„Wir dekolonisieren die Technologie“

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Kenntnisse, die ermächtigen Carlos Doviaza gibt eine Fortbildung zu geografischen Informationssystemen (Foto: Carlos Doviaza)

Wie ist allgemein die rechtliche Situation indigener Gebiete in Panama heute?

Es gibt zwei Arten offizieller indigener Gebiete: Neben den comarcas, die meist den Status von Provinzen haben, gibt es seit 2008 so genannte Kollektivgebiete, durch die auch indigene Gemeinschaften außerhalb der comarcas anerkannt werden.
Die Behörden auf Gemeinde- und Landesebene haben trotzdem immer noch die Vorstellung, dass es zwar indigene Gemeinschaften gibt, aber kein indigenes Land. Bis zur Erlangung eines Landtitels haben Kollektivgebiete keine Rechtssicherheit. Die Gemeinschaften legen vor Ort ihre Wege an, aber das bedeutet nicht, dass sie von nicht-indigenen Menschen respektiert werden. Selbst in der comarca der Emberá und Wounaan gibt es jetzt ein Problem mit Invasionen. Wenn die Gemeinschaften nicht organisiert sind und sich jede nur ihrer eigenen Landwirtschaft, ihrem Überleben widmet, wird die territoriale Grenze immer bedroht sein.

Sie setzen moderne Technik wie Drohnen ein, um indigene Gebiete besser zu schützen. Was ist die Idee dahinter?

Meine Arbeit besteht darin, die technischen Fähigkeiten der indigenen Gemeinschaften zu stärken. Es begann 2015 mit einem Projekt zur Waldüberwachung per Fernerkundung, das die Dachorganisation der indigenen Gemeinschaften in Panama (COONAPIP) gemeinsam mit der Welternährungsorganisation (FAO) entwickelt hat, um für die in COONAPIP organisierten Gruppen eigene Techniker auszubilden. Das waren damals acht Personen, darunter ich.
Die FAO schulte uns im Umgang mit Drohnen, GPS und geografischen Informationssystemen, in der Erstellung von Karten und in der Satellitenüberwachung. So können wir indigenen Autoritätspersonen Werkzeuge an die Hand geben, wenn sie illegalen Holzeinschlag, Abholzung, Brandrodung usw. anzeigen. Die staatlichen Behörden wie das Umweltministerium und die Staatsanwaltschaft schenken diesen Beschwerden leider keine Beachtung, wenn sie nur mündlich vorgebracht werden. Ziel war es also, diese Lücke jeweils durch einen technischen Bericht mit Koordinaten, Drohnenfotos und Karten zu schließen, den die Autoritätspersonen bei der Anzeige von Umweltverbrechen den Regierungsbehörden übergeben können.

Wie sieht eine typische Situation vor Ort aus, wenn Sie hinkommen?

