Guatemala | Nummer 276 - Juni 1997

Landtitel – und dann?

Zwischen Markt, Macht und Monopolen

“Die guatemaltekischen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sind nicht in der Lage, ihr Land wirklich produktiv zu bewirtschaften.” Dieser Einwand von konservativer Un­ter­neh­merseite soll jegliche Forderung nach einer Um­ver­tei­lung von Land vom Tisch zu fegen. Auch einige Nicht­re­gierungsorganisationen (NROs) werfen den Cam­pesino/a-Or­ga­ni­sationen in Sachen Produktion und Einkom­mens­schaffung Kon­zep­tionslosigkeit vor. Tatsächlich haben aber zur Zeit die wenigsten gangbare Konzepte zu bieten – am al­lerwenigsten die Regierung, deren aktuelle Agrarpolitik die Interessen der großen Agrarexportbetriebe schützt und den zahlenmäßig riesigen Sektor der KleinstproduzentInnen zu vergessen versucht.

Helgi Kaissling, Andreas Reuter

Die Campesinos/as von San Roque in der Provinz San Mar­cos haben es geschafft: Zwei Jahre Kampf – Landbesetzung, Räumung, erneute Besetzung und Verhandlungen – führten dazu, daß die staatliche Agrarbe­hörde INTA den 105 Familien jeweils vier Hek­tar Land auf Kre­ditbasis zuteilte. Dies ist ein Sieg für jedeN ein­zelneN, für die Gruppe insgesamt und für die Na­tionale In­dí­ge­na- und Bauern­koor­dination CONIC, in der die Gruppe organisiert ist. Mit die­sem ersten Schritt ist aber auch die Hoffnung auf einen beschei­denen Wohlstand, auf Bildung, und bessere Infrastruktur ver­bunden. In San Roque ist die Hoffnung auf das Erschließen neuer Einnahmequellen ein Muß, denn jede Familie ist jetzt bei der INTA verschuldet: Um nach zehn Jahren den endgültigen Landtitel zu erhalten, wird jeder Haushalt ab dem kommenden Jahr 6.000 Quetzales (1.000 US-Dollar) jährlich zur Schuldentil­gung aufbringen müssen. Zu­sätzlich müssen Produktionskre­dite der katholischen Kirche ab­bezahlt werden.
Durch den Anbau von Mais und Bohnen haben die ehemals Landlosen eine unmittelbare Über­lebensgrundlage. Zur dar­überhinaus notwendigen Ein­kommensschaffung verdingen sich in der Provinz San Marcos viele Kleinbauern und -bäuerin­nen zusätzlich als TagelöhnerIn­nen auf den Großgrundbesitzen oder arbeiten als fliegende HändlerInnen und im Kleinstge­werbe. Wer jedoch, wie die Menschen in San Roque, sein Land nicht mehr verlassen will, sucht den Weg im Verkauf sei­ner landwirtschaftlichen Pro­dukte. Für Grundnahrungsmittel allerdings ist der lokale Markt klein und die Preise niedrig. Auf dem Land haben die wenigsten ausreichend Geld und schlimmer noch: Unter dem wohlwollenden Blick der guatemaltekischen Re­gierung wird aus den USA sub­ventionierter und industriell pro­duzierter Mais importiert, zu Preisen, mit denen einheimische ProduzentInnen keinesfalls kon­kurrieren können.

Der Export regiert

Um an das dringend benötigte Geld zu kommen, bietet sich heute in Guatemala für die we­nigsten KleinstproduzentInnen eine prak­tikable bzw. greifbare Alternative zum Einstieg in die gegebenen Marktverhältnisse. Den größten Gewinn verspricht hier, theoretisch, der Export von Produkten, die viel Handarbeit erfordern oder im Norden nicht angebaut werden können. Die alten Monokulturen aber, wie Kaffee, Baumwolle, Kardamom und Bananen, unterliegen starken Preisschwankungen.
Von Trendsettern als neue Weltmarktnischen propagiert wer­den die sogenannten “nicht-tra­di­tio­nellen Ex­port­produkte”: Darunter fällt alles, was nicht schon seit Menschengedenken für den Export angebaut wird, angefangen bei “fran­zösischen Spitz­bohnen” und weiteren Gour­met-Gemüsearten, über Bee­rensträucher bis hin zu afri­kanischen Palmen für die Palm­öl-Produktion. Aber auch diese sind nicht immer eine Goldgrube.

