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Álvaro Uribe Vélez ist seit den 1980er Jahren die politische Persönlichkeit, die die Rechte in Kolumbien angeführt hat. Er war Stadtrat, Senator, Gouverneur von Antioquia, zweimal Präsident der Republik (2002-2010), erneut Senator und wurde nun von einem kolumbianischen Gericht verurteilt.
Alles geht auf den September 2012 zurück. Der Kongressabgeordnete und Menschenrechtsverteidiger Iván Cepeda beschuldigte Álvaro Uribe Vélez im Kongress, Verbindungen zur paramilitärischen Gruppe Bloque Metro zu haben. Er stützte sich dabei auf Aussagen ehemaliger Paramilitärs. Uribe Vélez und sein Bruder hätten, so die Aussagen, den Bloque Metro gegründet, finanziert und kontrolliert. Daraufhin erhob Uribe Anklage gegen Iván Cepeda wegen Zeugenmanipulation. Dies führte zu einem jahrelangen Gerichtsverfahren.
Der Bloque Metro wurde in den 1990er Jahren auf einem Landgut der Familie des ehemaligen Präsidenten gegründet. Der Gruppe werden unter anderem tausende Morde an Zivilist*innen und andere grausame Verbrechen zugeschrieben. Der Sohn des Vorarbeiters dieses Landguts, Juan Guillermo Monsalve, war ein wichtiger Zeuge im Prozess und den folgenden Verfahren. Auch Monsalve, selbst ehemaliger Paramilitär, der eine 44-jährige Haftstrafe wegen erpresserischer Entführung verbüßt, bestätigte in seinen Aussagen die Vorwürfe gegen die Geschwister Uribe.
Uribe ist in seine eigene Falle getappt
2018 kam der Oberste Gerichtshof jedoch zu dem Schluss, dass nicht Cepeda sondern Uribe Zeugen manipuliert habe. Der Fall gegen Cepeda wurde zu den Akten gelegt und der Oberste Gerichtshof erhob Anklage gegen Uribe wegen Zeugenmanipulation. Laut dem Gerichtshof war „die Realität genau andersherum als behauptet” und Uribe sei derjenige, der Zeugen bestochen habe, um Falschaussagen gegen Cepeda zu tätigen. Ohne es zu merken, war Uribe in seine eigene Falle getappt.
Von diesem Zeitpunkt an bis zur Urteilsverkündung Anfang August entspann sich eine Art „gerichtliches Labyrinth“. Gegen Álvaro Uribe Vélez wurde wegen Zeugenbestechung (Bestechung in einem Strafverfahren), einfacher Bestechung und Prozessbetrug ermittelt. Währenddessen versuchte die Verteidigung mehrfach, eine Aufhebung des Verfahrens zu erreichen, was jedoch immer wieder abgelehnt wurde. Uribe und seine Anwält*innen ließen keine Manipulationsstrategie zur Torpedierung und Verzögerung des Verfahrens unversucht.
2020 trat der ehemalige Präsident von seinem Amt im Senat zurück, um dem Prozess zu entgehen. Nach seinem Rücktritt übernahm die von Francisco Barbosa geleitete Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren. Barbosa gilt als Verbündeter Uribes und seiner rechten Partei Centro Democrático. Bei der Staatsanwaltschaft wurde der Fall fast zu den Akten gelegt, was jedoch von den zuständigen Richterinnen abgelehnt wurde. Mit dem Amtsantritt der neuen Staatsanwältin Luz Adriana Camargo, die Barbosa 2024 ablöste, kam endlich Schwung in das Verfahren.
„Die Justiz kniet nicht vor der Macht nieder“
Die Richterin Sandra Heredia leitete eines der komplexesten Gerichtsverfahren in der jüngeren Geschichte Kolumbiens. Am 28. Juli 2025 war es dann so weit. Zu Beginn ihrer fast zehnstündigen Urteilsverkündung zeigte sie sich professionell und klar: „Das Recht darf nicht vor dem Lärm erzittern und die Justiz kniet nicht vor der Macht nieder. Die Gerechtigkeit sieht weder Namen noch Ämter noch Stände, denn ihr Blick ist ausschließlich auf die juristische Wahrheit und die ethische Pflicht gerichtet, gemäß dem Gesetz und dem Vertrauen zu entscheiden.“
In den letzten Worten ihrer Verkündung erklärte Heredia den Angeklagten Uribe Vélez wegen Zeugenbestechung und Prozessbetrug für schuldig. Sie verurteilte ihn zu zwölf Jahren Hausarrest mit sofortiger Vollstreckung. Der ehemalige Präsident legte daraufhin Berufung gegen das Urteil ein und der Fall wurde nun an den Obersten Gerichtshof von Bogotá weitergeleitet. Dieser setzte den Hausarrest bis zum Urteil in zweiter Instanz vorübergehend aus. Nun steht noch die Entscheidung aus, ob das Verfahren eingestellt wird oder die Verurteilung aufrecht erhalten bleibt. Dennoch ist das, was bereits geschehen ist, beispiellos: Zum ersten Mal in der Geschichte Kolumbiens wurde ein ehemaliger Präsident von der Justiz verurteilt.
