Bolivien | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Nach 19 Jahren wieder ganz oben

Bolivien hat am 1. Juni gewählt, der Sieger heißt Hugo Bánzer Suárez

Er zieht wieder in den Präsidentenpalast ein, diesmal demokratisch legitimiert: Ge­neral Hugo Bánzer, der das Land schon von 1971 bis 1978 als Militärdiktator regiert hatte. Zwar spielt er schon lange wieder eine politische Schlüsselrolle im demokrati­schen Bolivien, nur das höchste Amt war ihm verwehrt geblieben – bis jetzt. Nun stellt sich die Frage, was unter einer Regierung Bánzer aus dem Reformprozeß wird, der Bolivien in den letzten vier Jahren viel internationale Sympathie eingebracht hat.

Ulrich Goedeking

Gerade einmal gut 22 Prozent der Stimmen hat der 70-jährige General auf sich und seine Partei ADN vereinigen können, aber es reichte für den ersten Platz. Die Wähler und Wählerinnen haben ihre Sympathien so gleichmäßig auf fünf Parteien verteilt, daß sogar ein Anteil von nur 17,7 Prozent dem Kandidaten der jet­zigen Regierungspartei MNR, Juan Carlos Durán, für den zweiten Platz reichte. In Bolivien muß das Parlament bei der Wahl des Präsidenten zwischen den beiden stärksten Kandidaten ent­scheiden, es gibt – anders als in den meisten lateinamerikani­schen Ländern – keine Stichwahl.
Die notwenigen Koalitionsge­spräche waren schnell beendet, schon kurz nach der Wahl hatte Bánzer die Mehrheit beieinander. Gleich drei Parteien werden ne­ben ADN die Regierung stützen: Die MIR von Ex-Präsident Jaime Paz Zamora, CONDEPA, die in La Paz führende Partei, und UCS, die schon in der bisherigen Regierung Juniorpartner war (zu CONDEPA siehe LN 274). Für Bánzer geht damit zweifellos ein Traum in Erfüllung: Nachdem er schon 1985 – 1989 unter Víctor Paz Estenssoro und 1989 – 1993 unter Jaime Paz Zamora Junior­partner in der Regierung gewe­sen war, wird er am 6. August als demokratisch legitimierter Prä­sident sein Amt antreten.

Wieso ein Ex-Diktator?

Nur scheinbar ist es überra­schend, daß mit Hugo Bánzer ein ehemaliger Militärdiktator, der durch Menschenrechtsverletzun­gen während seiner früheren Re­gierungszeit belastet ist, nun de­mokratisch gewählt wird. Zum einen liegen die sieben Jahre der Präsidentschaft Bánzer von 1971 bis 1978 schon weit zurück, die jüngeren WählerInnen haben kei­ne persönliche Erinnerung mehr daran, wofür der Präsident Bánzer einmal gestanden hat. Ihr Bild von Hugo Bánzer ist viel­mehr davon geprägt, daß er mit seiner ADN seit 1985 bei jeder Präsidentschaftswahl einen der vorderen Plätze belegt hat und acht Jahre lang in der Regie­rungskoalition war – eine ziem­lich normale bolivianische Partei mit einem Caudillo, wie ihn auch andere Parteien besitzen. Aber auch diejenigen, die die Zeit der Bánzer-Diktatur noch erlebt ha­ben, verbinden damit nicht un­bedingt negative Erinnerungen. Das Land war in den 70er Jahren vergleichsweise stabil, und nicht selten ist in Bolivien die Ein­schätzung zu hören “Als Bánzer Präsident war, ging es uns bes­ser”.
Wozu also in der Vergangne­heit wühlen, so scheint es nahe­zuliegen, wenn doch heute von einem Präsidenten Bánzer kein Rückfall in alte Zeiten, sondern – ganz im Gegenteil – Kontinuität zu erwarten ist, so wie auch von allen anderen wichtigen Kandi­daten. Der Wahlkampf war langweilig, denn alle größeren Parteien standen mehr oder we­niger für die gleich Linie: Siche­rung von Stabilität und unspek­takuläre Verwaltung des alterna­tivlos herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodells. Eine Aus­nahme bildete lediglich CON­DE­PA mit dem vagen Schlag­wort von “endogener Ent­wick­lung”. Der Einstieg CONDEPAs in die Regierungs­koalition be­stä­tigt allerdings die Vermutung, daß es mit dem dif­fus-anti­im­pe­ri­alistischen Diskurs nicht weit her ist. Die Teilhabe an der Macht und damit der Zu­gang zu Po­sten und Pfründen ist allemal at­traktiver als die Aus­sicht, wei­ter auf den Oppositi­onsbänken sit­zen zu müssen.