Liberalisierung im Süden – Protektionismus im Norden

Die Leute von San Roque zum Beispiel haben Sesam ange­baut. Aufgrund eines riesigen Angebotes aus Indien und China ist der Preis für Sesam im ver­gangenen Jahr auf rund die Hälfte gefallen, der Erlös pro Familie betrug danach nur noch durchschnittlich 6.000 Quetzales für die Jah­res­ernte. Darüber­hinaus schützen die Industrielän­der, im Gegensatz zu Guatemala, ihre einheimischen ProduzentIn­nen durch Subventionen vor der Konkurrenz aus dem Süden. So führen sie zum Beispiel scharfe Lebensmittelkontrollen durch: Findet sich auch nur ein Würm­chen in einer Gourmet-Gemüse­ladung aus Über­see, wird diese, je nach der Marktlage im Nor­den, oft komplett vernichtet. So etwas nennt sich Verbraucher­schutz, hat aber oft eher die Qualität eines nicht tarifären Handelshemmnisses. Die real geschaffenen (Welt-)Markt­be­din­gungen regieren gnadenlos. Solange die Regie­rung jedoch nichts unternimmt, um lokale und regionale Märkte zu stärken, erscheint die Ex­port­produktion den meisten Klein­pro­du­zen­tIn­nen die gewinnbrin­gendste Möglichkeit.

Vernachlässigung der klein­bäuerlichen Produktion

Unterstellt man dem Staat so­ziale Verantwortung für das Wohlergehen aller BürgerInnen, so wäre es Aufgabe der Regie­rung, mit den Kleinst­bauern und -bäuerinnen gemeinsam Kon­zepte zu entwickeln, um zur Ein­kommenssteigerung gerade den ärmsten Bevöl­kerungsgruppen un­ter die Arme zu greifen. Al­ler­dings hat der guatemaltekische Staat bislang nie “so­zial­staatliche Funk­tio­nen” über­nommen. Schon kurz nach seiner Grün­dung wurde er bis ins letzte De­tail auf die Exportinter­essen der Agraroligarie abge­stimmt. So sind zum Beispiel die zwei­monatigen Schulferien seit eh und je auf die Zeit der Zuc­ker- und Kaffeernte an der Küste aus­gerichtet. Der Export von Zucker – ein Produkt, das in Guatemala ausschließlich in pri­vaten Groß­plantagen angebaut wird – wird bis heute von der Handelspolitik subventioniert. Im Gegenzug zahlen die Klein­ver­braucherInnen auf dem ein­hei­mi­schen Markt eine zusätzli­che Steuer auf die süße Ware.
Auch im Bereich der Infra­struktur werden dringend not­wendige In­ve­stitionen nicht zu­gunsten der Bevölkerungsmehr­heit unternommen. Das ohnehin gute Straßennetz an der Küste wird, unter anderem mit den nach dem Friedensschluß ange­kündigten internationalen Gel­dern, für den Export der Fin­cas op­timiert – dringend notwen­dige Ver­bindungswege im dicht­be­sie­del­ten Hochland haben in diesem Zu­sammenhang keine Prio­ri­tät.
Die Agrarfrage im Friedens­abkommen: ein Papiertiger
Im “Abkommen über so­zio­ökonomische As­pekte und zur Agrar­frage”, als Teil der Frie­densabkommen im vergangenen Mai abgeschlossen, erkennt die Regierung zwar die vielfältigen Probleme bei der Einkommens­schaffung der Kleinstbauern und -bäuerinnen in der Theorie an, ein umfassendes Wirtschafts­konzept sucht man aber vergeb­lich. Die Rede ist allgemein von einer anzu­stre­benden Diversifi­zierung besonders der Export­pro­duktion. Das einzige explizit genannte Instrument zur Ein­kommensschaffung, nämlich die Kreditvergabe zum Landkauf oder zur Produktion, wird nur den etwa fünf Prozent der ohne­hin kapital­stärkeren Betriebe zu­gutekommen. Denn Vorgaben über zulässige Höchstzinsen werden nicht gemacht.
In der Praxis wird also der kapitalstarke Unternehmenssek­tor bevorzugt. Parallel dazu gilt das neoliberale Modernisie­rungsprogramm der PAN-Regie­rung: Der Staat solle sich aller Eingriffe in die Wirtschaft ent­halten, da dies das freie Spiel der Kräfte auf dem Markt, letztend­lich zuungunsten des gesamten Gemeinwesens, behindere. Mit dieser Argumentation soll auch die Bank für ländliche Entwick­lung BANDESA privatisiert werden.

