Gescheiterter Neuanfang

Mit einem hoffnungsvollen Blick sagt Gabriel Huenteman: „Ich möchte weiterhin daran glauben, dass die Verantwortlichen in der Regierung ernsthaft an der Lösung unserer Probleme interessiert sind.“ Huenteman ist Mapuche, seine Familie lebt inmitten der Anden an der Grenze zu Argentinien und kämpft seit Jahrzehnten um ihr Land.

Ungeklärte Landrechte, Landbesetzungen und durch Großgrundbesitzer*innen angeeignete Landflächen sind der Ursprung des Konflikts. Ein staatliches Programm zur Landverteilung kommt seit Jahrzehnten nur schleppend den Landforderungen der Mapuche nach. Viele Mapuche setzen daher auf Landbesetzungen und militante Formen des politischen Kampfs. Die im März 2022 angetretene linksreformistische Regierung unter Gabriel Boric weckte große Erwartungen bezüglich der Erfüllung ihrer historischen Forderungen. Kurz nach Halbzeit der Regierungsperiode schwindet für viele langsam die Hoffnung auf Fortschritte.

Der 33-jährige Huenteman beginnt zu erzählen, wie seine Familie seit Jahrzehnten um ihr traditionell genutztes Land kämpft, wie sein Großvater ein ehemaliges Oberhaupt der Gemeinschaft juristisch verfolgt wird und wie die ganze Familie im März dieses Jahres nach Santiago vor den Präsidentenpalast reiste, um die Regierung um Hilfe zu bitten. Dort wurden sie zwar von mehreren zuständigen Politiker*innen empfangen. „Wir haben die Sitzungen aber ohne klare Antworten verlassen“, berichtet Huenteman wenig optimistisch.

Der Landkonflikt seiner Familie ist typisch für die südliche Bergregion Chiles. Die Pehuenche, eine Untergruppe der Mapuche, leben als Halbnomaden in den Anden und lassen ihre Tiere auf den Bergflächen weiden. Huenteman erzählt, dass ihnen mit der militärischen Besetzung durch den chilenischen Staat Ende des 19. Jahrhunderts zwar ein kleines Grundstück zugewiesen wurde, doch die eigentliche Weidefläche nie rechtlich als ihr Eigentum eingetragen wurde.

Seit den 2000er Jahren beansprucht nun eine reiche Familie die Weidefläche der Familie Huenteman. Im Jahr 2002 wurde der Großvater Atilo Pereira zum ersten Mal wegen illegaler Landbesetzung verurteilt. Seitdem folgen Räumungsdrohungen durch die Polizei, die Rückkehr der Familie Huenteman auf das Weideland und erneute Anzeigen. Huenteman erklärt: „Zuletzt kam die Polizei im April 2024, aber da wir schon von der Sommerweide zurück ins Tal gegangen waren, zogen sie ohne Vollstreckung der Räumung fort und erklärten das Land für unbesetzt.“

Seit spätestens 2003 erkennt der chilenische Staat offiziell eine historische Schuld des Landraubs an den Indigenen an. Der Bericht zur „historischen Wahrheit und einem neuen Umgang“, den der damalige Mitte-links-Präsident Ricardo Lagos in Auftrag gab, spricht von 6,4 Prozent der ehemaligen Ländereien, die den Mapuche nach der Eroberung zugestanden wurde, meist in Hügeln und auf eher unfruchtbarem Land. Und selbst von diesen Ländereien wurden die Mapuche teilweise danach vertrieben: durch die Verschiebung von Grenzmarkierungen, Betrug und Eintreibung von Schulden.

Mit dem Bericht von 2003 wurde auch die Nationale Kooperation für indigene Entwicklung (CONADI) eingesetzt, die fortan Ländereien kaufen und an Indigene zurückgeben soll. Doch der Prozess geht nur schleppend voran. Laut Informationen der CONADI erhielten bis zum Jahr 2023 nur 807 indigene Gemeinschaften Ländereien zurück – ein Bruchteil der offiziell 235.000 indigenen Mapuche-Gemeinschaften und knapp 3.000 überreichten Besitztitel. Bis heute ist unklar, wie viele Ländereien genau zurückgegeben werden müssen.