Ein Erfolg für das Justizsystem
Unabhängig vom Urteil und dem weiteren Verlauf des Verfahrens war der Prozess selbst ein Erfolg für das kolumbianische Justizsystem. Richterin Heredia leitete das Verfahren in einem zutiefst polarisierten Land, in dem die Verteidigung zahlreiche Manöver unternahm, um das Verfahren zu verzögern. In einem Interview erklärte die ehemalige Justizministerin Ángela María Buitrago: „Man kann mit dem Urteil einverstanden sein oder nicht, aber dieser Prozess war schon lange entschieden.“ Die ehemalige Ministerin machte deutlich, dass dies kein gewöhnlicher Prozess war und dass dieses Urteil nicht nur ein Vorstoß gegen die Straflosigkeit ist, sondern ein entschiedener Schritt hin zu einer Justiz, die keine Angst vor den Mächtigen hat. Dieser juristische Meilenstein, angeführt von hochqualifizierten Juristinnen, stellt einen symbolischen Fortschritt in einer Gesellschaft dar, die historisch von Männern regiert wurde. Dass ein Prozess dieser Größenordnung in einem Land mit tief verwurzelten machistischen Strukturen von Frauen geführt wurde, ist an sich schon ein Zeichen des Wandels.
Juristischer Meilenstein
Der Fall Uribe dreht sich nur formell um Bestechung und Prozessbetrug. Er öffnet auch eine Tür, um über Uribes Verbindungen zum Paramilitarismus; über die falsos positivos (außergerichtlicher Hinrichtungen, die das Militär während des bewaffneten Konflikts in Kolumbien an Zivilisten vorgenommen hat, Anm. d. Red.), die von Organisationen wie den Madres de Soacha seit Jahrzehnten angeklagt werden, sowie über die anderen zahlreichen Verbrechen zu sprechen, die noch immer aufgeklärt werden müssen. Dieser Prozess markiert den Beginn von etwas, das man für unmöglich hielt: Gerechtigkeit und Wahrheit.
Der ehemalige Präsident wurde weniger als ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen zu einem Zeitpunkt verurteilt, der politisch von entscheidender Bedeutung ist. Wie wird sich dieses Urteil auf die von ihm gegründete und geführte Partei Centro Democrático auswirken? Wie wird sich die kolumbianische Rechte ohne ihre einflussreichste Persönlichkeit in der politischen Öffentlichkeit neu formieren?
„Wir wollen Kolumbien sagen, die Gerechtigkeit ist eingekehrt“
Darüber hinaus könnte die Verurteilung auch die Lage für andere Parteien verändern. „Während die Verurteilung von Álvaro Uribe eine Erschütterung für die nationale Politik bedeutet, stellt sie für das Centro Democrático ein Erdbeben mit unvorhersehbaren Folgen dar. Die rechte politische Formation befindet sich in einer schwierigen Lage”, so die Tageszeitung El País.
Unabhängig davon, ob der Berufung stattgegeben wird oder nicht, beweist dieses Urteil, dass Uribes Nähe zum Paramilitarismus ein ständiger Schatten auf seiner politischen Karriere war und immer sein wird. „Wir wollen Kolumbien sagen, die Gerechtigkeit ist eingekehrt.“ Die Worte, mit denen die Richterin Heredia ihr Urteil beginnt, hallen laut, obgleich diese nur ein Schritt auf dem langen, mit Straflosigkeit gepflasterten Weg sind, der noch kein Licht am Ende des Tunnels durchscheinen lässt. Dennoch gibt dieses Urteil der kolumbianischen Bevölkerung Hoffnung, indem es zeigt, dass letztendlich auch die Personen verurteilt werden können, die bislang unantastbar zu sein schienen.


















