Intersektionale Ansätze

Lélia Gonzalez – Kritik am 
hegemonialen Feminismus aus „Améfrica Ladina”

Foto: Cezar Loureira

Lélia de Almeida wurde am 1. Februar 1935 in Belo Horizonte, Minas Gerais, als Tochter einer Haushaltsangestellten und eines Bahnarbeiters geboren. Sie übernahm ihren Nachnamen Gonzalez von Luiz Carlos Gonzalez, einem Spanier, den sie Ende der 1960er Jahre heiratete. Als sie acht Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie nach Rio de Janeiro, wo sie bis zu ihrem Lebensende lebte. Wie ihre Geschwister musste sie von klein auf als Kindermädchen und Haushaltshilfe arbeiten. 1958 machte sie ihren Abschluss in Geschichte und Geografie und studierte dann Philosophie. Sie unterrichtete an Hochschuleinrichtungen in Rio de Janeiro, wie der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro und der Päpstlichen Katholischen Universität. Parallel zu ihrer akademischen Arbeit beteiligte sich Lélia am politischen Widerstand gegen das Militärregime (1964-1985), gründete die Vereinte Schwarze Bewegung gegen Rassendiskriminierung, nahm an der Gründung der Arbeiterpartei (PT) teil und gründete die Organisation Nzinga – Black Women’s Collective.

In der Schwarzen Bewegung prangerte sie den Mythos der Rassendemokratie an, forderte ein Ende der Gewalt und Diskriminierung, der Schwarze tagtäglich ausgesetzt sind, und verlangte eine öffentliche Politik zugunsten der Afro-brasilianischen Gemeinschaft. Lélia wies auch auf den Sexismus hin, der den weiblichen Teil der Schwarzen Bewegung oft zum Schweigen bringt. „Die Mitglieder reproduzieren die sexistischen Praktiken des herrschenden Patriarchats und versuchen, uns aus den Entscheidungsräumen auszuschließen“, betonte sie. Angesichts der Diskriminierung von Frauen in der schwarzen Bewegung sahen sich schwarze Aktivistinnen veranlasst, sich wirksam an der feministischen Bewegung zu beteiligen – die jedoch auch die Dimensionen des Rassismus im Leben von „Women of Colour“ ignorierte. Lélia zufolge behinderten die „eurozentrische Weltsicht und der Neokolonialismus“ des weißen feministischen Aktivismus den Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen Frauen.
Sie war Pionierin darin, Klassismus und Rassismus des hegemonialen Feminismus in Frage zu stellen, und setzte sich für die Dekolonisierung des Feminismus und die Gründung eines „Afro-lateinamerikanischen Feminismus“ ein, der von Schwarzen und Indigenen Frauen in Lateinamerika angeführt wurde, das sie in „Améfrica Ladina“ umbenannte – um den nicht-weißen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Akteur*innen in diesem Gebiet Sichtbarkeit zu verleihen.

Ein weiterer Aspekt von Lélias antirassistischer Kritik war ihre Auseinandersetzung mit der akademischen Sprache, da ein großer Teil der Schwarzen Bevölkerung keinen Zugang zu formaler Bildung hatte. Daher versuchte sie, leichter zugängliche und verständlichere Texte zu verfassen, wobei sie häufig die Sprache verwendete, die sie pretoguês („schwarzes Portugiesisch“) nannte, ein Zeichen der Afrikanisierung des brasilianischen Portugiesisch.

Die Philosophin und Schwarze Aktivistin Angela Davis bezeichnet Lélia Gonzalez als eine der Begründerinnen des schwarzen Feminismus, der in Brasilien entstanden ist: „Im Rahmen eines internationalistischen, feministischen Ökosystems müssen wir betonen, dass wir, die im globalen Norden leben, viel von den Bewegungen lernen können, die im Süden entstanden sind, insbesondere von den Traditionen des schwarzen Feminismus in Brasilien.“

Lélia Gonzalez starb am 10. Juli 1994 in Rio de Janeiro an den Folgen eines Herz-Kreislauf-Problems. Ihr Andenken und ihre Ideen leben weiter.

