RECHTE KONTINUITÄT IN GUATEMALA

Alejandro Giammattei // Foto: Cocoriki wikimedia commons CC BY-SA 4.0

Alejandro Giammattei ist neuer Präsident von Guatemala. Der rechte Kandidat der Partei Vamos gewann die Wahlen am 11. August deutlich gegen Sandra Torres von der Sozialdemokratischen Einheit der Nationalen Hoffnung (UNE).
Giammattei gewann die Wahlen mit gut 58 Prozent der Stimmen, seine Konkurrentin kam auf knapp 42 Prozent. Die Wahlbeteiligung war nach der schon geringen Teilnahme bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, die zeitgleich zu den Parlaments- und Kommunalwahlen am 16. Juni stattfanden, noch einmal deutlich zurückgegangen und lag nur noch bei 38,9 Prozent. Gut 5 Prozent der Wähler*innen gaben zudem leere oder ungültige Stimmzettel ab.
Giammattei gewann mit 1.907.696 Stimmen, was weniger als ein Viertel der gut acht Millionen Wahlberechtigten ausmacht. Er gewann in 14 der 22 Departamentos, Sandra Torres in acht. Neben den beiden im Osten des Landes liegenden Departamentos Jalapa und Chiquimula sowie Escuintla an der Südküste gewann die UNE nur in den ländlichen Departamentos Huehuetenango, Quiche, Alta Verapaz sowie in Izabal und im Peten. Giammattei dagegen gewann in den Departamentos Guatemala und Quetzaltenango, in denen die Hauptstadt und die zweitgrößte Stadt des Landes liegen, aber auch in den überwiegend von Indigenen bewohnten Departamentos Solola, Totonicapan und Chimaltenanto, in denen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen noch die Kandidatin der linken Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP), Thelma Cabrera, den ersten Platz errungen hatte.

Linke Parteien und die Ex-Guerilla hatten zum Boykott der Wahlen aufgerufen


Dass die linken Parteien, neben der MLP auch die Indígenaorganisation Winaq und die ehemalige Guerrillaorganisation „Vereinigte Nationale Revolutionäre Guatemalas“ (URNG) zum Boykott der Wahlen bzw. zum Ungültigwählen aufgerufen hatten, hat wahrscheinlich den Wahlsieg des rechten Kandidaten begünstigt. Allerdings hätte die in zahlreiche Korruptionsskandale verstrickte Torres, der Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden, auch keine wirkliche Alternative dargestellt. Eine Wahlunterstützung der zum politischen Establishment gehörenden Torres durch die linken Parteien hätte diese in den Augen vieler Wähler*innen als unglaubwürdig erscheinen lassen.
Während die erste Runde der Wahlen noch von zahlreichen Unregelmäßigkeiten und Betrugsvorwürfen gekennzeichnet war, lief dieses Mal nach offiziellen Angaben alles glatt. Ein Sprecher der Wahlbehörde TSE sprach trotz der geringen Wahlbeteiligung von einem „Fest der Demokratie“. Die unterlegene UNE erkannte schon zweieinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale auf einer Pressekonferenz das Ergebnis an und gratulierte dem Wahlsieger. „Wir hoffen auf eine erfolgreiche Regierung, die Guatemala braucht“, so ein Sprecher der UNE.
Giammattei selbst sagte auf einer Pressekonferenz: „Man hat mich ins Gefängnis gebracht, ich war im Krankenhaus, aber jetzt werden wir mit Gottes Hilfe für ein anderes Guatemala kämpfen.“ Während seiner Zeit als Chef der nationalen Gefängnisverwaltung von 2005 bis 2007 kam es zu einem blutigen Einsatz der Sicherheitskräfte. Bei der Erstürmung eines Gefängnisses durch Polizei und Militär wurden 7 Gefängnisinsassen getötet. Nach einem UN-Bericht entsprachen diese Tötungen illegalen Hinrichtungen, weshalb Giammattei für knapp ein Jahr in Untersuchungshaft saß. 2010 wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Nach diesem anderen Guatemala, von dem Giammattei spricht, sieht es allerdings nicht aus. Giammattei gehört genau wie Torres zum politischen Establishment. Er begann seine politische Karriere 1999, als er erfolglos für die Partei der Nationalen Einheit für das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt kandidierte. 2003 kandidierte er erneut ohne Erfolg. Er trat drei Mal bei den Wahlen für das Präsidentenamt an: 2007, 2011 und 2015. Und schließlich dieses Mal erfolgreich für die Vamos-Partei. Giammattei ist nunmehr nach den Amtszeiten von Otto Perez Molina von der Patriotischen Partei (PP) und James „Jimmy“ Morales von der Front der nationalen Konvergenz (FCN) der dritte Präsident in Folge, der zur extremen Rechten in Guatemala zählt und gute Kontakte zu einflussreichen, reaktionären Militärs hat.
Das hat deutliche Folgen für die Bevölkerung. Laut Zahlen der Zeitung Prensa libre vom Mai dieses Jahres leben 59,3 Prozent aller Guatemaltek*innen in Armut, davon 23,4 Prozent sogar in extremer Armut. 46,5 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt, in ländlichen, indigenen Regionen sind es bis zu 80 Prozent.
Dass Giammattei hier etwas ändern kann oder will ist unwahrscheinlich, zu vermuten ist eher, dass die Repression gegen politische Aktivist*innen noch zunehmen und öffentliche Güter weiter privatisiert werden.
Von der Repression sind seit Jahren viele Organisationen betroffen, die sich für die Verteidigung ihrer Territorien, den Schutz der Umwelt oder gegen Megaprojekte engagieren. So wurden im vergangenen Jahr 16 Umweltschützer*innen ermordet. Gemessen an der Einwohnerzahl Guatemalas bedeutet diese Zahl eine der höchsten weltweit.
Auch die Landarbeiter*innenbewegung Komitee für bäuerliche Entwicklung (CODECA) und die von ihr gegründete Partei Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP) sind von der Repression betroffen. Seit Juni letzten Jahres, als der Prozess der Gründung der MLP Gestalt annahm, wurden 13 Mitglieder von CODECA beziehungsweise der MLP ermordet, vier allein in den zwei Monaten nach der Parlamentswahl.