Chiles Präsident Boric setzte für die Lösung eine Kommission aus Mapuche und Vertreter*innen der Unternehmen und Großgrundbesitzer*innen der Region ein. Die seit fast einem Jahr tagende Kommission für Frieden und gegenseitiges Verständnis sollte ursprünglich die Anzahl der Ländereien angeben und einen Plan zur Rückgabe ausarbeiten. Doch selbst das Ziel ist unklar. Das ultrarechte Kommissionsmitglied Sebastián Naveillán erklärte noch zu Beginn, dass es überhaupt keinen Landraub gegeben habe und es ihm darum gehe, das Gesetz für indigene Ländereien zu verändern, sodass diese wieder an Nicht-Indigene verkauft werden könnten, um so angeblich die dort existierende Armut zu bekämpfen.

„Die Politik der Regierung führt zu Angst und Misstrauen“

Gleichzeitig reagiert die Regierung mit zunehmender Verschärfung von Gesetzen und Repression auf die politischen Forderungen der Mapuche. Fast seit Beginn der Regierungszeit ist das Militär mitsamt der Ausrufung des Ausnahmezustands in einem Großteil der Region für die Sicherheit zuständig. Erst Mitte vergangenen Jahres wurde das Gesetz gegen Landbesetzungen verschärft. Damit wurde die Möglichkeit von Haftstrafen gegen Landbesetzer*innen eingeführt und eine schnellere Räumung ermöglicht. Unter anderem die Forstunternehmen der Region, die häufig mit Landbesetzungen zu tun haben, pochten auf eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes.

„Die Politik der Regierung führt zu Angst und Misstrauen“, erklärt Claudio Millacura, Professor an der Universidad de Chile in Santiago und selbst Mapuche. Das Wissen aller politischen Amtsträger*innen über die Mapuche sei voller Vorurteile und unglaublich rassistisch. Auch in linken Parteien. Er fügt hinzu: „Die Mapuche-Gemeinschaften wollen nicht, dass ihnen jemand Lösungen anbietet, die von einem Schreibtisch aus erarbeitet wurden. Sie fordern zuerst Gespräche, um Vertrauen zu schaffen.“

Doch zu diesen sei es bislang nicht gekommen. Millacura meint, das fehlende Interesse liege auch daran, dass die Mapuche keine homogene Wähler*innenschaft bilden, was dazu führe, dass sich die Parteien nicht richtig mit ihren Forderungen auseinandersetzen. Bei der Erklärung blickt er auf das Ende der 1980er Jahre zurück und meint: „Als die demokratischen Parteien nach Unterstützung suchten, um das Referendum über das Fortbestehen der Diktatur zu gewinnen, gab es eine Annäherung, in der die indigenen Gemeinschaften sich gehört fühlten.“

„Es gab niemals wirkliche Verhandlungen“

Das damalige Resultat war der Bericht von 2003. Seitdem habe es keine weitere Annäherung gegeben, auch der verfassungsgebende Prozess von 2021 bis 2023 mit der aktiven Teilnahme der Indigenen habe daran nichts geändert. „Schlussendlich gab es nie Klarheit, was genau die versprochene Plurinationalität bedeuten sollte. Sie diente vor allem, um gegen die neue Verfassung Stimmung zu machen“, ergänzt Millacura pessimistisch. Millacura glaubt, es bräuchte einen politischen Prozess, der über die aktuelle Regierung hinausgeht. Das Ziel dieser Politik sollten langfristige Gespräche und Verhandlungen sein, in der die Mapuche wirklich angehört werden. „Denn es gab niemals wirkliche Verhandlungen, weil die Bedingungen dafür nie gegeben waren. Daran muss gearbeitet werden.“

In den Anden hofft Huenteman weiterhin auf die Gespräche mit lokalen Vertreter*innen der Regierung. „Man sagte uns allerdings, dass das Land nicht von der CONADI gekauft und übertragen werden könne, da es sich um ein Konfliktgebiet handelt“, erzählt er. Man habe ihnen andere Grundstücke angeboten, aber ihnen sei es wichtig, weiterhin auf ihrem Land zu bleiben. Derweil läuft wieder ein Gerichtsverfahren gegen Huentemans Großvater. Er hat Angst und meint erschöpft: „Früher bedeutete eine Verurteilung wegen Landbesetzung eine Geldstrafe. Mit dem neuen Gesetz kann mein 92-jähriger Großvater ins Gefängnis kommen.“