Liliana Angulo – 
Antirassistische Kunst in 
Kolumbien

Foto: Museo Nacional de Colombia vie Flickr (CC BY ND-2.0)

Liliana Angulo Cortés ist eine Afro-kolumbianische Künstlerin und Aktivistin, die 1974 in Bogotá geboren wurde und sich in ihren multimedialen Werken mit rassistischen und sexistischen Repräsentationen von Körpern, insbesondere von Afro-kolumbianischer Frauen in Kolumbien auseinandersetzt. In ihren Fotografien, Skulpturen und Installationen greift sie Themen wie Rassismus, Armut, Kolonialismus und soziale und geschlechterbasierte Ungleichheiten auf und konfrontiert die Beobachtenden mit Fragen wie: Wie ist es, als „Schwarze Frau in Kolumbien“ gesehen zu werden? Welche Bilder oder Abwesenheiten von Bildern hat die Kategorie „Schwarzsein“ in der kolumbianischen Gesellschaft konstruiert? Wie können diese Konstrukte durchbrochen werden?

Liliana Angulo verbindet Kunst und Afro-feministischen Aktivismus, was besonders im Projekt Quieto Pelo („Stilles Haar“, 2008) zu erkennen ist. In diesem Projekt beschäftigt sie sich mit der Praktik Afro-kolumbianischer Frauen, Frisuren als Protest- und Kommunikationsmittel einzusetzen. Afro-kolumbianische Frauen und Frisörinnen aus Quibdó, San Andrés und Tumaco berichten über das Frisieren als eine Form der Pflege und Selbstfürsorge für den eignen Körper. Sie erhalten zugleich eine Tradition, die zu Zeiten der Sklaverei eine wichtige kommunikative Rolle spielte. Damals enthielten die geflochtenen­
Haare, auch tropas („Truppen“) genannt, geheime Codes und Karten von Fluchtrouten, die so in der Gemeinschaft still weitergegeben werden konnten. Wie Angulo berichtet, wurde in den Haaren aber auch Saatgut und Gold versteckt, als Grundlage für ein Leben in Freiheit. Wie die Fotografien aus dem Projekt zeigen, lassen sich die Frisuren als gemein­schaftlich-verbindendes Element des Protestes verstehen, aber auch als individuelle Verwirklichung jeder einzelnen Haarkünstlerin.

In weiteren Arbeiten der Künstlerin wird auch ihre Kritik an der heutigen Repräsentation und Rolle von Afro-Kolumbianer*innen in Kolumbien deutlich. In der Serie Negro Utópico („Utopisches Schwarz“, 2001) inszeniert sich die Künstlerin selbst mit schwarz bemaltem Gesicht und einer Perücke aus Draht-Spülschwämmen. Dabei sieht man auf neun Fotos, wie sie Hausarbeiten wie Bügeln und Putzen verrichtet. Auf einem der Fotos ist sie gerade dabei, eine geschnittene Banane in einen Mixer zu geben, womit sie kritisiert, dass Afro-Kolumbianer*innen, die einen großen Teil der Arbeiter*innen auf Bananenplantagen ausmachen, selbst oft nicht die Konsument*innen des eigenen Produktes sind und verweist damit auf fortlaufende rassistische und kolonialgeprägte Strukturen, die Afro-Kolumbianer*innen marginalisieren. Seit 2024 ist Liliana Angulo Cortés die Direktorin des Nationalmuseums von Kolumbien.

Sicherlich lässt sich ihre Position als Direktorin eines Museums, hinter dem der kolumbianische Staat steht kritisieren, allerdings ist sie zugleich die erste Afro-Kolumbianerin, die eines der ältesten Museen Lateinamerikas leitet. Außerdem ist sie weiterhin politisch aktiv, zum Beispiel als Mitglied des Kollektivs Agua Turbia („Trübes Wasser“), einer Gruppe Schwarzer Künstler*innen in Bogotá, die versucht, durch Kunst auf rassistische Strukturen in der kolumbianischen Gesellschaft aufmerksam zu machen.

Miriam Miranda – Kämpfe für Körper-Territorien der 
Garífuna in Honduras

Foto: Honduras Delegation

Seit über 30 Jahren kämpft Miriam Miranda zusammen mit ihrer Gemeinde für die Rechte der Afro-Indigenen Garífuna in Honduras. Die Geschichte ihres Volkes ist legendenumwoben: Irgendwann in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als Abertausende Afrikaner*innen von den Kolonialmächten verschleppt und versklavt wurden, um sie auf den Plantagen Amerikas dazu zu zwingen, für den Reichtum der Kolonien zu arbeiten, kaperte ein Schiff vor der Karibikküste. Die schiffbrüchigen Gefangenen konnten sich auf eine nahegelegene, von den Arawak bewohnte Insel, St. Vicente, retten.

