Antiterrorkrieg im Hinterhof
Die US-Militärpolitik in Lateinamerika nach dem 11. September 2001
Nur wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York beklagte ein Pentagon-Funktionär das Fehlen geeigneter Ziele in Afghanistan. Als Ersatz schlug er US-Militärangriffe in Südamerika oder Südostasien vor. Seine Begründung: Mit einem Angriff auf Ziele außerhalb des Mittleren Ostens könnten während einer Anfangsoffensive Terroristen unvorbereitet getroffen werden, während sie einen Angriff in Afghanistan erwarteten. Das Magazin Newsweek zitierte diese Aussagen im August diesen Jahres aus einem kürzlich erschienenen Bericht der Untersuchungskommission des US-Kongresses zum 11. September 2001. Der Autor des Berichts, US-Verteidigungssekretär Douglas Feith, berichtet darin von einer Geheimdiensteinheit des Pentagons, die sich für einen Angriff auf Terroristen in Südamerika stark machte, beispielsweise auf Zentren der Hisbollah in der entlegenen Grenzregion von Paraguay, Argentinien und Brasilien. Die argentinische Zeitung Página 12 bestätigte ebenfalls im August diesen Jahres Gespräche zwischen der CIA und dem argentinischen Geheimdienst SIDE, in denen eine Woche nach den Anschlägen auf das World Trade Center geklärt wurde, dass terroristische Aktivitäten in der sogenannten Triple-Frontera-Zone schon lange nicht mehr aktuell, und die ehemals dort mit Spendensammlungen betrauten Islamisten nach Chile oder Brasilien verzogen seien. Entsprechend sieht Dieter Drüssel in der Schweizer Zeitschrift Correos de las Américas handfeste Interessen der USA in der Grenzregion, in der sich das größte Trinkwasserreservoir auf dem Kontinent, wenn nicht sogar weltweit, befindet. Für Drüssel ist die Bekämpfung des Terrorismus nur ein Vorwand für die zunehmende Militarisierung der Region.
Weniger Transparenz, mehr Militärhilfe
Mit der Frage nach den Auswirkungen des 11. September auf die Lateinamerikapolitik der USA beschäftigen sich auch die US-amerikanischen Organisationen Latin America Working Group Education Fund, das Center for International Policy und das Washington Office on Latin America. In einem gemeinsam herausgegeben Bericht vom August 2003 weisen sie auf die Schwierigkeiten hin, nach dem 11. September 2001 überhaupt noch an Zahlen über die US-Militärstrategie für Lateinamerika heranzukommen, weil die Bush-Regierung verstärkt vom Kongress veröffentlichte Daten über Militärprogramme zurückhält. Die Organisationen vermuten, dass damit die Transparenz von riskanten und kontrovers diskutierten Aktivitäten der US-Regierung im Ausland reduziert werden soll.
Das Center for International Policy in Washington veröffentlichte überdies im Februar 2004 eine Studie, in der es die beantragten Finanzierungshilfen der Bush-Regierung für Lateinamerika für das Jahr 2005 analysiert. Demnach sind die US-Militärhilfen für lateinamerikanische Länder von 826 Millionen US-Dollar im Jahre 2003 auf 889 Millionen US-Dollar im Jahr 2004 gestiegen. Im gleichen Zeitraum fielen die Wirtschaftshilfen von 937 Millionen auf 921 Millionen US-Dollar. Damit sind die Ausgaben für Wirtschafts- und Militärhilfen zum ersten Mal seit 2001 wieder fast deckungsgleich. Spitzenreiter auf der Empfängerliste für US-Militär- und Polizeihilfen ist mit großem Abstand Kolumbien, das im Jahr 2004 546,6 Millionen US-Dollar erhielt. Es folgen Peru, Bolivien, Mexiko und Ecuador, bei denen sich die Militärhilfe in einem Rahmen zwischen 75 und 45 Millionen US-Dollar bewegt.
