Argentinien | Berlinale

Freiheit hinter Gittern

Das argentinische Gefängnis-Musical Reas bringt Gefängninsassinnen auf die Bühne

Von Gabriela Cruz

© Gema Films

Zwischen Gesang und Tanz fesselt Reas (Verurteilte), ein Gefängnis-Musical, das die Erfahrungen von Frauen und Transpersonen behandelt, die in verschiedenen argentinischen Gefängnissen inhaftiert waren. Der Dokumentarfilm vermittelt ihre Lebensgeschichten über einen theatralen Ansatz. Die Protagonist*innen rekonstruieren Anekdoten und Fantasien durch Inszenierungen. Die Bühne: Das ehemalige Gefängnis von Caseros, ein verlassener Ort, der nach dem panoptischen Modell (kreisrunde Anordnung mit Wachturm in der Mitte) gebaut wurde und Insass*innen und Zuschauer*innen in einen klaustrophobischen Raum versetzt, der harte Erfahrungen zwischen seinen Mauern birgt.

Die argentinische Regisseurin Lola Arias ist auch interdisziplinäre Künstlerin. Schon mit ihrem Erstlingswerk Teatro de Guerra (Kriegstheater, 2018) hat sie ihr virtuoses Talent gezeigt. Dort verwischte sie die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation und nahm das Leben ehemaliger argentinischer und britischer Soldaten, die am Falklandkrieg teilgenommen hatten, unter die Lupe. Und auch in Reas verkommt die Frage “Fiktion oder Dokumentarfilm” zur Nebensache, sobald die Zuschauer*innen in die Geschichten der Protagonist*innen von “Reas” eintauchen. In einem Interview im letzten Jahr auf dem Filmfestival von San Sebastián erzählte Arias, dass die meisten von ihnen bei Theaterworkshops ausgewählt worden waren, die sie selbst im Frauengefängnis Ezeiza geleitet hatte. Dies zeigt, dass der Dokumentarfilm aus einem langen Arbeits- und Annäherungsprozess mit seinen Protagonist*innen entstanden ist.

Das foucaultsche Element der Schaffung utopischer Orte, die Machtverhältnisse umkehren, ist in Arias’ Werk wiederkehrend. In Reas verwendet sie künstlerische Ausdrucksformen, die mit Körperlichkeit verbunden sind, wie Theater und Tanz, um über eine Institution zu sprechen, die paradoxerweise auf der Entwicklung von Mechanismen zur Kontrolle des Körpers basiert. In einer der denkwürdigsten Szenen tanzen die Protagonist*innen Vogue vor den Wärtern des Gefängnisses, die als Jury fungieren. Vogue ist ein Tanzstil, der in den letzten Jahren populär geworden ist und seine Ursprünge in randständigen Gruppen der LGBTQ+-, afroamerikanischen und lateinamerikanischen Gemeinschaft hat.

Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal der filmischen Erzählung in Reas ist die Schaffung einer Mikrowelt: Außerhalb der Gefängnismauern existiert für die Insass*innen für die Zeit ihrer Inhaftierung nichts. Auch wenn sich die Protagonist*innen eine Zukunft dort vorstellen, können sie doch für lange Zeit nicht in Kontakt mit der Außenwelt treten. Die Probleme der sozialen Wiedereingliederung von Personen, die inhaftiert waren und nach ihrer Rückkehr in die Freiheit in ihrem Leben mit Stigmatisierung zu kämpfen haben, lassen sich für sie nur schwer erahnen.

Reas feierte seine Weltpremiere auf der Berlinale in der Sektion Forum. Es ist zweifellos ein Film, der Beachtung verdient hat. Nicht nur, weil er sich von den ästhetischen und erzählerischen Konventionen des Dokumentarfilms entfernt, sondern auch wegen seines Humanismus und seiner Sensibilität, mit der er die Inhaftierten porträtiert.

LN-Bewertung: 4 / 5 Lamas

Reas, Argentinien/ Deutschland / Schweiz (2024), 82 Minuten, Dokumentarische Form, Berlinale Sektion Forum; Regie: Lola Arias. Spanisch mit englischen Untertiteln.

Vorführtermine auf der Berlinale

Di Feb 20, 19:00, Cubix 7

Do, Feb 22, 22:00, Arsenal 1

Fr, Feb 23, 19:00, Zoo Palast 2

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