Panama ist nicht wie Brasilien, Ecuador oder Peru, wo bei illegalem Holzeinschlag Zerstörung in großem Ausmaß herrscht. Hier geht es eher um Holzdiebstahl, bei dem man keine großen Schäden am Wald bemerkt. Aber wenn wir unsere Satellitenkarten betrachten, kann man die Spuren oder Narben der Veränderung der Waldbedeckung sehen.
Vor einigen Wochen waren wir etwa in einer Wounaan-Gemeinschaft namens Aruza in der Provinz Darién. Dort lief bereits ein Verfahren zur Erlangung eines offiziellen Landtitels, aber etwa 70 Siedler kamen, haben sich einen Anwalt genommen und ausgenutzt, dass die indigene Seite einige Verfahrensschritte ausgelassen hatte. So konnten sie das Verfahren letztes Jahr stoppen, sich Land aneignen und Wald abholzen, sogar mit Genehmigung vom Ministerium.
Die Mitglieder der Gemeinschaft meinten, nichts gegen die Abholzung unternehmen zu können, da die Siedler Besitzrechte hätten und die lokalen Behörden sie nicht unterstützten. Wir sind also zu dem betreffenden Gebiet hin, haben die Drohnenflüge programmiert und durchgeführt (die Drohne überfliegt dabei nach einem bestimmten Muster das Gebiet und macht Fotos, die später zu einer größeren Satellitenkarte zusammengesetzt werden, Anm. d. Red.). Dadurch haben wir gemerkt, dass es bei der Abholzung mehrere Gesetzesverstöße gab, Mindestabstände zwischen gefällten Bäumen oder zu Wasserläufen wurden etwa nicht eingehalten. Wir fuhren weiter auf einem anderen Weg, der gar nicht mehr zu dem genehmigten Gebiet gehörte, und auch dort war abgeholzt worden. Die Siedler mit ihrem Anwalt waren ziemlich überrascht und sehr erschrocken über diese Situation. Sie erschrecken mittlerweile, sobald sie mich nur sehen, weil sie unsere Fähigkeiten kennen, solche Situationen zu analysieren. Die Gemeinschaft von Aruza wehrt sich jetzt mit rechtlichen Mitteln, im Moment muss ich die Karten für die Staatsanwaltschaft zusammenstellen, damit diese den Fall untersuchen kann. Sie sieht uns als sehr wichtig an für all diese Situationen, in denen es um Holzeinschlag geht.

Wie hat die Regierung auf Ihre Arbeit reagiert?

Für das anfängliche Projekt bekam COONAPIP eine Förderung direkt von der FAO. Als die Regierung sah, dass es Gemeinschaften gibt, die sich mit Wissen zu GPS und Drohnen ermächtigten, blockierte sie die Finanzierung für die FAO. Dafür gibt es zwar keine Beweise, aber ich habe keine Zweifel daran. Als die FAO keine Mittel mehr zur Verfügung stellte, wurde die Finanzierung sehr bürokratisch. Das Team der acht Techniker löste sich auf, nur ich und mein Partner Eliseo Quintero blieben übrig. Wir haben dann später GeoIndígena gegründet, selbstständig weitergearbeitet und dafür von der Rainforest Foundation Mittel bekommen, um die Arbeit mit den Gemeinschaften der COONAPIP weiterzuführen und das erworbene Wissen nicht zu verlieren.

Der Regierung ist es letztlich aber nicht gelungen, Ihre Arbeit zu unterbinden…

Ein Schlüsselereignis war 2018 ein Zusammentreffen mit dem Umweltminister Emilio Sempris, nachdem Hunderte Wounaan aus dem Osten der Provinz Panamá, einem sehr konfliktreichen und unzugänglichen Niemandsland, den Eingang des Umweltministeriums blockiert hatten. Es ging um Protest gegen das Eindringen von Siedlern in ihr Gebiet und darum, dass das Ministerium die Genehmigung für ihren Landtitel erteilen sollte. Den Titel vergibt die Nationale Landbehörde ANATI, aber das Umweltministerium muss dazu zunächst eine Stellungnahme abgeben, da sich fragliche Gebiete häufig mit einem Schutzgebiet überschneiden. Seit 2011 hatte sich das Ministerium einfach nicht mehr geäußert, sondern immer nur verschoben, alles stagnierte. Schließlich sagte der Minister, „Okay, lasst uns mit den indigenen Völkern reden, um zu sehen, was sie wollen”. Er setzte sich mit den Autoritätspersonen der COONAPIP zusammen, denn er wollte wissen, welche indigenen Gebiete sich mit Schutzgebieten überlappten. Ich zeigte es ihm mit meinem Computer, aber er begann mir lauter Fragen zu stellen: „Zeigen Sie mir die Wassereinzugsgebiete auf nationaler Ebene”, „Zeigen Sie mir das Wassernetz”, „Wo sind die Provinzen?” Ich zeigte ihm alles und er wartete darauf, dass wir irgendeinen Fehler machen würden, was aber nicht passierte. Schließlich sagte er: „Ok, wir werden die Resolution unterschreiben”, in der er zwar noch nicht die finale Zustimmung gab, aber die Analyse der Akten zur Landtitelvergabe anordnete, was den jahrelangen Stillstand auflöste. Der Minister bat mich noch um meinen Lebenslauf, um zu sehen, ob ich für ihn arbeiten könnte – der Staat will dich auf seine Seite ziehen, damit du nichts tust. Damals hat die Regierung verstanden, dass die indigenen Gemeinschaften Spezialisten haben, die sich um die Landfrage kümmern, auch vor Ort zur Waldüberwachung.

