren viel erlitten. Für unser salvadorianisches Volk war das sehr hart, es hat unter der Unterdrückung und Gewalt sehr gelitten, Santa Marta hat den Konflikt am eigenen Leib erfahren. Um sich zu retten, mussten die Menschen aus Santa Marta nach Honduras fliehen. Aber sie kehrten noch während des Konflikts zurück und begannen sich zu organisieren. Und auf diese Weise haben wir grundlegende Dienstleistungen in der Gemeinde erreicht, wir haben sogar Gemeinschaftsgrundstücke, eine Ausbildungsstätte, die bei einigen sogar mit einem Universitätsabschluss endet. All dies verdanken wir unserer organisatorischen Stärke.

Santa Marta hatte eine große Mobilisierungskraft und dadurch wurde es möglich, dass die Nationalversammlung das Gesetz gegen den Bergbau im Jahr 2017 verabschiedet hat. Aber seitdem diese Regierung im Amt ist, ist die Situation kompliziert geworden. Man merkt, dass sie Megaprojekte in diesem Land voranbringen will. Antonio Pacheco und die anderen wurden genau in dem Moment verhaftet, als sie ein großes nationales Forum zur Sensibilisierung der Bevölkerung über die Anwesenheit von Bergbau- unternehmen organisieren wollten.

Im Juli 2023 sind die Angeklagten noch immer in Haft. Wie schaffen Sie es als Organisation trotz der Repression weiterzumachen?
Wir haben sehr schwierige Zeiten durchgestanden. Im bewaffneten Konflikt, aber auch im Kampf für die Umwelt, als wir sehr wertvolle Kameraden verloren haben. Aber wir haben die harten Momente überwunden. Das ist nur mit starken Gemeinschaften möglich, mit dieser Hingabe und auch der internationalen Solidarität. Diese Regierung hat große Angst vor dem, was die Leute von außen sagen. Für uns ist es wichtig, diese Regierung zu entlarven, obwohl wir wissen, dass wir sogar das Risiko eingehen, dass sie uns verschwinden lassen. Ich weiß nicht, ob sie kommen werden – aber sie werden uns nicht vernichten können. Egal, wie viele Gefängnisse sie bauen, egal, wie groß sie sie bauen, sie werden es nicht schaffen, die sechseinhalb Millionen von uns, die in diesem Land leben, zum Schweigen zu bringen. Es wird Stimmen geben, die diesen Kampf fortsetzen werden. Und das ist die Kraft, die uns Hoffnung gibt.


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// GANZ EHRLICH

„Ich sage mal ganz ehrlich, diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt und Gott sei Dank,” erklärte Olaf Scholz von der Bühne des Kirchtages Ende Mai, nachdem zwei Umweltaktivist*innen es gewagt hatten, seine Rede zum Ausstieg aus der Kohleverstromung zu stören.

Nicht erst damit wird klar, wie leer und heuchlerisch seine Versprechungen und Inszenierung als „Klimakanzler” waren und sind, das zeigt die miserable Klimabilanz der Regierung. Nun aber diskreditiert derselbe Kanzler auch die Klimakrise als Ideologie und diejenigen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, als von Eigeninteressen geleitete Extremist*innen. Nicht verwunderlich daher, dass auch in Deutschland die Repression gegen Klimaaktivist*innen und deren Kriminalisierung steigt, das haben zuletzt die Verhaftungen im Zusammenhang mit der Räumung des Dannenröder Forsts und die Millionenklagen von RWE gegen Anti-Kohle-Aktivist*innen gezeigt.

In Lateinamerika sieht die Repression gegen Umweltaktivist*innen noch viel düsterer aus. Dort ist Umweltschutz buchstäblich lebensgefährlich und endet für viel zu viele Aktivist*innen tödlich. Fast drei Viertel der Morde an Umweltaktivist*innen weltweit finden in Lateinamerika statt, die meisten in Kolumbien, darauf folgen – mit großem Abstand – Mexiko, Brasilien und Honduras. Die NGO Global Witness berichtet von 227 ermordeten Umweltaktivist*innen im Jahr 2020, 65 davon allein in Kolumbien. Die meisten der ermordeten Aktivist*innen hatten sich gegen Abholzung durch Forstunternehmen zur Wehr gesetzt, ein Drittel der Opfer waren Indigene. Die Zahl derer, die aufgrund ihres Engagements schikaniert, bedroht, verhaftet oder entlassen wurden, ist weitaus höher. Und nicht nur das Leben der Umweltaktivist*innen steht auf dem Spiel, sondern das ganzer Communities und Ökosysteme. Internationale Unternehmen, auch aus Deutschland, zerstören aus Profitgier in Lateinamerika komplette Regionen – mit fatalen Folgen für das Klima. Sie betreiben Tagebaue, holzen Wälder ab, vertreiben Menschen oder beuten sie als billige Arbeitskräfte aus, verseuchen Grundwasser, tragen zur Versandung, Verwüstung, fehlenden CO2-Speichern und Dezimierung der Artenvielfalt bei.

Gleichzeitig werden diejenigen, die sich vor Ort gegen diese Zerstörung wehren, als „Feind*innen der Entwicklung” dargestellt, wie es der honduranische Umweltaktivist Joaquín A. Mejía ausdrückt, und damit als störende Elemente eines „Fortschritts”, der auf extraktivistischen und neokolonialen Strukturen beruht. Von dieser Art des Fortschritts, der von vielen lateinamerikanischen Regierungen propagiert wird, profitieren neben den internationalen Konzernen auch die Politiker*innen des Globalen Nordens, die die schmutzige Ressourcenausbeutung für die Energiewende in weit entfernte Regionen auslagern können. Auf diese Weise müssen sie sich mit Lösungen für die Klimakrise, die eine Abkehr vom ewigen Wirtschaftswachstums erfordern würde, gar nicht erst beschäftigen. Doch gerade indigene Umweltaktivist*innen sind es, die bereits jetzt vorleben, dass es auch anders geht.

Nicht nur deswegen ist der notwendige und legitime Protest von Umwelt- und Klimaaktivist*innen weltweit gegen die Zerstörung unserer aller Lebensgrundlagen ebenso unbeliebt bei Politik und Wirtschaft wie die Fakten über die Klimakrise selbst. Die peinliche Diskreditierung und Einschüchterung der Aktivist*innen im Falle von Scholz soll dazu dienen, von deren Botschaft abzulenken, die klar macht, dass mit den bisher geplanten Maßnahmen der Bundesregierung die selbst gesteckten Klimaziele nicht erreicht werden. Ganz ehrlich, so lässt sich die Klimakatastrophe nicht aufhalten.


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FÜR EIN MEER OHNE ÖL

Laut und entschlossen Gegen die Ölförderung im nordargentinischen Becken (Foto: Asamblea Mar Libre de Petroleras Mar Del Plata)

„Un Mar Libre de Petroleras“ (Ein Meer frei von Ölfirmen) – so schallte es an vielen nördlichen Küstenstädten Argentiniens Anfang Januar durch die Straßen. Die Versammlung für ein Meer ohne Ölfirmen (Asamblea Por un Mar Libre de Petroleras) und das Koordinationsbündnis Schluss mit Scheinlösungen (Coordinadora Basta de Falsas Soluciones) hatten zu einem Protesttag aufgerufen, um gegen die Vergabe von Ölförder-Lizenzen im argentinischen Meer zu mobilisieren. Kurz vor Jahresende 2021, am 30. Dezember, hatte die Regierung von Fernández Lizenzen für die Erkundung von Öl-Lagerstätten im Meer vor Mar del Plata in der Provinz Buenos Aires vergeben. In drei Offshore-Abschnitten, ungefähr 300 Kilometer von der Küste entfernt, dürfen der norwegische Konzern Equinor, die staatseigene Gesellschaft YPF und die multinationale Firma Shell nun seismische Untersuchungen durchführen, um eine mögliche Ölförderung vorzubereiten. Der größte dieser Abschnitte, der sogenannte CAN-100 Block (Cuenca Argentina Norte-Nordargentinisches Becken), ist etwa 75-mal so groß wie die Stadt Buenos Aires. Die Ausschreibungen der Lizenzen hatte schon 2018 unter der Vorgängerregierung von Mauricio Macri stattgefunden, wurden aber jetzt abschließend unterzeichnet.