Im August hielten Studierende die staatlichen Universitäten im ganzen Land besetzt


Ein weiterer Konfliktpunkt ist der Kampf gegen Privatisierungen. Bereits unmittelbar nach dem Friedensabkommen 1996 wurden in der Amtszeit des Unternehmers und Multimillionärs Alvaro Arzu Strom, Wasser, Telefon und Banken privatisiert. Im Bereich Bildung und Gesundheit schreitet die Privatisierung seit Jahren voran. Wegen der schlechten Qualität der staatlichen Schulen gehen mittlerweile 65 Prozent aller Kinder auf kostenpflichtige Privatschulen. Ähnlich ist die Situation im Gesundheitsbereich. Nur etwa ein Viertel aller Guatemaltek*innen sind von der Krankenversicherung des guatemaltekischen Sozialversicherungsinstituts IGSS abgedeckt, für alle anderen bleibt neben den häufig unzureichenden Leistungen der öffentlichen Krankenhäuser nur der Gang zu teuren privaten Kliniken.
Eine Ausnahme im Bereich der Bildung stellte bisher die öffentliche San-Carlos-Universität mit ihrem zentralen Campus in Guatemala Stadt und ihren zehn Außenstellen dar, die nahezu kostenlose Bildung auch für ärmere Bevölkerungsschichten anbieten. Ende Juli beschloss die Universitätsleitung nun drastische Erhöhungen der Gebühren unter anderem für Examen. Anfang August haben deshalb Studierende die staatlichen Universitäten im ganzen Land besetzt. Vier Wochen später erzielten sie Einigungen mit der Regierung und mehreren Universitätsleitungen (siehe Interview auf den kommenden Seiten).