Hat dies auch den indigenen Autoritätspersonen gezeigt, wie wichtig Ihre Arbeit ist?

Ja, bei diesem Treffen haben sie erkannt, wie wichtig es ist, ein technisches Team an der Seite zu haben, wenn es um Landfragen geht. Das war ein wichtiger Meilenstein für uns als Techniker, denn am Anfang wurden wir von unseren Autoritätspersonen nicht anerkannt, wir waren nur Teil eines Projekts. Seitdem wissen sie unsere Fähigkeiten zu schätzen und rufen uns, damit wir ihnen sagen, was wir bei der Territorialverteidigung tun können. Wir als Jugend haben uns der Technologie ermächtigt. Sehr wichtig bei all dem ist aber: Auch wenn ich technisch versiert bin, muss ich politische Fähigkeiten im Umgang mit den traditionellen Autoritätspersonen haben.

Kam es bei Ihrer Arbeit schon zu riskanten Situationen?

Wir waren einmal für technische Begleitung im Kollektivgebiet einer anderen Wounaan-Gemeinschaft unterwegs – Majé Chimán im Osten der Provinz Panamá – das die lokale Gemeindeverwaltung aber nicht anerkannte. Sie sah sich befugt, einen Teil des Landes an einen Siedler zu vergeben, ohne das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung der indigenen Gemeinschaften zu achten.
Man gelangt nur mit dem Boot dorthin, es sind zwei, drei Stunden von der Panamericana aus. Wir stiegen arglos in das Boot des Gemeindevertreters ein und fuhren los. Während der Fahrt fragten sie uns aus: „Wer seid ihr eigentlich? Und wie viele seid ihr?”. Ich dachte mir, es ist zweifelhaft, wenn man mich so etwas mitten im Nirgendwo fragt. Wir sagten dann, dass wir insgesamt 40 Leute seien, die in ständigem Kontakt stehen. Dann gaben sie Ruhe. Aber wenn ich ihm gesagt hätte, dass in dem Moment nur Eliseo und ich diese Arbeit machten? Sie hätten uns wohl etwas angetan, denn beim Thema Land verstehen sie keinen Spaß.
Nach unserer Ankunft konnten wir den Siedler dabei aufnehmen, als er sagte: “Dieses Land gehört niemandem, der Bürgermeister hat es mir gegeben und es kann nicht sein, dass man mich wegholen will, nur weil diese Indigenen hier sind“. Für ein Treffen mit Vertretern des Ministeriums und des Bürgermeisters haben wir dann schnell ein Video vorbereitet und damit gezeigt, wie der Siedler die Behörden einbezogen hat und dass diese verantwortlich sind. Sie waren sehr beeindruckt, dass wir so schnell ein Video vorbereiten konnten, denn sie dachten immer noch, dass die indigenen Gemeinschaften keine wesentlichen Fähigkeiten haben, um so einer Situation gegenüberzutreten.

Sehr viel scheint von Ihnen und Ihrem Team bei GeoIndigena abzuhängen. Geben Sie Ihre Fähigkeiten auch weiter?

Ja, wir wollen sie an Menschen vor Ort weitergeben, damit sich das von selbst trägt. Vor einem Jahr hing noch alles von uns ab. Wir machten Schulungen. Inzwischen gibt es etwa im Volk der Naso ein eigenes technisches Team. Das Führungsgremium der Naso kümmert sich um die interne Ausbildung und Logistik, und wir als GeoIndígena bilden neue Ausbilder aus. Im Moment machen wir hauptsächlich Bürokram, aber von Zeit zu Zeit gehen wir auch ins Feld.

