
Ihr seid ein Bildungskollektiv, das auch Kaffee verkauft. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Melina: Kaffee ist ein zentrales Beispiel dafür, wie die heutige Wirtschaft in ihrer kolonialen Kontinuität funktioniert. In ihm spiegeln sich alle ungerechten Strukturen der Ausbeutung. Unser Fokus liegt jedoch nicht darauf, dass im Detail verstanden wird, wie genau die Produktionskette und das ökonomische System funktioniert, sondern dass wir den Menschen den Kaffee auf eine Weise näherbringen, die eine Verbindung zur Pflanze, zum Leben, zur Erde und zu den Menschen herstellt. Ich glaube, viele Menschen wissen, dass es Ungerechtigkeit in der konventionellen Kaffeeproduktion gibt, aber es fehlt oft der emotionale Moment, der zum Paradigmenwechsel führt. Wir glauben, dass dieser Moment über eine emotionale Verbindung kommen muss, die über das rein kognitive Verstehen hinausgeht.
Luis: Von Anfang an war das Kaffeeprojekt eine gemeinsame Arbeit mit der Kooperative, bei der es um ein Zusammenlegen von Kräften, um Selbstverwaltung und Lernen ging. Durch den Verkauf von Kaffee haben wir auch auf unserer Seite die Machtasymmetrien deutlich erkannt. Hier vor Ort haben wir zum Beispiel viel zu sagen, wenn es darum geht, dass die Kooperative bestimmte Voraussetzungen erfüllen soll, um ein Siegel zu erhalten. Es ist absurd, dass die Regeln von hier aus festgelegt werden – und das hat mit kolonialen Kontinuitäten zu tun. All das bringen wir in unsere Bildungsarbeit ein. Es geht darum, das Produkt wertzuschätzen, das Leben in sich trägt – von lebendigen Pflanzen, von lebendigen Menschen, die ihre Energie dafür einsetzen, was von der Erde selbst kommt.
Was haltet ihr von den verschiedenen Siegeln, wie Fairtrade oder Bio?
Luis: Wir haben das Bio-Siegel, weil es stark mit dem Schutz der Erde verbunden ist. Die Menschen, die den Kaffee anbauen, kämpfen dafür, ökologischer zu produzieren, denn sie sind diejenigen, die am stärksten unter dem Einsatz von Pestiziden und Chemikalien leiden. Aber es wäre besser, wenn es andere Formen gäbe, ökologische Arbeit anzuerkennen, die nicht so bürokratisch sind.
Allgemeiner betrachtet denken wir, dass diese Siegel Projekte, die soziale Gerechtigkeit anstreben, eher negativ beeinflussen, weil sie das System stabilisieren. Es wirkt fast wie eine ethische Pflicht, wie eine schnelle Lösung, solche Produkte zu konsumieren – und das ist eine Form, das System zu entschärfen. Die, die davon profitieren, sind die großen Unternehmen, die keine Schwierigkeiten haben, Zertifizierungen zu bezahlen. Für kleine Gruppen ist das jedoch ein Problem, denn unsere Kriterien passen in kein Siegel.
Ihr arbeitet mit der Idee der solidarischen Ökonomie. Was bedeutet das für euch und die Kooperative in Guatemala, mit der ihr zusammenarbeitet?
Luis: Wir distanzieren uns ein wenig von dem, was hier in Deutschland unter dem Konzept der solidarischen Ökonomie verstanden wird. Wir gehen nicht davon aus, dass wir Strukturen verändern, sondern wir bündeln unsere Kräfte mit denjenigen, die tatsächlich im Widerstand sind und den Wandel vorantreiben. Gute Beispiele für solidarische Ökonomie sind für uns die Kaffeekooperativen in Guatemala. Sie sind sehr unterschiedlich in Größe und Struktur, aber sie haben alle gemeinsam, dass sie durch Selbstverwaltung Arbeit und ein gutes Leben für viele Menschen schaffen.
Melina: Das hiesige Verständnis von solidarischem Handel beinhaltet eine Hierarchie. Es wird so verstanden, dass man von hier aus Solidarität mit denen dort zeigt – und schon darin liegt ein Machtverhältnis, in dem ich die Macht habe, solidarisch mit dir, dem anderen, zu sein. Davon wollen wir uns lösen. Anstatt die Sichtweise zu haben, dass man „solidarisch ist“, was fast das Gleiche ist wie „ich helfe dir“, schlagen wir vor, das Wissen anzuerkennen, das soziale Gruppen wie die Kooperativen einbringen und diese Form politischer Organisation wertzuschätzen.
Kaffee hat eine gewaltvolle Kolonialgeschichte. Wo sieht man noch heute koloniale Strukturen im konventionellen Kaffeehandel?