BRASILIANISCHES TAGEBUCH

18.9. [2016]
Ein Aktivist der Tupi, der Nachkommen der Urbevölkerung im Gebiet des heutigen Brasilien, hatte mich zu einem größeren Treffen der Guarani bei São Paulo eingeladen. […] In einem großen Haus aus Holz, Bambus und Erde (Adobe), dem „Gebetshaus“ oder „Opy“, fand das offizielle Treffen statt. Es waren Guarani Mbyá aus fünf brasilianischen Bundes­staaten anwesend, die über verschiedene Fragen sprachen, über Landrechte, ihre Kultur, und Dokumente an Regierungs­stellen schrieben und ihre interne Organisation regelten.
Verschiedene Leute redeten. Einer von der Gewalt, die in Brasilien gegen die Indigenen passiert. Seit der Ankunft der Portugiesen. Die offizielle Indigenenorganisation FUNAI mache nichts für die Rechte der Indigenen, meinte einer. Immer wieder gab es Beifall und Zwischenrufe: „Añeteeee!!“ was nach meinen Guaranikenntnissen bedeuten musste: „richtig!“ Añete bedeutet „Wahrheit“, wie ich mich von Guaranibüchern aus Paraguay erinnerte.
Einer sagte, die Indigenen hätten immer den Wald („mata“) bewahrt, die Eindringlinge aus Europa aber alles zerstört. Ein anderer, der wie er sagte, 1950 geboren wurde, erzählte, dass er sich an sein Land erinnerte, wie es war, als er erst 6 Jahre alt war; aber jetzt gebe es die mata (Wald) nicht mehr, keinen Fisch im Flusse, kein Wild („caça“) im Wald mehr, nicht mehr, wovon der Guarani sich ernähre.
An einem anderen Tag redeten alle auf Guarani. Da verstand ich nichts außer den Zwischenrufen „Añeteee!“

11.4. [2018]
[…]
In einer U-Bahnlinie in São Paulo höre ich regelmäßig die Durchsage, dass bettelnden Menschen bitte nichts gegeben werden solle. Dies erinnert mich an das Mittelalter, besser gesagt an das 16. Jahrhundert in Europa, als sich das Privateigentum durchsetzte und Massen an Menschen besitzlos wurden und man begann, die Ausgeschlossenen auch noch dafür zu beschuldigen, dass sie arm waren. Auf den Straßen mitten in São Paulo sehe ich schlecht gekleidete Männer, die riesige Wagen mit Müll hinter sich her ziehen. Warum tun sie das in einem Zeitalter, wo es bereits Autos gibt, mit denen man den Müll wegtransportieren kann? Weil das für sie eine Einkommensquelle ist. Die Regierungen von Lula und Dilma Rousseff haben zwar nicht den Neoliberalismus, schon gar nicht den Kapitalismus abgeschafft, sondern nur an „Symptomen“ gearbeitet, Sozialprogramme durchgeführt, die Situation der Menschenrechte in vielen Bereichen verbessert, aber das war besser als die Politik der jetzigen Regierung, die alle Reichtümer Brasiliens an große Unternehmen vermacht. Auch einem Bettler etwas zu geben, ändert scheinbar nur etwas an „Symptomen“; aber auf der anderen Seite bedeutet jede wirkliche Hinwendung zu armen oder unterdrückten und ausgeschlossenen Menschen eine Delegitimierung des Systems, das sie ausschließt, und den konkreten Menschen zu bejahen.

„UNSERE STIMME NACH EUROPA BRINGEN“

Indigenes Protestcamp 2019 Jedes Jahr findet mit dem Acampamento Terra Livre die größte indigene Versammlung mit tausenden Teilnehmer*innen in Brasilia statt // Foto: Edu Marin / Flickr (CC BY 2.0)