Eine Ölflut wäre eine Katastrophe für das Seebad

Das Vorgehen stößt bei Umweltschützer*innen auf Kritik: Sie weisen auf die Auswirkungen der bei den seismischen Untersuchungen entstehenden starken Unterwasser-Schallwellen für die Meereslebewesen hin, allen voran für die dort beheimateten Wale und Delfine. Tatsächlich war das Gebiet im nordargentinischen Becken 2014 aufgrund seiner Bedeutung für die marinen Ökosysteme als Meeresschutzzone im Gespräch. Aber nicht nur Umweltschützer*innen lehnen die neuen Pläne zur Ölförderung im argentinischen Meer ab: Im Badeort Mar del Plata leben die Einwohner*innen vom Tourismus und von der Fischerei. Sie haben sich auch den Protesten angeschlossen. Denn eine Ölflut, wie kürzlich vor der peruanischen Küste, deren Wahrscheinlichkeit von den beteiligten Konzernen heruntergespielt wird, wäre eine Katastrophe für das Seebad. „Wenn dort Ölförderfirmen tätig sind, wird es auch Öllecks geben“, so Luisina Vueso, Ozean-Campaignerin von Greenpeace Argentina. Selbst Guillermo Montenegro, Bezirksbürgermeister von Mar Del Plata, ist auf Seite der Protestler*innen und kündigte eine gerichtliche Untersuchung der Lizenzvergabe an.

Die Atlanticazo-Protestbewegung erhält ebenfalls Aufwind von den Erfolgen in Chubut. In der patagonischen Provinz verteidigen die Menschen immer wieder das dort geltende Verbot von Großtagebauen, zuletzt im Dezember 2021, als die Provinzregierung das Gesetz unerwarteterweise kippte. Nach fünf Tagen massiver Mobilisierung, die mit starker Repression beantwortet wurde, wurde das Gesetz wieder in Kraft gesetzt. „Wir versuchen, die Kämpfe des Atlanticazo mit denen des Chubutazo zu verbinden, da das Volk von Chubut schon seit fast zwanzig Jahren erfolgreich gegen die Großbergbauprojekte in Patagonien Widerstand leistet“, erklärt Juliana Orihuela von der Asamblea Mar Libre de Petroleras in Mar Del Plata. Genau wie in Chubut gründen die Protestler*innen asambleas, selbstverwaltete Versammlungen, um ihren Widerstand zu organisieren.

Das Ausbeuten der Ölreserven generiert eine Profitsumme von 35 Milliarden US-Dollar

Währenddessen stellte die Regierung am 18. Januar einen Plan für ein halbstaatliches Unternehmen vor, das den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben soll. Dabei dementiert der Minister der produktiven Entwicklung Matías Kulfas, dass die „grüne wirtschaftliche Entwicklung“ im Widerspruch zum Extraktivismus steht. Dieser wird von der Regierung unter dem Stichwort „nachhaltiger Bergbau“ weiterhin massiv vorangetrieben. Aktuell steht sie wegen der immensen Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) stark unter Druck. Viele Regierungspolitiker*innen argumentieren deswegen, dass die Einnahmen aus der Ölförderung auch für die ausstehenden Rückzahlungen an den IWF dienen können. Die argentinische Finanzzeitung ámbito zitiert ein vertrauliches Papier, demzufolge ein erfolgreiches Ausbeuten der Ölreserven des CAN-100 Blocks eine Profitsumme von 35 Milliarden US-Dollar generieren würde – ganze 70 Prozent der Schuldensumme beim IWF. Durch die von der Regierung herabgesetzten Abgaben für Mineralöl blieben davon allerdings nur knapp 5 Milliarden US-Dollar in den Staatskassen. Zusammen mit der Lizenz-Vergabe hat die Fernández-Regierung nämlich ein Dekret erlassen, das den beteiligten Firmen YPF, Shell und Equinor eine bedeutende Senkung der Abgaben für das CAN-100 Gebiet zusichert. Das Argument der Profitmaximierung zur Schuldentilgung steht also auf sehr wackeligen Beinen.

Die Kosten der Ölförderung für die Umwelt lassen sich nur erahnen. Schon jetzt werden die Folgen der Klimakrise auch in Argentinien immer sichtbarer: Erst Anfang Januar wurde der Norden des Landes von einer starken Hitzewelle mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius heimgesucht, während derer die Strom- und Wasserversorgung an vielen Orten über mehrere Tage hinweg ausfiel. Der Wasserpegel des Flusses Chubut in Patagonien erreichte einen historischen Tiefstand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1944, ebenso wie der des Flusses Paraná im Norden. Waldbrände in elf Provinzen haben den Minister für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung Juan Cabandié dazu veranlasst, Ende Dezember 2021 für zwölf Monate den Feuer-Notstand auszurufen. Dass die Regierung trotz dieser deutlich spürbaren Folgen der Klimakrise im eigenen Land an ihrem Extraktivismus-Kurs festhalten will, wirkt dabei wie ein schlechter Witz – mit absehbar drastischen Folgen.


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SEIT 18 JAHREN „NEIN“ ZUR MINE

„Das Wasser bleibt unverkäuflich“ Klare Ansage an die megaminería in Chubut (Foto: Nicolás Palacios, Luan – Colectiva de Acción Fotográfica

Zwei Tage nachdem die Legislaturperiode des Parlaments von Chubut eröffnet wurde, sollte in einer außerordentlichen Sitzung am 4. März über den Gesetzesentwurf entschieden werden. Doch bereits in den frühen Morgenstunden blockierten die Bergbau-Gegner*innen in Esquel an der Kordillere und den größeren Küstenstädten Puerto Madryn und Trelew wichtige Straßen, unter anderem die viel befahrenen Ruta 3, die eine essenzielle LKW-Route zwischen Buenos Aires und Feuerland darstellt. Daraufhin wurde die Parlamentssitzung unterbrochen und die Entscheidung zum wiederholten Male vertagt. Gegen das Vorhaben, Großbergbau-Projekte in bestimmten Zonen der Provinz zu erlauben, gibt es eine breite Bewegung in der lokalen Bevölkerung. Im Rahmen einer Volksinitiative sammelten die Einwohner*innen von Chubut innerhalb weniger Wochen und unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie über 30.000 Unterschriften. Damit wurde Anfang 2021 erfolgreich der Prozess für ein alternatives Gesetzesvorhaben eingeleitet, das ein komplettes Verbot sowohl von Tagebauen als auch von unterirdischem Bergbau in Chubut etablieren soll.

In den vergangenen Monaten hatte die Regierung der Provinz versucht, zum Teil in außerordentlichen Sitzungen des Parlaments, eine Entscheidung zum Gesetzesentwurf 128/20 zu erzwingen, der eine Zonen-Einteilung für Großbergbauprojekte etablieren soll. Damit soll das bestehende Gesetz 5001 gekippt werden, das seit 2003 den Bergbau unter freiem Himmel sowie den Einsatz des giftigen Stoffes Cyanid verbietet, der vor allem im Gold- und Erzbergbau Anwendung findet (siehe LN 548). Mit der sogenannten Zonen-Einteilung wären Großbergbauprojekte auf dem patagonischen Hochplateau im zentralen Norden Chubuts rund um die Departamentos Gaste und Telson erlaubt. „Die sogenannte zonificación ist eine imaginäre Linie, die die Anden-Kordillere vom Hochplateau trennt – als ob die Umweltverschmutzung und die Habsucht sich an diese Linie halten würden“, so Nina D’Orazio von der Bewegung „No a la mina“ in Esquel. Das Gesetzesvorhaben würde unter anderem den Weg für das umstrittene „Navidad“-Projekt der kanadischen Firma Pan American Silver freimachen, die 2010 Landrechte im Norden von Chubut erworben hat – genau dort, wo das größte unerschlossene Silbervorkommen der Welt vermutet wird.

