Literatur | Nummer 336 - Juni 2002

Allein gegen die Korruption

In ihrer Autobiographie schildert die kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt ihren Kampf gegen korrupte Politiker

Im Februar wurde die kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt von der FARC entführt. Sie engagierte sich als Politikerin für die Bekämpfung der Korruption, weswegen sie mehrfach Todesdrohungen erhielt. In ihrer Autobiographie Die Wut in meinem Herzen erzählt sie von ihrem Weg in die Politik, ihrem Einsatz für eine Veränderung der bestehenden politischen Strukturen und den Umgang mit der Angst. Durch die emotionale Erzählweise zieht sie die LeserInnen in ihren Bann.

Anke Rafflenbeul

Ingrid Betancourt, die zur Zeit von der FARC entführte Präsidentschaftskandidatin, berichtet in ihrem Buch Die Wut in meinem Herzen von ihrem Weg in die kolumbianische Politik und der Hoffnung, diese zu verbessern. Als Tochter des stellvertretenden Direktor der UNESCO und einer ehemaligen Schönheitskönigin, die durch ihre Arbeit für Straßenkinder sehr bekannt war, wuchs sie in einem intellektuell geprägten Elternhaus auf. Nach der Trennung der Eltern widmete sich die Mutter Astrid Betancourt aktiv der Politik. Dieses Engagement war für die Autorin prägend: Immer wieder zieht sie in ihrem Buch Parallelen zwischen ihrem Leben und dem ihrer Mutter.
Nach der Schule kehrte Betancourt nach Frankreich zurück, um dort Politik zu studieren. Sie lernte ihren zukünftigen Mann kennen, einen französischen Diplomaten, dem sie in verschiedene Länder der Welt folgte. Zusammen haben sie zwei Kinder.
Der Mord an dem liberalen Präsidentschaftskandidaten Carlos Galán, den ihre Mutter unterstützt hatte, war für Ingrid Betancourt entscheidend: Sie trennte sich von ihrer Familie und kehrte nach Kolumbien zurück, um Politikerin zu werden.

Politischer Werdegang

Naiv und blauäugig, wie sie selber zugibt, begann sie ihre politische Karriere, doch gleichzeitig sehr mutig. So nennt sie gleich zu Beginn ihrer ersten Wahlkampagne für das Parlament in einem Interview die Namen der fünf korruptesten Politiker. Fesselnd beschreibt sie die Politik Kolumbiens, berichtet von den bestechlichen Politikern und deren Zusammenarbeit mit Drogenhändlern, wobei sie besonders auf die Präsidentschaft Sampers eingeht, der seine Wahl mit Drogengeldern finanzierte. Im Prozess 8000, in dem der Präsident der Mitwis-serschaft an einer Spendengeldaffäre beschuldigt wurde, erhob sie ihre Stimme gegen ihn. Sie versuchte sogar mit einem Hungerstreik eine neue Besetzung der ihrer Meinung nach korrupten Untersuchungskommission durchzusetzen.
Betancourt berichtet von der Skrupellosigkeit der Politiker, die selbst vor gezielten Morden nicht zurückschreckten, und deren Unterstützung durch die Drogenhändler des Cali-Kartells, dessen Mitglieder sich nach und nach verhaften ließen, um dem Präsidenten seine Glaubwürdigkeit zurückzugeben. Nicht ohne Eigennutzen selbstverständlich, denn solange Samper an der Macht blieb, war ihnen ein angenehmer „Gefängnisaufenthalt“ sicher, sowie Schutz vor Auslieferung an dieUS-Regierung.

Samper und die Korruption

Samper wurde in dem Prozess 8000 von der Untersuchungskommission freigesprochen. Die Dokumente, welche laut Betancourt seine Schuld bewiesen, veröffentlichte sie in ihrem Buch Sí sabía (Ja, er wußte es).
Was bringt Ingrid Betancourt, eine Frau aus der gehobenen Schicht Kolumbiens, dazu, ihre Familie und ihr behütetes Leben aufzugeben und einen solch aussichtslosen Kampf zu führen? Sie musste immer wieder Rückschläge einstecken und geriet selbst auf die Anklagebank. Nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder erhielten Morddrohungen, so dass sie sie außer Landes schaffen musste.
Man will ihr einfach glauben, dass es wirklich eine Politikerin gibt, die ihr eigenes Leben aufgibt, um ihrem Land zu helfen. Und man spürt es geradezu: Sie will dieses Land verändern.
Doch trotz der Beschreibung der politischen Situation Kolumbiens, besteht beim Lesen die Gefahr, den subjektiven Blickwinkel der Autorin zu übernehmen. Betancourt zieht den Leser stark emotional in ihren Bann, indem sie Persönliches erzählt und häufig von ihren Kindern und Gefühlen schreibt. Durch die Benutzung von Dialogen versucht sie, Authentizität herzustellen.

Märtyrerin oder Egozentrikerin?

Sie erscheint wie eine Märtyrerin im Kampf für das kolumbianische Volk. Neben ihr finden andere Personen, die gegen die Kor-ruption kämpfen, kaum Erwähnung, während sie selber, laut ihrer Beschreibung, engagiert im Mittelpunkt steht. Immer wieder betont sie, wie maßgeblich ihre Texte und wie gefürchtet ihre Debatten waren, doch warum liest man gleichzeitig so wenig in der Presse, die teilweise noch bis vor kurzem den Nachnahmen Betancourt falsch schrieb (Betancur), über die Rolle, die sie im Rahmen des Prozesses gespielt hat? Ist es, weil sie von den Politikern und der Presse immer noch nicht ernst genommen wird, soll sie vielleicht tot geschwiegen werden, oder hat sie sich doch nur selber in den Vordergrund gespielt, wobei sie sich womöglich selbst überschätzt hat?
Als Basis ihres Programmes führt sie fast ausschließlich die Bekämpfung der Korruption an, darüber hinaus erfährt man jedoch wenig Konkretes über ihre politischen Absichten. Ebenfalls wenig erfährt man über die anderen alltäglichen Probleme Kolumbiens: den Bürgerkrieg, die Guerilla, die Paramilitärs, die regelmäßigen Massaker und die ganz gewöhnliche Armut.
Horacio Serpa, Sampers ehemaliger Innenminister, kandidiert dieses Jahr wieder für das Präsidentenamt. Auch Betancourt kandidiert als Präsidentschaftskandidatin, für ihre eigene Partei Oxygen (Sauerstoff). Sie wurde im Februar von der FARC entführt, auf dem Weg nach San Vincente del Cagúan, wo sie der Bevölkerung ihre Solidarität nach Ende der Friedensverhandlungen auszusprechen wollte. Da ihr ein Hubschrauber verweigert wurde, machte sie sich mit dem Auto auf den Weg. Eine unverständliche Handlung, da sie mehrmals gewarnt wurde, auf dem Landweg zu reisen, und es beinahe voraussehbar war, dass sie San Vincente, welches mitten im Zentrum der gerade von den Militärs wieder eroberten Guerillazone liegt, nicht erreichen würde. Die Guerilla versucht nun, sie als Druckmittel gegenüber der kolumbianischen Regierung zu benutzen. Ihr Wahlkampf wird derzeit von ihrem zweiten Ehemann und ihrer Mutter weitergeführt.

Betancourt, Ingrid: Die Wut in meinem Herzen. List Verlag: München 2001, 256 Seiten, 19 Euro

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