Gibt es ähnliche Initiativen auch in anderen Ländern?

Ich war beispielsweise mehrmals im Petén, Guatemala, und habe dort Erfahrungen mit Gemeinschaften (von der Asociación de Comunidades Forestales de Petén, Anm. d. Red.) ausgetauscht, die über Waldkonzessionen verfügen. Dadurch können sie den Waldüberwachern ein Gehalt zahlen. In Panama ist dies nicht der Fall; wir sind auf internationale Zusammenarbeit angewiesen.Im Moment teilen wir unser Wissen mit dem Volk der Miskito in Honduras und dem Volk der Mayangna in Nicaragua. Für die Arbeit dort bekommen wir Mittel von der Ford-Stiftung. Wir wollen, dass GeoIndígena die regionale Plattform für Wissensaustausch in Mittelamerika wird. Die indigenen Gemeinschaften brauchen diese Stimme der Ermutigung, dass wir etwas tun und uns selbst mit Technologie befähigen können. Mit den Worten eines befreundeten Anthropologen, wir dekolonisieren die Technologie.

WIDERSTAND IN EINER DIGITALISIERTEN WELT

Protestaktion kolumbianischer Migrant*innen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin am 24. Mai 2021 (Foto: Juan Camilo Alfonso)

Können Sie uns ein wenig über die digitalen Protestformen in Lateinamerika erzählen, die Sie kennen und zu denen Sie forschen?
Auf diese Frage gibt es so viele Antworten, ich glaube, ich würde nicht fertig werden, wenn ich hier alle Proteste nennen würde. Wenn wir andersherum fragen, wäre die Antwort, dass es sehr wenige Proteste gibt, die nicht zumindest für einen Teil ihrer Interventionen oder Partizipationsformen das Internet einbeziehen. Da ist immer irgendeine Person, die ein Foto oder Video aufnimmt und dieses dann viral gehen lässt. Das Internet stellt eine Kontinuität des uns bekannten sozialen Raums dar und eine politische Arena; in dem Sinne, dass Personen sagen: Ich werde mir diesen Raum aneignen, um meine Forderungen zu artikulieren, um zu demonstrieren, dass ich mit etwas nicht einverstanden bin und gleichzeitig möchte ich ein bestimmtes Thema mithilfe diverser Strategien sichtbar machen.

In meiner Forschung beobachte ich, wie feministische Kollektive derzeit gegen geschlechtsspezifische Gewalt auf die Straße gehen. Zum einen ist in aller Munde, dass der Körper immer mehr politisiert wird, da der Protest sich so sehr gegen den Zustand der Gewalt wendet. Zum anderen politisieren sich die sozialen Netzwerke, da wir uns diese Räume für unsere Ziele aneignen, um das Ende der Gewalt und konkrete Aktionen einzufordern.

Welche digitalen Räume und Kanäle sind bisher über die sozialen Medien hinaus genutzt und sich in den Protesten angeeignet worden?
Es stimmt, dass es sich beim Internet als sozialem Raum nicht nur um die sozialen Medien handelt. Wir wissen, dass es darüber hinaus alternative Netzwerke gibt, die von Communities geschaffen werden. In Lateinamerika weitet sich die Schaffung dieser Räume gerade aus. Vor allem wird eigene Infrastruktur genutzt, zum Beispiel Server, die nicht oder in ihrer Verkettung nur teilweise mit den großen Unternehmen verknüpft sind. Außerdem wird sehr darauf gesetzt, Inhalte mit alternativen Narrativen zu schaffen, Narrative von Personen, Geschichten und Standpunkte, die nicht die hegemonialen sind. Die Mehrheit dieser Räume sind Blogs, Webseiten oder Wikis, die den sozialen Bewegungen als Archive für alle ihre Aktivitäten dienen. Die Schaffung von Inhalten hat sehr innovative Züge, hier wird das Digitale mit dem Analogen verknüpft: Die Kreation von Pamphleten wie PDF-Dokumenten, die auf den Straßen und auch auf Webseiten zirkulieren. Danach ist die große Herausforderung, all diese Inhalte archivieren zu können, weil diese oft verschwinden.