Die Bewegung „No a la mina“ gibt es seit nunmehr 18 Jahren


Für Bergbauprojekte braucht es eigentlich eine licencia social und damit die Akzeptanz der lokalen indigenen Bevölkerung. Das patagonische Hochplateau Chubuts ist zwar relativ dünn besiedelt, aber es leben dort allein acht Mapuche- und Tehuelche-Gemeinden. Eine Information der ansässigen indigenen Gemeinden oder gar eine Einbindung hat nicht stattgefunden. „Dabei gehören die Mapuche und Tehuelche zu denjenigen, die am stärksten von den extraktivistischen Vorhaben betroffen sein würden“, führt Zulma Usqueda aus, die sich in der Stadt Comodoro Rivadavia in der Bewegung „No a la mina“ engagiert.

Die Bewegung gibt es seit nunmehr 18 Jahren. Sie geht zurück auf einen Umweltkonflikt aus dem Jahr 2003, als bekannt wurde, dass eine riesige Goldmine in der unmittelbaren Umgebung der Kleinstadt Esquel geplant war. „Wir organisierten uns mit Mund-zu-Mund-Propaganda, mit Telefonkette über Festanschluss – damals gab es weder Handys noch WhatsApp“, beschreibt D’Orazio. Die asambleas, die Versammlungen, in der sich die Anwohner*innen zusammenfanden, spielen heute noch eine zentrale Rolle in der Organisation der Anti-Bergbau-Demonstrationen. „Wir entwarfen Flugblätter, um die Nachbar*innen darüber zu informieren, wie das Gold gefördert werden sollte: mit tausenden von Litern an Wasser und unter Einsatz von Zyanid. Als die Leute mitbekamen, was los war, gab es kein Zurück mehr“, bekräftigt D’Orazio.

Mit Großdemonstrationen erkämpften die Anwohner*innen ein Plebiszit, bei dem 81 Prozent gegen den Bergbau stimmten. Daraufhin brachten sie selbst ein Gesetzesvorhaben ein, das als Gesetz 5001 verabschiedet wurde und Großbergbauprojekte mit Chemikalieneinsatz bis heute untersagt. Der zweite Artikel des Gesetzes allerdings beinhaltet eine Klausel zur besagten Zonen-Einteilung, die damals auf Druck der Bergbau-Befürworter*innen im Parlament Einzug in das Gesetz fand und vorsah, innerhalb von 180 Tagen spezielle Zonen außerhalb der Kordillere für Bergbauprojekte auszuweisen. Dies ist bis heute nicht geschehen. Jedoch macht sich der Gouverneur von Chubut, Mariano Arcioni, wie schon andere Provinzregierungen vor ihm diese Klausel zunutze, um einen erneuten politischen Versuch zu starten, Großbergbauprojekte in Chubut durchzusetzen. Arcioni trägt mittlerweile den Spitznamen „traicioni“ (traicionero – Verräter), da er sich im Wahlkampf vor weniger als drei Jahren noch klar gegen den Bergbau in seiner Provinz positioniert hatte. Jetzt argumentiert er mit neuen Arbeitsplätzen für die Region und einer „nachhaltigen“ Entwicklung des Bergbaus. Die Provinz hat hohe Schulden und die Gehaltszahlungen an die öffentlichen Angestellten sind seit Monaten im Rückstand. D’Orazio kann über das Arbeitsplatz-Argument nur den Kopf schütteln: „Das ist eine Erfindung der Bergbau-Leute. Für den Bau eines Tagebaus werden etwa 1000 Leute angestellt, aber danach braucht man sie nicht mehr, nur noch technische Fachleute. Der Provinz bleiben nur drei Prozent an Abgaben. Und die Umweltverschmutzung.“

Die Waldbrände machen das Thema zusätzlich brisant


Der Begriff „nachhaltiger Bergbau“, der sich im Gesetzesentwurf findet, wird von Umweltverbänden stark kritisiert. „Von einem nachhaltigen Bergbau zu sprechen ist quasi ein Widerspruch in sich“, so Leandro Gómez von der Nichtregierungsorganisation Fundación Ambiente y Recursos Naturales (FARN). „Wissenschaftliche Studien warnen vor den Risiken für die Wasserqualität, die die Erlaubnis von Großbergbauprojekten in Zeiten des Klima-wandels und im Kontext einer zunehmenden Wüstenbildung und einer wachsenden Bevölkerung hätte, wie es hier in der Provinz Chubut der Fall ist.“ Die Wasserverschmutzung erzürnt auch die Anwohner*innen. „Hier gibt es Berghänge mit absolut reinem Wasser. Wir möchten nicht, dass sich das ändert“, bekräftigt D’Orazio. Die Waldbrände, die im Nordwesten der Provinz über 500 Häuser und etwa 15.000 Hektar Wald zerstörten, machen das Thema zusätzlich brisant. Als der Mitte-links-Präsident Alberto Fernández Mitte März die besonders betroffene Region rund um die kleine Stadt Lago Puelo besuchte, kam es zu einem Zwischenfall: Das Auto des Präsidenten wurde mit Steinen angegriffen. In den Medien wurden „militante Bergbau-Gegner*innen“ dafür verantwortlich gemacht. Die Bewegung „No a la mina“ erklärte ihrerseits, eine pazifistische Bewegung zu sein, und sprach von eingeschleusten Polizist*innen, mithilfe derer man die Protestbewegung diskreditieren wolle. Tatsächlich ist auf einem Video des Vorfalls zu sehen, wie die Angreifer*innen in ein Auto stiegen, das über das Kennzeichen als Wagen der Provinz-Polizei identifiziert wurde.

Die Bergbaulobby übt derweil massiv Druck aus


Die ansässigen Mapuche- und Tehuelche-Gemeinden sehen sich derweil in einer doppelten Opferrolle: Sie sind mit Anschuldigungen von einzelnen Politiker*innen und rechtsgerichteten Medien konfrontiert, die sie als Brandstifter*innen bezichtigen – obwohl es dafür keine Anhaltspunkte gibt und sie selbst stark von den Bränden betroffen sind. „Wir Mapuche und Tehuelche sind es, die das Gebiet vor dem Raubbau schützen, der nach dem Feuer kommen wird. Wir verteidigen das Land vor den Klauen der Bergbau-, Forst- und Elektrizitätswirtschaft“, erklärt das Parlament der Mapuche der angrenzenden Provinz Rio Negro in einer Pressemitteilung. Der Spruch „todo fuego es político” (Jedes Feuer ist politisch), der aus der Umweltbewegung Argentiniens kommt, verdeutlicht diese Konflikte.

Die Bergbaulobby übt derweil massiv Druck aus, obwohl etwa die Firma Pan American Silver, deren umstrittenes „Navidad“-Projekt in den Start-löchern steht, das Bergbauverbot offiziell anerkennt. „Die Bergbaulobby hat nie nachgegeben, und mit jedem Wechsel der provinzialen und nationalen Regierung ist sie noch stärker geworden“, erklärt D’Orazio. Wie weit die Firmen dabei gehen, zeigen mehrere öffentlich gewordene Fälle von Korruption. Im Dezember 2020 bezichtigte eine Abgeordnete andere Parlamentarier*innen, zehn Millionen Pesos (rund 911.000 Euro) angenommen zu haben, um für das umstrittene Gesetz zu stimmen. Ebenso tauchte im gleichen Monat das Video eines Abgeordneten auf, der von der Lobby über 100.000 Pesos (rund 9110 Euro) für seine Zustimmung forderte. Ein besonders krasser Fall stammt aus dem Jahr 2014, als die erste Volksinitiative der „No a la Mina“-Bewegung im Parlament verhandelt wurde: Während der laufenden Sitzung wurde ein Abgeordneter dabei fotografiert, wie er Anweisungen eines Bergbau-Vertreters auf sein Handy bekam, wie bestimmte Formulierungen des Gesetzes zu ändern seien.

Wie geht es weiter? Seit 18 Jahren verteidigt die Bewegung „No a la mina“ erfolgreich das von unten durchgesetzte Verbot von Großbergbauprojekten. Im Zuge der schlechten wirtschaftlichen Lage Argentiniens dreht sich der politische Wind auf nationaler Ebene allerdings wieder in Richtung Extraktivismus, also der ungezügelten Rohstoff-ausbeutung, um Erlöse zu generieren – obwohl die Umweltprobleme des Landes derzeit ohnehin sehr stark sind, wie das Beispiel der Flächenbrände in den patagonischen Wäldern zeigt. Solange die wirtschaftliche Entwicklung gegen den Umweltschutz ausgespielt wird, scheint eine langfristige Lösung für den Bergbau-Konflikt nicht in Sicht. „Umweltschutz darf nicht wie ein Hindernis der wirtschaftlichen Entwicklung der Provinz interpretiert werden, sondern wie eine übergeordnete Entscheidung, um das Wasser zu schützen“, kommentiert die Nichtregierungsorganisation FARN in einer Pressemitteilung. Zulma Usqueda von der Bewegung „No a la mina“ spricht in Bezug auf die beiden Alternativen von „einem Gesetzes-entwurf des Todes oder einem Gesetzesentwurf des Volkes“. Die Protestbewegung wird deshalb weiter versuchen, den Politiker*innen ihren Slogan klarzumachen: „Wasser ist mehr wert als Gold“.


