DEM NEOKOLONIALISMUS DEN KAMPF ANSAGEN

Treffsicher? Protestaktion gegen den G7-Gipfel 2022 in Elmau (Foto: Sofía Quesada)

Unter antikapitalistischen, antikolonialen und Klimagerechtigkeitsgruppen sorgen hochkarätige Treffen wie der jüngste G7-Gipfel in Elmau immer für Aufruhr, sind sie doch meist Ausdruck offensichtlicher Heuchelei. Denn G7, der informelle Zusammenschluss der sieben bei der Gründung 1975 bedeutendsten westlichen Industriestaaten, ist eine Inszenierung, bei der es kaum um kritische Themen geht. Stattdessen dient das Treffen dazu, die Schere zwischen Globalem Süden und Norden zu erhalten oder sogar zu vergrößern.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit den Vorbereitungen für G7 in Elmau auch Mobilisierungen für Gegenproteste einsetzten. Zusammen mit linken Gruppen aus Deutschland protestierten dann lateinamerikanische und afrikanische Aktivist*innen aus Gruppen wie der Karawane für das Leben, Debt for Climate, Fridays for Future oder der Riseup-Bewegung in der Umgebung des Gipfels. Das Bündnis „Stop G7 Elmau“ hatte damit auch jenen eine Stimme verschafft, die sonst selten diese Möglichkeit bekommen. „Ich bin den Neokolonialismus der G7 über unsere Leute satt. Wir wollen Gerechtigkeit für unsere Menschen, wir wollen, dass sie für den Kolonialismus des europäischen Kontinents über unsere Länder Verantwortung übernehmen”, sagte etwa die namibische Aktivistin Ina Maria Shikongo in München. Und man muss sich nur die verheerenden Auswirkungen der geplanten Ölbohrungen im Okavango-Delta in Namibia ansehen, um zu verstehen, wie teuer der Ölkolonialismus Länder und Gemeinden im globalen Süden zu stehen kommt. Die Geschichte erzählt es uns, denn es ist nichts Neues: In Afrika werden die natürlichen Ressourcen ausgebeutet, die Gemeinschaften leben in Armut und in ständigem Überlebensmodus.

Eng verbunden mit wirtschaftlichen Fragen zeigt sich auch der Kampf gegen die Klimakrise und für Klimagerechtigkeit. Es ist offensichtlich, dass die Klimakrise Folge jahrhundertelanger Ausbeutung ist, die nicht aufzuhören scheint. So erzählt Esteban Servat, Debt for Climate-Aktivist aus Argentinien: „Es geht nicht nur um Emissionen oder eine 1,5-Grad-Politik. Wir müssen zusammen gegen die Ausbeutung und den Kolonialismus des Globalen Nordens kämpfen.“ Wann wird der Globale Süden erfolgreich unabhängig? Zur wirtschaftlichen Ausbeutung gehören auch die hohen Schulden beim Internationalen Währungsfonds, von denen viele lateinamerikanische Länder derzeit betroffen sind. So entscheiden die G7 über die Schulden der Länder des Globalen Südens, während sie selbst Klimaschulden aufhäufen. Was wiegt da schwerer? So oder so bleibt es der Globale Süden, der am Ende den Schaden davonträgt. Sei es durch unüberwindbare Schuldenberge oder dadurch, dass Lebensräume indigener Gemeinschaften dem Erdboden gleichgemacht und ihre kulturellen Identitäten zerstört werden. Auch wenn Länder des Globalen Nordens behaupten, im Globalen Süden fehle es an Infrastruktur, geschieht das meist nicht, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. Stattdessen dient dieser paternalistische Vorschub als Hauptbegründung für die Durchführung von Infrastrukturprojekten, die die Gemeinschaften am Ende wieder ausbeuten. Zwei der zahllosen Beispiele hierfür sind der Interozeanische Korridor im mexikanischen Isthmus von Tehuantepec oder der Tren Maya (siehe LN 567), an dem auch die Deutsche Bahn AG als sogenannter Schattenbetreiber (Shadow Operator) lukrativ beteiligt ist. Angesichts der Schulden und Verzweiflung vieler Staaten des Globalen Südens werden die natürlichen Ressourcen dieser Länder zu Zahlungsmitteln. So bot der argentinische Präsident Alberto Fernández, der als Gast aus Lateinamerika zum G7-Gipfel eingeladen war, die Vaca Muerta, eine der größten Ölschiefer-Lagerstätten weltweit, als Alternative zum russischen Gas in der aktuellen Energiekrise an.

Und so bleibt die große Frage immer dieselbe: Wann wird der Globale Norden aufhören, die Länder des Globalen Südens zu beherrschen, zu verfolgen und zu verwüsten? Wird der Tag kommen, an dem diese Länder erfolgreich unabhängig sind? Irgendwann sicher, wenn der Aufstand gegen die Ungerechtigkeit weiter geht. So denken die Aktivist*innen, die gegen G7 protestieren ebenso wie die Autorin dieses Textes. Solange der gesellschaftliche Kampf sichtbar ist, solange die Solidarität keine Grenzen kennt, geht die Hoffnung nicht verloren. Doch im schlimmsten Fall ist es zu spät. Die Natur lässt uns keinen Aufschub mehr und die Folgen der Klimakrise werden irreparabel.