Mit der Zeit verschmolzen die beiden Gruppen und eine neue Kultur mit eigener Sprache entstand, die Garífuna. Im Rahmen von Aufständen gegen verschiedene Kolonialmächte wurden immer wieder Garífuna in andere Teile der Karibik verschleppt, unter anderem nach Honduras, woher auch Miriam Miranda stammt. Noch hunderte Jahre nach ihrer Verschleppung halten die Garífunas in ihren Gemeinden zusammen und widersetzen sich der weiteren Vertreibung, sei es durch den Staat, durch transnationale Privatkonzerne oder durch Drogenkartelle. Insbesondere Landgrabbing durch die Tourismusbranche, Monokulturen und die Palmölindustrie sowie andere extraktivistische Projekte und die Folgen der sozialökologischen Krise stellen existenzielle Bedrohungen für die Afro-Indigene Bevölkerung der honduranischen Karibik dar.

Miriam Miranda hat dies auf unterschiedliche Weisen am eigenen Leib erfahren: Als Kind musste sie aufgrund des Mangels an Erwerbsmöglichkeiten mit ihrer Familie auf der Suche nach Arbeit und Bildungschancen durch das Land ziehen. Als Studentin in der Hauptstadt Tegucigalpa sah sie sich weiterhin mit Diskriminierung und Ungerechtigkeit konfrontiert, begegnete jedoch zugleich vielen Menschen aus dem Land, die dagegen kämpfen. Seit sie ihre Arbeit für die Rechte ihres Volkes begonnen hat, wurde sie mehrfach verhaftet, von Behörden misshandelt und von Kriminellen entführt. Doch auch weiterhin steht Miranda als Koordinatorin der Organización Fraternal Negra Hondureña (OFRANEH) in der ersten Reihe dieser Kämpfe.

In einem Interview mit dem feministischen Medienportal Capire beschreibt sie die Organisation als „eine Communityorganisation, die mit verschiedenen Gemeinden und Gruppen zusammenarbeitet und heute die politische Repräsentation der Garífuna in ihrem Kampf für kollektive Rechte und ihre angestammten Territorien ist.“ Dass Frauen dabei an vorderster Front stehen, leitet sich für Miranda sowohl aus den matrilinearen Traditionen der Garífuna ab als auch aus dem Bewusstsein, das viele Frauen durch die Aufgaben, die sie gesellschaftlich übernehmen, entwickeln: „Wie viele Frauen müssen so viele Kilometer laufen, um nur ein bisschen Wasser zu holen? Wie viele Frauen müssen ihr Saatgut verteidigen? In den letzten Jahrzehnten sind die Frauen hervorgetreten, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Damit die neuen Generationen wirklich genießen können, was da draußen ist, und ein erfülltes Leben haben, gut essen, frische Luft atmen und die Natur genießen können.“ Mit ihren Mitstreiter*innen von OFRANEH hat Miriam Miranda es geschafft, lebendige Alternativen zum dominanten, kapitalistischen Lebensmodell wie das 1500 Hektar umfassende Vallecito zu schaffen und selbstverwaltete Strukturen aufzubauen, die das Leben in den Mittelpunkt stellen. Sie beschrieb das Projekt in einem Interview mit pbi als „das Zentrum der Garífuna-Gemeinden, ein Paradies.“ Dort wird die konkrete Arbeit für Ernährungssouveränität mit verschiedenen Themen verbunden. Zum Beispiel mit dem Aufbau autonomer Gesundheitszentren, die mit traditionellen, ganzheitlichen Heilmethoden arbeiten, mit Bildungs- und Medienarbeit und dem Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt.

Mirandas Analysen auf Basis ihrer konkreten Lebenserfahrung zeigen deutlich, wie verschiedene Gewaltstrukturen wie Kolonialismus, Kapitalismus und Patriarchat nur gemeinsam bekämpft werden können. Ihre Arbeit beweist, dass radikale Alternativen nicht nur notwendig, sondern auch möglich sind.


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DEM NEOKOLONIALISMUS DEN KAMPF ANSAGEN

Treffsicher? Protestaktion gegen den G7-Gipfel 2022 in Elmau (Foto: Sofía Quesada)

