Gegen die Monokulturen des Agrobusiness

Damit Mato Grosso leben kann Kultivieren gegen die tödliche Leere der Monokultur (Foto: Anuk Polnik)

Es ist heiß und trocken. Drei Stunden fährt man über die Verbindungsstraße von Cuiabá, Hauptstadt des Bundesstaats Mato Grosso in die 100.000 Einwohner*innen zählende Kleinstadt Cáceres, die an der Schnittstelle von drei Ökosystemen liegt: dem Sumpfgebiet Pantanal, der Savanne des Cerrado und dem Amazonas-Regenwald. Dem Blick aus dem Fenster offenbart sich eine monotone Landschaft mit steppenartigem Bewuchs. Auf einer Seite erstreckt sich weites Land mit Rinderweiden, auf der anderen undurchdringlicher Sumpf, der sich an die Windungen des Flusses Río Paraguay schmiegt. Seit Ende Mai, also schon fast vier Monate lang, hat es nicht mehr geregnet. Dabei beginnt die Trockenzeit gerade erst. Vegetationsbrände gibt es hier jedes Jahr, aber im Vergleich zu 2023 verzeichnet die Region eine Zunahme der Brände um rekordverdächtige 1024 Prozent. Drei Mal größer als Deutschland ist der Bundesstaat, in dem mehr als 20 Millionen Hektar land- und viehwirtschaftlich genutzt werden. Damit wird eine Bruttowertschöpfung von jährlich über 50 Milliarden Euro erzielt. Mit 16,4 Prozent des gesamten brasilianischen BIP ist Mato Grosso damit Spitzenreiter im nationalen Vergleich. 2022 wurden 51 Prozent der produktiven Fläche für Sojaanbau genutzt. Auf weiteren 10 Prozent wurden gleichzeitig Mais- und Zuckerrohr für die Herstellung von 5,7 Milliarden Liter Kraftstoff angebaut. Und mit 34 Millionen geschlachteten Rindern pro Jahr ist der Staat auch hier brasilienweit führend.

Der Großteil des Fleisches werden nach Europa und China exportiert, genauso wie das Soja-Kraftfutter als Nahrung für das „zukünftige Fleisch“ von Schweinen, Hühnern und Rindern. Nur auf einem verschwindend geringen Anteil, nämlich 2,5 Prozent der gesamtbrasilianischen Fläche werden mit Reis und Bohnen alltägliche Grundnahrungsmittel der Menschen im Land angebaut. Dieser Anbau in Monokultur funktioniert nur mit intensivem Einsatz von transgenem Saatgut, chemischen Düngemitteln und Agrargiften, allen voran das in Deutschland streng beschränkte Glyphosat. In Brasilien gibt es pro Jahr eine durchschnittliche Neuzulassungsquote von 545 Agrarchemikalien. Allein während der Amtszeit Bolsonaros verzeichnete Brasilien einen Rekord von 2.182 Zulassungen. Bei den Herstellern dieser Pestizide stehen auch die Namen der deutschen Unternehmen Bayer und BASF weit oben auf der Liste. Flugzeugen versprühen das Gift über den Plantagen und treffen auch anliegende Gebiete, die Chemikalien fließen in Flüsse und Grundwasser und tötet Bodenlebewesen.

Das trifft vor allem vier Gemeinschaften in Mato Grosso, die ihre Lebensweise trotz der überwältigenden Dominanz des Agrobusiness nach dem Bestellen ihres Landes oder dem Fischfang ausrichten: die kleinbäuerlichen Camponêses, die indigenen Gemeinschaften der Chiquitanos, Riberinhos, die Bewohner*innen der Flussufer des Rio Paraguay und Quilombolas (siehe Kasten auf Seite 45). Ihren Widerstand gegen das Agrobusiness organisieren sie mal aktiv durch Vernetzung mit anderen politischen Bewegungen, mal durch ihre bloße Existenz auf umstrittenem Land.

Nicht nur die Marktmacht des Agrobusiness ist immens, auch die politischen und sozialen Strukturen sind davon durchzogen. Sogar der Kultursektor spiegelt das wider: Die Country-­Musik-Stars besingen romantisierte Bilder des Landlebens. In Musikvideos wird die Monokultur als ästhetisch und fortschrittlich dargestellt, traditionelle, kleinbäuerliche Landwirtschaft dagegen als dreckig, rückschrittlich und sogar kriminell. Diese manipulierenden hat großen Einfluss auf das Konsumverhalten. Im Gegensatz zu Deutschland sehen sich Biobäuer*innen sogar gezwungen, ihre Produkte billiger zu verkaufen als konventionelle, um Konsument*innen damit zum Kauf zu „überreden“. Nur ein Beispiel von vielen, inwiefern die Macht des Agrobusiness das Überleben der Kleinbauern und -bäuerinnen gefährdet.

