Nach 19 Jahren wieder ganz oben
Bolivien hat am 1. Juni gewählt, der Sieger heißt Hugo Bánzer Suárez
Gerade einmal gut 22 Prozent der Stimmen hat der 70-jährige General auf sich und seine Partei ADN vereinigen können, aber es reichte für den ersten Platz. Die Wähler und Wählerinnen haben ihre Sympathien so gleichmäßig auf fünf Parteien verteilt, daß sogar ein Anteil von nur 17,7 Prozent dem Kandidaten der jetzigen Regierungspartei MNR, Juan Carlos Durán, für den zweiten Platz reichte. In Bolivien muß das Parlament bei der Wahl des Präsidenten zwischen den beiden stärksten Kandidaten entscheiden, es gibt – anders als in den meisten lateinamerikanischen Ländern – keine Stichwahl.
Die notwenigen Koalitionsgespräche waren schnell beendet, schon kurz nach der Wahl hatte Bánzer die Mehrheit beieinander. Gleich drei Parteien werden neben ADN die Regierung stützen: Die MIR von Ex-Präsident Jaime Paz Zamora, CONDEPA, die in La Paz führende Partei, und UCS, die schon in der bisherigen Regierung Juniorpartner war (zu CONDEPA siehe LN 274). Für Bánzer geht damit zweifellos ein Traum in Erfüllung: Nachdem er schon 1985 – 1989 unter Víctor Paz Estenssoro und 1989 – 1993 unter Jaime Paz Zamora Juniorpartner in der Regierung gewesen war, wird er am 6. August als demokratisch legitimierter Präsident sein Amt antreten.
Wieso ein Ex-Diktator?
Nur scheinbar ist es überraschend, daß mit Hugo Bánzer ein ehemaliger Militärdiktator, der durch Menschenrechtsverletzungen während seiner früheren Regierungszeit belastet ist, nun demokratisch gewählt wird. Zum einen liegen die sieben Jahre der Präsidentschaft Bánzer von 1971 bis 1978 schon weit zurück, die jüngeren WählerInnen haben keine persönliche Erinnerung mehr daran, wofür der Präsident Bánzer einmal gestanden hat. Ihr Bild von Hugo Bánzer ist vielmehr davon geprägt, daß er mit seiner ADN seit 1985 bei jeder Präsidentschaftswahl einen der vorderen Plätze belegt hat und acht Jahre lang in der Regierungskoalition war – eine ziemlich normale bolivianische Partei mit einem Caudillo, wie ihn auch andere Parteien besitzen. Aber auch diejenigen, die die Zeit der Bánzer-Diktatur noch erlebt haben, verbinden damit nicht unbedingt negative Erinnerungen. Das Land war in den 70er Jahren vergleichsweise stabil, und nicht selten ist in Bolivien die Einschätzung zu hören “Als Bánzer Präsident war, ging es uns besser”.
Wozu also in der Vergangneheit wühlen, so scheint es nahezuliegen, wenn doch heute von einem Präsidenten Bánzer kein Rückfall in alte Zeiten, sondern – ganz im Gegenteil – Kontinuität zu erwarten ist, so wie auch von allen anderen wichtigen Kandidaten. Der Wahlkampf war langweilig, denn alle größeren Parteien standen mehr oder weniger für die gleich Linie: Sicherung von Stabilität und unspektakuläre Verwaltung des alternativlos herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodells. Eine Ausnahme bildete lediglich CONDEPA mit dem vagen Schlagwort von “endogener Entwicklung”. Der Einstieg CONDEPAs in die Regierungskoalition bestätigt allerdings die Vermutung, daß es mit dem diffus-antiimperialistischen Diskurs nicht weit her ist. Die Teilhabe an der Macht und damit der Zugang zu Posten und Pfründen ist allemal attraktiver als die Aussicht, weiter auf den Oppositionsbänken sitzen zu müssen.
Da weiß man, was man hat…
Wenn Bánzer mit knappem Vorsprung auf dem ersten Platz gelandet ist, dann vor allem weil er aus der Sicht vieler Wähler und Wählerinnen als bester Garant für Stabilität auftreten konnte. Die MNR mit Juan Carlos Durán? Eine zerstrittene Partei, beschäftigt damit, sich selbst zu demontieren. Jaime Paz Zamora vom MIR? Als Präsident möglicherweise ein Risiko in Sachen internationale Kredite, seit die USA ihm wegen vermuteter Kontakte zum Kokainbusiness das Visum entzogen haben. Remedios Loza von CONDEPA? In Symbolik und Diskurs zu sehr festgelegt auf die Aymaras des Altiplano. Und schließlich Ivo Kuljis von UCS? Ein relativ unbeschriebenes Blatt. Sie alle haben sich Stimmenanteile in fast gleicher Höhe sichern können. Bánzer – da weiß man, was man hat – bot die solideste Aussicht auf risikolose Verwaltung des Staates in den nächsten fünf Jahren und schaffte damit die entscheidenden paar Prozent mehr.