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„WIR WERDEN HIERBLEIBEN UND KÄMPFEN“

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Narlis Guzmán Angulo

ist indigene Menschenrechts- und Umweltaktivistin aus La Sierra, das zur Gemeinde Chiriguaná im Departamento Cesar in Nordkolumbien gehört. In der Initiative „mujeres guerreras“ (Kämpferische Frauen) kämpft sie gegen die lokalen Steinkohletagebaue und Monokulturen

(Foto: privat)


Wann haben die Menschen in La Sierra die ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie gespürt und welche waren es?
Am Anfang haben die Leute in meinem Gebiet dem Coronavirus nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie dachten, es wäre nicht so bedrohlich. Aber als es auch in Kolumbien immer mehr Infizierte gab und über die Medien verbreitet wurde, wie gefährlich die Krankheit ist, fing auch mein kleines Dorf an, sich verrückt zu machen. Hier gibt es zwar keinen Coronafall, im gesamten Departamento Cesar sind es 35 Infizierte (Stand Mitte April, Anm. d. Red.). Das heißt aber nicht, dass wir nicht vom Coronavirus betroffen sind. Die Zufahrtswege zum Dorf sind gesperrt. Wir sind arbeitslos. Besonders die Leute, die von Tag zu Tag leben, haben kein Essen für ihre Kinder. Zusätzlich zur Pandemie haben wir nur Wasser, das sich nicht als Trinkwasser eignet und das Bindehautentzündungen und Hautentzündungen hervorruft. Wir sind Bauern und Bäuerinnen. Ein starker Wind hat jedoch unsere Ernte zerstört. Deswegen haben wir auch mit Nahrungsmittelmangel zu kämpfen.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Bergbau und den Problemen, denen Sie sich ausgesetzt sehen?
Wir haben überhaupt keinen Nutzen davon, in einer Bergbauregion zu leben. Die Profite werden nicht verteilt. In unserem Landkreis leben wir in absoluter Armut. Es gibt nicht mal eine grundständige ärztliche Versorgung durch Gesundheitsstationen, kein Trinkwasser, kein Gas, wir leben im totalen Elend. Und solange wir nicht arbeiten können, wird das so bleiben. Die Bergbaufirmen haben sich nie für unsere Probleme interessiert, nicht mal jetzt, in diesen schwierigen Zeiten.

Wird in den Minen denn weitergearbeitet?
Die Arbeit in den Minen geht weiter, wenn auch nicht im gleichen Maße. Die Gemeinden, die noch näher an den Minen dran sind, haben versucht, die Busse aufzuhalten, die in die Minen fahren. Das hat zu vielen, auch handgreiflichen Konflikten geführt.

Die Minen im Departamento Cesar gehören Großkonzernen wie Drummond und Glencore. Wie reagieren die Bergbaufirmen auf die Probleme Ihrer Gemeinde?
Es hat die Firmen nie interessiert, die Probleme der Gemeinden anzugehen. Sie sagen, dass das neue Gesetz des Präsidenten ihnen erlaubt, weiter zu arbeiten. Das tun sie, aber ohne sich um die diversen Probleme zu kümmern, die die Gemeinde hat. Nicht einmal um die Probleme der Arbeiter*innen kümmern sie sich.

Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung vor Ort aus?
Die medizinische Versorgung ist sehr schlecht. Wir hatten mal ein Krankenhaus, das durch die unverantwortliche Politik des Staates geschlossen wurde. Als wir dagegen Widerstand leisteten, hat die Bereitschaftspolizei einen community leader von uns bei einer Demonstration erschossen. Heute wird davon gesprochen, das Krankenhaus wieder aufzubauen, aber das ist noch nicht vollständig geschehen. Laut Auskunft des Bürgermeisters gibt es 20 Betten und eine Intensivstation. Aber das Krankenhaus ist nicht so gut ausgestattet wie vorher und es gibt nicht genügend medizinisches Fachpersonal. Um unsere Gesundheit ist es sehr schlecht bestellt. Wenn wir eine fachärztliche Behandlung brauchen, müssen wir in eine der großen Städte fahren, was schwierig ist und mindestens drei Stunden dauert.

Wie denken Sie, wird die Situation nun weitergehen?
Die Pandemie ist auf ihrem Höhepunkt. Um nicht zu verhungern, müssen die Menschen arbeiten und ihr Leben gefährden, damit ihre Familien nicht sterben. Aber viele Menschen werden sterben, denn schon heute haben viele kein Essen mehr für ihre Kinder. Da wir hier in La Sierra in einer Bergbauregion leben, dachten wir, dass wir zumindest ausreichende Hilfen erhalten würden, um diese Pandemie zu überstehen, aber wir erhalten lediglich 60.000 Pesos (ca. 14 Euro). Wie soll ich damit meine 11 Personen starke Familie ernähren? Die Situation ist sehr kompliziert.

Die latino-deutsche Organisation Red de Iniciativas Comunitarias (RICO e.V.) möchte in den vom Bergbau betroffenen Regionen langfristige Strukturen für die Post-Steinkohlezeit aufbauen. Ihre Gemeinde ist eine von denen, die RICO e.V. in der Coronakrise mit einer Spendenkampagne unterstützt. Um was für ein Projekt handelt es sich?
Wir haben nicht nur mit der Pandemie zu kämpfen, sondern wir haben auch Probleme mit der Wasserversorgung. Daher kam die Idee mit den Wasserfiltern: Durch die Spendenkampagne von RICO e.V. werden 200 manuelle Wasserfilter für unseren Ort finanziert. Diese Filter werden nicht für alle reichen, aber so können zumindest die schwächsten Mitglieder unserer Gemeinschaft die Situation überstehen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft Ihres Dorfes ohne den Bergbau vor? Ist das überhaupt denkbar?
Ich und meine „mujeres guerreras“ würden uns wünschen, dass eine Zukunft ohne den Bergbau möglich ist. Wir würden gerne so leben, wie unsere Vorfahren, die ihre eigenen Nahrungsmittel anbauen und essen konnten – ohne dass wir davon krank werden oder wir oder unsere Umwelt sterben. Wir haben alle Gründe der Welt, uns zu wünschen, dass der Bergbau aufhört. La Sierra ist ein sehr kleines Dorf, aber es gibt sieben Fälle von genetischer Missbildung bei Kindern, die wir den Folgen des Bergbaus zuschreiben. Der Bergbau hat uns eine Vielzahl von Problemen beschert: Kinderprostitution, Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, politische Korruption, Umweltverschmutzung, die Zerstörung des sozialen Gefüges, Vertriebene, Vermisste, Tote. Einen ruhigen Ort zurückzugewinnen, wie den friedlichen Ort, den wir hatten, wäre ein großes Privileg. Wir wissen, dass das schwierig ist, doch wir werden hierbleiben und weiter vor Ort dafür kämpfen.


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WILLKÜRLICHE MASSNAHMEN

Guapinol widersetzt sich Sie sind keine Verbrecher, sondern Umweltschützer (Foto: uusc4all, CC BY-NC-ND 2.0)

Covid-19 ist eine Gefahr für die ganze Bevölkerung, doch einzelne Gruppen sind besonderen Risiken ausgesetzt, darunter auch die Insassen von Gefängnissen. Wegen des Platzmangels können sie nicht den nötigen Sicherheitsabstand einhalten, außerdem müssen sie häufig unter äußerst schlechten hygienischen Bedingungen leben. So geht es auch den sieben Aktivisten, die seit September vergangenen Jahres im Strafvollzug von Olanchito im honduranischen Departamento Yoro in Untersuchungshaft sitzen. In der gleichen Lage befindet sich ein weiterer Umweltschützer, der im Gefängnis von La Ceiba an der Nordküste des Landes auf seinen Prozess wartet.