Camponêses

Dona Miraçi und Seu Luiz sind Kleinbäuer*innen, sogenannte camponêses. Auf ihrem Feld, etwa eine Stunde von Cáceres entfernt, wächst Maniok, Sesam, Mais und verschiedene Bohnenarten. Fünf Reihen die eine Kultur, danach die nächste. Dazwischen Bananenbäume als Windbrecher und höhere Obstbäume als Schattenspender. An den Rändern zieht sich ein Band von stachligen Ananaspflanzen entlang, die als natürlicher Zaun gegen Ameisenbären, Wildschweine und andere die Ernte gefährdenden Tiere dient. Nahe beim Haus dann Süßkartoffel, Kräuter, Zitronengras, Heilpflanzen. Die Blätter des Ora-pro-nobis-Strauchs haben dreimal so viel Protein wie ein Steak und Miraçi kann noch 50 weitere Pflanzen nennen, die eine entzündungshemmende Wirkung haben, gut gegen Magenschmerzen oder Schlafprobleme sind. Das Ehepaar, das in der Landlosenbewegung MST organisiert ist, hat sich das Land vor 22 Jahren über die in der Verfassung verankerte Agrarreform erstritten. Beide haben die fortschreitende Invasion des Agrobusiness mitverfolgt und leisten mit ihrer naturnahen Form der Bewirtschaftung Widerstand. „Jedes Jahr werden die Niederschläge rarer und die Hitzetage mehr“, beklagt Miraçi. Der ohnehin schon große Arbeitsaufwand wird durch den trockenen Boden und die brennende Sonne nicht weniger. Die Zukunft sieht Miraçi mit Sorgen: Ohne Kinder und Enkel*innen ist das Paar abhängig von ihrer körperlichen Verfassung. Ein Teil von dem, was die zwei jetzt schon nicht stemmen können, wird in Kollektivarbeit geschafft. In der Regionalen Vereinigung der agrarökologisch Produzierenden (ARPA) sind sie mit 70 weiteren Familien genossenschaftlich organisiert. Gelder aus dem „Amazonienfonds“, an dem auch Deutschland und Norwegen finanziell beteiligt sind, wurden in Bewässerungs- oder Biogasanlagen und eine Fruchtsaftkeltereig. Das System des „produktiven Waldes“ ist Grundpfeiler von ARPA und den Camponêses. Die Flugzeuge mit Pestiziden sollen eigentlich nur über die Zuckerrohrfelder der anliegenden Großgrundbesitzer*innen fliegen, aber auch über den Feldern von Luiz und Miraçi drehen sie hin und wieder ihre Schleifen. Erst kürzlich brach Feuer auf der benachbarten Zuckerrohrplantage aus, das auch auf dem Gebiet der ARPA große Zerstörung hinterließ. „Die fazendeiros (Großgrundbesitzer, Anm. d. Red.) legen Feuer, aber wir werden weiter pflanzen!“, sagt Miraçi. Jetzt ziehen sie vor Gericht.