Trotzdem spielen die sozialen Netzwerke eine sehr wichtige Rolle in der Organisation der Proteste. Ich gehe hier von zwei strategischen Formen aus, die sich das Internet zum Protestieren aneignet: Einerseits sagen Aktivist*innen: „Wir wollen uns nicht die kommerziellen Räume aneignen, denn im Grunde sind Facebook, Twitter, Instagram und TikTok Unternehmen. Es ist wie in ein Einkaufszentrum zu gehen, um zu protestieren, damit füttern wir nur die Firmen und garantieren ihnen Profite.“ Denn jeder Like, auch wenn dieser im Protest gegeben wurde, bedeutet Profit für diese Unternehmen. Dagegen steht eine zweite Position, die mit dem Dilemma der Aneignung der sozialen Medien zur Organisation zu tun hat. Diese zweite Gruppe sagt: „Wir müssen uns diese Räume aneignen, weil wir so die Leute erreichen, die ihre Beziehung zu Technik politisieren müssen und auf die Straße gehen müssen.“ Das ist das doppelte Spiel des Systems.

Können Sie uns Beispiele zu weiteren Technologien geben, die sich soziale Bewe-gungen aneignen?
Es gibt eine große Diskussion darum, was wir überhaupt als Technologie verstehen können. Es geht nicht nur um diese Geräte, sondern auch darum, die Machtverhältnisse zu hinterfragen, die bestimmen, was als Technologie kategorisiert wird und was nicht. Außerdem ist die Beziehung zwischen Mensch und Maschine sehr dynamisch. Es gibt keine Trennung zwischen der Maschine und mir.

Eine dieser weiteren Technologien sind die Drohnen. Drohnen sind sich in Lateinamerika von Aktivist*innen als gegenkulturelle Objekte angeeignet worden, um Technologien mit einer militärischen und patriarchalen Genealogie zu kritisieren und um das Stereotyp der Maschine als Mann oder eines männlichen Experten hinter der Maschine zu beseitigen. In Mexiko zum Beispiel brechen feministische Kollektive genau diese Idee auf und führen eine Gegen-Überwachung des Staates als Protest durch.

Das Interessante daran ist, dass sich feministische Kollektive Drohnen nicht nur als ein Objekt der Gegenkultur aneignen, sondern eine fiktionale feminine Figur schaffen: Droncita. Diese Drohne hat ihren eigenen Twitteraccount und setzt sehr polemische Kommentare zur Politik ab. Es gibt ein Video, in dem sie eine Abbildung des damaligen Präsidenten Peña Nieto mit Graffiti besprüht, wegen des Konfliktes um Ayotzinapa und die 43 verschwundenen Studierenden, in dem der Staat verantwortlich war. Droncita besprüht ihn, um auszudrücken: Alles was du fabriziert hast, ist eine Lüge. Du bist verantwortlich.

In Brasilien gibt es beispielsweise auch ein Kollektiv, das Fones konstruiert. Fones sind Telefone, die wie eine Drohne fliegen und dabei DIY-Technologien nutzen. Diese Fones wurden in Hacktivist*innen-Schulen in lokalen Gemeinschaften kreiert, um die Gewalt der Bauunternehmen während der Arbeiten für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro offenzulegen. Diese Fotos wurden sogar in einem Prozess eingesetzt, um diese Gemeinschaften vor Raub durch Baufirmen zu schützen.

