Editorial | Nummer 466 - April 2013

// Unbegründete Hoffnungen

Unvergessen ist die Schlagzeile „Wir sind Papst“, als Papst Benedikt XVI gewählt wurde. Auch in Lateinamerika wurde die Wahl des ersten Lateinamerikaners zum Papst überschwänglich aufgenommen. Und die ersten Amtshandlungen von Papst Franziskus wecken bei vielen Katholik_innen große Hoffnungen auf Erneuerung und Wandel der zuletzt immer stärker in Ritualen erstarrten Amtskirche. Auch Befreiungstheologen äußerten sich enthusiastisch zur Wahl des argentinischen Kardinals Jorge Bergoglio. „Franziskus ist kein Name, sondern das Projekt einer einfachen, armen Kirche, bar jeder Macht,“ schrieb der bekannte brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Wie sein Namenspatron, der heilige Franziskus von Assisi, werde sich dieser Papst für die Armen einsetzen.

Vom „Bischof der Armen“ berichteten auch alle internationalen Medien, vom Kardinal, der auf die ihm zustehende Limousine verzichtete, die Füße von Strafgefangenen wusch und auch sonst sehr bescheiden sei. Weit weniger häufig wurden seine Äußerungen zur argentinischen Innenpolitik zitiert. Als Cristina Fernandez de Kirchner für die Präsidentschaft Argentiniens kandidierte, äußerte sich Bergoglio mit den Worten: „Frauen sind von Natur aus unfähig, politische Ämter zu bekleiden.“ Die heiligen Schriften würden belegen, dass die Frau „immer nur die Stütze des denkenden und schaffenden Mannes sei.“ Als die Präsidentin 2010 einen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Ehe zwischen Homosexuellen auf den Weg brachte, ließ Bergoglio verlautbaren, „die Hand des Teufels“ stecke hinter diesen Plänen.

Ungeklärt ist auch seine Rolle während der argentinischen Militärdiktatur. Der renommierte argentinische Journalist Horacio Verbitsky, der mehrere Bücher zur Rolle der katholischen Kirche in Argentinien geschrieben hat, präsentierte brisante Dokumente des argentinischen Außenministeriums. Nach diesen hat der damalige Oberste des Jesuitenordens zwei junge Priester denunziert, die in den Elendsvierteln arbeiteten und wohnten. Die beiden Anhänger der Befreiungstheologie wurden 1976 mehrere Monate eingesperrt und gefoltert. Einer von ihnen, Francisco Jalics, sagt aber heute, sein damaliger Vorgesetzter habe nichts mit dem Vorfall zu tun gehabt; der zweite, Orlando Yorio, ist bereits verstorben.

Papst Franziskus erhielt bezüglich dieser Vorwürfe Unterstützung des chilenischen Befreiungstheologen Pablo Richard. Bergoglio dürfe für die Nähe der katholischen Kirche zur Militärdiktatur nicht an den Pranger gestellt werden, sagte er. Der wahre Skandal sei die offene Kollaboration des damaligen päpstlichen Botschafters und des Kardinals Raúl Primatesta mit dem Diktatorenregime gewesen. Man könne Bergoglio höchstens vorwerfen, nicht sein Leben riskiert zu haben. Auch Boff befand, es interessiere letztlich doch „weniger Bergoglio und seine Vergangenheit, sondern Franziskus und seine Zukunft.“ Ähnlich pragmatisch argumentiert auch Roberto Malvezzi von der katholischen Landpastorale CPT: „Einige Medien betonen seine konservative Position in Bezug auf Sexualität. Aber das ist überhaupt keine Überraschung. Konzentrieren wir uns auf das, was in diesem Moment das Positivste ist: Er kommt nicht aus Europa, er kocht sein Essen selbst, fährt Omnibus und nennt sich Franziskus. Und Franziskus steht für Einfachheit, Zärtlichkeit, Brüderlichkeit, Solidarität mit den Armen und Verbrüderung mit der Natur.“

Ein zutiefst konservatives Weltbild in Bezug auf Sexualität und die Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft ist bei einem Papst sicher nicht überraschend. Der Papst Franziskus entgegengebrachte Enthusiasmus gerade von Seiten der progressivsten Teile der katholischen Kirche bleibt aber unverständlich. Die Sehnsucht nach Erneuerung des Katholizismus scheint inzwischen so groß zu sein, dass allein ein Bruch mit erstarrten Ritualen für Euphorie sorgt.

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