Die beantragten Gelder sollen einerseits „traditionellen“ Trainingsprogrammen wie dem 1976 gegründeten International Military Education and Training (IMET) zugute kommen. Die ständig steigenden Zuwendungen für IMET in den vergangenen Jahren wurden mit einem gestiegenen Interesse der US-Politik an militärischen Allianzen und Koalitionen der Willigen für den Kampf gegen den Terrorismus begründet. Andererseits zielen die Finanzhilfen auch auf den Aufbau neuer Militär- und Polizeieinheiten. Das Budget von 2005 des State Departments beinhaltet beispielsweise unter der Rubrik „ausländische Operationen“ die Ausrüstung und Ausbildung von Boliviens neuer Antiterroreinheit. Weiterhin sind ausgemusterte Boote, Fahrzeuge und Helikopter der US-Streitkräfte für die neu zu schaffende, kombinierte Militär-Polizei-Einheit in Honduras oder neue Trainings- und Logistikcenter für Peru und Kolumbien vorgesehen. Kolumbien führt weltweit die Liste der Empfängerländer für US-amerikanisches Militärtraining an. 6477 kolumbianische Soldaten erhielten allein 2002 eine von der USA finanzierte Militärschulung im eigenen Land. Insgesamt trainiert die USA in keiner anderen Region der Welt so viele Soldaten wie in Lateinamerika. Hinzu kommen lateinamerikanische Militärs, die in der ehemaligen School of the Americas ihre Ausbildung erhalten. Auch staatliche Polizeieinheiten Lateinamerikas kommen in den Genuss eines US-Militärtrainings. Beispiele dafür sind Länder wie Panama oder Costa Rica, die über keine eigene Armee verfügen.
Unbekannte Terrororganisationen
Bemerkenswert an den für 2004 und 2005 beantragten Geldern ist, dass das Wort ´Terrorismus´ in der Begründung der Anträge auf US-Finanzierungshilfen für Militär und Polizei der einzelnen Länder auffällig häufig vorkommt. Und das obwohl die offizielle Liste ausländischer Terrororganisationen nur die kolumbianischen Guerillagruppen FARC und ELN, die dortigen Paramilitärs und den Leuchtenden Pfad aus Peru enthält. Das US-amerikanische Engagement wird tatsächlich aber nicht nur in diesen beiden Staaten, sondern auch in Argentinien, Bolivien, Brasilien, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Nicaragua, den Ostkaribischen Staaten, Panama, Paraguay, Surinam, Trinidad und Tobago, Venezuela sowie auf den Bahamas mit der Notwendigkeit des Antiterrorkampfes in Verbindung gebracht.
In einem Bericht des US-Außenministeriums heißt es zum Beispiel, dass Argentinien die Wichtigkeit der Zusammenarbeit gegen den Terrorismus verstanden habe und argentinische Militärs auf Einladung zu einer Antiterrorausbildung in die USA reisten. Im Falle Boliviens wird es als notwendig erachtet, die Kooperation mit der dortigen Armee, der Polizei, den Migrationsbehörden, Finanzinstitutionen und anderen Organisationen auszubauen, um sicherzustellen, dass sich das Land nicht zu einer aktiven Transitstelle für den Internationalen Terrorismus entwickelt. Die langen, nur spärlich bewohnten Grenzen Boliviens müssten besser bewacht werden, heißt es. Beachtenswert ist auch die Einschätzung, die vorrangigen US-Interessen in Paraguay bestünden in der Konsolidierung und Kräftigung der Demokratie sowie im Ausbau der liberalen Märkte zusammen mit einer Antikorruptions- und Antiterrorstrategie. Um welche Terrororganisationen es dabei konkret gehen soll, verrät der Bericht weder im Falle Paraguays noch einem der anderen Länder.
Die mexikanische Tageszeitung La Jornada veröffentlichte bereits im Dezember 2000 auszugsweise den CIA-Bericht Globale Tendenzen 2015. Darin sieht die CIA eine neue Bedrohung für Lateinamerika: die indigenen Widerstandsbewegungen. Es wird festgestellt, dass diese einen großen Zuwachs verzeichnen und durch transnationale Netzwerke von AktivistInnen und von internationalen, teilweise sogar finanzstarken Menschenrechts- und Ökologiegruppen unterstützt werden. Thomas P. Barnett, der gegenwärtig einflussreichste Vordenker US-amerikanischer Militärplanung, liefert in seinem Buch The Pentagon´s New Map eine Antwort auf die Frage, welchen US-amerikanischen Strategien (indigene) Widerstandsgruppen und globalisierungskritische soziale Bewegungen des Südens entgegen stehen könnten: Sollte sich ein Land gegen die Globalisierung stemmen, ist ihm zufolge die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen entsenden werden. Wenn sich aber umgekehrt ein Land der Globalisierung unterordnet, dann sieht Barnett in der Regel keine Veranlassung, US-Truppen zu schicken, um für Ordnung zu sorgen oder eine Bedrohung zu beseitigen.
