Bewegung | Costa Rica | Nummer 534 - Dezember 2018 | Politik | Wirtschaft

LAHMGELEGTES LAND

Streiks gegen die aktuelle Steuerreform und Uber blockieren in Costa Rica wichtige Verkehrsstraßen

Costa Ricas neue Regierung braucht Geld, um die verheerende Haushaltslage zu entschärfen. Streiks der Staatsangestellten gegen die geplante Reform vermischen sich mit Protesten von Taxifahrer*innen gegen den App-Anbieter Uber zu einer angespannten Lage, in der die Rollen von Verursacher*in und Opfer nicht immer klar sind.

Von Conrad Schiffmann

Taxifahrer*innen in Sorge Proteste gegen Uber verschmelzen mit Streiks der Staatsbediensteten (Foto: Hakan S. Krohn/Wikimedia.org CC-BY-2.0)

Es ist eine illustre Gruppe, die sich dort an der Absperrung trifft: Neugierige Tourist*innen, genervte LKW-Fahrer*innen und entspannte Busfahrer*innen. Sie alle sind zum Stauanfang gekommen, um zu sehen, was der Grund für die lange Wartezeit ist. Auf der anderen Seite der Absperrung steht eine Gruppe von etwa 200 Menschen. Eine Band spielt Musik, es gibt Grills und eine kleine Bühne. Was wie ein Volksfest wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Die Staatsbediensteten streiken. Und nicht nur das – die Angestellten des öffentlichen Dienstes blockieren die großen Verkehrsstraßen des Landes. In kleinen Gruppen versperren sie bevorzugt Brücken, also jene Engpässe, an denen es keine alternativen Routen gibt. Für das wirtschaftlich von Tourismus und Fruchtexport abhängige Land kommt das einer Erpressung gleich. Grund der Streiks ist die aktuelle Steuerreform. Die verheerende Haushaltslage des Landes verlangt nach Lösungen. Im laufenden Jahr droht eine Neuverschuldung von über sieben Prozent des BIP. Die Reform ist kein leichtes Unterfangen. Eine Besonderheit Costa Ricas ist die verfassungsrechtliche Regelung einiger Haushaltsposten. Insgesamt 34 Prozent des Staatshaushaltes sind von solchen festen Quoten, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich, betroffen. Gemeinsam mit den 53 Prozent für die Schuldentilgung stehen damit 87 Prozent des Haushaltes nicht zur freien Verfügung. Was übrig bleibt, reicht nicht mehr für politische Projekte und die öffentlichen Angestellten. Deshalb sei die Reform laut Präsident Alvarado zwar eine „bittere Pille“, aber unabdingbar für den Schutz des sozialstaatlichen Modells des Landes. Kernelement der Steuerreform ist eine allgemeine Mehrwertsteuer in Höhe von 15 Prozent, die die aktuelle Konsumsteuer von 13 Prozent ersetzt. Damit fallen auch Dienstleistungen unter diesen Steuersatz. Mit einem Prozent werden erstmals auch Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen besteuert. Zudem werden neue Steuern auf hohe Verbrauchsmengen an Wasser, Strom und Wohnraum erhoben, wovon jedoch über 90 Prozent der Bevölkerung nicht betroffen sein werden.