Die honduranischen Behörden sehen die acht Männer als Kriminelle, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes behindern. Ihnen wird schwere Brandstiftung sowie Freiheitsentzug des Mitarbeiters eines Sicherheitsunternehmens vorgeworfen. Sie selbst weisen die Anschuldigungen zurück. Für ihre Unterstützer*innen sind sie Bürger, die kriminalisiert werden, weil sie grundsätzliche Rechte wie die auf Wasser und auf eine intakte Umwelt verteidigen. Seit Jahren protestieren sie gegen eine Eisenoxid-Mine, weil sie durch deren Bau die Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen in Gefahr sehen. Schon während der Vorarbeiten für die Mine sei es zur Verschmutzung der lokalen Flüsse gekommen, so die Aktivisten.

Der Konflikt zwischen den Bewohner*innen der Gemeinde Guapinol und dem Bergbauprojekt einer Eisenoxid-Mine ist prototypisch für Honduras – ein Land, dessen Regierung immer wieder weitreichende Entscheidungen über die Ausbeutung von Bodenschätzen trifft, ohne die Rechte und Interessen der lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen. Der Fall Guapinol hat eine lange Vorgeschichte. Anfang 2012 beschloss die honduranische Regierung die Schaffung des Nationalparks Montaña de Botaderos. In dem geschützten Gebiet entspringen zahlreiche Flüsse, wie der Río San Pedro und der Río Guapinol, welche die Region um die gleichnamige Gemeinde mit Wasser versorgen. Schon ein Jahr später beantragte das honduranische Unternehmen EMCO Mining Company, das heute den Namen Inversiones Los Pinares trägt, die Konzession für eine Eisenoxid-Mine im Nationalparkgebiet. Der Antrag wurde genehmigt, nachdem das Kerngebiet des Nationalparks zuvor verkleinert worden war.

Eine Eisenoxid-Mine im Nationalpark

Seitdem kämpft ein lokales Bündnis, in dem neben Anwohner*innen auch Bauernverbände und die katholische Kirchengemeinde organisiert sind, gegen das Projekt. Sie fühlen sich von den Behörden schlecht informiert und in ihrem Recht auf Mitsprache übergangen. Um den Fortgang der Arbeiten an der Mine zu stoppen, hatte das Bündnis 2018 ein Protestcamp organisiert, das nach einigen Monaten von honduranischen Sicherheitskräften gewaltsam geräumt wurde. Schon damals war eine Gruppe der Aktivist*innen unter anderem wegen der Besetzung öffentlichen Raumes angeklagt worden; der Prozess wurde allerdings eingestellt.

Dass es dieses Mal anders sein könnte, hängt laut Edy Tábora mit dem Bergbauunternehmen zusammen: „Wir glauben, dass das Unternehmen viel Druck ausübt, damit die Beschuldigten ins Gefängnis kommen“, so der Anwalt der inhaftierten Aktivisten. Im Herbst 2018 war eine große Gruppe von Demonstrant*innen, die die Zufahrt zum Minengelände blockierten, mit privaten Sicherheitskräften des Unternehmens zusammengestoßen. Laut Tábora wurde dabei ein Demonstrant durch den Schuss aus der Waffe einer der Sicherheitskräfte verletzt. Die aufgebrachten Demonstrant*innen nahmen den Chef der Sicherheitskräfte daraufhin fest und übergaben ihn der Polizei. Am selben Tag wurden ein Auto sowie zwei Container zur Unterbringung des Sicherheitspersonals des Unternehmens in Brand gesetzt. „Die Polizei erhielt zwei Anzeigen – eine von der Mutter des verletzten Demonstranten und eine weitere von dem Bergbauunternehmen“, sagt Anwalt Tábora. „Doch die Polizei hat entschieden, nur die Brandstiftung zu untersuchen und die Anzeige der Mutter fallen zu lassen.“

Nachdem die Aktivisten im August vergangenen Jahres freiwillig den Kontakt zu den Justizbehörden gesucht hatten, um die aus ihrer Sicht unbegründeten Vorwürfe aus der Welt zu räumen, wurden sie überraschend in Untersuchungshaft in ein Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Tegucigalpa gebracht. Seitdem versuchen ihre Anwälte, die richterliche Anordnung rückgängig zu machen. „In der ersten Anhörung hätte die Richterin erklären müssen, warum sie die Aktivisten in Untersuchungshaft nimmt – das hat sie allerdings nicht getan“, kritisiert Anwalt Tábora. Er legte Berufung gegen die Entscheidung der Richterin ein und beantragte eine neue Anhörung. Im März dieses Jahres stellte er beim Präsidenten des Obersten Gerichtshofes des Landes zudem einen Antrag auf Habeas Corpus – ein Rechtsmittel, um die Freilassung einer Person aus rechtswidriger Haft zu erreichen. „Bis zum heutigen Tage sind alle von uns eingelegten Rechtsmittel nicht bearbeitet worden“, kritisiert Tábora. Lediglich eine Verlegung der Inhaftierten aus dem Hochsicherheitsgefängnis in eine Haftanstalt in der Nähe ihres Wohnortes konnten die Anwälte bisher erreichen.

Die Aktivisten sind den Strafvollzugsbehörden durch das Kontaktverbot komplett ausgeliefert

In einem Brief wenden sich nun auch drei deutsche Bundestagsabgeordnete von der Linkspartei und den Grünen an das Menschenrechtssekretariat der honduranischen Regierung sowie den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und die Mitglieder des Berufungsgerichts. In dem Schreiben kritisieren sie, dass der Untersuchungshaft der acht Aktivist*innen jegliche rechtliche Grundlage fehle und diese somit eine willkürliche Maßnahme sei, die weder internationalen Menschenrechtsstandards noch dem Recht auf einen fairen Prozess entspreche. Zudem machen sie darauf aufmerksam, dass „vor dem Hintergrund der aktuellen Covid-19-Gesundheitskrise die Menschenrechtsverteidiger im Gefängnis großen Risiken ausgesetzt sind, weshalb es außerordentlich dringend ist, dass sie aus der Untersuchungshaft entlassen werden können.“

Mit dem Brief greifen die deutschen Abgeordneten ein Schreiben an die honduranische Regierung vom September vergangenen Jahres auf, in dem sie diese dazu aufforderten, die Einhaltung der Menschenrechte im Land zu garantieren. Während eines Besuchs in Honduras im vergangenen Herbst trafen sich einige der Abgeordneten mit Repräsentanten des Menschenrechtssekretariats der honduranischen Regierung. „Sie haben uns die Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger vorgestellt“, erinnert sich Heike Hänsel von der Linkspartei, die beide Schreiben unterzeichnet hat. „Als wir allerdings selbst mit verschiedenen Aktivisten sprachen, haben wir gemerkt, dass diese Mechanismen offenbar nicht funktionieren, da staatliche Kräfte wie die Polizei oder das Militär oft selbst Teil des Problems sind.“

Die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen ist in Honduras besonders kritisch. Nach Angaben der internationalen Nichtregierungsorganisation Global Witness wurden allein zwischen 2010 und 2017 mehr als 120 Umweltaktivist*innen ermordet. Die Gesundheitskrise durch Covid-19 hat die Lage noch verschlechtert. Edy Tábora, der Anwalt der inhaftierten Aktivisten, sieht deren Bedingungen in der Haft als äußerst problematisch an: „Wenn die Versorgung durch das öffentliche Gesundheitssystem schon für uns, die wir in Freiheit leben, katastrophal ist – wie wird es erst für die Inhaftierten sein, die so stark auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen sind, wenn es um die Versorgung mit Essen, Medikamenten und Wasser geht?“, fragt Tábora. Aufgrund des Coronavirus sind Gefängnisbesuche seit einigen Wochen nicht mehr möglich – die inhaftierten Aktivisten sind den Strafvollzugsbehörden so komplett ausgeliefert.