DAS KLEINERE ÜBEL

Torres kandidierte für die Partei „Einheit der nationalen Hoffnung“ (UNE), eine formell sozialdemokratische Partei, die aber ein strikt konservatives Familienbild hat und in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt ist. Torres werden auch Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt. In der Amtszeit ihres Ex-Mannes, Álvaro Colom, der Guatemala von 2008 bis 2012 regierte, gab es zwar einige Sozialprogramme, die Teilen der armen Bevölkerung zu Gute kamen. Der neoliberale Kurs der Privatisierungen wurde aber fortgesetzt, zahlreiche Konzessionen für umstrittene Bergbau- und andere Megaprojekte wurden unter Colom vergeben.
Auf Platz zwei kam mit 13,9 Prozent der Stimmen Alejandro Giammattei von der rechtsextremen Partei VAMOS in die Stichwahl. Er gilt auch als der Wunschkandidat des einflussreichen Militärs. Auch Giammattei kandidierte bereits das vierte mal für das Präsidentenamt, jedes Mal für eine andere Partei.
Im linken Parteienspektrum gibt es zwar keine Aussicht auf Regierungsmacht, dennoch können einige Parteien Erfolge verbuchen. Die Kandidatin der „Bewegung für die Befreiung der Völker“ (MLP), Thelma Cabrera, erreichte mit 10,37 Prozent den vierten Platz. Manuel Villacorte von der Partei Winaq kam mit 5,22 Prozent auf den siebten Platz.
Die MLP ist aus der Landarbeiterorganisation CODECA (Komitee für bäuerliche Entwicklung) hervorgegangen und nahm erstmals an den Wahlen teil. „Alle Vorschläge, die CODECA gemacht hat wurden abgelehnt. Unsere Mitglieder werden kriminalisiert, ermordet und wir als Terroristen beschimpft“, kommentierte Cabrera den Zustand der Organisation. „Daher haben wir beschlossen, wir müssen selbst regieren, die MLP ist dabei das Instrument, das die sozialen Bewegungen an die Macht bringen soll.“

Die Linke erreichte das beste Ergebnis seit dem Ende des Bürgerkrieges


In den drei im Hochland gelegenen und überwiegend von der indigenen Bevölkerung bewohnten Departamentos Solola, Totonicapan und Chimantenango sowie unter in den USA wahlberechtigten Migrant*innen erreichte Thelma Cabrera den ersten Platz. Allerdings konnten die Kandidat*innen der MLP bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen nicht die gleichen Erfolge erzielen und kommen voraussichtlich nur auf einen Sitz. Die langjährige CODECA-Aktivistin Vicenta Jerónimo wird ihn besetzen.
Eine Überraschung der Linken war die Partei Winaq (Maya Quiché für „Leute“). Die Partei wurde von der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu gegründet. Sie versteht sich als Interessenvertretung der indigenen Bevölkerung und sieht sich in der Tradition des indigenen Widerstandes der vergangenen Jahrhunderte. Die Organisation stehe aber allen Bevölkerungsgruppen, nicht nur der indigenen Bevölkerung offen, betonte Ricardo Cajas, Sekretär im Parteivorstand der Winaq.
Neben den 5,22 Prozent für ihren Präsidentschaftskandidaten ist Winaq auf vier Sitze im Parlament gekommen. Die ehemalige Guerillaorganisation URNG, bei den Präsidentschaftswahlen abgeschlagen auf dem zwölften Platz, kam bei den Parlamentswahlen auf drei Sitze. Damit konnten die linken Parteien die Zahl ihrer Abgeordneten im Vergleich zur letzten Wahl verdoppeln und bei der Präsidentschaftswahl das beste Ergebnis nach dem Friedensabkommen erreichen.
Insgesamt sind 19 Parteien im neuen Parlament vertreten. Die UNE, die Partei von Sandra Torres, stellt mit 54 von 160 Abgeordneten die größte Fraktion im neuen Parlament. Die Partei VAMOS des zweitplatzierten Giammattei 17 Abgeordnete. Allerdings könnte der in Guatemala übliche Fraktionswechsel nach den Wahlen das Bild noch einmal durcheinander bringen: Bei den letzten Präsidentschaftswahlen wechselten rund 25 Prozent der Abgeordneten nach der Wahl die Partei.
Der Präsidentschaftskandidat der UNC, Mario Estrada, sitzt seit April in den USA in Untersuchungshaft. Er war US-amerikanischen Drogenfahndern in die Falle gegangen, die sich als Mitglieder des Drogenkartells Sinaloa ausgegeben hatten. Bei ihnen hatte er nicht nur gegen Geldzahlungen „Sicherheit“ beim Drogenstransport in Aussicht gestellt, sondern soll auch die Ermordung zweier Konkurrentinnen für das Präsidentenamt in Auftrag gegeben haben, unter anderem die Ermordung von Thelma Aldana. Die in der Korruptionsbekämpfung engagierte Ex-Staatsanwältin sollte für die Partei Semilla kandidieren, ihre Kandidatur wurde aber durch einen Beschluss des Verfassungsgerichtes unterbunden. Hintergrund waren Korruptionsvorwürfe gegen ihre Person, die sie selbst als „erfunden“ bezeichnete.
Während der Wahlen gab es zahlreiche Hinweise auf Unregelmässigkeiten. Schon wenige Stunden nach Schliessung der Wahllokale erkannte Thelma Cabrera von der MLP das Ergebnis nicht an und sprach von „geplantem Betrug“. In einer Pressemitteilung vom 17. Juni beklagte die Partei unter anderem, dass auf zahlreichen Wahlzetteln das Logo der MLP nicht zu finden war. Wahlzettel tauchten bereits ausgefüllt in Wahllokalen auf. Außerdem beklagte sie Stimmenkauf zu Gunsten der traditionellen Parteien. Wahlbeobachter*innen der MLP berichteten teilweise von Diskrepanz zwischen den von ihnen gezählten Stimmen und den späteren offiziellen Angaben.
Dies bestätigt auch Ricardo Cajas für die Winaq. Er sieht den zentralen Betrug aber im Vorfeld der Wahlen. „Durch den seit Jahren praktizierten großangelegten Stimmenkauf kann von fairen Wahlen nicht die Rede sein“, sagte er. „Die Leute verkaufen ihre Stimme für Geschenke. Hier müsste die Wahlbehörde grundsätzlich einen Riegel vorschieben.“