Die Blockaden kommen einer Erpressung gleich

Das allein wird nicht reichen, um den Haushalt zu konsolidieren. „Im Rahmen der Krise suchten wir nach konkreten Einsparmöglichkeiten“, erklärt Silvia Artavia, Journalistin der Tageszeitung La Nación. „Dabei stießen wir auf horrende Ausgaben im öffentlichen Sektor, wie Luxusrenten, Bonuszahlungen und Privilegien“. Auch für Präsident Alvarado steht seit Beginn seiner jungen Amtszeit fest, dass „wir auch Ausgaben reduzieren und effizienter werden müssen.“ Deshalb sieht die Reform u.a. auch neue Obergrenzen für Gehälter im öffentlichen Dienst und leistungsbedingte Rentenzahlungen vor. Dieser Diskurs treibt seine Angestellten auf die Straße. Im Namen der Allgemeinheit kämpfen sie gegen die Politik „für die Wahrung unserer Würde“, wie ein Spruchband verrät. An der Absperrung gehen die Meinungen über die Blockade weit auseinander. Juan Pablo, ein Busfahrer, kann die Bewegung nachvollziehen. „Es gibt keine andere Weise, sich Gehör zu verschaffen. Viele Bürger*innen sind gegen die Steuerreform, aber nur der öffentliche Sektor hat die Möglichkeit zu streiken.“ Ein Truckfahrer regt sich auf: „Sollen sie doch streiken, aber den Rest des Landes seine Arbeit machen lassen.“ Melanie, eine junge Studentin, sieht die Demonstranten als Teil des Problems. „Warum haben sie nicht gestreikt, als der Haushalt in Schieflage geriet? Weil sie gut bezahlt werden. Sie haben sich ihr Schweigen teuer bezahlen lassen. Jetzt müssen sie die Konsequenzen für ihr korruptes Verhalten tragen.“ Zwischen den Fahnen der Protestierenden tauchen auch Taxifahrer*innen auf, die sich am Streik beteiligen. Ihr Motiv ist nicht direkt die Steuerreform, sondern der App-Anbieter Uber. Wie in vielen Teilen der Welt stören sie sich am preiswerten Personentransport, den die App ermöglicht. Seit drei Jahren existiert er in Costa Rica. Seitdem hat sich die Causa Uber zu einem weiteren Präzedenzfall jener ineffizienten Arbeitsweise von Politik und Verwaltung entwickelt, der der Präsident indirekt eine Mitschuld an der Krisensituation gibt.

Ein weiterer Präzedenzfall ineffizienter Arbeitsweise von Politik und Verwaltung

Wie in vielen lateinamerikanischen Ländern ist Uber in Costa Rica ein großer Erfolg. In dem Land mit knapp 5 Millionen Einwohner*innen bieten nach eigenen Angaben bereits 21.000 Fahrer*innen 800.000 Nutzer*innen Fahrten an. Die Attraktivität hat mehrere Gründe. Die Mehrheit der Costa-Ricaner*innen lebt in der Hauptstadtregion um San José, die ein Abbild des autozentrierten Stadtmodells der Vereinigten Staaten ist. Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen finden darin keinen Platz, während der öffentliche Nahverkehr höchst ineffizient ist. Wer kein eigenes Auto besitzt, nutzt das Taxi – oder eben Uber. Taxifahrer*innen genießen aber einen schlechten Ruf. Das jahrzehntealte Monopol und lasche Kontrollen haben eine Servicewüste hinterlassen. Fahrten ohne Taximeter, Umwege und Belästigungen machen Uber zur sicheren Alternative. Das ausschlaggebende und zugleich umstrittenste Argument ist der Preis: Uber ist günstiger als die offiziellen Taxis. Der niedrige Preis ist jedoch durch die Illegalität der Dienstleistung teuer erkauft. Taxifahrer*innen organisieren sich in Genossenschaften, sie benötigen eine staatliche Lizenz und zahlen Steuern. Die Fahrer*innen von Uber überlassen 25 Prozent ihrer Einnahmen Uber, der Rest ist für sie. Trotz Ubers Wachstums und mehrerer Streikwellen der Taxifahrer*innen ist seitens der Politik wenig passiert. Die vergangene Regierung hat Uber offiziell für illegal erklärt, in der Praxis ist der Betrieb aber weitestgehend geduldet. In dieser unkontrollierten Illegalität sieht der Abgeordnete Enrique Sánchez der regierenden Partei der Bürgerlichen Aktion (PAC) den falschen Weg. Er ist einer der wenigen Abgeordneten, die öffentlich Lösungen präsentieren. Für ihn ist Uber mehr als ein Taxiunternehmen. Es ist der Vorbote neuer Arbeitsformen und Unternehmensmodelle. „Wir müssen uns entscheiden. Glauben wir, dass sich der Fortschritt an unsere Gesetze anpasst oder passen wir diese lieber an den Fortschritt an?“ Letztendlich gäbe es zwei Wege, mit Uber umzugehen: Ein komplettes Verbot oder die Legalisierung. In Costa Rica liefe es aber stets auf einen dritten Weg, einen „faulen Kompromiss“, hinaus. Sánchez macht sich für eine Liberalisierung des gesamten Personentransportes stark. Derzeit leiden auch die Taxifahrer*innen unter einer ausufernden Bürokratie und als Folge dessen an einem informellen Handel mit Lizenzen. „Nutzen wir die Gelegenheit und schaffen ein neues Lizenzverfahren für alle!“ Das legalisiere jede geleistete Arbeit, besteuere sie und biete allen den staatlichen Versicherungsschutz. „Dadurch öffnen wir Innovationen die Tür, schaffen mehr Wettbewerb und die Fahrer*innen können frei entscheiden, für welchen Anbieter sie fahren. Wir lösen das Problem langfristig und gerecht – auch für Technologien, die noch kommen.“