Da weiß man, was man hat…

Wenn Bánzer mit knappem Vorsprung auf dem ersten Platz gelandet ist, dann vor allem weil er aus der Sicht vieler Wähler und Wählerinnen als bester Ga­rant für Stabilität auftreten konnte. Die MNR mit Juan Carlos Durán? Eine zerstrittene Partei, beschäftigt damit, sich selbst zu demontieren. Jaime Paz Zamora vom MIR? Als Präsident möglicherweise ein Risiko in Sa­chen internationale Kredite, seit die USA ihm wegen vermuteter Kontakte zum Kokainbusiness das Visum entzogen haben. Re­medios Loza von CONDEPA? In Symbolik und Diskurs zu sehr festgelegt auf die Aymaras des Altiplano. Und schließlich Ivo Kuljis von UCS? Ein relativ un­beschriebenes Blatt. Sie alle ha­ben sich Stimmenanteile in fast gleicher Höhe sichern können. Bánzer – da weiß man, was man hat – bot die solideste Aussicht auf risikolose Verwaltung des Staates in den nächsten fünf Jah­ren und schaffte damit die ent­scheidenden paar Prozent mehr.

Verdrängt im Hintergrund: der Reformprozeß

Voraussetzungen für einen interessanten, programmatischen Wahl­kampf waren gegeben. In den letzten Jahren war Bolivien ein vielbeachtetes Modell für ge­sell­schaftliche Reformen. De­zen­tra­lisierung und participación po­pular sollten für Machtvertei­lung von oben nach unten sor­gen, die Bildungsreform steht, zum Beispiel mit zweisprachiger Grund­schulbildung für Kinder, deren Muttersprache nicht Spa­nisch ist, für eine Aufwertung des indigenen Bolivien (siehe. LN 254/255 und 266/267). Die Frage ist, warum es nicht zu einem polarisierten Wahlkampf zwi­schen dem Reformlager – der jet­zigen Regierung – einerseits und der Opposition andererseits kam.
Die Antwort liegt in den in­ternen Auseinandersetzungen der größten Regierungspartei, der MNR. Diese sorgten dafür, daß das Reformlager überhaupt nicht mit Aussicht auf Erfolg zur Wahl stand. Der Parteiapparat hatte nie wirklich hinter den Reformen gestanden. An der Sptize der MNR steht seit 1985 eine Grup­pe von Unternehmern, allen vor­an der noch amtierende Prä­sident Gonzalo Sánchez de Lozada, die das Projekt eines ka­pitalistisch-mo­dernen Bolivien verfolgt und dazu die MNR sei­nerzeit “über­nom­men” hatte. Diese Un­ter­neh­mer, von denen viele nicht ein­mal in die Partei eintraten, blie­ben für den Partei­apparat ein Fremd­körper, gedul­det, weil Ga­ran­ten für Wahler­folg (und für Geld in der Partei­kasse), aber nie ge­liebt.
Die Auseinandersetzung um die Zu­kunft der MNR wurde vor der Wahl vorläufig ent­schie­den. Kurze Zeit durfte Ju­stiz­mi­ni­ster René Blattmann, ein Ver­trau­ter des Präsidenten, als Kan­di­dat auftreten, aber schon nach we­ni­gen Wochen trat er von der Kan­didatur zurück. Viel deutet dar­auf hin, daß er MNR-intern “ab­geschossen” wurde von den eta­blierten Platzhirschen der Par­tei­hierarchie, die endlich ih­ren Ein­fluß geltend machen wollten. An seine Stelle trat der farblose Juan Carlos Durán, der nicht ge­ra­de als vehementer Vertreter der Re­formen bekannt ist.
