Nicaragua | Nummer 361/362 - Juli/August 2004

25 Jahre Revolution

In Nicaragua begeht man das silberne Jubiläum des Sturzes von Somoza

Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Sandinisten in Nicaragua den Diktator Somoza stürzten und selbst die Kontrolle über das zentralamerikanische Land übernahmen. Heutzutage werden die Bezüge zu dieser Revolution durch Verjüngung der Bevölkerung zwar immer geringer. Doch schuf sie im Land ein noch immer vorhandenes Bewusstsein für Politik und Gerechtigkeit. Dies spiegelt sich auch bei den diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten wieder.

Ralf Leonhard

Der Gedenkstein an der Straßenecke wurde für den Jahrestag frisch gestrichen. „Ehre und Ruhm den Märtyrern, die hier am 14. Juni 1979 gefallen sind: Zeyla Pérez F., Marvin Rivers L., Ariel Saballos C., C. Augusto Chamorro S. Freies Vaterland oder Tod. CDS.“ Frau Nieves Saballos erinnert sich noch gut an diesen Tag, als der ganze Bezirk in Aufruhr war: „Hier waren Barrikaden aufgerichtet. Die Muchachos waren kaum bewaffnet und konnten der Nationalgarde nicht lang Widerstand leisten. Sie wurden eiskalt massakriert.“ Ihr Neffe Ariel lebte bei ihr im Haus. Er war gerade einmal 18 Jahre alt -das Mädchen Zeyla war gar erst 15. Doña Nieves, inzwischen 64 und ergraut, ist überzeugt, dass die Revolution die Opfer wert war. Für sie lebt sie noch heute fort; zumindest in ihrem engsten Umkreis.
Wie jedes Jahr wird der Todestag der jungen Kämpfer mit einem kleinen Festakt begangen. Einige Bewohner des Stadtviertels La Luz sind in christlichen Basisgemeinden organisiert. Ein Priester von der Jesuitenuniversität begleitet sie. Dieses Jahr, zum 25. Jubiläum fällt die Gedenkfeier etwas größer aus. Doch viele der Klappstühle, die vor dem Monument aufgestellt wurden, bleiben frei. Von den Nachbarn interessieren sich nur noch wenige für die Ereignisse vor 25 Jahren. Die meisten sind erst später zugezogen. Von den Jugendlichen verbindet keiner eigene Erinnerungen mit der Revolution.

Verschwindende Erinnerung
Zwei Drittel der nicaraguanischen Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre. Die 25. Wiederkehr des Tages, an dem die Diktatur stürzte und ein mehr als zehnjähriger revolutionärer Prozess begann, hat nur noch für eine kleine Minderheit mehr als nur historische Bedeutung. Als am 25. Juli 1979, zwei Tage nach der Flucht des Diktators Anastasio Somoza, auch der Interimspräsident Francisco Urcuyo Maliaño abdankte und den Weg für die Machtübernahme einer revolutionären Junta freimachte, war in Nicaragua – zumindest in den Städten – die vorherrschende Jubelstimmung nahezu überall ungetrübt. Heute, nach 15 Jahren konservativ-liberaler, an den USA orientierter Regierungen, lebt die sandinistische Dekade in der kollektiven Erinnerung vor allem als eine Zeit der Unterdrückung, des Kriegs und der Mangelwirtschaft weiter. Wer die Aufbruchsstimmung nicht selbst miterlebt hat, muss sich fragen, was das Volk damals bewegte, ein paar olivgrün uniformierten Comandantes zu folgen.

Bleibendes Bewusstsein
Dora María Téllez, die als 22-jährige Comandante mit einer Gruppe von Guerilleros im August 1978 den Nationalpalast einnahm, und damit die gefangenen Kameraden freipresste, war eine wichtige Person während der Revolution. Auch als Gesundheitsministerin machte sie später eine gute Figur. Aber von der Partei, der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), trennte sie sich vor mehr als zehn Jahren. Sie steht heute der kleinen Bewegung der Sandinistischen Erneuerung (MRS) vor, beansprucht aber nicht die Alleinvertretung des sandinistischen Gedankens. Wenn es nach ihr geht, kann sich jeder Sandinist nennen. Für sie ist die Revolution auch nicht gescheitert. Denn das, was sie in den Köpfen der Menschen ausgelöst habe, sei von Dauer: „Die Revolution hat in den Menschen das Bewusstsein verankert, dass sie Rechte haben. Wenn heute Hunderte landlose Campesinos von Matagalpa nach Managua marschieren, um von der Regierung die Zuteilung von Land zu fordern, ist das ein Erfolg der Revolution.“ Natürlich habe die Wirtschaftskrise verheerende Auswirkungen. Aber Fortschritte seien trotzdem sichtbar: „Die Genossenschaftsbewegung hat in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung mitgemacht. Unzählige Frauenkollektive sichern in prekären Verhältnissen das Überleben der Familien.“
Dora María Téllez war 1990 genausowenig auf den Verlust der politischen Macht vorbereitet, wie ihre Kollegen: „Die Wahlniederlage war ein Schock für uns alle.“ Allerdings sieht sie heute das Ergebnis in einem anderen Licht: Für eine Partei, die im Krieg stand und eine ungeheure Wirtschaftskrise zu bewältigen hatte, seien die über 41 Prozent durchaus beachtlich gewesen. Daniel Ortega, der seither zu allen Wahlen als Präsidentschaftskandidat der FSLN angetreten ist, hat dieses Ergebnis nie wieder erreicht. Alle parteiinternen Konkurrenten, die möglicherweise auch Stimmen nichtsandinistischer Gruppen hätten gewinnen können, hat er bisher immer erfolgreich ausgebootet.

Immer wieder Ortega
Daniel Ortega, der nächstes Jahr 60 wird, ist nach wie vor der unangefochtene, aber längst nicht mehr unumstrittene Parteiführer. Wie es aussieht, wird er auch 2006 wieder versuchen, die verlorene Macht zurückzuerobern. Am 19. Juli wird er die traditionelle Ansprache auf dem Platz der Republik halten, der früher Platz der Revolution hieß. Größere Feierlichkeiten sind nicht vorgesehen. Die Dichterin Michele Najlis hat in den letzten Jahren beobachtet, dass sich der Platz weiterhin füllt. Sie meint jedoch, dass der Festakt vielen einfach dazu dient, Erinnerungen aufzufrischen oder ein Protestsignal gegen die neoliberale Regierung zu setzen: „Wenn Daniel zu sprechen beginnt, gehen sie wieder nach Hause.“

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