Also werden die sozialen Netzwerke und die digitalen Räume zusammen mit den Protesten auf der Straße genutzt. Wie wirkten sich diese Verbindungen im Fall von Droncita aus?
Droncita war während verschiedener sozialer Konflikte in Mexiko aktiv, besonders im Fall der 43 verschwundengelassenen Studierenden von Ayotzinapa. Droncita wurde 2015 geboren und hat seitdem die Proteste dokumentiert, um dem Diskurs der Polizei etwas entgegenzusetzten, der betroffene Familien und Protestierende revikti- misiert. Vor allem wollte sie Beweise dafür liefern, dass alles, was die Polizei gesagt hat, um die Proteste zu kriminalisieren, eine Lüge war.

Heute werden viel mehr Drohnen in Protesten eingesetzt. So viele, dass ihr Einsatz während Protesten in Mexiko sowie in ganz Lateinamerika verboten wurde. Wo sich mehr als 50 Personen versammeln, dürfen keine Drohnen fliegen. Tatsächlich gab es während der zwei letzten feministischen Proteste schon Polizist*innen die von ganz oben den Regierungspalast in Mexiko-Stadt mit Geräten, die Waffen zu sein schienen, schützten. Danach wurde in der Zeitung bekannt, dass es sich nicht um Waffen handelte, sondern um Geräte, die das Signal der fliegenden Drohnen unterbrechen konnten. Die Regierung hat wirklich Angst. Droncita missfällt ihnen.

Was tun die sozialen Bewegungen, um digitale Räume für den Protest und auch für User*innen im Allgemeinen sicher zu machen?
Das ist eine große Herausforderung, die viel Kampf und Widerstand erfordert. Der Punkt ist, dass die Gewalt während und nach einer Demonstration anhält. Es handelt sich um einen Kreislauf der Gewalt und des Widerstandes: Die Frauen gehen wegen der Gewalt protestieren, aber trotzdem sind sie am Ende des Widerstands der Gewalt ausgesetzt. Das liegt daran, dass die Plattformen zwar bei der kollektiven Organisation helfen, aber auch zu Räumen geworden sind, in denen sich die Gewalt fortsetzt. Beispielsweise gab es im Jahr 2019 zwei Proteste in Mexiko-Stadt. Vier Polizisten hatten eine Minderjährige vergewaltigt. Nach zwei Wochen hat ein in einem Museum angestellter Polizist eine weitere Minderjährige vergewaltigt (siehe LN 543/ 544). Die Straflosigkeit, besonders bei geschlechtsspezifischer Gewalt in Mexiko und Lateinamerika, ist bereits bekannt. Damals wurde zunächst eine Kundgebung mit Performances vor der Generalstaatsanwaltschaft und vor der Polizeistation von Mexiko-Stadt organisiert. Das reichte nicht aus, weshalb zu einer weiteren Demonstration am 16. August 2019 aufgerufen wurde. Diese war nicht die erste feministische Demonstration, aber sie war insofern besonders, dass die Frauen ihren Frust an strategischen Orten ausließen, wie vor der Polizeistation und an Denkmälern, auf die sie feministische Slogans oder Hashtags wie #EstadoFeminicida malten. Sie brachen mit allen Stereotypen davon, wie Frauen protestieren. Als Reaktion gab es einen Shitstorm in den sozialen Medien, der forderte, dass die Frauen an in ihren Platz, also die Küche, zurück gehen sollten. Es zirkulierten Drohungen und Aufrufe zu digitaler und sexualisierter Gewalt gegen die Aktivist*innen. Außerdem erhielten Kollektive, die zur Demonstration aufgerufen hatten, Nachrichten mit Fotos von verstümmelten und enthaupteten Körpern.

Sie haben erklärt, dass der Staat Räume reguliert, wenn soziale Bewegungen neue Technologien nutzen, wie zum Beispiel beim Verbot des Einsatzes von Drohnen. Gibt es andere Technologien oder Geräte, die genutzt werden, weil Drohnen verboten wurden?
Mir fällt nicht so ein klares Beispiel ein wie die Drohnen. Ich denke, der Staat erkennt, dass er alles, was das Internet und Apps betrifft, derzeit nicht komplett kontrollieren kann. Also wurde die Cyberpolizei verstärkt. Hier wurde viel Geld investiert, um Hacker auszubilden und generell in allen Bereichen, die etwas mit der Kontrolle von Applikationen und der Überwachung von Menschenrechtsverteidiger*innen zu tun haben. Dieses Konfliktfeld wird in den kommenden Jahren immer weiter reguliert werden.