Es sind nun sechs Monate vergangen, seitdem Jair Bolsonaro die Präsidentschaft übernommen hat – hat sich in dieser Zeit die Lebenssituation der Guarani Kaiowá verändert?
Alenir Ximendes: Diese Veränderung findet seit der Regierung des vorherigen Präsidenten Temer statt. Temer hat begonnen, was Bolsonaro jetzt fortsetzt. In den sechs Monaten, in denen Bolsonaro an der Macht ist, haben wir das Gefühl, dass er die Rechte der Guarani Kaiowá zerstört. Und nicht nur unsere Rechte, sondern auch die Rechte der ganzen Gesellschaft mit seinen präsidialen Initiativen zu Bildung, Gesundheit und Altersversorgung.
Janete Ferreira: Die brasilianische Politik war gegenüber indigenen Angelegenheiten niemals wohlwollend. Um etwas zu erreichen, mussten wir indigenen Völker immer Druck auf die Regierungen ausüben und auf die Straße gehen. Auch wenn wir nicht parteipolitisch orientiert sind, sind wir doch ein Volk, das wählt, wir haben Ideen, wir schaffen Neues und wir verteidigen, was uns wichtig ist. Wir machen unsere Politik, die unserer Art zu leben entspringt. Wir sind nicht verpflichtet, die Politik anzunehmen, die von den brasilianischen Politikern kommt, wir haben unsere eigene. Und meistens wird das, was wir wollen, von der brasilianischen Politik nicht akzeptiert, für sie ist das ohne Bedeutung: das Recht auf Land, die Verteidigung der Natur. Sie übersehen dabei, dass wir die Humanität verteidigen, das Leben. Weil ihnen das nichts bedeutet.

Was ist das Ziel Ihrer Reise durch Europa?
A.X.: Wir können uns mit unseren Anliegen nicht an die politischen Repräsentanten wenden, sei es der Präsident, der Gouverneur oder lokale Abgeordnete. Im April sind wir zum jährlichen Protestcamp Acampamento Terra Livre nach Brasília gefahren, wir haben demonstriert, Gespräche mit Politikern geführt und ein gemeinsames Dokument übergeben. Bisher haben wir keine Antwort erhalten, nichts hat sich geändert.
Ende letzten Jahres hat uns eine Delegation der Euopäischen Union besucht. Seitdem haben wir nichts mehr von der EU gehört und es ist kein Bericht erschienen, der unseren Präsidenten unter Druck setzen könnte. Es beunruhigt uns sehr, dass dieser Prozess so langsam ist, denn während wir warten, bleiben die großen Landbesitzer nicht untätig. Wir wollen die Stimme der Indigenen nach Europa bringen, um zu erreichen, dass das Ausland sich ebenfalls dafür verantwortlich fühlt, dass die Rechte der Indigenen in Brasilien respektiert werden.

Denken Sie da zum Beispiel an einen Boykott von brasilianischem Soja, solange die Rechte der Indigenen verletzt werden?
A. X.: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber deutsche Firmen exportieren Pestizide in unsere Region, die in Deutschland verboten sind. Sie sagen, dass sie für den Einsatz nicht verantwortlich sind, aber das stimmt nicht. Denn immerhin geht es um die Gesundheit von Menschen. Sie verkaufen in Mato Grosso, was sie in der EU nicht mehr verkaufen dürfen.
J.F.: Die Politik der Regierung Bolsonaro, jetzt noch mehr Pestizide zu erlauben, wird viele Indigene aus unseren Gemeinden töten. Schon jetzt verursachen die Pestizide viele Krankheiten, auch in meiner Familie: Hautausschläge, Übelkeit und Erbrechen, verschiedene Formen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Und wir wissen nicht, welche Heilmittel gegen die Vergiftungen helfen, deshalb müssen wir dann ins Krankenhaus. Gleichzeitig ist unser Land durch die Ackergifte wie eine Wüste, so dass wir gar keine Heilkräuter mehr sammeln können. Also müssen wir auch bei anderen Krankheiten ins Krankenhaus. Und es gibt in unseren sieben Gemeinden nur ein einziges Auto, das Kranke dorthin bringen kann. Es dauert lange, bis es kommt, wenn wir es brauchen, denn die Gemeinden liegen alle zehn Kilometer von einander entfernt.

Foto: Wolfgang Günzel, Weltkulturen Museum Frankfurt

ALENIR XIMENDES TEHOKÁ UND JANETE FERREIRA
Alenir Ximendes Tehoká (rechts) ist Repräsentantin der vier Versammlungen der Guarani Kaiowá in Mato Grosso do Sul und Lehrerin in der Gemeinde Antonio João. Jenete Ferreira (links) ist eine der Führungspersönlichkeiten der Kaiowá aus Guapo’Y Amombai in Mato Grosso do Sul. Beide sind in der Frauenorganisation Kuñangue Aty Guasu aktiv. 