Chiquitanos

Die Chiquitanos sind eine von knapp 300 indigenen Gemeinschaften Brasiliens. Die Dorfgemeinschaft Acorizal in Mato Grosso ist eine der wenigen Chiquitano-Gemeiden, die sich auf brasilianischer Seite befinden. Als die bolivianisch-brasilianische Grenze gezogen wurde, durchschnitt sie das Gebiet der Chiquitanos. 5000 Hektar Land umfasst Acorizal mit anliegendem Feld und Wald im Moment. Knapp 40.000 stünden den Chiquitanos laut der indigenen Behörde FUNAI zu Seit den 1960er-Jahren ist der Großteil dieses Landes von Großgrundbesitzer*innen mit ihren Rinderfarmen besetzt worden. Seit 1988 kämpfen die Indigenen Brasiliens um die damals in der Verfassung festgelegte „Demarkation“ ihres Gebiets. 14 Demarkierungen wurden letztes Jahr in ganz Brasilien realisiert, sieben sollen es 2024 sein, darunter auch, wenn alles gut läuft, das Land der Chiquitanos. „All das hat keine Bedeutung, wenn der Fluss austrocknet“, sagt Alexandra, eine der Wortführerinnen des Dorfes, im Gespräch mit LN. Frustration liegt in ihrer Stimme. All die Konflikte über Land und Kulturverlust rücken in den Hintergrund, sollte der Fluss Rio Tarumã, der durch Acorizal fließt, vollends austrocknen. Verantwortlich dafür sind laut Alexandra die großen Höfe flussaufwärts. Sie leiten das Wasser teils in künstliche Fischbecken, teils in die riesigen Rinderweiden oder nutzen es zur Bewässerung von Zuckerrohr- oder Sojafelden. Durch Abholzung oder Brandrodung des Waldes für die endlosen Weideflächen wird der Boden weniger von Wurzelwerk zusammengehalten. Sand wird in den Fluss geschwemmt und der Wasserfluss verhindert. „Wenn er austrocknet, dann trocknet alles aus“ sagt Alexandra mit bitterer Stimme. Der Rio Tarumã sei nicht nur Lebensgrundlage für die vielfältige Flora und Fauna vor Ort. Für die Chiquitano ist der Fluss Nahrungsgrundlage, ein Ort zum Baden, Waschen und nicht zuletzt Teil ihrer Spiritualität. Ribeirinhos „Baixinho“, „der Kleine“, wird Carlos von allen gerufen. Er ist im Pantanal aufgewachsen. Eine Fläche von circa 50 mal 50 Metern ist sein Territorium, direkt am Flussufer des Río Paraguay unter lichten Bäumen. Dahinter beginnt das dichte Sumpfgebiet. Baixinho lebt genauso wie die anderen Bewohner*innen des Flusses, Ribeirinhos genannt, mit dem Rhythmus des Pantanals: Abhängig von Trocken- und Regenzeit, von Wasserständen und Regenfällen. Baixinho spürt Veränderungen in diesem komplexen Ökosystem: Die jährlichen Brände hätten überproportional stark zugenommen, die Fischbestände seien dominiert von Piranhas, der beliebte Fisch Pacú werde immer seltener und das Wasser immer weniger. Das Sumpfgebiet, das mit der stetigen Dynamik aus Überschwemmung und Trockenheit lebt, sei aus dem Gleichgewicht. Ziel der großen Agro-Unternehmen ist die Umgestaltung des Río Paraguay zu einer Wasserstraße für Frachtschiffe. Die Erträge der Monokulturen aus Soja, Mais und Rohrzucker könnten so direkt durch das Pantanal zum Atlantischen Ozean bei Buenos Aires verschifft werden und von dort aus zu den Haupt-Absatzmärkten in Europa, Asien und den USA gelangen. Vierzig unabhängige wissenschaftliche Studien bestätigen, dass der Bau einer solchen Wasserstraße die vollkommene Zerstörung des Pantanals bedeuten würde. Jedes Jahr am 14. November nimmt Baixinho mit anderen Fischern deshalb an einer Bootsdemonstration teil. Über den Río Paraguay fahren sie mit Transparenten und Plakaten in die Stadt Cáceres, Darauf ist zu lesen „Die traditionellen Gemeinschaften verteidigen das Pantanal“ oder: „Sagt nein zum Hunger, sagt nein zur Cota Zero“. Das 2023 verabschiedete Gesetz mit dem Namen „Cota Zero“ soll die private Fischerei verbieten, die die Regierung dafür verantwortlich macht, dass die Fischbestände so stark zurückgehen – den Studien zum Trotz, die zeigen, dass die eigentlichen Verursacher Agrarchemikalien und Wasserwerke sind.

Quilombolas

Am Geburtstag des Flusses Jauquara kommen viele Menschen zusammen im Quilombo Vão Grande, drei Stunden von Cáceres entfernt. Der Kampf um den Rio Jauquara hat eine besondere Geschichte: 2018 wurde das Land, auf dem das Quilombo Vão Grande seit über 100 Jahren liegt, als unbewohnt ausgeschrieben und damit potenzielles Gebiet für eine Wasserkraftanlage. Ihr Bau würde das Ende des Fischreichtums bedeuten. Mit Hilfe der „Escola de Ativismo“ haben die Bewohner*innen des Tals gegen dieses Vorhaben ihren Widerstand organisiert. Drei wichtige Instrumente des Protests haben sich dabei herauskristallisiert: Eine sehr große Menge an gesammelten Unterschriften und ein Video beweisen, dass im Gegensatz zur Ausschreibung von 2018 über tausend Menschen in Vão Grande leben, traditionell an diesen Ort gebunden sind und dort ihre Kultur bewahren. Entscheidend war die Veröffentlichung eines protocolo popular: Eines kleinen Buchs, in dem Struktur, Geschichte und Widerstand der Gemeinschaft dokumentiert werden. Sie waren erfolgreich damit: das Land ist unter offiziellem Schutz und die Wasserkraftanlage am Río Jauquara das erste erfolgreich verhinderte Großbauprojekt in ganz Mato Grosso.