Die „neue Bedrohung“
Gemäß Barnetts Zweiteilung der Welt gibt es einen „funktionierenden Kern“ von angepassten Ländern sowie eine „nicht-integrierte Lücke“, in der die Wahrscheinlichkeit für eine militärische Intervention der USA besonders hoch ist. In Lateinamerika besteht diese aus einem Gürtel von der Karibik über Zentralamerika und die Andenkette (Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien) bis nach Paraguay. Nicht zufällig sind in Ecuador und vor Venezuela zwei der drei Militärbasen, so genannte Forward Operation Locations (FOL), für das US-Militärkommando für Südamerika installiert. Nach dem Abzug aus Panama 1999 führten US-Militärs die ersten Verhandlungen zur Nutzung bereits existierender Luftwaffenstützpunkte in Lateinamerika für den Einsatz beim Antidrogenkampf. Die drei FOLs, Comalapa in El Salvador, Curaçao und Aruba in der Karibik und Manta in Ecuador, ziehen sich wie eine Kette rund um das Amazonasbecken und seinen noch auszubeutenden Erdölreserven. Die Militärbasis Manta, auch „Auge und Ohr“ des Plan Colombia genannt, spielt eine besondere Rolle für den Kampf der USA gegen die neuerdings als „Narcoterroristen“ bezeichneten linken Guerilla-Gruppen Kolumbiens. Diese wurde für 80 Millionen US-Dollar zu einem der modernsten High-Tech-Landeplätze Südamerikas ausgebaut. Dass es dabei nur vordergründig um einen Antidrogenkampf geht, geben selbst ranghohe ecuadorianische Militärs wie Major Jorge Brito zu.
Kerry auf der rechten Überholspur
Ebenso wie der ehemalige Professor für Strategie und Taktik an der US-amerikanischen Militärschule School of the Americas rechnet auch General Vargas Pazzos, früherer Oberbefehlshaber der ecuadorianischen Streitkräfte, bei einer Eskalatation des Konflikts in Kolumbien mit einem militärischen Eingreifen der USA. Um die Legitimation einer solchen Intervention provisorisch abzusichern, begannen die US-Strategen in den Monaten nach dem 11. September die bewaffneten Gruppen Kolumbiens als internationale Terrororganisationen mit globaler Reichweite, entsprechend der Al Kaida, zu bezeichnen. Ein hoher US-Beamter gab der spanischsprachigen Zeitung El Nuevo Herald wenige Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center die Auskunft, die FARC handele wie internationale Terrororganisationen. Sie sei wie Al Kaida in kleinen Zellen organisiert, die untereinander keinen Kontakt hätten und einem zentralen Kommando unterstünden, um Angriffe zu organisieren. In der aktuellen Lateinamerikapolitik der USA wird einerseits der Zusammenhang von neoliberaler Wirtschaftspolitik und US-Militärhilfen, anderseits ein Zusammentreffen vom „Krieg gegen Drogen“ mit dem „Krieg gegen Terror“ deutlich.
Auch von einem neuen US-Präsidenten Kerry ist keine strategische Änderung der militärlastigen Lateinamerikapolitik zu erwarten. Im Gegenteil: Kerry kritisierte in einer Erklärung am 19. März diesen Jahres die Regierung Bush, nicht energisch genug die „demokratische Opposition“ in Venezuela unterstützt zu haben. Die Passivität der Bush-Administration bei der Förderung der rechten Opposition ist für Kerry ein zweifelhaftes Signal für die Unterstützung undemokratischer Prozesse in der eigenen Hemisphäre. Auch das völkerrechtswidrige Embargo gegen Kuba soll weitergeführt werden. Kerry droht mit seiner Lateinamerikapolitik die amtierende neokonservative Regierung rechts zu überholen. Sein Top-Berater für „Nationale Sicherheit“ und tatkräftiger Wahlkampfunterstützer ist kein geringerer als Rand Beers. Bevor dieser seinen Job als Berater von Präsident Bush im Antiterrorkampf kündigte, war er schon in der Clinton-Ära einer der Chef-Architekten für die harte US-Politik in Lateinamerika. So verwundert es kaum, gerade von ihm zu hören, dass auch Guerrilleras und Guerilleros der kolumbianischen FARC in afghanischen Al Kaida-Lagern ausgebildet worden sein sollen.
Mehr Infos bei: www.imi-online.de
(Infostelle Militarisierung Tübingen)