Das Problem der gonistas, der Mo­dernisierer um “Goni” Sán­chez de Lozada war, daß sie die Erwartungen der Parteibasis nicht erfüllen wollten. Der MNR-Apparat in seiner kliente­listischen Tradition wollte von der Macht profitieren. Wenn schon Dezentralisierung auf dem Pro­gramm stand, wollten die Par­teisodaten die dadurch neu ge­schaffenen Posten einnehmen – ein Wunsch, der unvereinbar bleiben mußte mit dem Anliegen der gonistas, tatsächlich Ent­scheidungen über Geld und Po­sten auf die lokale Ebene zu verlagern und damit zu demo­kratisieren.
Für die WählerInnen war so schon vor dem 1. Juni klar, daß von denjenigen politischen Kräften, die die Reformen durchgesetzt hatten, mit der go­nista-Fraktion in der MNR der wichtigste Pfeiler weggebrochen war. Die Oppositionsparteien ih­rerseits waren klug genug, im Wahlkampf nicht offen gegen die Reformen Front zu machen. Das Spektrum reichte von Jaime Paz Zamora, der sich selbst die Urheberschaft der Reformen zu­schrieb bis zu Hugo Bánzer, der vage davon sprach, die Refor­men mit sozialen Elementen an­reichern zu wollen. So ist von Seiten der neuen Regierung kaum ein Frontalangriff auf par­ticipación popular und Dezen­tralisierung zu erwarten, eben­sowenig allerdings eine gezielte Politik, um diese demokratisie­renden Reformen weiterzube­treiben. In den nächsten fünf Jah­ren wird sich auf lokaler Ebene zeigen müssen, ob der Reform­prozeß aus sich selbst heraus schon tragkräftig ist und ob rele­vante soziale Kräfte vorhanden sind, die darauf bestehen, daß der Sinn der Reformen nicht ausgehöhlt wird.
Von Ort zu Ort ist die Situation dabei sehr unter­schielich. So sorgen sich in nicht wenigen Kommunen einzelne etablierte lokale Machtgrupen um ihren Einfluß, beispielsweise die katholische Kirche in Teilen des Departements Santa Cruz oder Gewerkschaften in vielen Orten des Hochlandes. Die parti­cipación popular ist für sie eine Bedrohung, die durch Blockade oder Instrumentalisierung zu neu­tralisieren ist. Andernorts ist schon eine Eigendynamik in Gang gekommen. Nicht zuletzt werden sich die Kommunalver­waltungen gegen Versuche weh-ren, ihnen ihr neu gewon­nenes Privileg zu nehmen: die eigenständige Verfügungsgewalt über Mittel aus dem Staatshaus­halt.
In der bisherigen Regierungs­koalition galt sie oft als treueste Stütze des Präsidenten: die kleine Partei MBL, die im NGO-Spektrum und bei links-liberalen Intellektuellen auf Sympathie rechnen kann und dazu im süd­bolivianischen Chuquisaca, rund um die offizielle Hauptstadt Su­cre, auch eine gewisse ländliche Basis hatte. Das Wahlergebnis ist katastrophal, nur 2,5 Prozent der Stimmen kann die MBL ver­buchen. Es bleibt ein schwacher Trost, vier Direktkandidaten ha­ben über Siege in ihren Wahl­kreisen den Einzug in den Kon­greß geschafft. Darunter ist mit Juan del Granado einer der Spit­zenpolitiker der MBL, profiliert in Sachen Menschenrechten.

