El Salvador | Nummer 453 - März 2012

Wenig zu verlieren

El Salvador vor den Parlaments- und Bürgermeisterwahlen

Am 11. März stehen Parlaments- und Bürgermeisterwahlen an. Seit dem letzten Urnengang vor drei Jahren hat die regierende Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) bedeutende Fortschritte in der Sozialpolitik erzielt. Unverändert hohe Kriminalitätsraten und die schwierige Beschäftigungssituation lassen trotzdem auf ein enges Rennen zwischen der FMLN und der oppositionellen Nationalrepublikanischen Allianz (ARENA) schließen.

Oliver Lüthi

José Santos ist Jugendpromotor in der Gemeinde Nueva Granada im östlichen Departement Usulután. Usulután ist eine der ärmsten Regionen des Landes, die besonders stark vom zwölfjährigen Bürgerkrieg betroffen war und heute insbesondere der jugendlichen Bevölkerung kaum Perspektiven bietet. Die Jugendorganisation Quetzalcoatl, für welche Santos arbeitet, ist vor allem im Bereich der Prävention tätig. Mit Tanzunterricht, Sportveranstaltungen oder gemeinnütziger Arbeit versucht die Organisation, beschäftigungslose Jugendliche von der Straße wegzuholen und in einen strukturierten Tagesablauf einzubinden. José Santos betont, dass das Jugendzentrum bisher wenig Unterstützung von der regierenden Partei Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) erhalten hat. Noch weniger hält er allerdings von der oppositionellen rechten Nationalrepublikanischen Allianz (ARENA), in deren Händen sich die Stadtverwaltung befindet: „Von denen können wir gleich gar nichts erwarten“, so Santos, der früher in der Guerilla aktiv war. Gleichzeitig hebt Santos auch Fortschritte hervor, welche sich seit dem Amtsantritt von Präsident Mauricio Funes im Jahr 2009 erkennen lassen. Hierzu gehören Subventionszahlungen an Familien mit sehr niedrigen Einkommen, die Vergabe von verbessertem Saatgut an Bäuerinnen und Bauern in der Region und die Abgabe von Gratismaterialien an Schulkinder. „Insbesondere Letzteres bedeutet für viele Familien eine große Erleichterung“, so Santos. Kritischer äußert sich Roselia Herrera. „Die sozialen Fortschritte seit den letzten Wahlen sind minimal“, so die Aktivistin der Organisation Salvadorianische Frauenbewegung. In Bezug auf die Frauenrechte erkennt Herrera ebenfalls kaum Verbesserungen: „Die FMLN zeigt sich offener gegenüber unseren Anliegen als die Vorgängerregierungen, aber wir Frauen sind weiterhin mehrheitlich von jeglicher politischer Teilhabe ausgeschlossen.“ Alexander Aguilar schließlich hebt vor allem die Errungenschaften von drei Jahren FMLN-Regierung hervor. Aguilar ist Projektverantwortlicher bei der Stadtverwaltung von Jucuarán im Departement Usulután und engagiert sich gleichzeitig in der Jugendarbeit des FMLN. „Die FMLN hat sich entschlossen den Problemen der ärmsten Bevölkerungsschichten angenommen, die von den Vorgängerregierungen konsequent vernachlässigt worden waren“, so Aguilar. Der ausgebildete Sozialarbeiter verweist insbesondere auf die Fortschritte für die landwirtschaftlichen Produzent_innen sowie die Verbesserungen im Gesundheits- und Erziehungsbereich. „Die Einrichtung von Basisgesundheitseinrichtungen und die Abgabe von kostenlosem Schulmaterial hat vor allem die Bevölkerung auf dem Land begünstigt, wo die Armut traditionell am größten ist“, so Aguilar.
