DAS PATRIARCHAT HACKEN

Erstes analoges Treffen Feministische Kollektive im Austausch über digitale Protestformen (Foto: MediaRe)

Digitale Protestformen sind in Uruguay seit 2015 immer sichtbarer geworden. Damals waren es zuerst #NiUnaMenos aus Argentinien und digitale Aktionen zu lokalen und aktuellen Anlässen, die feministischen Protest ins Netz brachten. Zuletzt haben die Pandemie und der monatelange Lockdown gezeigt, wie wichtig digitale Plattformen geworden sind. Aus diesem Grund haben feministische Kollektive wie die Gruppe Entramada Feminista in Uruguay das erste cyberfeministische Treffen des Landes einberufen. Es fand Anfang November im Departament Durazno statt und wurde mit Geldern der feministischen Stiftung Fondo de Mujeres del Sur und dem Fondo Indela für digitale Rechte gefördert.

Außer den Organisator*innen aus den Kollektiven Datysoc, MediaRed, dem Encuentro de Feministas Diversas (EFD) und Durazno nahmen Dutzende Mitglieder feministischer Gruppen teil. Viele der Teilnehmer*innen kannten sich noch nicht oder standen bisher nur über Videokonferenzen oder Chatgruppen in Kontakt. Der Zusammenhalt, der den digitalen Kontakt bisher geprägt hatte, setzte sich auch an den zwei Tagen des Treffens fort. Bereits am Samstagmorgen kamen die Teilnehmer*innen zusammen, mit Enthusiasmus und der Freude, sich in einem gemeinsamen Raum in die Augen blicken zu können.

Der Cyberfeminismus stützt sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte: Einerseits betont er die Notwendigkeit, zu verstehen, wie digitale Plattformen funktionieren, wer das Internet aufbaut und wie Algorithmen definiert werden. Das alles sind Aufgaben, von denen Frauen häufig ausgeschlossen sind. Andererseits geht es dem Cyberfeminismus darum, digitale Räume praktisch zu nutzen, um Kommunikationsstrategien und Aktionen gegen digitale Gewalt gegen Frauen und antifeministische Diskurse im Netz zu entwickeln. So erklärte es María Goñi Mazzitelli, Mitglied von Datysoc, gegenüber la diaria. Es gehe darum, Frauen zu empowern, damit sie die Angst, diese Räume für sich zu besetzen, verlieren.

„Heutzutage ist ein Feminismus ohne virtuellen Aktivismus unvorstellbar“

Goñi Mazzitelli meint, dafür „braucht es nicht notwendigerweise ein elaboriertes Wissen über das Netz“, aber „jede, die Plattformen benutzt, kann mit bestimmten Aktionen dazu beitragen“. Dazu zählen beispielsweise „Aktionen zum Selbstschutz und zum kollektiven Schutz und Reflexionen darüber, wie wir mit anderen kommunizieren und welche Narrative wir erschaffen wollen“. In gewissem Sinne seien alle feministischen Aktivist*innen auch Cyberfeminist*innen. Denn „heutzutage ist ein Feminismus ohne virtuellen Aktivismus unvorstellbar“, so Mazzitelli.

Um diese Themen ging es auch im ersten Workshop des Treffens. Die Teilnehmer*innen tauschten sich über individuelle und kollektive Nutzungsmöglichkeiten der sozialen Netzwerke aus, teilten Erfahrungen digitaler Gewalt und problematisierten den ungleichen Zugang zum Internet für unterschiedliche Geschlechter. Auch das Thema digitale Rechte wurde besprochen.

In diesem Zusammenhang stellten die Organisator*innen von Datysoc eine Sammlung von Prinzipien für den Aufbau eines „feministischen Internets“ vor: ein Internet ohne Gewalt und Diskriminierung, in dem Frauen sich ausdrücken können, ohne sich von anderen Personen „ausgespäht zu fühlen“. Zu ihren Forderungen gehören ein gerechterer Zugang zum Internet, die Stärkung der Meinungs- und sexueller Freiheit in digitalen Räumen, die Möglichkeit Bewegungen und Mitbestimmung aufzubauen und das Recht, über die eigene digitale Identität zu bestimmen – sei es die tatsächliche, eine anonyme oder ein Pseudonym.