Wirtschaftliche Unabhän­gigkeit?- Verboten

Wie steht es also angesichts dieser Politik um die Möglich­keiten für die neuen Kleinst­pro­du­zentIn­nen, sich nach ihrem er­folg­reichen Kampf um das Land in den gegebenen Markt­ver­hält­nissen einen Platz zu ver­schaffen? Der Anbau von Kaf­fee, Kardamon oder Sesam ist für viele ehemals Landlose kein Neuland, da die meisten aus ihrer Zeit der Lohnarbeit auf den Groß­grundbesitzen über die nö­tigen Erfahrungen und Fertig­kei­ten verfügen. Bei den neueren Pro­dukten, wie die Gourmet-Ge­müse­arten für die Spezialitä­ten­ab­teilung unserer Super­märkte, be­steht allerdings ein hoher Be­darf an technischer Be­ratung.
Die wirklichen Schwierigkei­ten setzen jedoch ein, sobald es um die Kenntnis der Markt­struk­turen und um Fragen einer ge­winn­bringenden Ver­marktung ins­gesamt geht. Hier stoßen die Kleinst­produzentIn­nen auf die ersten Fallstricke und Stachel­draht­zäune im ach so freien Markt. Denn diese für den Agrar­export grundlegenden Kennt­nisse und Fertigkeiten ha­ben die Großunternehmen im Agrar­wesen monopolisiert. Ge­stützt auf den Staat haben sie ihre ArbeiterInnen seit Jahrhun­der­ten in völliger Unmündigkeit ge­halten und verwehren ihnen bis heute grundlegendste Bil­dungsmöglichkeiten. Eine Kleinst­produzentInnengruppe bei­spiels­weise, die sich dennoch die notwendigen Kenntnisse be­sorgt hatte, Cashew-Kerne auf selbst­fabriziertem Gerät zu rö­sten, mußte ihr Vorhaben nach den direkten Drohungen benach­barter Großproduzenten abbre­chen. So hält der Unternehmens­sektor sein Monopol über Wei­ter­verarbeitung und Export in fe­ster Hand.

Ausbeutung durch Zwischenhändler

Dabei kann er sich auch auf ein weitverzweigtes System von Zwischenhändlern, den soge­nannten Coyotes, stützen. Diese Coyotes, meist aus der kapital­stärkeren Mittelschicht, haben das nötige Wissen über Prei­s­ent­wick­lungen, Absatzmöglich­kei­ten und Qualitätsstandards, wel­ches sie nur höchst ungerne mit den Campesinos teilen. Dar­über­hinaus sind sie dank ihrer Kapi­talstärke im Besitz der nöti­gen Transportmittel, um die Pro­dukte aus schwer zugänglichen Gebie­ten in das weiterverarbei­tende Unternehmen, den nächst­größeren Markt oder gar zum Flugplatz zu befördern. Zur Si­cherung ihres Geschäftes haben die Coyotes vielfältige Abhän­gigkeitssysteme entwickelt, die von der Abschlagszahlung im Voraus bis zur “kostenlosen” Vergabe von Saatgut und Pesti­ziden reicht. Bedingung für die­sen “großzügigen Vorschuß” ist immer, daß die Ernte bei dem jeweiligen Coyote abgeliefert wird, der den Preis willkürlich festlegt. Bei
Mißernten steht der Bauer in der Schuld des Zwi­schenhändlers.

Erschwerter Zugang zu Krediten

Neben einem Einblick in das Marktgeschehen ist daher der grundlegende Dreh- und Angel­punkt jeder gewinnversprechen­den eigenständigen Produktion ein ausreichendes Startkapital. Der Anbau von Exportprodukten erfordert qualitativ hochwertiges Saatgut, Dünger, Pestizide, Werkzeug, und vor allem einen langen finanziellen Atem, um die Zeit zwischen dem ersten Anbau und der Ernte zu überbrücken. Diese Wartezeit beträgt nur ei­nige Wochen für Gemüse. Pflan­zungen für organischen Kaffee müssen jedoch über Jahre hin­weg auf eine ganz bestimmte Art und Weise gepflegt werden, bis schließlich der höhere Preis er­zielt werden kann. Der Zugang zu Krediten bei den regulären Banken aber bleibt den kapital­schwachen KleinbäuerInnen meist verwehrt. Gewähren sie den oft nur schlecht spanisch­sprechenden Campesinos/as über­haupt eine Audienz, fordern die Banken Zinsen zwischen 18 und 24 Prozent und zur Kreditsi­cherung hohe Bürgschaften, etwa ein Grundstück in der Haupt­stadt. Damit hat sich die Sache für die meisten Kleinstprodu­zentInnen erledigt und sie blei­ben auf irreguläre Kredite aus der Hand von Agrarexportunter­nehmen oder auch größeren Ko­operativen angewiesen. Diese wiederum bestimmen ihre Zins­sätze nach gusto, sie liegen bei 28 bis zu 33 Prozent.