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ZUFÄLLIGER TOD EINES AKTIVISTEN

Hunderte Menschen verabschiedeten sich in Quintero vom Aktivisten Alejandro Castro (Foto: Frente Fotográfico)

„Ein Anarchist, der verhört wurde, fiel durch ein Fenster. Während meine Kollegen ziemlich vernünftig behaupten, dass der Anarchist Selbstmord begangen hatte, war das Urteil des Gerichts, dass der Tod des Anarchisten ein Unfall war.“ So der ermittelnde Polizeikommissar in der weltberühmten Groteske von Dario Fo „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, das auf der wahren Geschichte des Todes des Anarchisten Guiseppe Pinelli basiert. Die Realität für Aktivist*innen in Chile ist mindestens genauso bitter, wie das Theaterstück grotesk ist. Aktivist*innen werden bedroht, zusammengeschlagen, sterben in scheinbaren Unfällen oder bringen sich um. Ermittlungen verlaufen im Sande, Verantwortliche werden selten ausfindig gemacht.
Für das Jahr 2017 hatte die internationale Nichtregierungsorganisation Global Witness in ihrem Bericht „At what cost“ (Zu welchen Kosten) mehr als 120 ermordete Aktivist*innen in Lateinamerika gemeldet, die Zahlen für 2018 sind noch nicht bekannt. Besonders in Kolumbien, Mexiko und Brasilien ist der Einsatz für die Umwelt oft tödlich, nicht zuletzt wegen einer entgrenzten staatlichen Gewalt, ausgeübt von Paramilitärs und Milizen. Diese morden öffentlich und offensichtlich; der Terror gegen die Aktivist*innen soll einschüchtern und tut das auch.

Nicht nur Macarena Valdés ist unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen

In Chile hingegen, wo die Sicherheitslage stabiler ist und staatliche Gewalt in Uniform daherkommt, sterben Umweltaktivist*innen einen stillen Tod. Ihr Ableben wird nur zu gerne als Suizid kategorisiert, wohl am offensichtlichsten im Fall der jungen Mapuche und Umweltaktivistin Macarena Valdés (s. LN 526) Am 22. August 2016 fand ihr damals elfjähriger Sohn seine Mutter erhängt in ihrem Haus in Tranguil in der Nähe der Kleinstadt Pangipulli im Süden Chiles auf. Sie muss gestorben sein, während ihr anderer – zum damaligen Zeitpunkt eineinhalbjähriger – Sohn im Haus war. Nur einen Tag zuvor waren sie und ihr Ehemann Rubén Collío von Unbekannten wegen ihres Einsatzes gegen ein Wasserkraftwerk bedroht worden. Das Projekt wird von der österreichischen Firma RP Global und der chilenischen Firma Saesa vorangetrieben. Das Kleinwasserkraftwerk, das mittlerweile in Betrieb ist, verspricht Energiesicherheit und Jobs im armen Süden Chiles. „Am 21. haben sie dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem wir wohnen, gedroht. Wenn er uns nicht rauswerfen würde, würde uns etwas sehr Schlimmes passieren, weil es Leute gebe, die uns Schaden zufügen wollten. Am nächsten Tag fand man Macarena erhängt in unserem Haus auf, ohne Erklärung”, so Collío in einem Interview mit Radio UChile.
Trotz der Morddrohungen gegen Valdés ist sich die Staatsanwaltschaft bis heute sicher, dass sie Suizid begangen hat. Und das obwohl es mittlerweile ein forensisches Gutachten gibt, das besagt, dass Valdés zum Zeitpunkt, an dem sie aufgehängt wurde, bereits tot war. RP Global bestreitet jedwede Verbindung zum Tod von Valdés.

(Foto: Frente Fotográfico)

Valdés ist nicht die einzige Aktivist*in, die unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen ist. Die Gemeinden Quintero, Ventanas und Puchuncaví, rund 50 Kilometer nördlich der Küstenmetropole Valparaíso gelegen, sind in Chile zum Symbol für eine fehlgeleitete Industriepolitik geworden. 1961 wurde der Industriepark Ventanas eingerichtet, er ist eine der sogenannten zonas de sacrificio, der geopferten Zonen, in denen dem industriellen Fortschritt alles, das Meer, die Luft und auch die Gesundheit und das Leben von Menschen untergeordnet, sprich „geopfert“ wird. Mittlerweile gibt es 14 Fabriken und Kraftwerke in der Region, die Wohlstand versprechen, aber Gift und Galle liefern.
Ein trauriger Höhepunkt dieser permanenten Umweltkatastrophe fand im August 2018 statt. Eine Giftwolke zog durch Quintero, die dazu führte, dass mindestens 301 Personen, darunter 53 Schüler*innen, mit Vergiftungserscheinungen behandelt werden mussten. Die lokale Bevölkerung reagierte mit Protest, es gab Straßenblockaden und Schulbesetzungen, die mit Wasser­werfereinsätzen und Tränengas beantwortet wurden. Schließlich wurde auch noch das Militär entsandt, das mit Gummigeschossen auf Demonstrant*innen schoss.
Einer derjenigen, der die Proteste mitorganisierte, war der junge Gewerkschafter Alejandro Castro (27) von der Kleinfischergewerkschaft Sindicato S24. Am 24. September wurde er erhängt neben der U-Bahn in Valparaíso aufgefunden. Die Geschichten gleichen sich. „Ich habe Zweifel, genau wie seine ganze Familie, und das sind berechtigte Zweifel, denn es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass Alejandro sie durchlebt hat. Er wurde von Carabineros der siebten Polizeistation in Santiago bedroht. Sie haben unsere Leute angegriffen. Er war mein Freund, er ist mein Freund, er hatte einen Sohn, er war ein engagierter Mann, mit viel Disziplin, Loyalität, er war ein Verteidiger der Umwelt wie kein anderer.“ erklärte Carolina Orellana Sepúlveda, eine Freundin von Castro der Tageszeitung La Tercera.
Mehrere Quellen bestätigten, dass Castro bedroht wurde. Bei einer Demonstration hat ein unbekannter Polizist ihm zugerufen: „Alejandro Csatro, wir haben dich auf dem Zettel!“ Für die ermittelnden Behörden war dennoch schnell klar, dass sich Castro das Leben genommen hat und dass keinerlei Dritte an seinem Tod beteiligt waren. Auch wenn selbst die Kriminalpolizei davon ausgeht, dass Castro wiederholt bedroht wurde. Wieder ein Aktivist, der in der Öffentlichkeit erhängt aufgefunden wurde, nachdem er bedroht wurde. Anders als im Fall von Macarena Valdés ermittelt im Fall von Castro ein Sonderstaatsanwalt, die Ergebnisse seiner Ermittlungen stehen allerdings noch aus.
Am 31. Januar 2019 wurde der 47-jährige Marcelo Vega Cortés in der Mündung des Lingue-Flusses tot aufgefunden. Sein Pick-up-Truck war halb versenkt. Vega war Präsident der Vereinigung der indigenen Gemeinschaften von Chan Chan und ein historischer Gegner der Installation einer Pipeline der Firma Celulosa Arauco – CELCO zur Deponierung von Abfällen im Meer von Mehuín.
Eliab Viguera, Sprecherin des Komitees zur Verteidigung des Meeres von Mehuín, wies darauf hin, dass die Bedingungen, unter denen das von Vega besetzte Fahrzeug gefunden wurde, „eine äußerst gründliche Untersuchung verdienen, da der LKW halb untergetaucht war, eine Situation, die es Marcelo ermöglicht hätte, aus dem Fahrzeug auszusteigen und sich zu retten, vor allem, da es sich um eine Person mit Kenntnissen im Tauchen handelt”. Es ist gut möglich, dass es sich beim Tod von Vega um einen einfachen Autounfall handelt. Zweifel bleiben aber trotzdem bestehen – gerade auch, weil Gewalt gegen Aktivist*innen in Chile alltäglich ist. Zuletzt wurde am 22. April bekannt, dass Manuel Montenegro von der Gewerkschaft Sinamoc brutal zusammengeschlagen wurde. Sinamoc befindet sich im Arbeitskampf mit der Firma Acciones, die in Talca ein neues Gefängnis baut. Im Arbeitskampf geht es darum, dass Acciones fünf Arbeiter, die sich in Verhandlung mit der Firma befanden, entlassen hat. Montenegro wurde in einem Internetcafé mit Knüppeln verprügelt. Nach Angaben des Onlinemagazins El porteño riefen die Angreifer, bevor sie flüchteten: „Wenn du nicht abhaust und aufhörst die Firma zu nerven, wirst du das teuer bezahlen. Und wenn du nicht die Forderungen zurückziehst, bringen wir deine Familie um.“
Rodrigo Mundaca, von der Organisation Modatima, die sich in Petorca, wo Avocado-Plantagen ganze Landstriche austrocknen, für Umweltschutz einsetzt, hält diese vielen zufälligen Todesfälle für unwahrscheinlich. Mundaca selbst wurde wegen seinem Einsatz für das Wasser in Petorca mit Mord gedroht, genau wie seine Partnerin. „All dies führte zu einem Wiederaufleben von Drohungen und Folgemaßnahmen, so dass der Staatsanwalt der Region Valparaíso, Pablo Gómez, im Juli 2018 Schutzmaßnahmen für mich und unsere Kollegin Verónica Vilches erließ”, so Mundaca in der Onlinezeitschrift El soberano. Dort ergänzt er auch: „Mehrere Genossen haben davon berichtet, dass versucht wurde, sie zu überfahren, sie bei der Arbeit zu verfolgen … Es ist offensichtlich. In Chile müssen wir anfangen, uns anzusehen, was mit den sozialen Kämpfern passiert.“ Kleinkriegen lassen will er sich, wie viele andere Aktivist*innen auch, trotz der Gewalt nicht, trotz der Drohungen, trotz der vielen zufälligen Todesfälle: „Wir werden aber deswegen nicht aufhören zu kämpfen und Probleme sichtbar zu machen.“