Die sozialen Verbesserungen im Laufe der ersten drei Jahren FMLN-Vorherrschaft werden nicht nur durch direkt Betroffene hervorgehoben, sondern auch durch konkrete Zahlen belegt. Die Abgabe von verbessertem Saatgut und Pestiziden an über 300.000 Bäuerinnen und Bauern im ganzen Land, die Zahlung einer Rente von 50 US-Dollar pro Monat an 42.000 Rentner_innen ohne Alterspension, die Abgabe von Gratismaterial an Hunderttausende von Schulkindern oder die Abschaffung der Eigenbeiträge im öffentlichen Gesundheitssystem zeugen von den konkreten Erfolgen der FMLN. Hinzu kommen Millionenzahlungen an Bäuerinnen und Bauern zur Versicherung von Ernteausfällen und die Abgabe von zwei Glas Milch pro Woche an 250.000 Schulkinder allein im vergangenen Jahr. Gemäß der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) konnte dank dieser Maßnahmen die Armut im Land im Jahre 2010 um rund 1,5 Prozent gesenkt werden. „Die Bereitschaft der FMLN-Regierung, vor allem das Los der ärmsten Bevölkerungskreise zu verbessern, ist eindeutig erkennbar“, betont auch Ramón Villalta, Direktor der Sozialinitiative für Demokratie, einer auf Demokratiefragen spezialisierten Nicht-Regierungsorganisation in der Haupstadt San Salvador. „Die Abgabe der kostenlosen Schulmaterialien hat nicht nur die angespannte finanzielle Situation von vielen Familien verbessert, sondern Tausenden von Kindern überhaupt erst den Schulbesuch ermöglicht“, hebt Villalta vor allem den Nutzen der sogenannten paquetes escolares hervor. Dessen ungeachtet betonen auch viele FMLN-Anhänger_innen, dass die sozialen Verbesserungen ausgebaut und die entsprechenden Programme effizienter umgesetzt werden müssten. Sie beklagen sich vor allem über die ausgeprägte Klüngelwirtschaft, welche wie bereits die Vorgängerregierungen auch die Politik der FMLN charakterisiert. Dies führt dazu, dass Entscheidungsträger_innen nicht wegen ihrer Fähigkeiten, sondern aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bestimmt werden. „Diese Situation hat sich unter der aktuellen Regierung sogar noch verschärft“, betont die Gewerkschaftsführerin eines großen öffentlichen Amtes, welche anonym bleiben will.
Die Kritik an der FMLN und insbesondere an der Regierung hat aber vor allem mit deren Sicherheitspolitik zu tun. Die Sicherheitslage hat sich seit dem Amtsantritt von Mauricio Funes kaum verbessert; mit jährlich 65 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohner_innen gehört El Salvador immer noch zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Von den Jugendbanden auferzwungene Streiks legen den öffentlichen Verkehr alle paar Wochen lahm und zwingen die salvadorianischen Transportunternehmer_innen jährlich zur Bezahlung von Schutzgeldern in Millionenhöhe. Funes hat auf diese Entwicklung mit einer Ausweitung der „Politik der harten Hand“ seines Vorgängers Antonio Saca von der rechten ARENA-Partei reagiert. Neben der Polizei wurden auch Tausende von Soldaten auf die Straßen und in die Problemzonen der großen Städte beordert, um das staatliche Machtmonopol wieder herzustellen. Die zunehmende Militarisierung des Landes verdeutlicht auch die Ernennung von ehemaligen Militärs an die Spitze des Sicherheitsministeriums und der Polizei. Insbesondere die Ernennung von David Munguía Payés zum neuen Sicherheitsminister im vergangenen November hat massive Kritik hervorgerufen, gerade auch von Parteigänger_innen des Präsidenten. Diese betrachten die Einsetzung eines ehemaligen Militärs an die Spitze eines zivilen Ministeriums als Verletzung der Friedensverträge, welche 1992 den zwölfjährigen Bürgerkrieg beendet hatten (siehe LN 451).