Die MBL als große Verliererin

Die MBL dürfte am meisten darunter gelitten haben, daß sich die Mo­dernisiererfraktion in der MNR nicht durchsetzen konnte. Zwar steht die MBL eindeutig für den Reformprozeß der letzten Jahre, aber sie vermittelt so stark das Image einer Partei von NGO-In­tellektuellen und sie ist mit Aus­nahme von Chuquisaca so wenig in größeren ge­sell­schaft­lichen Gruppen verankert, daß der Weg zur Massenpartei nahezu ausge­schlossen schien. Wer MBL wählte, wußte, daß es sich mit größter Wahr­schein­lich­keit mehr um eine symbolische Stimme gegen Bánzer handeln würde als um ein Votum für eine politische Option mit Aussichten auf die Macht. Daran konnte auch die Vizepräsident­schafts­kan­didatur von Marcial Fabri­cano nichts ändern, dem pro­mi­nenten Indí­genaführer aus dem östlichen Tiefland. Seine eigene Basis, die im Dachverband CIDOB organi­sierten Indígenas des oriente, ist numerisch sehr klein, und von den Indígenas des Hochlandes trennen Fabricano politische und kulturelle Welten.
Mit rund 3,7 Prozent stärker als die MBL wurde Izquierda Unida, das Sammelbecken unter­schiedlicher linker Parteien und Gruppierungen jenseits des unter den größeren Parteien herr­schenden Konsenses. IU hat ih­ren relativen Erfolg allerdings vor allem einem Faktor zu verdan­ken, der der Partei kaum zugute kommen dürfte: Evo Morales, der Vorsitzende der Kokabau­erngewerschaft aus der zentral­bolivianischen Tief­land­pro­vinz Chapare, kandidierte dort und siegte mit dem höchsten Stim­menanteil aller Direkt­kan­dida­ten. Er hat kaum einen Zweifel daran gelassen, daß die Kandi­datur auf der Liste der IU für ihn lediglich Vehikel für den Weg auf die parlamentarische Büh­ne war. In Bezug auf sein Verhält­nis zu seiner Basis im Chapare wird ihm eine aus­ge­prägte Nei­gung zu Selbst­dar­stel­lung und autoritärem Politikstil nachge­sagt – trotz aller radikaler Rheto­rik eher traditionelle Merk­male des bolivianischen Poli­ti­ker­da­seins. Er wird wohl Wortführer der kleinen, zumin­dest verbalra­dikal “system­kri­ti­schen” Oppo­stition im Parlament werden.

Fünf Jahre Warten

Auch die gonistas gehören auf die Liste der Verlierer, aber vermutlich hält sich die Trauer über das Wahlergebnis bei ihnen in Grenzen. Um weiter regieren zu können, waren sie auf die MNR angewiesen. Nachdem diese sich vorerst für einen ande­ren Weg entschieden hat, bleibt den gonistas das Warten auf die nächste Wahl im Jahr 2002. Zwar sind fünf Jahre eine poli­tisch sehr lange Zeit, aber warum sollte Sánchez de Lozada nicht eine zweite Amtszeit ansteuern? Die Verfassung verbietet nur zwei direkt aufeinander folgende Amtszeiten eines Präsindenten, für 2002 ist der Weg für ihn ver­fassungsrechtlich frei. Bis zu ei­ner Entscheidung über die MNR-Kandidatur 2002 werden noch Jahre vergehen, und auch andere Aspiranten werden eine gute Startposition suchen. Aber die politische Option des gonismo ist nach dieser Wahl nicht tot. Nach – soweit gegenwärtig ab­sehbar – möglicherweise un­sepktakulären fünf Jahren unter Hugo Bánzer könnte der jetzt wohl erst einmal auf Eis gelegte Reformprozeß dann wieder an Dynamik gewin­nen.

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