Doch vielleicht gibt es einen Faktor, der den Unterschied ausmachen kann: Die mutigen Menschen aus dem Globalen Norden, die sich ihrer Privilegien bewusst sind. Sie haben sich unermüdlich dem Kampf für Gleichberechtigung und dem Erhalt der Natur verschrieben. Sie wissen, dass ihre Stimmen ein anderes Gewicht haben und dass sie weiter gehen können, ohne größte Risiken einzugehen. Sie wissen, dass die Bewegungen im Globalen Süden sie brauchen, um mehr Reichweite zu bekommen. Sie wissen, dass ihr Status für den Wandel von Bedeutung ist.

Der Kolonialismus, über den wir in der Schule lernen und der uns an die alten Bücher erinnert, in denen Männer auf Schiffen reisen, scheint uns so weit weg. Doch er ist heute so präsent wie nie. Tag für Tag nimmt er neue und abartigere Ausdrucksformen an – manche sind offensichtlich, manche eher subtil. Wer das versteht, weiß, dass der intersektionale Kampf die einzige Lösung ist, um uns zu retten – uns alle. Denn wer weiterhin nur auf sein eigenes Portemonnaie achtet und sich im Vorteil des Glücks der Geburt im Globalen Norden wiegt; wer nicht versteht, dass dieser Kampf intersektional sein muss, der kann sich auch nicht selbst retten.

SEX EDUCATION AUF ARGENTINISCH

Foto: Germán Biglia (La Tinta)

Ein Meter zwanzig. Aus dieser Perspektive erschließt die argentinisch-französische Miniserie Metro Veinte die Welt ihrer Protagonistin Juana.

Die 17-jährige Rollstuhlfahrerin ist vor Kurzem mit ihrer Mutter und Schwester nach Córdoba gezogen. Die Lehrer*innen der öffentlichen Schule, an die sie kommt, geben sich übertrieben rücksichtsvoll, sind aber vor allem stockkonservativ. Die Schüler*innen sind dafür umso rebellischer.

Schnell freundet sich Julia mit den beiden Queers Efe und Julia an, die für das Recht auf umfassende Sexualbildung (Educación Sexual Integral, ESI) kämpfen. Diese steht Schüler*innen in Argentinien per Gesetz zu, wird aber oft nicht umgesetzt. Die Chatgruppe, in der der Kampf an der Schule organisiert wird, heißt „Sex Education“. Ein deutliches Augenzwinkern in Richtung der erfolgreichen britischen Netflix-Produktion, die im Gegensatz zum bunten und rasant erzählten Metro Veinte jedoch fast bieder wirkt.
Bei der queeren Coming-of-Age-Story geht es aber noch um mehr: um die Suche nach Identität und der Entdeckung von Sexualität einer Protagonistin, der von vielen Seiten die Selbstbestimmtheit abgesprochen wird.

Der Regisseurin María Belén Poncio war wichtig, die Realität anderer Körper auf der Leinwand erfahrbar zu machen und die Schönheit von Diversität darzustellen. Körper, denen die Scham angeboren ist, die nicht passen und deshalb unauffällig bleiben sollen, wie Juana in einer beeindruckenden Auseinandersetzung mit einem Journalisten sagt. Sowohl Hauptdarstellerin Marisol Agostina Irigoyen, die hier in ihrer ersten Schauspielrolle brilliert, als auch die Co-Regisseurin Rosario Perazolo Masjoan nutzen selbst einen Rollstuhl.

Die Darstellung Juanas gelebter und geträumter Sexualität wird nie voyeuristisch, fließt in Zeichnungen über, die ihr Erleben verdeutlichen. Nahtlos wird an die Realität der argentinischen Gesellschaft angeknüpft. So treten die Socorristas en Red auf, medizinisch und psychologisch ausgebildete Frauen und Queers, die da, wo der Staat bis zur Verabschiedung des Gesetzes zur freien und kostenlosen Abtreibung abwesend war, bei Schwangerschaftsabbrüchen unterstützten. Zum Ende der Serie geht es auf einen pañuelazo, die bekannte feministische Protestveranstaltung mit grünen Tüchern.
Dabei wird deutlich, dass Intersektionalität auch in emanzipatorischen Kämpfen nicht immer mitgedacht wird. Eine ohne Juana geplante Aktion ist für sie unzugänglich, auf ihre Kritik daran wird ihr vorgeworfen, immer nur an sich zu denken und sich in der Opferrolle wohlzufühlen. So kämpft Juana stellvertretend für viele andere Schüler*innen um Repräsentation und Selbstbestimmung.

Die Protagonist*innen von Metro Veinte sind witzig, wortgewandt, kämpferisch, selbstbestimmt, queer und einfach absolut cool: Es lohnt sich wirklich, dieser Serie etwas Zeit zu widmen.

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