Unter antikapitalistischen, antikolonialen und Klimagerechtigkeitsgruppen sorgen hochkarätige Treffen wie der jüngste G7-Gipfel in Elmau immer für Aufruhr, sind sie doch meist Ausdruck offensichtlicher Heuchelei. Denn G7, der informelle Zusammenschluss der sieben bei der Gründung 1975 bedeutendsten westlichen Industriestaaten, ist eine Inszenierung, bei der es kaum um kritische Themen geht. Stattdessen dient das Treffen dazu, die Schere zwischen Globalem Süden und Norden zu erhalten oder sogar zu vergrößern.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit den Vorbereitungen für G7 in Elmau auch Mobilisierungen für Gegenproteste einsetzten. Zusammen mit linken Gruppen aus Deutschland protestierten dann lateinamerikanische und afrikanische Aktivist*innen aus Gruppen wie der Karawane für das Leben, Debt for Climate, Fridays for Future oder der Riseup-Bewegung in der Umgebung des Gipfels. Das Bündnis „Stop G7 Elmau“ hatte damit auch jenen eine Stimme verschafft, die sonst selten diese Möglichkeit bekommen. „Ich bin den Neokolonialismus der G7 über unsere Leute satt. Wir wollen Gerechtigkeit für unsere Menschen, wir wollen, dass sie für den Kolonialismus des europäischen Kontinents über unsere Länder Verantwortung übernehmen”, sagte etwa die namibische Aktivistin Ina Maria Shikongo in München. Und man muss sich nur die verheerenden Auswirkungen der geplanten Ölbohrungen im Okavango-Delta in Namibia ansehen, um zu verstehen, wie teuer der Ölkolonialismus Länder und Gemeinden im globalen Süden zu stehen kommt. Die Geschichte erzählt es uns, denn es ist nichts Neues: In Afrika werden die natürlichen Ressourcen ausgebeutet, die Gemeinschaften leben in Armut und in ständigem Überlebensmodus.

Eng verbunden mit wirtschaftlichen Fragen zeigt sich auch der Kampf gegen die Klimakrise und für Klimagerechtigkeit. Es ist offensichtlich, dass die Klimakrise Folge jahrhundertelanger Ausbeutung ist, die nicht aufzuhören scheint. So erzählt Esteban Servat, Debt for Climate-Aktivist aus Argentinien: „Es geht nicht nur um Emissionen oder eine 1,5-Grad-Politik. Wir müssen zusammen gegen die Ausbeutung und den Kolonialismus des Globalen Nordens kämpfen.“ Wann wird der Globale Süden erfolgreich unabhängig? Zur wirtschaftlichen Ausbeutung gehören auch die hohen Schulden beim Internationalen Währungsfonds, von denen viele lateinamerikanische Länder derzeit betroffen sind. So entscheiden die G7 über die Schulden der Länder des Globalen Südens, während sie selbst Klimaschulden aufhäufen. Was wiegt da schwerer? So oder so bleibt es der Globale Süden, der am Ende den Schaden davonträgt. Sei es durch unüberwindbare Schuldenberge oder dadurch, dass Lebensräume indigener Gemeinschaften dem Erdboden gleichgemacht und ihre kulturellen Identitäten zerstört werden. Auch wenn Länder des Globalen Nordens behaupten, im Globalen Süden fehle es an Infrastruktur, geschieht das meist nicht, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Stattdessen dient dieser paternalistische Vorschub als Hauptbegründung für die Durchführung von Infrastrukturprojekten, die die Gemeinschaften am Ende wieder ausbeuten. Zwei der zahllosen Beispiele hierfür sind der Interozeanische Korridor im mexikanischen Isthmus von Tehuantepec oder der Tren Maya (siehe LN 567), an dem auch die Deutsche Bahn AG als sogenannter Schattenbetreiber (Shadow Operator) lukrativ beteiligt ist. Angesichts der Schulden und Verzweiflung vieler Staaten des Globalen Südens werden die natürlichen Ressourcen dieser Länder zu Zahlungsmitteln. So bot der argentinische Präsident Alberto Fernández, der als Gast aus Lateinamerika zum G7-Gipfel eingeladen war, die Vaca Muerta, eine der größten Ölschiefer-Lagerstätten weltweit, als Alternative zum russischen Gas in der aktuellen Energiekrise an.

Und so bleibt die große Frage immer dieselbe: Wann wird der Globale Norden aufhören, die Länder des Globalen Südens zu beherrschen, zu verfolgen und zu verwüsten? Wird der Tag kommen, an dem diese Länder erfolgreich unabhängig sind? Irgendwann sicher, wenn der Aufstand gegen die Ungerechtigkeit weiter geht. So denken die Aktivist*innen, die gegen G7 protestieren ebenso wie die Autorin dieses Textes. Solange der gesellschaftliche Kampf sichtbar ist, solange die Solidarität keine Grenzen kennt, geht die Hoffnung nicht verloren. Doch im schlimmsten Fall ist es zu spät. Die Natur lässt uns keinen Aufschub mehr und die Folgen der Klimakrise werden irreparabel.

