Berlin – Buenos Aires. Hin und Zurück in 60 Jahren
Mit der Rückkehr von Werner Finkelstein nach Berlin geht ein Stück der Geschichte jüdischer Flucht vor den Nazis nach Argentinien zu Ende
Nach über 60 Jahren Exil in Argentinien ist der deutsch-jüdische Zeitungsredakteur Werner Finkelstein aus Buenos Aires nach Berlin zurückgekehrt.
Seine Flucht vor den Nazis und seinen Weg nach Argentinien, begann er als 14-jähriger, als ihn seine Mutter 1939 nach Schweden schickte. Werner Finkelstein selbst beschreibt seine Odyssee nach Argentinien eher wie ein Abenteuer denn als Flucht. „Als Kind bekommt man die Sachen nicht so mit, die man im Alter dann erzählen soll“, sagte er einmal.
Von Schweden ging es dann mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch Asien, bis nach Japan. Dort wurde er als Deutscher mit „Heil Hitler“ begrüßt. Das „J“ für Jude in seinem Pass verstand man in Japan nicht. Werner Finkelstein kaufte und verkaufte Kleider, um seine Weiterfahrt zu finanzieren. Auf einem Frachter reiste er über den Pazifik, Kurs: Honululu, San Francisco, Mexiko, Santiago de Chile. Mit der Bahn weiter nach La Paz. Er lebte sieben Jahre in Bolivien und verdiente sich dort seinen Lebensunterhalt als Inspektor in einer Mine auf dem Altiplano und als Krokodilsjäger im Urwald. 1948 kam er nach Buenos Aires und arbeitete zunächst als Journalist beim Argentinischen Tagesblatt, der größten deutschsprachigen Zeitung Argentiniens. Später wurde er Herausgeber und Chefredakteur der jüdischen Zeitung Semanario Israelita, das Lebenswerk von Werner Finkelstein.
Semanario Israelita, sein Lebenswerk
Die LeserInnen der Zeitung waren deutschsprachige Juden, die der Vernichtung durch die Nazis entkommen und auf ihrer Flucht nach Argentinien gekommen sind. Finkelstein versuchte als liberaler Jude, den verschiedenen Gruppen von deutschsprachigen jüdischen Einwanderern mit dieser Zeitung ein Gemeinschaftsgefühl und eine positive Identität im Exil zu geben. Deshalb erschien das Semanario Israelita in deutscher Sprache, der verbindenden Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Gruppen von deutsch-jüdischen EinwandererInnen.
Er versuchte, ein Bild von dem neuen Deutschland nach den Nazis zu vermitteln und eine positive Identifikation für die eigene deutsche Identität der LeserInnen zu stiften. In diesem Bild kam die DDR mit ihrer antiisraelischen Haltung nicht vor. Deutschland war für das Semanario Israelita die BRD. Die Zeitung berichtete von den verlassenen Heimatorten in Deutschland und ihrer gegenwärtigen Entwicklung. Die politische Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel war zudem ein vorrangiges Thema.
Ein zweites wichtiges Thema war die Entwicklung des Staates Israel selbst und die politischen und militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten.
Israel blieb für die im argentinischen Exil lebenden Juden ein weiterer Identifikationskern. Mit der Erinnerung an die Shoa, dem Völkermord an den Juden durch die Nazis, bildete der Staat Israel ein sicheres Refugium bei einer erneut drohenden Vertreibung. Deshalb empfanden die geflohenen deutschen Juden eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Staat Israel. Kritik an der Politik Israels wird im Semanario Israelito nur zurückhaltend geäußert.
Die Zeitung konzentrierte sich auf jüdische Themen, die jüdische Religion und Kultur und berichtete über Juden im öffentlichen Leben in aller Welt.
Zur argentinischen Tagespolitik wurde im Semanario kaum berichtet. Während der Militärdiktatur berichtete Finklestein höchstens einmal über die Gräueltaten eines Diktators in Afrika, und hoffte auf seine Leser, dass sie eine Verbindung zwischen den politischen Verhältnissen in Argentinien und in Uganda ziehen würden. „Bloß nicht auffallen, damit man nicht einen Kopf kürzer gemacht wird.“ So beschreibt er das Klima während der Militärdiktatur in Argentinien.
In den Neunziger Jahren nahm die Leserschaft des Semanario Isralelita immer mehr ab. Die Flüchtlinge der ersten Generation wurden zunehemend älter und starben. Die zweite und dritte Generation hatte kein Interesse an der Zeitung. Die Kinder und Enkel der jüdischen Flüchtlinge sprechen auch kein Deutsch mehr. Deshalb entschloss Werner Finkelstein sich dann im Jahr 1999 dazu, die Zeitung einzustellen, anstatt durch permanenten Leserschwund langsam dahinzusiechen.
Nach 60 Jahren Exil kommt Werner Finkelstein nach Berlin zurück und ist hier wieder als Journalist tätig, bei der Zeitung des Jüdischen Museums.