In Costa Rica läuft es stets auf einen faulen Kompromiss hinaus

Die Idee einer weitreichenden Reform der Lizenzstruktur trifft jedoch auf Widerstand. Das federführende Transportministerium fürchtet einen Bedeutungsverlust. Und der Vorsitzende der Taxigewerkschaft, Rubén Vargas, hält am Verbot von Uber fest. „Sie zerstören die Arbeitsplätze derer, die Steuern zahlen und ersetzen sie durch illegale Billigarbeit. Und am Ende gehen die Einnahmen in die USA. Ist das etwa die moderne Welt?“ Uber hält dem entgegen, dass es kein Transportunternehmen sei, sondern die Fahrten lediglich vermittele. Daher wäre eine Gleichstellung mit Taxiunternehmen nicht rechtens. Darüber hinaus gibt sich das Unternehmen öffentlichkeitsscheu, Kommunikationsexpert*innen wimmeln Presseanfragen ab. Man präferiert den direkten Draht zur Politik.

Dort wird im Transportministerium der Kompromissvorschlag verhandelt. Enrique Sánchez kennt und erklärt ihn: „Statt einer Gleichstellung mit den Taxiunternehmen verpflichtet sich Uber, 3Prozent seiner Einnahmen in einen Mobilitätsfonds zu zahlen und seine Fahrer*innen staatlich zu versichern.“ Den Taxifahrer*innen werde der Erwerb der Lizenz erleichtert. „Dieser Entwurf findet wahrscheinlich eine politische Mehrheit, löst aber die eigentlichen Probleme nicht.“ Statt einer weitreichenden Reform, wie Sánchez sie fordert, fördert der Entwurf die bestehenden Strukturen. Er geht nicht die vernachlässigten Kontrollen, die komplizierte Überregulierung und das autozentrierte Stadtmodell an – alles Aufgaben des Transportministeriums, das auch den neuen Mobilitätsfonds verwalten wird. Damit besteht die Gefahr, dass sich um ihn jene bürokratischen Hürden entwickeln, die die Modernisierung bremsen. Und, dass die Mittel aus dem Fonds eher in den Straßenbau als in den öffentlichen Nahverkehr investiert werden. Zudem fehlen wichtige argumentative Stützen des Kompromisses. Sánchez kann nicht sagen, wie die drei Prozent zustande kamen. Als Vorbild dienen ähnliche Gesetze z.B. aus Chile. Costa-ricanische Eigenheiten, wie das Sozialstaatssystem, werden dabei nicht berücksichtigt. Da Uber derzeit illegal ist, liegen auch keine Zahlen vor. Es ist offen, was diese drei Prozent ausmachen und wie sie mit potenziellen Schäden der Volkswirtschaft durch einen reduzierten Taxisektor im Verhältnis stehen. Es ist daher schwer zu sagen, ob die drei Prozent „Steuern“ angemessen sind – und gemessen woran? Gerade im Rahmen der aktuellen Krise hätten makroökonomische Argumente der Debatte helfen können, der vom Präsidenten geforderten Effizienzsteigerung ein Gesicht zu verleihen.

Das wäre etwas Neues: Radwegebau statt Straßenausbau

Der benötigte Erneuerungsprozess droht daher an den internen Strukturen der Ministerialbürokratie zu scheitern. Auch deren Mitarbeiter*innen stehen neben den Taxifahrer*innen und gemeinsam legen sie das gesamte Land lahm im Kampf um ihre Würde. Eine wahrlich illustre Zusammenkunft also, auf beiden Seiten der Absperrung, mündet in einer konfusen Rollenverteilung bezüglich Problem, Verantwortlichkeit und Opfer. Doch plötzlich regt sich was an der Streikfront. Die Polizei räumt die Barrieren beiseite. Wird die Blockade geöffnet? „Ja“, erklärt Juan Pablo, der Busfahrer. „Es ist 16 Uhr. Der Streik ist für heute vorbei. Ab jetzt haben wir freie Fahrt bis San José.“ Ein bisschen Ordnung herrscht also doch: Selbst, wenn es um die eigene Würde geht, macht der öffentliche Dienst pünktlich Feierabend.


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