Viele der teilnehmenden Kollektive sind zwar in sozialen Netzwerken präsent, verfolgen aber bisher keine konkreten Strategien. Diana von Mujeres en Libertad aus San José etwa erzählt, wann ihr Kollektiv in den sozialen Netzwerken wie reagiert. „Wenn etwas zu viel Lärm macht, sprechen wir Klartext“, versichert sie. Eines sei jedoch klar: Die Gruppe antwortet nicht auf gewalttätige Kommentare, denn „die Menge der Leute, die sich auf diese Weise ausdrücken, ist belastend.“

Für Colectiva Durazno hat der Lockdown in Zeiten der Pandemie die Notwendigkeit eines Wandels sichtbar gemacht, meint Silvana Cunha, eine der Aktivist*innen des Kollektivs. Deshalb habe die Gruppe ihre Aktivitäten in sozialen Medien gestärkt und nach Werkzeugen gesucht, „sicher“ in diesen Räumen unterwegs zu sein. Ihre Netzwerke seien als „konstruktiver und informativer Raum“ gedacht, damit „andere Personen die Veröffentlichungen lesen und interagieren wollen“. Wenn es aber Gewalt gegen Frauen und Queers gäbe, würden sie nicht zögern, diese auch im Digitalen anzuprangern.

Die feministische Aktivistin Camila Díaz erzählt, dass sie sehr aktiv in persönlichen Netzwerken ist und Fotos und Informationen über Feminismen teilt, die andere Personen oder Kollektive erstellen. Díaz meint, es sei wichtig, dass feministische Diskurse im Netz präsent seien, um mehr Menschen zu erreichen. Viele junge Feminist*innen würden die Netzwerke nutzen, um ihre Meinung auszudrücken, Gewalt anzuprangern und an Bewegungen teilzunehmen, auch wenn sie nicht in Kollektiven organisiert seien.

Digitale Gewalt muss ebenso anerkannt werden wie physische Gewalt

Das Kollektiv EFD ist in sozialen Netzwerken entstanden: Zuerst auf Twitter und später auf Telegram. Von Beginn an sei es darum gegangen, mit digitalem Aktivismus Präsenz zu zeigen, erzählen Gabriela Mathieu und Natalia Vera. In diesem Prozess hätten die Frauen sich auch die entsprechenden technischen Mittel angeeignet. „Heute haben wir eine eigene Cloud über Nextcloud und unterstützen andere sichere Vorgehensweisen für den virtuellen Raum“, meint Mathieu. „Was wir anderen Kollektiven vielleicht mitgeben müssen, ist die Nutzung anderer Messengerdienste und sicherer und freier Technologien.“ Der virtuelle Raum sei zwar wichtig und bringe viele Werkzeuge für den Aktivismus mit sich. „In einem feministischen Raum aktiv zu sein, bedeutet jedoch auch, körperlich in diesem Umfeld präsent zu sein.“ Diese Meinung teilen auch andere Aktivist*innen. Diana von Mujeres en Libertad meint etwa: „Virtuelle Präsenz zu zeigen ist wichtig. Aber auf den Straßen sichtbar zu sein ist wichtiger. Denn der Wandel geschieht nicht in den Netzwerken.“