Doch vielleicht gibt es einen Faktor, der den Unterschied ausmachen kann: Die mutigen Menschen aus dem Globalen Norden, die sich ihrer Privilegien bewusst sind. Sie haben sich unermüdlich dem Kampf für Gleichberechtigung und dem Erhalt der Natur verschrieben. Sie wissen, dass ihre Stimmen ein anderes Gewicht haben und dass sie weiter gehen können, ohne größte Risiken einzugehen. Sie wissen, dass die Bewegungen im Globalen Süden sie brauchen, um mehr Reichweite zu bekommen. Sie wissen, dass ihr Status für den Wandel von Bedeutung ist.

Der Kolonialismus, über den wir in der Schule lernen und der uns an die alten Bücher erinnert, in denen Männer auf Schiffen reisen, scheint uns so weit weg. Doch er ist heute so präsent wie nie. Tag für Tag nimmt er neue und abartigere Ausdrucksformen an – manche sind offensichtlich, manche eher subtil. Wer das versteht, weiß, dass der intersektionale Kampf die einzige Lösung ist, um uns zu retten – uns alle. Denn wer weiterhin nur auf sein eigenes Portemonnaie achtet und sich im Vorteil des Glücks der Geburt im Globalen Norden wiegt; wer nicht versteht, dass dieser Kampf intersektional sein muss, der kann sich auch nicht selbst retten.


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SEX EDUCATION AUF ARGENTINISCH

Foto: Germán Biglia (La Tinta)

Ein Meter zwanzig. Aus dieser Perspektive erschließt die argentinisch-französische Miniserie Metro Veinte die Welt ihrer Protagonistin Juana.

Die 17-jährige Rollstuhlfahrerin ist vor Kurzem mit ihrer Mutter und Schwester nach Córdoba gezogen. Die Lehrer*innen der öffentlichen Schule, an die sie kommt, geben sich übertrieben rücksichtsvoll, sind aber vor allem stockkonservativ. Die Schüler*innen sind dafür umso rebellischer.

Schnell freundet sich Julia mit den beiden Queers Efe und Julia an, die für das Recht auf umfassende Sexualbildung (Educación Sexual Integral, ESI) kämpfen. Diese steht Schüler*innen in Argentinien per Gesetz zu, wird aber oft nicht umgesetzt. Die Chatgruppe, in der der Kampf an der Schule organisiert wird, heißt „Sex Education“. Ein deutliches Augenzwinkern in Richtung der erfolgreichen britischen Netflix-Produktion, die im Gegensatz zum bunten und rasant erzählten Metro Veinte jedoch fast bieder wirkt.
Bei der queeren Coming-of-Age-Story geht es aber noch um mehr: um die Suche nach Identität und der Entdeckung von Sexualität einer Protagonistin, der von vielen Seiten die Selbstbestimmtheit abgesprochen wird.

Der Regisseurin María Belén Poncio war wichtig, die Realität anderer Körper auf der Leinwand erfahrbar zu machen und die Schönheit von Diversität darzustellen. Körper, denen die Scham angeboren ist, die nicht passen und deshalb unauffällig bleiben sollen, wie Juana in einer beeindruckenden Auseinandersetzung mit einem Journalisten sagt. Sowohl Hauptdarstellerin Marisol Agostina Irigoyen, die hier in ihrer ersten Schauspielrolle brilliert, als auch die Co-Regisseurin Rosario Perazolo Masjoan nutzen selbst einen Rollstuhl.

Die Darstellung Juanas gelebter und geträumter Sexualität wird nie voyeuristisch, fließt in Zeichnungen über, die ihr Erleben verdeutlichen. Nahtlos wird an die Realität der argentinischen Gesellschaft angeknüpft. So treten die Socorristas en Red auf, medizinisch und psychologisch ausgebildete Frauen und Queers, die da, wo der Staat bis zur Verabschiedung des Gesetzes zur freien und kostenlosen Abtreibung abwesend war, bei Schwangerschaftsabbrüchen unterstützten. Zum Ende der Serie geht es auf einen pañuelazo, die bekannte feministische Protestveranstaltung mit grünen Tüchern.
Dabei wird deutlich, dass Intersektionalität auch in emanzipatorischen Kämpfen nicht immer mitgedacht wird. Eine ohne Juana geplante Aktion ist für sie unzugänglich, auf ihre Kritik daran wird ihr vorgeworfen, immer nur an sich zu denken und sich in der Opferrolle wohlzufühlen. So kämpft Juana stellvertretend für viele andere Schüler*innen um Repräsentation und Selbstbestimmung.

Die Protagonist*innen von Metro Veinte sind witzig, wortgewandt, kämpferisch, selbstbestimmt, queer und einfach absolut cool: Es lohnt sich wirklich, dieser Serie etwas Zeit zu widmen.


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