Die ersten Kandidatinnen trafen am 1. November 2023 in El Salvador ein: Miss Kamerun, Miss Thailand, Miss Norwegen und Miss Panama. Von diesem Tag an beherrschte ihre Anwesenheit die Titelseiten aller salvadorianischen Zeitungen sowie die sozialen Medien. Miss Universe 2023 übernahm die Aufmerksamkeit des ganzen Landes.
Auf diese vier jungen Frauen folgten 84 weitere aus der ganzen Welt. Ihr Besuchsprogramm wurde von der nationalen Presse konstant verfolgt: Die Schönheitsköniginnen besuchten Maya-Ruinen, tanzten Cumbia im historischen Zentrum und feierten das Lieblingsprojekt der Krypto-Enthusiast*innen, das Stranddorf El Zonte, auch „Bitcoin Beach” genannt. Zu den Ausflügen hinzu kamen Abendessen in den teuersten Restaurants des Landes sowie Übernachtungen in verschiedenen Luxushotels. Es wurden Fotos einiger Misses mit „Nayib Bukele 2024“-Kappen in den sozialen Netzwerken sowie über Propagandamedien der Regierung gestreut: illegale Propaganda für den verfassungswidrigen Wiederwahlversuch des Präsidenten. Obwohl die salvadorianische Regierung die genauen Kosten für die Durchführung des Schönheitswettbewerbs nicht bekanntgegeben hat, gab die ehemalige Miss El Salvador, Milena Mayorga, die mittlerweile Botschafterin El Salvadors in den Vereinigten Staaten ist, in einem Interview an, dass sich die Kosten allein für die Durchführung der Veranstaltung auf über 100 Millionen Dollar belaufen.
Während die Miss-Universe-Kandidatinnen an den salvadorianischen Stränden Fotoshootings machten, erreichte eine schockierende Meldung aus den USA die Bevölkerung: Am 7. November wurde Élmer Canales, „Crook“, einer der führenden Köpfe der Mara Salvatrucha-13, an die Vereinigten Staaten ausgeliefert. In den Wochen des Schönheitswettbewerbs stand Canales in New York vor Gericht. Seine Aussage bestätigte, dass es einen Pakt zwischen den Gangs und der Bukele-Regierung gab. Der Zeitpunkt für eine ansonsten schwerwiegende Enthüllung über Korruption in der salvadorianischen Regierung war für Nayib Bukele perfekt: Das Hauptthema in der nationalen Öffentlichkeit blieb weiterhin Miss Universe. Das Finale am 18. November war der Höhepunkt der Euphorie. Die Karten für die Show kosteten 500 bis 2.000 Euro – in einem Land, in dem der Mindestlohn nicht einmal 400 Dollar beträgt. Während sich die Kandidatinnen auf die Show vorbereiteten, waren einige Kilometer entfernt wütende Schreie zu hören. Eine Demonstration war auf dem Weg zum Hotel Intercontinental, in dem die Misses untergebracht waren, um die Scheinwelt von Präsident Bukele zu durchbrechen. Der Protestzug, initiiert durch die Bewegung der Opfer des Regimes (MOVIR), versuchte, die internationale Presse zu erreichen, um auf die Menschenrechtsverletzungen im Land aufmerksam zu machen. Die Demonstrant*innen und sogar die Presse wurden von der Polizei blockiert.
2023 wie 1975: Fotoshootings auf der einen Seite, Repression auf der anderen
Diese Konfrontation wirkt wie ein Déjà-vu. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Miss Universe in El Salvador stattfindet und auch nicht das erste Mal, dass dies im autoritären Kontext geschieht. Im Jahr 1975, inmitten der Militärdiktatur, gelang es der Regierung von El Salvador, den Wettbewerb in das Land zu holen. Die Veranstaltung war Teil einer Strategie zur Vermarktung El Salvadors als Reiseziel unter dem Slogan „Das Land des Lächelns“. Doch hinter dem Lächeln verbarg sich ein zutiefst ungleiches Land, das seit Jahrzehnten unter der Herrschaft einer Militärdiktatur mit wechselndem Führungspersonal stand. Die absolute Unterdrückung der Opposition und der sozialen Bewegungen verwandelte das Land in einen Druckkochtopf, der wenige Jahre später zum Bürgerkrieg führen sollte. Zwei Wochen nach dem Finale von Miss Universe 1975 ordnete der damalige Präsident, Oberst Arturo Armando Molina, eine gewaltsame Niederschlagung einer Demonstration von Studierenden an, die auf der Straße die Verwendung öffentlicher Mittel für den Schönheitswettbewerb kritisierten. Es wird geschätzt, dass Hunderte von Menschen starben oder von staatlichen Sicherheitskräften entführt, gefoltert und ermordet wurden. Die genaue Zahl ist jedoch unbekannt, da die Aufklärung des Falls ausblieb.