Die Hoffnung in Mato Grosso war groß, als im Oktober 2022 Luiz Inácio Lula da Silva (Lula), die neue Regierungsperiode in Brasilien einläutete. Doch im Nationalkongress ist das Mitte-Rechts-Lager in der Mehrheit, es fehlt an Unterstützung der Senator*innen für die Regierung. Viele öffentliche Ämter besetzen noch immer Personen aus dem Bolsonaro-Lager. In Mato Grosso schaffen die andauernden Konflikte und die fortschreitende Monokultur – landwirtschaftlich wie gesellschaftlich – einen Nährboden für Rechtes Denken und Autoritarismus. Aber im Gegenzug auch für eine Intensivierung des selbstorganisierten Widerstands.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da - egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende, alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

REGIERUNG UND MOB AUF ANGRIFF


Fürchtet einen Genozid an den indigenen Völkern Brasiliens Sônia Guajajara (Foto Senado Federal, Flickr CC BY 2.)

Bereits im Januar stiegen die gewalttätigen Übergriffe in indigenen Territorien deutlich an. Der Indigenenmissionsrat CIMI und das Observatorium „De Olho nos Ruralistas“, die Menschenrechtsverstöße gegen Indigene und das Vorgehen des brasilianischen Agrobusiness dokumentieren, zählten für die ersten drei Wochen der Regierung Bolsonaro allein acht Angriffe. Sie trafen die vier indigenen Völker der Uru Eu Wau Wau, Arara, Xavante und der Guarani Mbyá in den Bundesstaaten Rondônia, Pará, Maranhão und Mato Grosso. Außerdem wurden Siedlungen und Zeltstädte der indigenen Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul durch paramilitärische Milizen bedroht und beschossen.
In Mato Grosso wurde am 5. Januar der 38-jährige Kleinbauer Eliseu Queres von Pistoleiros erschossen. Queres wohnte zusammen mit 200 weiteren Familien auf einer Landbesetzung mi Munizip von Colniza, im Norden des Bundesstaats von Mato Grosso. Das Gelände ist eigentlich in staatlichem Besitz, wurde aber vom früheren Gouverneur des Bundesstaats, Silval Barbosa, und einem weiteren Landespolitiker illegal in Besitz genommen. Später wurde das Land, da es landwirtschaftlich nicht genutzt wurde, von Kleinbäuerinnen und -bauern besetzt, um es im Rahmen der Agrarreform der familiären Landwirtschaft zuzuführen. Eliseu Queres war zusammen mit anderen in der Nacht auf dem Weg, um Wasser zu holen, als sie aus dem Hinterhalt von Pistoleiros beschossen wurden, wie die Landpastorale CPT berichtet. Neun weitere Personen wurden verletzt; fünf von ihnen so schwer, dass sie weiterhin auf der Intensivstation behandelt werden müssen.

„Der Präsident verglich unsere Lebensweise in unseren traditionellen Territorien mit Tieren im Zoo.”