 

Hat die Repression gegen die indigenen Gemeinden in ihrer Region in den letzten sechs Monaten zugenommen?
A.X.: Die Situation war schon vorher sehr schlecht, es gibt sehr viel Gewalt in unserer Region. Viele Guarani Kaiowá werden ermordet und es wird als „Unfall“ getarnt. Meistens sind es Viehtransporter, die die Menschen auf der Straße einfach überfahren. Das ist wirklich sehr schmerzhaft für die Familien, weil sie die Körper ihrer Angehörigen meistens nicht einmal mehr sehen können und die Blutflecken auf den Straßen nicht beseitigt werden. Sie werden getötet wie Tiere. Und wir haben niemanden, an den wir uns wenden und um Hilfe bitten können.
J.F.: Das sind keine „Unfälle“, in den retomadas (s. Infokasten, Anm. d. Red.) werden viele Menschen aus Hass oder Wut getötet. Wenn sie alleine auf der Straße sind – umso besser. In den Medien heißt es dann, die Opfer wären betrunken gewesen oder hätten Drogen genommen. Aber wenn wir uns die Fälle anschauen, dann ist das sehr unwahrscheinlich. Und die staatlichen Organe interessiert das überhaupt nicht. Ohne konkrete Fakten wie ein Foto oder ein Handyvideo können wir gar nichts machen. Die Polizei untersucht die Fälle nicht, denn meistens sind sie Familienangehörige, Freunde oder sonstwie mit den Mördern verbandelt.

Sie sind beide in der Frauenorganisation Kuñangue Aty Guasu aktiv, wie ist die Situation der Frauen der Guarani Kaiowá in Mato Grosso do Sul?
J. F.: Es ist für Frauen besonders schwierig an den Orten, an denen sie keinen Zugang zu irgendetwas haben, zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung oder Bildung. Dort, wo sie keine Form der Unterstützung erhalten, auch nicht für ihre Kinder. Oft werden sie auch in Krankenhäusern nicht richtig behandelt und sterben. Indigene Frauen aus den retomadas werden als Invasorinnen betrachtet, sie verdienen keine Aufmerksamkeit und keine Unterstützung.
Und viele Frauen verstehen es nicht, für sich zu sprechen, zu diskutieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie bleiben in ihrer vertrauten Umgebung, in ihrem Haus, sie sprechen nicht öffentlich. Kuñangue Aty Guasu ist eine Gruppe von Frauen, die andere Frauen dabei unterstützt, lauter zu sprechen, Mut zu haben und mit allem fertig zu werden.

Sie leben in zwei unterschiedlichen Regionen, die rund 200 Kilometer von einander entfernt sind. Wie verläuft jeweils in Ihrer Region der Prozess der Anerkennung der indigenen Territorien? Welche Erwartungen haben Sie in Bezug auf die Politik von Bolsonaro, wird er alle Demarkierungen stoppen können?
A.X.: Der Prozess der Demarkierung ist in unserer Region doch schon gestoppt worden! Seit 2005 passiert gar nichts. Und in vielen indigenen Gemeinden ist es genauso. Insofern erwarten wir gar nichts von diesem Präsidenten. Bolsonaro hat ja sehr deutlich gemacht, dass er nicht vorhat, irgendetwas zu tun. Aber das kann sich auch ändern – durch Druck aus dem Ausland. Wenn sie in den ausländischen Medien darüber berichten, wie er die Indigenen behandelt, wie er die Guarani Kaiowá in ihrem eigenen Bundesstaat abwertet, dann ist das schlecht für ihn. Deshalb bitten wir hier um Hilfe.
J.F.: Wir erwarten keinen guten Willen von Bolsonaro, um unser Land zu demarkieren. Die Anerkennung der indigenen Territorien war immer ein sehr langsamer Prozess und so haben sie uns dazu gebracht, selbst die Demarkierung durchzuführen. Eigentlich haben sie die retomadas provoziert. Sie sprechen über „Eindringen in Privatbesitz“, aber eigentlich hätten die Behörden die Probleme mit den lokalen Landbesitzern lösen  müssen. In vielen Fällen haben die Behörden die Konflikte zwischen den Indigenen und den lokalen Landwirten erst entstehen lassen. Sie nähren Streit und Hass in allen nicht-indigenen Familien. Das Interesse an den Demarkierungen ist indigen, es ist kein staatliches Interesse. Das Land sichert unser Überleben, wir nehmen uns nur das, was uns gehört. Wir fordern von diesem Präsidenten, dass er uns endlich die Dokumente über unser traditionelles Land ausstellt.

 

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