Ich glaube, dass der Kampf in den nächsten Jahren über die Regulation des Internets ausgetragen werden wird, es wird mit dem Urheber*innenrecht anfangen und der Kontrolle der Apps, die nicht kommerziell sind. Die Mobilisierung und Proteste sind dem Staat ein Dorn im Auge und er versucht jetzt den Zugang zu Daten zu erhalten, um die Rechte im Internet weiter zu beschneiden. Das wird der nächste Kampf sein, in bestimmten Bereichen wird er schon ausgetragen und er wird sich ausweiten.

“WIR BAUEN UNSERE EIGENE HARDWARE”


Was zeichnet den LibreRouter aus?
Ein LibreRouter kommt mit einer recht potenten Antenne, die für die Kommunikation mit anderen Routern in der Nachbarschaft gedacht ist. Der Router kommt aufs Dach und verbindet sich dann automatisch mit anderen Routern, die in der Nähe sind. Deswegen kommt er auch in einer wasserdichten Box. Der Router kommt jetzt schon fertig installiert mit der Software und bringt auch GPS mit, damit die Leute die Position ihres Geräts selber bestimmen und auf einer Karte eintragen können. Wir geben auch Dokumentation für nicht technisch sonderlich versierte Menschen dazu. Das ist das Spezielle bei diesem Projekt: Dieser Router ist gemacht für die Leute, die ihn verwenden sollen. Das sind in Argentinien oder auch in Südafrika, wo ein Teil vom Team herkommt, keine technikaffinen Personen. Zusätzlich gibt es auch ein Solarmodul für Gebiete, wo es wenig Strom oder oft Stromausfälle gibt. Dies trifft jetzt auf Argentinien eher nicht zu, aber in Südafrika ist es in den Dörfern oft ein Problem. Es kann auch in anderen Gemeinschaften spannend sein. Wir werden in letzter Zeit oft eingeladen, mit indigenen Völkern zusammen zu arbeiten, und im Amazonas-Gebiet zum Beispiel ist Solar auch Thema, weil es da einfach keinen Strom gibt. Das ganze LibreRouter-Projekt ist mittlerweile zu einem ziemlich umfangreichen Projekt geworden.

Was gab den Anstoß zu dem Projekt?
Der konkrete Anlass war eine Regulierung aus den USA, die bei Gemeinschaftsnetzwerkprojekten als Firmware Lockdown (Abriegelung des Router-Betriebssystems) bekannt wurde (siehe Kasten, Anm. d. Red.).

Was soll es Leute in Argentinien kümmern, was die Federal Communications Commission in den USA oder das EU-Parlament bestimmen?
Weil der globale Markt so funktioniert. Abhängig von den USA und Europa wird bestimmt, was für die Welt produziert wird. Wenn die gesetzlichen Bestimmungen in den beiden Regionen bestimmte Eigenschaften verlangen, heißt das, dass höchstwahrscheinlich die Mehrheit der Produkte für alle Regionen nach dem Maßstab produziert wird. Unsere Motivationen liegen aber weiter zurück. In Argentinien haben wir schon jahrelang die Router immer adaptiert, das freie Betriebssystem LibreMesh darauf installiert, selber eine wasserdichte Box und Antennen gebaut. Das funktioniert ganz gut, wenn man in einer Gegend ist, wo man schon weiß, wo es die Materialien und das Werkzeug gibt. In den letzten Jahren haben uns Leute immer wieder in andere Dörfer eingeladen, um da Workshops zu geben. Da haben wir oft selber versucht, diese Sachen einzukaufen, mit den Leuten lokal, oder ihnen vorher gesagt, was sie einkaufen sollen. Und sind darauf gekommen, dass es zum Teil super schwierig ist und dass es viel Zeit braucht, die Materialien zusammen zu bekommen. Andererseits ist es auch spannend, weil man sich dadurch mehr mit der Technologie auseinandersetzt. Wir waren der Meinung, dass diese Workshops eine schöne Erfahrung sind und die Leute dadurch die Angst verlieren und sich mehr aneignen. Und grade in Lateinamerika ist es oft gar nicht so einfach, die benötigte Technik zu bekommen. Es kommen extra Steuern drauf oder es gibt sie gar nicht und es dauert einige Jahre, bis sie irgendwann importiert wird. Außerdem wollten wir unabhängiger sein. Wir reden die ganze Zeit von unabhängigem Internet und dem Sich-Selbst-Versorgen. Und im Endeffekt ist man komplett abhängig von der Hardware, die wer anderes produziert. All diese Erfahrungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass wir gesagt haben, dann machen wir eben unseren eigenen Router.