Bei den bewaffneten Übergriffen auf Xavante-Indigene im indigenen Territorium Marãiwatsédé im Bundesstaat Mato Grosso beriefen sich die Eindringlinge auf den mit Bolsonaro verbündeten Politiker Nelson Barbudo der PSL. Dieser fordert seit 2012, den Status des indigenen Territoriums Marãiwatsédé als geschütztes Gebiet abzuerkennen und dessen Aneignung durch Farmer*innen zu ermöglichen. In Südbrasilien, im Bundesstaat Rio Grande do Sul, wurden Guarani auf ihrem Gebiet Ponta do Arado von Unbekannten beschossen und ihnen befohlen, binnen weniger Tage das Gebiet zu räumen; andernfalls würden sie getötet.  „Keinen Zentimeter mehr demarkiertes Land“ wolle er den Indigenen zugestehen, so hatte Bolsonaro vor der Wahl verkündet. Nach der Wahl übertrug er die Entscheidungshoheit über Demarkationen indigenen und Quilombola-Landes an das Agrarministerium. Ministerin wurde Tereza Cristina, die als „Muse des Agrargiftes“ bekannte Vorsitzende der Agrarindustrie im brasilianischen Nationalkongress. Die Indigenenbehörde FUNAI wurde in dem von Damares Alves unterstellten Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte eingegliedert. Alves ist evangelikale Pfarrerin, Verfechterin der sogenannten „Schule ohne Partei“ und der Bekämpfung der „Geschlechterideologie“. Bolsonaro selbst erklärte, er wolle den Indigenen helfen, ihrer „Rückständigkeit“ zu entkommen und sich als vollwertige Brasilianer*innen zu integrieren. Dies will er dadurch erreichen, dass indigene Territorien für die wirtschaftliche Inwertsetzung durch Landwirtschaft und Bergbau freigegeben werden – und Indigene daran „verdienen“ könnten, zum Beispiel durch Verpachtungen. „Diese Gerede von Bolsonaro und seinem Team über indigene Völker ist rückwärtsgewandt und behandelt uns respektlos, unsere Geschichte, unsere Abstammung!“, protestierten 200 indigene Frauen aus dem Gebiet des unteren Tapajós-Flusses in Amazonien in einer gemeinsamen Erklärung, die sie Mitte Januar veröffentlichten. Die indigenen Frauen hatten sich versammelt, um über die neuen Angriffe der Bolsonaro-Regierung auf ihre Lebensweise und ihre Gebiete zu debattieren. Ihr Urteil fiel harsch aus: „Der Präsident verglich unsere Lebensweise in unseren traditionellen Territorien mit Tieren im Zoo, die in einem Käfig gefangen seien. Er macht absurde Aussagen über unsere Lebensweise und über unsere Wünsche als brasilianische Bürgerinnen.“

„Das ist keine Regierung, das ist ein Angriff!“, kommentierte auch der bekannte brasilianische Philosoph und Kolumnist Vladimir Safatle die bisherigen Entscheidungen der neuen Regierung. Kurz zuvor hatte Staatsminister Onyx Lorenzoni, die rechte Hand Bolsonaros, eine rasche „Säuberung“ der Verwaltung in die Wege geleitet. Die Maßnahme zielt auf Anhänger linker Parteien, insbesondere der oppositionellen Arbeiterpartei, die von 2003 bis 2016 die Regierung stellte. Mitarbeiter*innen in den Ministerien, die mit der Regierung ideologisch nicht auf einer Linie liegen, sollten entlassen werden, sagte Lorenzoni wenige Tage nach Amtsantritt seines Chefs. Ziel sei es, „die sozialistischen und kommunistischen Ideen“ aus den Ministerien zu verbannen. Regierungsvertreter erklärten, auch die Vergabe wissenschaftlicher Stipendien werde zukünftig nach einer ideologischen Überprüfung der Kandidat*innen erfolgen. Auch die Landlosenbewegung MST, die Landpastorale CPT und der Indigenenmissionsrat CIMI stehen im Visier der neuen Regierung in Brasília. Für den Präsidenten des neu geschaffenen Ministerialsekretariats für Grund-und-Boden-Eigentumsfragen, Luiz Antônio Nabhan Garcia, sind MST, CPT und CIMI allesamt kriminell, die MST-Schule „eine Fabrik für Diktatoren“, die es schnell zu schließen gelte.

Ziel sei es, „die sozialistischen und kommunistischen Ideen“ aus den Ministerien zu verbannen.

Angesichts der zunehmenden Zahl an gewalttätigen Übergriffen auf Indigene und Landlose, politisch flankiert durch eine reaktionären Umbau der staatlichen Strukturen, um die Agrarindustrie im Land zu stärken, mehren sich die Stimmen der Betroffenen, die auf internationaler Ebene eine harsche Reaktion einfordern. Sônia Guajajara vom landesweiten Zusammenschluss der indigenen Völker Brasiliens, APIB, forderte schon Ende Dezember einen internationalen Boykott der Produkte der brasilianischen Agrarindustrie. Da die EU eine der größten Abnehmerinnen brasilianischer Agrarprodukte sei, so Guajajara, „muss die EU für die sozialen und umweltbelastenden Konsequenzen ihrer Handelspolitik geradestehen und folgerichtig Produkte boykottieren, die aus Konfliktgebieten kommen, wie Soja aus dem mittleren Westen Brasiliens“. Andernfalls würde „die EU sich dem Genozid an Völkern und Kulturen gegenüber blind stellen“, so Guajajara.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da - egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende, alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Newsletter abonnieren