Durch alle Workshops zieht sich das Thema der digitalen sexualisierten Gewalt. „Die geschlechtsspezifische Gewalt in digitalen Umgebungen gegen Frauen und Queers beruht auf patriarchalen Mechanismen“, definiert Mariana Fossatti von Datysoc das Problem. Diese Gewalt drücke sich zum Beispiel in Kommentaren in Privatnachrichten oder öffentlich in sozialen Netzwerken aus, häufig auch in der Verbreitung von Bildern und Videos ohne vorherige Zustimmung des Opfers. „Dazu zählt jede Handlung mit dem Ziel, eine unterdrückerische, unbehagliche und unaushaltbare Atmosphäre für Frauen und Queers zu erschaffen und uns aus diesen Räumen zu vertreiben“, erklärt Fossatti. Diese Gewalt führe zu psychologischem und emotionalem Schaden und ziehe Verpflichtungen in Mitleidenschaft. So könnte digitale Gewalt Auswirkungen auf die Arbeitssituation der Opfer haben und zu wirtschaftlichen Verlusten führen. Ebenso könnte sie zu Formen physischer, auch sexueller Gewalt führen. „Deswegen sagen wir, dass digitale Gewalt real ist“, denn ihr Effekt „beschränkt sich nicht auf den digitalen Rahmen“, meint Fossatti. Sie erklärt, dass es daher nicht ausreiche, Konten zu schließen und Geräte abzuschalten. Digitale Gewalt müsse genauso anerkannt werden wie physische Gewalt, so die Aktivistin von Datysoc.

Frauen befähigen, digitale Räume für sich zu besetzen

In einem der Workshops wurden unterschiedliche Strategien zur Vorbeugung digitaler Aggressionen vorgestellt. Schon das Nutzen sicherer Passwörter und Browser könne verhindern, dass Daten und Inhalte für alle zugänglich sind. Außerdem könnte man auf intimen Bildern das Gesicht unkenntlich machen und anonyme Profile unter Pseudonymen verwenden. In einem sind sich die Feminist*innen einig: Das wichtigste sei es, nahestehende Vertrauenspersonen oder feministische Kollektive zu kontaktieren und ein Verzeichnis gewalttätiger Kommentare und Fotos mithilfe von Screenshots anzulegen.

Der Workshoptag ging mit einem Seminar zu antifeministischen Diskursen im Internet weiter. Dazu gehören etwa frauenfeindliche, rassistische, transfeindliche, homofeindliche Einstellungen oder auch das sogenannte Bodyshaming. Die Teilnehmer*innen diskutierten über Meinungsfreiheit und darüber, welche Äußerungen unter dieses Recht fallen und welche nicht. Ebenso ging es darum, sichere Strategien zu entwickeln, um eine starke Antwort entgegenzusetzen, ohne sich einerseits selbst in Gefahr zu begeben und andererseits der Nachricht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Antifeministische Diskurse können unterschiedliche Effekte zur Folge haben. Da wäre zum einen die individuelle oder kollektive Selbstzensur, etwa „Kommentare aus Angst vor den Antworten viel stärker zu analysieren“ oder sogar „das Löschen eigener Konten“, erklärte Fossatti. Außerdem habe dieses Verhalten einen „kulturellen Zweck“: Antifeministische Diskurse haben zum Ziel, „zu disziplinieren“ und versuchen „zur Norm zurückzukehren“, indem feministische und queere Kollektive aus den virtuellen Räumen verbannt werden.

Vor dem Ende des Treffens verteilten sich die Teilnehmer*innen auf unterschiedliche Gruppen, um aus Bildern eine Collage über ihre Erfahrungen, Gefühle und das Gelernte zu erstellen. Die Aufgabe verstand sich als „Feministisches Hacking antifeministischer Diskurse“. „Die Entramada soll hier nicht enden“, machte Federica Turbán, Mitglied von MediaRed, in der abschließenden Runde klar. So gibt es die Möglichkeit, die Strategien in weiteren Treffen an unterschiedlichen Orten des Landes weiterzuführen. Für das Jahr 2022 ist schon ein weiteres Treffen geplant.: „Raus aus dem Zoom und aus Montevideo!“, rief eine compañera spontan aus. Bis dahin bleibt die Entramada Feminista über die digitalen Medien verbunden


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