Schlussendlich kommen aber die Hardwareteile selbst aus Taiwan?
Das ist definitiv so. Wir haben überlegt, es anders zu machen. Ganz anders kann man das ja nicht machen, denn die Chips selber gibt es nur aus Taiwan. Aber wir haben überlegt, den Router in Argentinien zusammenbauen zu lassen, zumindest einen Teil der Produktion in einem anderen Land zu machen. Da haben wir gemerkt, an welche Grenzen man stößt. Einfach aufgrund von allen möglichen Bestimmungen, aufgrund von Fragen, wie eben diese globalisierte Welt funktioniert. Schiffstransport aus Asien kostet einfach einen Bruchteil von dem, was es kosten würde, aus Argentinien woandershin zu schiffen. Ich bin auch Umweltschutzaktivistin und das versuche ich auch in dieses Projekt miteinzubringen. Mich interessieren geplante Verfallsdaten und was mit dem Elektroschrott passiert. Deshalb finde ich es sehr spannend, in diese Welt einzutauchen, und finde auch, dass sich da was verändern muss. Nur auf der Skala, auf der wir produzieren, habe ich bemerkt, dass nur ganz kleine Dinge möglich sind. Um ehrlich zu sein, auch wenn wir mit einem kleinen Projektpartner in der Produktion arbeiten, denke ich, dass die Bedingungen trotzdem nicht viel anders sind als anderswo. Ich hoffe es zwar, aber vermute, dass es eher nicht so ist. Was mir auch total am Herzen liegen würde: mehr in Richtung Recycling, Wiederverwendung der Router zu arbeiten. Aber dazu kenne ich momentan noch zu wenig Leute.

Was kostet ein Router?
Im Einkauf soll er etwa 100 Dollar kosten.

Wie ist das im Verhältnis zur Standardtechnik zu sehen, mal abgesehen davon, dass die in Argentinien auf dem Land nicht unbedingt so out-of-the-box einsetzbar ist?
Es ist ähnlich, beziehungsweise der LibreRouter ist günstiger.

Du hast mal die Selbstversorgung mit Essen und die Selbstversorgung mit Internet miteinander verglichen. Was sind für dich die Zusammenhänge?
Ich bin sehr aktiv in der Souveränitätsbewegung und bin darüber in diese Technologieszene reingerutscht. Da brauchen wir zum Beispiel auch immer eine Software, um alles zu organisieren. Es geht auch darum, aus einem System auszubrechen, sich Alternativen zu suchen und sich selbst zu versorgen, in Bezug auf Fragen wie, ich weiß, wo es herkommt, ich kann bestimmen, wie es produziert wird. Das ist bei Ernährung noch mehr möglich als bei der Technologie. Andererseits finde ich es immer wieder schwierig, dass es nur wenige Leute sind, die die komplette Verwaltung auf technischer Ebene für die ganze Souveränitätsbewegung machen. In Wirklichkeit ist das keine Souveränität, wenn es nur eine Person versteht und macht.

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