Wie damals versucht die aktuelle Regierung El Salvadors, die überwältigende Armut und Repression zu vertuschen. Seit März 2022, also seit fast zwei Jahren, herrscht Ausnahmezustand im Land. Der Ausnahmezustand, der eigentlich nur für 30 Tage gelten sollte, wurde bereits 20-mal verlängert. Im Rahmen der Offensive gegen Straßengangs haben die Polizei und das Militär über 70.000 Personen verhaftet: Zwei Prozent der salvadorianischen, erwachsenen Bevölkerung sitzen im Gefängnis. Seit März 2022 sind mindestens 180 Menschen in den überfüllten Gefängnissen gestorben, viele davon, ohne jemals vor Gericht gestellt zu werden. Die Rede von Nayib Bukele beim großen Finale des Schönheitswettbewerbs präsentierte allerdings ein ganz anderes Land: „Für alle, die in Freiheit leben wollen, können wir Botschafter werden und der Welt mitteilen, dass El Salvador der Ort ist, an dem man seine Träume leben kann”, feierte der salvadorianische Präsident.
Überraschende Krönung
Die Verkündung des Ergebnisses der Miss-Wahl am 18. November brachte für viele eine Überraschung: Die Krone ging an Miss Nicaragua, Sheynnis Palacios. Die erste zentralamerikanische Gewinnerin in der Geschichte des Wettbewerbs wurde in ihrer eigenen Region gekrönt. Der Sieg von Miss Nicaragua bedeutete die Rückkehr vieler Nicaraguaner*innen auf die Straßen, nach Jahren der Angst vor der verheerenden Repression durch den Regierungsapparat. Zum ersten Mal seit Jahren waren öffentliche Plätze und Straßen in Managua voll von euphorischen Menschen, die blau-weiße Fahnen schwenkten, welche im Jahr 2018 zum Symbol der Opposition gegen die Regierung Ortega geworden waren.
Das wiederum stellte ein Dilemma für den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und die Vizepräsidentin Rosario Murillo dar: Auf der einen Seite war es vielleicht das erste Mal seit Jahren, dass Nicaragua einen wichtigen Platz in der internationalen Presse einnahm, ohne dass es sich um eine seiner vielen Repressionsmaßnahmen handelte. Allerdings ist Sheynnis Palacios keine genehme Miss-Universe-Gewinnerin für die Ortega-Murillo-Propaganda: In den Medien hat sie sich bei der nicaraguanischen Regierung nicht bedankt. Sie widmete den Preis ihrer Familie und der nicaraguanischen Bevölkerung und erwähnte das Regierungspaar dabei nicht einmal. Bei einer Pressekonferenz machte sie die Andeutung, dass ihr Land sich verändern werde, ohne dabei jedoch konkret auf die politische Situation Nicaraguas einzugehen. Minuten nach ihrer Krönung wurden außerdem in den sozialen Netzwerken Fotos der Schönheitskönigin auf Demonstrationen gegen die nicaraguanische Diktatur bei den Aufständen von 2018 massiv geteilt.
„Nicaragua feiert mit seiner Königin!”, erklärte die Regierung zunächst am Tag nach der Miss-Universe-Wahl in einem Statement, das allerdings weder von Ortega noch von Murillo unterschrieben wurde. Drei Tage später war die Stimmung in der Regierung deutlich weniger festlich. Rosario Murillo schrieb im von der Regierung kontrollierten Nachrichtenportal El 19 Digital, dass die „eitlen, verrückten Menschen”, womit die politische Opposition und die kritische Zivilbevölkerung gemeint waren, aufhören sollten „Schönheit, Freude und Talent” von Palacios zu missbrauchen. Zwei Wochen nach dem Gewinn wurde Karen Celebertti, Leiterin des Miss-Nicaragua-Wettbewerbs, am Flughafen in Managua der Eintritt in das Land verweigert. Das Haus der Familie von Martín Argüello Leiva, dem Ehemann von Celebertti, wurde durchsucht. Seit dem 27. November wird Argüello Leiva dort unter Polizeibewachung in Isolationshaft gehalten.
Wie viele Regierungen in der Vergangenheit haben zwei autoritäre zentralamerikanische Präsidenten versucht, die Miss-Universe-Wahl zu ihrem Vorteil zu nutzen. Für Bukele, der Umfragen zufolge den Rückhalt der Mehrheit der Bevölkerung genießt und dessen Beliebtheit weder durch Korruption noch durch Repression beeinträchtigt wurde, war die Veranstaltung ein Schub medialer Aufmerksamkeit und eine willkommene Ablenkung. Für Ortega bedeutete der Sieg einer nicaraguanischen Frau, die nicht regierungsnah zu sein scheint, ein symbolischer Schlag und ein weiterer Riss im staatlichen Sandinismus, während die Unzufriedenheit immer weiterwächst. Was beide autoritäre Regierungen gemeinsam haben: Eine mutige und widerständige Zivilgesellschaft, die sich trotz der Repression nicht komplett davon abhalten lässt, auf die Straßen zu gehen und für das eigene Land zu kämpfen.