Den Konflikt zwischen dem Präsidenten und dessen Partei verdeutlichen auch die Diskussionen über die Annäherung El Salvadors an die USA. Nach dem Besuch des US-Präsidenten Barack Obama im letzten Jahr hatten die beiden Staaten ein gemeinsames Kooperationsabkommen unterzeichnet, welches viele öffentliche Institutionen des Landes für privates Kapital öffnen soll. Mit Verweis auf die angebliche Exportschwäche El Salvadors sieht dieses unter anderem den Bau und Betrieb von öffentlichen Infrastrukturprojekten durch Private vor. Zu den Objekten, welche im Kooperationsvertrag erwähnt werden, gehören der internationale Flughafen von El Salvador und der Hafen von La Unión im Osten des Landes. Parteiinterne Kritiker_innen sehen dadurch das Land zunehmend am Gängelband der USA. Dieser Kritik schlossen sich nach der Unterzeichnung des Kooperationsabkommens auch zahlreiche soziale Organisationen an. Die anerkannte Menschenrechtsorganisation FESPAD verwies auf die arbeitsrechtlichen Gefahren im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags. Viele Expert_innen befürchten, dass die zunehmende Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen zu einer vermehrten Prekarisierung der Beschäftigungsbedingungen führen werde.
Die Spannungen zwischen Funes und dessen Partei scheinen dabei insbesondere letzterer zu schaden. So schneidet die Regierungspartei bei allen Umfragen schlechter ab als der Präsident. Die rechte Opposition bedient sich derweil der Streitigkeiten innerhalb der FMLN, um in der Öffentlichkeit die angebliche Regierungsunfähigkeit der ehemaligen Guerilla anzuprangern. Während diese Konflikte zwischen Funes und dessen Partei letztlich für viele Salvadorianer_innen nebensächlich sind, sind die fehlenden Beschäftigungsperspektiven eines der Hauptthemen im aktuellen Wahlkampf. Die ARENA geht mit dem Thema auf Stimmenfang und spricht damit vor allem jüngere Wähler_innen an. In den Wahlumfragen hatte die FMLN noch vor einem Jahr wie die sichere Siegerin ausgesehen, ist aber seither in der Wählergunst laufend zurückgefallen und in einigen Unfragen von ARENA überholt worden. Allerdings sind Wahlumfragen in El Salvador mit Vorsicht zu genießen, da diese zumeist von den ARENA nahestehenden rechtskonservativen Medien des Landes finanziert werden.
Große Hoffnungen auf einen erneuten Wahlsieg kann sich ARENA bei den Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt San Salvador machen. Dies ist vor allem der Popularität des Amtsinhabers Norman Quijano geschuldet. Der frühere Zahnmediziner liegt in den Umfragen weit vor seinem Herausforderer Jorge Handal, Sohn des historischen FMLN-Führers Schafik Handal. Quijano wird von breiten Kreisen attestiert, für mehr Sicherheit und Ordnung in der Hauptstadt gesorgt und das drängende Abfallproblem wirksam angegangen zu haben. Selbst Linke und Gewerkschafter_innen lassen hinter vorgehaltener Hand verlauten, Quijano habe seinen Job eigentlich ganz gut gemacht.
Allzu viel zu verlieren hat die FMLN bei den Wahlen am 11. März nicht, selbst wenn sie knapp hinter der ARENA landen sollte. Bereits jetzt sieht sie sich im Parlament einer Mehrheit der vier rechten Parteien ausgesetzt, wodurch wichtige Gesetzesvorhaben in der Vergangenheit scheiterten. Andererseits bietet das Präsidialsystem El Salvadors die Möglichkeit, auch ohne parlamentarische Mehrheit einige Vorhaben durchzusetzen. Davon macht die Regierung derzeit Gebrauch und wird dies unabhängig vom Wahlausgang auch künftig tun können. Ein deutlicher Wahlsieg böte der FMLN hingegen die Chance, das Land weit stärker in ihrem Sinne zu verändern. Doch darauf deutet wenig hin.

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