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UNTER HOCHSPANNUNG

Protestcamp am Pass Cuesta La Dormida im Hintergrund der Berg La Vizcacha

„Natürlich, das verursacht Wut, Hilflosigkeit, Unwohlsein. Zu wissen, dass die da oben einfach weiterarbeiten und wir nicht viel dagegen tun können.“ sagt Mario Aravena Zamora und rührt in seiner Teetasse. „Aber wir werden weiter machen, bis wir Recht bekommen.“

Es ist heiß hier oben. Über dreißig Grad, und die Sonne brennt. Hochsommer in der Küstenkordillere an der Grenze der Region Valparaíso und der Metropolregión von Santiago. Sicherlich nicht die angenehmste Zeit, um ein Camp am Rande der staubigen Landstraße zu errichten. Etwas anderes bleibt Gegner*innen des Stromtrassenprojekts Cardones-Polpaico wie Aravena Zamora aber kaum übrig.

Mitte Januar hatten Anwohner*innen von La Dormida, eines Orteils von Olmué, illegale Bauaktivitäten auf ihrem Land festgestellt. Seitdem kontrolliert ein kleines Protestcamp am gleichnamigen Pass La Dormida zwischen Olmué und Til Til die Zufahrt zum Berg La Vizcacha und somit zu einem strategisch wichtigen Punkt für den Bau der Hochspannungstürme.

Nichtsdestotrotz wird auf der Rückseite des Berges weiter gebaut. Ausgehend von einem Privatgrundstück in der angrenzenden Gemeinde Quilpué bringt die beauftragte Baufirma EDEMSA Material mit Hubschraubern in das schwer zugängliche Terrain und versucht, unter Zeitdruck und in unklarer Rechtslage, die Fertigstellung der letzten dreizehn Hochspannungstürme durchzusetzen. Cardones-Polpaico ist ein Stromtrassenprojekt, welches das Kraftwerk Cardones in der Region Atacama mit dem Kraftwerk Polpaico in der Metropolregion Santiago verbinden soll. Nach der Fertigstellung wird die insgesamt 753 Kilometer lange Stromtrasse (die längste Chiles) die Metropolregion mit Energie versorgen und auf ihrem Weg die Küstenkordillere und das Biosphärenreservat La Campana – Peñuelas durchqueren. Eine Milliarde US-Dollar hatte Interchile, ein Subunternehmen der kolumbianischen ISA, ursprünglich investieren wollen.

Die Weigerung der Gemeinde Olmué, auf ihrem Land bauen zu lassen, ist bereits seit langem bekannt. Dennoch hat Interchile das Projekt fast fertiggestellt, was zu der reichlich absurden Situation führt, dass die Stromtrasse von beiden Seiten an den Ortsteil La Dormida heranreicht. Nur das letzte Verbindungsstück, die letzten dreizehn Türme, sechs von 753 Kilometern, stehen noch aus und sollen jetzt in einem illegalen Kraftakt zu Ende gebracht werden.


„Die haben immer gedacht, Geld wäre das Problem. Aber das ist es nicht.“

„Wir versuchen hier, zu kontrollieren, was auf unserem Land geschieht. Und machen damit die Arbeit, die eigentlich die Regierung machen sollte“, sagt Evelyn Marchant Figueroa, Präsidentin der Agrargemeinschaft von La Dormida in einem der wenigen freien Augenblicke. Ihr ist die Anspannung anzumerken. Andauernd klingelt das Telefon. Sie spricht mit Anwält*innen, NGOs und auch mit der nationalen Presse, welche bisher äußerst zurückhaltend über den Konflikt berichtet. „Wir haben vier mal Nein gesagt. Wir wollen das Geld nicht. Interchile will uns zu einem freiwilligen Abkommen drängen, was es aber niemals geben wird. Uns geht es um den ökologischen Schaden, den Schaden an unseren Wasservorkommen, den Schaden an den Gemeindestraßen. Die haben immer gedacht, Geld wäre das Problem. Aber das ist es nicht,“ fügt sie hinzu. Die jetzige Konfrontation ist das neueste Kapitel eines mehrjährigen Konflikts zwischen Interchile und La Dormida. Ein bereits 2014 geschlossener Kaufvertrag wurde 2015 aufgrund von Unregelmäßigkeiten annulliert. Da das Gebiet einer Agrargemeinschaft wie La Dormida in kollektivem Besitz ist, kann es nur unter der Zustimmung der Gemeinschaftsversammlung verkauft werden.
Eine Maßnahme, die der Vorgänger von Evelyn Marchant Figueroa scheinbar für unnötig empfand, als er das Land 2014 ohne Rücksprache an Interchile veräußerte.

Missmut entzündet sich besonders an der Frage, welchen Einfluss die Hochspannungstrasse auf die Umwelt haben wird. La Dormida liegt mitten im von der UNESCO ausgerufenen Biosphärenreservat La Campana-Peñuelas, einem von fünf Biosphärenreservaten mit mediterranem Klima weltweit und aufgrund des besonderen Mikroklimas Heimat einer einzigartigen, teilweise vom Aussterben bedrohten Flora und Fauna. Eine Tatsache, die Interchile im Rahmen der zur Genehmigung des Projektes notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung schlicht nicht erwähnte.

Dieses Versäumnis könnte nun Folgen haben. Denn aus Sicht der Gemeindevertreter*innen ist die gesamte Baugenehmigung ohne eine rechtmäßig durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung ungültig.

Diese Perspektive wurde zuletzt Anfang März in einem Urteil des Umweltgerichts in Santiago gestärkt. Eigentlich müsste die für die Umweltverträglichkeitsprüfung zuständige Behörde (SEA) somit Einspruch gegen die aktuelle Baugenehmigung einlegen, um diese für ungültig erklären zu lassen, was die Tür öffnen könnte für mehr als 60 weitere Beschwerden, welche auf der gesamten geographischen Länge der Stromtrasse gegen Interchile noch ausstehen. Dadurch könnte die Inbetriebnahme um Jahre verzögert, wenn nicht sogar ganz gekippt werden. In der Realität laufen die Bauarbeiten aber weiter und der zuständige SEA scheint keine Eile bei der Umsetzung des Gerichtsurteils an den Tag zu legen.

Offiziell soll der Bau der Stromtrasse Cordones-Palpaico es ermöglichen, die Energie der Solarkraftanlagen in der Atacama-Wüste in das nationale Stromsystem einzuspeisen. Dahinter steht aber weniger die Idee einer ökologischen Transformation als das ökonomische Interesse, die Investitionen des bisher unrentablen Solarkraftprojekts zu sichern. Die Gegner*innen sehen das Projekt darüber hinaus als Blaupause für weitere Energie- und Extraktivismusprojekte in der Umgebung, wie die geplante Kupfermine San Felipe oder das geplante Gaskraftwerk Los Rulos im nahe gelegenen Limache, sowie als Teil einer neuen Energiestrategie des chilenischen Staates, der den Stromexport als ein vielversprechendes Geschäftsmodell entdeckt hat.