Während der Wahlen gab es zahlreiche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten


Die Organisation amerikanischer Staaten (OAS) sprach dagegen von einem weitgehend normalen Verlauf der Wahlen. Internationale Wahlbeobachter*innen, zum Beispiel der Europäischen Union, hatte die guatemaltekische Regierung aber nicht zugelassen. Die Wahlbehörde TSE räumte Unregelmäßigkeiten ein und kündigte an die Stimmen noch einmal nachzuzählen. Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen und die Kandidatur von Torres und Giammatei für die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen hat sie mittlerweile bestätigt, für die Parlamentswahlen ist die Nachzählung aber noch nicht abgeschlossen und könnte noch zu Veränderungen im Endergebnis führen, die allerdings nicht gravierend ausfallen dürften.

Für die Stichwahl im August gibt es keine politische Kraft mehr, die eine grundsätzliche Alternative zum neoliberalen System anbietet, die Wahl zwischen Torres und Giammatei ist die klassiche Wahl des kleineren Übels, zwischen klassischer Großpartei mit neoliberalem Ansatz und rechtsextremer Partei.
Die Linke hat das beste Ergebnis seit dem Ende des Bürgerkrieges erreicht. Bei einer gemeinsamen Kandidatur hätte es vermutlich sogar für die Stichwahl gereicht. Im Parlament stehen die Parteien dennoch einer rechten Mehrheit gegenüber. Trotzdem will Ricardo Rojas von Winaq im Parlament über ein 20-Punkte-Programm verhandeln. Gleichzeitig wird die Partei aber ihre Basisarbeit fortsetzen, ihre Zusammenarbeit mit indigenen Organisationen – ganz wie die MPL. Für das überwiegend im Hochland gelegene Departamento Quetzaltenango fasst Emma Vicente, Kandidatin für die MLP bei den Parlamentswahlen, zusammen: „Wir haben in unserem Departamento über 33.000 Stimmen für Thelma Cabrera erreicht und fast 8.000 bei den Parlamentswahlen, in dem Landkreis Concepcion Chiquirichapa 70,36 Prozent der Stimmen. Dabei hatten wir dort bisher noch gar keine Strukturen, weder von CODECA noch von der MLP. Der Erfolg kam zustande, weil uns Einwohner*innen einige Wochen vor den Wahlen angesprochen hatten, um Materialen gebeten hatten und dann eine Kundgebung mit Thelma Cabrera organisierten. Daran werden wir in den nächsten vier Jahren anknüpfen, und auch die politische Bildung in unserem Departamento intensivieren.“

 

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