Melina: Kaffee kam durch die Kolonisierung nach Abya Yala. Der erste große Produzent von Kaffee war Haiti. Als Haiti durch die Revolution die sklavenbasierte Kaffeeproduktion beendete, wurde der Anbau unter Anderem nach Guatemala verlagert. Dort verließen während des Genozids in den 60er- und 80er-Jahren viele Kaffeebauern ihr Land. Es gab auch schon vorher Kolonisierungsprojekte und viele Siedler in Guatemala besaßen Haciendas. Doch im letzten Jahrhundert, insbesondere nach dem Genozid in Guatemala, gab es eine Rekolonisierung dieser Ländereien – auch durch Deutsche. Heute sieht man koloniale Strukturen zum Beispiel am Kaffeepreis, der aus diesem kolonialen Wirtschaftssystem kommt, in dem Rohstoffe zunächst einen sehr niedrigen Preis haben und erst, wenn sie durch die Maschine laufen, der Preis steigt. Der Kaffeepreis spiegelt nicht die Produktionskosten wider, sondern die Spekulation des Marktes. Zudem ist die Mehrheit der Kaffeebauern in Guatemala Indigener Herkunft. Sie sind bis heute die am meisten diskriminierten Gemeinschaften in Abya Yala.
Luis: Die kolonialen Strukturen stecken auch in uns: diese Tendenz, dass Geld und Effizienz uns mehr anziehen und beeinflussen als die Sorge für unseren Planeten, für unsere Schwestern und Brüder, für das Leben. Kolonialismus bedeutet Tod, Ausbeutung aller Lebewesen und der Natur, einzig mit dem Ziel, den Profit zu maximieren.
Melina: Und es zeigt sich auch daran, dass Kaffee trinken – hier in Berlin, in Europa – eine Frage des sozialen Status ist. Je schicker und cooler ein Café aussieht, desto mehr Status gibt es dir. Es geht dabei nie um die Menschen, die den Kaffee anbauen, um die Erde oder die Pflanze, sondern um Innovation, Geschmack und die Zubereitungsart. Während rassifizierte Hände den Kaffee anbauen und verarbeiten, sind es die privilegierten weißen Hände, die ihn weiterhin ausbeuten und Gewinne daraus ziehen.
Wie könnten eurer Meinung nach diese kolonialen Logiken durchbrochen werden?
Luis: Es braucht mehr Bewusstsein, um aus dieser Normalität auszubrechen, in der das Wichtigste ist, dass die Wirtschaft so weiterfunktioniert. In Wirklichkeit basiert unser gesamter Lebensstil auf Ausbeutung und Zerstörung – und er hat Folgen an anderen Orten, die wir oft gar nicht sehen. Es gibt das Konzept der „imperialen Lebensweisen“, das sehr gut vermittelt, worin der Zusammenhang dazwischen besteht, dass wir hier das Licht anhaben können, während dafür so viel Wald zerstört werden muss, warum Flüsse gestaut und Dämme gebaut werden, damit wir ein immer schnelleres Leben führen können. Unser Versuch, da anzusetzen, ist unsere Bildungsarbeit.
Melina: Persönliches Bewusstsein ist immer gut. Aber wir sehen auch Gefahren darin, weil durch individuellen Konsum keine Strukturen verändert werden. Deshalb muss es mit politischem Druck und Boykott einhergehen, wie zum Beispiel dem Boykott, den wir jetzt im Zusammenhang mit dem Genozid gesehen haben. Darin sehe ich im Moment das größte Potenzial.
Welche Bedeutung haben für euch Allianzen? Und was gibt euch Hoffnung, dass sich etwas ändern kann?
Luis: Mit der MITCA, der Genossenschaftsstruktur, über die der Kaffeehandel organisiert ist, und mit der Kooperative La Voz sehe ich ein dauerhaftes Netzwerk, von dem wir viel lernen können. Wir haben auch viele Kooperationen mit Bioläden in Berlin und Brandenburg, die jedoch leider nach und nach weniger werden, da die kleinen Läden nicht genug Umsatz machen. Das ist schade, weil sie genau das Gegenmodell zur Industrialisierung sind – zu den zertifizierten Massenprodukten, zu den Supermärkten, in denen alles im großen Stil verkauft wird. Vielleicht ist unsere Arbeit keine Veränderung des Ganzen, aber doch eine Veränderung in bestimmten Teilen der Bevölkerung. Die Entstehung der Kooperative La Voz führte zu einem Wandel für die Menschen dort. Und auch für uns hier stellt sie eine bedeutende Veränderung dar, denn wir konnten uns dadurch eine Einkommensquelle und Arbeit aufbauen.
Melina: Wir sind sehr kritisch gegenüber diesen großen Transformationsnarrativen im Stil von „Wir verändern die Welt“. Denn die hängen auch mit kolonialen Denkmustern zusammen, in denen wir glauben, viel Macht zu haben. Aber wir haben gar nicht so viel Macht! Für mich liegt der Wandel in unserer Gemeinschaft. Ich glaube, die Prozesse der letzten Jahre und die Kooperationen haben uns verändert – durch das Verstehen und Kennenlernen all dessen. Wir arbeiten auch viel mit anderen selbstverwalteten Gruppen aus Abya Yala und aus der Diaspora und mit anderen Organisationen, die sich mit denselben Themen beschäftigen, zusammen. Auch dadurch hat sich etwas verändert: Früher gab es keine Räume, in denen wir Veranstaltungen zu einem bestimmten Thema organisieren konnten und jetzt haben wir sie geschaffen und erleben sie.