Hilfe? – Hilfe!

In diesem Umfeld sind die neuen LandbesitzerInnen wie alle anderen Bauern und Bäue­rinnen auf viel­fältige Hilfe von außen angewie­sen. Im guate­maltekischen Ent­wick­lungs­geschäft tummeln sich aller­dings eine Vielzahl von Or­ga­nisationen, Konzepten und Inter­essen. In vielen Gegenden, ge­rade im zentralen Hochland und anderen Regionen, wo die Re­pression unter der indigenen Be­völkerung am unbarmherzig­sten gewütet hat, entdeckt man in beinahe jedem Dorf Hinweis­schilder auf kleine oder größere Taten in Sachen “Ent­wick­lung”. Hier präsentieren sich die “Lei­stun­gen” von NGOs, staatli­cher Kredit- und Sozialfonds, oder der Militärdiktatoren der 80er Jahre. Auch die Europäi­sche Union legt großen Wert darauf, ihre “Hil­fe” als solche kenntlich zu machen, es sollen sogar schon einzelne Wellblech­dächer mit dem Sternenkreis ge­sichtet wor­den sein. Bis heute wird aller­dings im seltensten Falle die Zielsetzung verfolgt, lokale Gruppen oder Dorfge­mein­schaften darin zu unterstüt­zen und zu befähigen, wirt­schaftlich zu werden. In der un­ter der Re­pression gepflegten Tradition, die Campesinos/as so­zial zu be­frie­den und in Abhän­gigkeit zu halten, werden Ent­wick­lungs­pro­jek­te weiterhin meist como un dulce verteilt – “Wie ein Bonbon, süß, bis es sich aufgelöst hat”, illustriert das die Angehörige ei­ner Frauen­gruppe.
Im Gegensatz zu dieser be­vormundenden Herangehens­weise gibt es von Seiten emanzi­patorischer NROs die Suche nach einer gleichberechtigteren Zusammenarbeit mit Produzen­tInnengruppen und Volksorgani­sationen auf dem Land. Auch diese stehen vor der Herausfor­derung, daß die Leute unmittel­bare Möglichkeiten zur eigen­ständigen Einkommensschaffung benötigen und dabei vorerst re­alistischerweise an dem gegebe­nen Marktgeschehen nicht vor­beikommen.

Hilfe zur Unabhängigkeit

Damit die Produ­zen­tInnen­gruppen aber in diesem lang­fristig, auch ohne “Hil­fe”, eine Chance haben, setzen sie neben der technischen Weiter­bildung in landwirtschaftlichen Fragen da­her vor allem darauf, die Ver­handlungsstärke der Klein­bäuerInnen im gegebenen Wirt­schaftssystem zu steigern. Hier­bei geht es um die Befähi­gung zum eigenständigen Han­deln und um Kenntnisse der Grund­mechanismen des Mark­tes. So ist es in den Projekten zur Pro­duktions- und Einkommens­stei­gerung eben nicht nur not­wendig, den üblichen Agrarex­perten vorbeizuschicken. Viel­mehr wird mit den ProduzentIn­nen auch über Preis- und Pro­duktionspolitik, die besten Mög­lichkeiten für Transport und Verkauf, und im Fall des Anbaus nicht-traditioneller Exportpro­dukte auch über die einkommen­den Faxe der Gemüsebörsen in Miami und die Flughafenbe­stimmungen für die Ausfuhr dis­kutiert. Dahinter steht die Idee, nicht länger der Spielball fremd­bestimmter Marktinstrumente zu sein, sondern sich über die An­eignung ebendieser Instrumente gegen die Vorherrschaft der Zwischenhändler und Großun­ternehmen eine gleichberechtigte Teilnahme auf dem Markt zu er­kämpfen.
Bei diesem Ansatz setzen die Organisationen zudem weiterhin auf den Zusammenschluß der ProduzentInnen. Zwar besteht heute in Guatemala selbst in den Reihen einiger Volksorganisa­tionen großes Mißtrauen gegen­über dem sogenannten “Zwangs­ko­o­pe­ra­ti­vis­mus”: Oft genug wurde er von außen ver­ordnet, sei es im Zuge der Ent­wicklungslogik der von den USA betriebenen “grü­nen Re­volu­tion”, oder einer mißverstan­denen Auslegung sozialistischer Kollektivideen – häufig war er mit Kontrolle verbunden und scheiterte an persönlichen Inter­essen. Dennoch wird auch heute ein gemeinsames Vorgehen der ProduzentInnen zumindest bei der Vermarktung als wesentlich erachtet, um die eigene Position zu stärken. So bevorzugen viele die individuelle Bearbeitung ih­rer Parzellen. Ausbildung, Trans­port und Vermarktung aber ge­sche­hen gemeinsam.