Verdrängt im Hintergrund: der Reformprozeß
Voraussetzungen für einen interessanten, programmatischen Wahlkampf waren gegeben. In den letzten Jahren war Bolivien ein vielbeachtetes Modell für gesellschaftliche Reformen. Dezentralisierung und participación popular sollten für Machtverteilung von oben nach unten sorgen, die Bildungsreform steht, zum Beispiel mit zweisprachiger Grundschulbildung für Kinder, deren Muttersprache nicht Spanisch ist, für eine Aufwertung des indigenen Bolivien (siehe. LN 254/255 und 266/267). Die Frage ist, warum es nicht zu einem polarisierten Wahlkampf zwischen dem Reformlager – der jetzigen Regierung – einerseits und der Opposition andererseits kam.
Die Antwort liegt in den internen Auseinandersetzungen der größten Regierungspartei, der MNR. Diese sorgten dafür, daß das Reformlager überhaupt nicht mit Aussicht auf Erfolg zur Wahl stand. Der Parteiapparat hatte nie wirklich hinter den Reformen gestanden. An der Sptize der MNR steht seit 1985 eine Gruppe von Unternehmern, allen voran der noch amtierende Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada, die das Projekt eines kapitalistisch-modernen Bolivien verfolgt und dazu die MNR seinerzeit “übernommen” hatte. Diese Unternehmer, von denen viele nicht einmal in die Partei eintraten, blieben für den Parteiapparat ein Fremdkörper, geduldet, weil Garanten für Wahlerfolg (und für Geld in der Parteikasse), aber nie geliebt.
Die Auseinandersetzung um die Zukunft der MNR wurde vor der Wahl vorläufig entschieden. Kurze Zeit durfte Justizminister René Blattmann, ein Vertrauter des Präsidenten, als Kandidat auftreten, aber schon nach wenigen Wochen trat er von der Kandidatur zurück. Viel deutet darauf hin, daß er MNR-intern “abgeschossen” wurde von den etablierten Platzhirschen der Parteihierarchie, die endlich ihren Einfluß geltend machen wollten. An seine Stelle trat der farblose Juan Carlos Durán, der nicht gerade als vehementer Vertreter der Reformen bekannt ist.
Das Problem der gonistas, der Modernisierer um “Goni” Sánchez de Lozada war, daß sie die Erwartungen der Parteibasis nicht erfüllen wollten. Der MNR-Apparat in seiner klientelistischen Tradition wollte von der Macht profitieren. Wenn schon Dezentralisierung auf dem Programm stand, wollten die Parteisodaten die dadurch neu geschaffenen Posten einnehmen – ein Wunsch, der unvereinbar bleiben mußte mit dem Anliegen der gonistas, tatsächlich Entscheidungen über Geld und Posten auf die lokale Ebene zu verlagern und damit zu demokratisieren.
Für die WählerInnen war so schon vor dem 1. Juni klar, daß von denjenigen politischen Kräften, die die Reformen durchgesetzt hatten, mit der gonista-Fraktion in der MNR der wichtigste Pfeiler weggebrochen war. Die Oppositionsparteien ihrerseits waren klug genug, im Wahlkampf nicht offen gegen die Reformen Front zu machen. Das Spektrum reichte von Jaime Paz Zamora, der sich selbst die Urheberschaft der Reformen zuschrieb bis zu Hugo Bánzer, der vage davon sprach, die Reformen mit sozialen Elementen anreichern zu wollen. So ist von Seiten der neuen Regierung kaum ein Frontalangriff auf participación popular und Dezentralisierung zu erwarten, ebensowenig allerdings eine gezielte Politik, um diese demokratisierenden Reformen weiterzubetreiben. In den nächsten fünf Jahren wird sich auf lokaler Ebene zeigen müssen, ob der Reformprozeß aus sich selbst heraus schon tragkräftig ist und ob relevante soziale Kräfte vorhanden sind, die darauf bestehen, daß der Sinn der Reformen nicht ausgehöhlt wird.
Von Ort zu Ort ist die Situation dabei sehr unterschielich. So sorgen sich in nicht wenigen Kommunen einzelne etablierte lokale Machtgrupen um ihren Einfluß, beispielsweise die katholische Kirche in Teilen des Departements Santa Cruz oder Gewerkschaften in vielen Orten des Hochlandes. Die participación popular ist für sie eine Bedrohung, die durch Blockade oder Instrumentalisierung zu neutralisieren ist. Andernorts ist schon eine Eigendynamik in Gang gekommen. Nicht zuletzt werden sich die Kommunalverwaltungen gegen Versuche weh-ren, ihnen ihr neu gewonnenes Privileg zu nehmen: die eigenständige Verfügungsgewalt über Mittel aus dem Staatshaushalt.