Der chilenische Staat wollte den Konflikt aussitzen

Dass Interchile gerade jetzt versucht, die Fertigstellung zu erzwingen, ist keine Überraschung. Dem Unternehmen läuft die Zeit davon. Das Projekt hätte bereits 2017 in Betrieb gehen sollen und so sieht sich das Unternehmen seit dem ersten Januar dieses Jahres Strafzahlungen an den chilenischen Staat ausgesetzt. Kostenpunkt pro Tag: 190.000 US-Dollar.

Addiert man die rückwirkenden Strafzahlungen für die verpasste Fertigstellung im Jahr 2018, dürften sich bis Ende März bereits 83 Millionen US-Dollar an Strafzahlungen angesammelt haben, auch wenn das Unternehmen sich im Dezember noch zuversichtlich gab, diese mit dem Verweis auf „höhere Kräfte“ mindern zu können.

Mitte März ließ das Energieministerium nun verlauten, 2,6 Millionen US-Dollar an Strafzahlungen einzufordern. Die restlichen Zahlungen sollen erst nach der Fertigstellung des Projektes verhandelt werden. Ob die Strafzahlungen jedoch in voller Höhe eingefordert werden, ist mehr als fragwürdig. Evelyn Marchant Figueroa zumindest glaubt nicht daran: „Der Staat wird die Strafzahlungen nicht einfordern. Denn, wenn die das tun, dann kann Interchile dicht machen. Wir fordern also, dass der Staat konsequent ist und das Unternehmen zahlen lässt. Höhere Kräfte? Das ist lächerlich. Die haben einfach ihre Arbeit nicht gemacht.“

Daran, dass der chilenische Staat ein großes Interesse an der Fertigstellung des Projektes hat, bestehen keine Zweifel. Lange Zeit schien es so, als wollten der chilenische Staat und seine politischen Organe den Konflikt aussitzen und darauf setzen, dass Unternehmen und Kommune den Konflikt unter sich lösen. Und wie das ausgeht, ist im Bezug auf Energie- und Extraktisivmusprojekte in Lateinamerika gut bekannt: Obwohl bekanntermaßen Genehmigungen für den Bau der Türme fehlen, versucht EDEMSA jeden Tag aufs Neue, weiterzubauen. Vermeintliche Sichtungen des Geländes zur Erstellung von Umweltgutachten werden genutzt, um Bäume zu fällen, Löcher zu graben und Baumaterial zu transportieren. Mit dabei sind auch immer Vertreter privater Sicherheitsfirmen, Ex-Marines in selbstgebastelten Uniformen, mal in Schwarz und mal in Beige, mit Sonnenbrillen und vermummt, welche ein Klima der Bedrohung und Unsicherheit schaffen und stetig provozieren.
Die Arbeiter, junge Männer aus Bolivien und Peru, arbeiten unter mangelhaften Arbeits- und Hygienebedingungen und warten teilweise stundenlang auf Wasserlieferungen aus der Luft. 300.000 Chilenische Pesos, ca. 400 Euro, werden ihnen für diese Arbeit versprochen. Vollzeit, am Berg, im Hochsommer.

„Wir fordern also, dass der Staat konsequent ist und das Unternehmen zahlen lässt.“

Spätestens seit dem 25. März wird die Strategie der politischen Nichtpositionierung aber nicht länger möglich sein. Der Druck wächst: Nachdem ein Sondereinsatzkommando von mehr als einhundert Polizist*innen den gesperrten Zugangsweg zum Berg am Morgen hatte räumen lassen und drei Menschen vorübergehend festgenommen worden waren, ereignete sich wenig später ein weiterer, schwerer Zwischenfall. Ein Hubschrauber der von Interchile beauftragten Firma Ecocopter stürzte in der angrenzenden Gemeinde Quilpué ab. Alle sechs Insassen, unter ihnen auch vier Vertreter des von Interchile angeheuerten Sicherheitsdienstes, kamen dabei ums Leben.

 


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VON UND MIT AMAZONIEN LERNEN

„Zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik?“, fragte Elmar Altvater in seiner Abschlussvorlesung am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. „Wir betreiben sie in praktischer Absicht, weil wir die Welt verändern müssen, wenn wir wollen, dass sie bleibt. Die Geschichte ist nicht am Ende. Es gibt Alternativen.“ Das ist jetzt über 14 Jahre her. Und man kann es wie das Motto eines ganzen Lebens lesen.

Mit Elmar Altvater ist einer der großen kritischen Marxist*innen Europas gestorben. Sein Werk wurde in vielen Nachrufen gewürdigt, wenig beachtet blieb aber die Rolle, die Brasilien in seinem Werk und die er für Brasilien spielte. Insbesondere die Amazonasregion war für die Entwicklung seines globalisierungskritischen Ansatzes von großer Bedeutung.

Altvater hat viele Monate seines Lebens in Brasilien verbracht, zunächst als Gastprofessor in Belém, dann durch zahlreiche Einladungen zu Vorträgen und Symposien. Er sprach gut Portugiesisch. Gerne wird von denen, die während seines ersten Brasilienaufenthalts mit ihm zusammentrafen, folgende Anekdote kolportiert: Nachdem er am Vorabend seines ersten Vortrags darauf hingewiesen wurde, dass er seine Rede doch besser auf Portugiesisch halten solle, wurde er kurz bleich, verabschiedete sich höflich in den frühen Abend – und hielt am nächsten Tag seinen Vortrag in durchaus verständlichem Portugiesisch.

Wie so oft widmete er sich dabei Amazonien. Dabei stellte er die Kategorie der „Inwertsetzung“ in den Mittelpunkt seiner Analyse. Er verließ damit die traditionelle Perspektive auf „Entwicklung“, um dergestalt einen kritischen Blick auf das Verhältnis von Weltmarkt und einer peripheren Region zu werfen. Wichtig ist, dass sich Altvater nicht auf den abstrakten Sachzwang Weltmarkt – so der Titel seines Buches mit der Fallstudie zu Amazonien – beschränkte, sondern die konkreten Auswirkungen auf die Region Grande Carajás in den Blick nahm. Dort wurde 1967 das weltgrößte Eisenerzvorkommen entdeckt, dessen generalstabsmäßige Ausbeutung ab den 1980ern in die Wege geleitet wurde – mit allen sozialen und ökologischen Konsequenzen. Altvaters Verbindung von territorialer Analyse mit den Mechanismen des Weltmarkts macht das Buch noch heute lesenswert, vor allem in Zeiten, in denen sich die Debatte um Amazonien oftmals auf das Problem Entwaldung reduziert.

Altvater stellte die Frage nach den „gesellschaftlichen Naturverhältnissen“ neu: Die stoffliche Basis und das Energiemodell des Kapita­lismus waren für sein Werk zentral. Er sah damit die Grenzen des Kapitalismus nicht nur in der krisenhaften Kapitalakkumulation, sondern in dessen Verhältnis zur Natur. Aber als Marxist ging er viel weiter, als nur die Naturzerstörung zu beklagen, vielmehr insistierte er auf der Analyse der ökonomischen Logik, die dieser Zerstörung zugrunde liegt. Und er hörte auch nie damit auf, den Kapitalismus zu kritisieren und diesen als Ursache für die Zerstörung der natürlichen Grundlagen zu benennen – und nicht etwa verkürzt nur den Fleischkonsum oder die Rinderzucht.

Ebenso kritisierte er die extraktivistische Illusion, die Inwertsetzung durch Ausbeutung und Export von Rohstoffen betreibt. Dies produziere nur eine periphere Integration in den Weltmarkt und erzeuge Elend und Ausgrenzung. In den aktuellen Debatten in Lateinamerika bleiben Altvaters Analysen hochaktuell und in ihrem integrierten Blick auf ökonomische, soziale und territoriale Entwicklungen beispielhaft. Elmar Altvater ist am 1. Mai 79-jährig in Berlin verstorben. Ein großer Verlust, auch und nicht zuletzt für Amazonien.


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