Förderung der Unab­hän­gig­keit durch Kleinkredite und Fortbildung

Eine weitere und grundle­gende Komponente, um der Ab­hängigkeit, Gängelei und Armut zu entfliehen, stellt die Vergabe günstiger Kleinkredite dar. Die­ses Konzept wird in den vergan­genen Jahren von fortschrittli­chen NROs und der katholischen Kirche mit einigem Erfolg an­gewandt. Daß dies dazu beitra­gen kann, nicht nur einen eige­nen Platz innerhalb der wirt­schaftlichen, sondern auch gegen die gesellschaftlichen Machtver­hältnisse zu erkämpfen, zeigt das Beispiel der Frauengruppe Las Violetas im guatemaltekischen Hochland: Seit mehreren Jahren erhält die Gruppe einen jährlich steigenden Kredit, den sie zu gleichen Teilen unter ihren 30 Mitglieder aufteilt. Das Geld wird zur Kleinviehhaltung, zum Gemüseanbau oder zur Errich­tung eines kleinen Ladens einge­setzt – die individuelle Verwen­dung steht den Frauen frei.
Par­allel dazu werden technische Be­ratung und Kurse in Buchfüh­rung, Markt- und Geldwesen an­geboten. Bedingung zur Fortset­zung der Zusammenarbeit ist die jährliche Rückzahlung der Kre­dite. Die Zinsen, die dem unter­sten bankenüblichen Satz ent­sprechen, fließen in einen Rota­tionsfonds. Dieser muß im Fall von Zahlungsschwierigkeiten her­halten, und soll langfristig auf eine Eigenkapitalisierung der Gruppe hinauslaufen. “Ent­ge­gen der Haltung der Männer, daß wir Frauen weder eine Stimme, noch eine Ahnung von den wichtigen Dingen des Lebens haben und uns schon daher gar kein Mit­spracherecht zusteht, haben wir uns mittlerweile einen eigenen Status erkämpft” erzählt ein Gruppenmitglied. “Als wir plötzlich Empfängerinnen von Kleinkrediten wurden, sahen sie, daß ‘mann’ uns durchaus ernst­nehmen kann.”

Ausblick

Niemand bestreitet, daß sich dieser Ansatz der Projektarbeit zur Einkommensschaffung erst­mal nicht aus den Grenzen der gegebenen nationalen und inter­nationalen Marktverhältnisse lö­sen kann. Die wirtschaftliche, rechtliche und organisatorische Befähigung der Cam­pesinos/as stellt jedoch die Grundvorausset­zung zu einem selbständigen Agieren im gesellschaftlichen Leben des Landes dar. Sie ist ein wichtiges Sprungbrett, um der sozioökonomischen Marginali­sierung zu entkommen. Unter Umständen kann sie also durch­aus dazu führen, die Grenzen der gegebenen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse in Frage zu stellen.
Die Campesino/a-Organisa­tionen ihrerseits stehen nach ei­nem erfolgreich beendeten Land­kampf mit der Planung von land­wirtschaftlicher Produktion und Ver­marktung vor ganz neuen Auf­gaben und andersge­arteten Hür­den: Sie brauchen Vor­schläge und Alternativkon­zepte zur Einkommensschaffung. Es kann jedoch nicht ihre Zu­kunft sein, ihre in politischen Kämpfen er­langte Kompetenz der Ver­wandlung in eine (land)­wirt­schaft­liche Entwick­lungs­orga­ni­sa­tion zu opfern. Hier ist profes­sionelle Beratung und gleichbe­rechtigte Zusam­men­ar­beit mit fortschrittlichen NROs und ande­ren Instanzen ge­fragt. Diese wiederum benötigen den Druck von unten, wenn ihr An­satz er­folgreich sein soll. Denn ohne politischen Druck wird in Guate­mala weiterhin je­des eman­zipatorische Konzept an den strukturell gefestigten Macht­verhältnissen im Wirt­schafts- und Staatssystem schei­tern, ohne daß aller Sachverstand und guter Willen daran etwas ändern könnte.

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