In der bisherigen Regierungskoalition galt sie oft als treueste Stütze des Präsidenten: die kleine Partei MBL, die im NGO-Spektrum und bei links-liberalen Intellektuellen auf Sympathie rechnen kann und dazu im südbolivianischen Chuquisaca, rund um die offizielle Hauptstadt Sucre, auch eine gewisse ländliche Basis hatte. Das Wahlergebnis ist katastrophal, nur 2,5 Prozent der Stimmen kann die MBL verbuchen. Es bleibt ein schwacher Trost, vier Direktkandidaten haben über Siege in ihren Wahlkreisen den Einzug in den Kongreß geschafft. Darunter ist mit Juan del Granado einer der Spitzenpolitiker der MBL, profiliert in Sachen Menschenrechten.
Die MBL als große Verliererin
Die MBL dürfte am meisten darunter gelitten haben, daß sich die Modernisiererfraktion in der MNR nicht durchsetzen konnte. Zwar steht die MBL eindeutig für den Reformprozeß der letzten Jahre, aber sie vermittelt so stark das Image einer Partei von NGO-Intellektuellen und sie ist mit Ausnahme von Chuquisaca so wenig in größeren gesellschaftlichen Gruppen verankert, daß der Weg zur Massenpartei nahezu ausgeschlossen schien. Wer MBL wählte, wußte, daß es sich mit größter Wahrscheinlichkeit mehr um eine symbolische Stimme gegen Bánzer handeln würde als um ein Votum für eine politische Option mit Aussichten auf die Macht. Daran konnte auch die Vizepräsidentschaftskandidatur von Marcial Fabricano nichts ändern, dem prominenten Indígenaführer aus dem östlichen Tiefland. Seine eigene Basis, die im Dachverband CIDOB organisierten Indígenas des oriente, ist numerisch sehr klein, und von den Indígenas des Hochlandes trennen Fabricano politische und kulturelle Welten.
Mit rund 3,7 Prozent stärker als die MBL wurde Izquierda Unida, das Sammelbecken unterschiedlicher linker Parteien und Gruppierungen jenseits des unter den größeren Parteien herrschenden Konsenses. IU hat ihren relativen Erfolg allerdings vor allem einem Faktor zu verdanken, der der Partei kaum zugute kommen dürfte: Evo Morales, der Vorsitzende der Kokabauerngewerschaft aus der zentralbolivianischen Tieflandprovinz Chapare, kandidierte dort und siegte mit dem höchsten Stimmenanteil aller Direktkandidaten. Er hat kaum einen Zweifel daran gelassen, daß die Kandidatur auf der Liste der IU für ihn lediglich Vehikel für den Weg auf die parlamentarische Bühne war. In Bezug auf sein Verhältnis zu seiner Basis im Chapare wird ihm eine ausgeprägte Neigung zu Selbstdarstellung und autoritärem Politikstil nachgesagt – trotz aller radikaler Rhetorik eher traditionelle Merkmale des bolivianischen Politikerdaseins. Er wird wohl Wortführer der kleinen, zumindest verbalradikal “systemkritischen” Oppostition im Parlament werden.
Fünf Jahre Warten
Auch die gonistas gehören auf die Liste der Verlierer, aber vermutlich hält sich die Trauer über das Wahlergebnis bei ihnen in Grenzen. Um weiter regieren zu können, waren sie auf die MNR angewiesen. Nachdem diese sich vorerst für einen anderen Weg entschieden hat, bleibt den gonistas das Warten auf die nächste Wahl im Jahr 2002. Zwar sind fünf Jahre eine politisch sehr lange Zeit, aber warum sollte Sánchez de Lozada nicht eine zweite Amtszeit ansteuern? Die Verfassung verbietet nur zwei direkt aufeinander folgende Amtszeiten eines Präsindenten, für 2002 ist der Weg für ihn verfassungsrechtlich frei. Bis zu einer Entscheidung über die MNR-Kandidatur 2002 werden noch Jahre vergehen, und auch andere Aspiranten werden eine gute Startposition suchen. Aber die politische Option des gonismo ist nach dieser Wahl nicht tot. Nach – soweit gegenwärtig absehbar – möglicherweise unsepktakulären fünf Jahren unter Hugo Bánzer könnte der jetzt wohl erst einmal auf Eis gelegte Reformprozeß dann wieder an Dynamik gewinnen.