Brasil mulher
“Die radikale Veränderung des Geschlechterverhältnisses ist und bleibt zentral”
Das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Buch “brasil mulher – Kurze Geschichte des Feminismus” beeindruckt durch seine klare und lebendige Analyse der brasilianischen Frauenbewegung. Die Autorin, Maria Amélia Teles, ist selbst seit fast 30 Jahren in der Gewerkschafts-, Basis- und feministischen Bewegung in Sao Paulo (Brasilien) politisch aktiv. Sie ist keine Beobachterin, sondern Mitgestalterin der feministischen Bewegung in diesem Land.
Ihr Anliegen ist es Frauen, als Protagonistinnen der gesellschaftlichen Prozesse sichtbar zu machen, sie als Handelnde in der Geschichte aufzuspüren und ihre Beteiligung an politischen Entwicklungen zu benennen.
Ihre Spurensuche beginnt in der Kolonialzeit. Indianische, schwarze und weiße Frauen wurden auf unterschiedliche Weise durch die Kolonisatoren und durch die männliche Bevölkerung ausgebeutet. Dagegen leisteten die Frauen in verschiedensten Formen Widerstand: “Die schwarzen Frauen mit kollektiven Aktionen, die weißen Frauen fast immer individuell.”
Die Entwicklung des 19.Jahrhunderts war gekennzeichnet durch die Erlangung der Unabhängigkeit Brasiliens und den sich durchsetzenden kapitalistischen Stukturen. Erste feministische und republikanische Vorstellungen bestimmten das geistige Klima. In dieser Zeit entstand die erste feministische Presse, die zu einem wichtigen Sprachrohr für Frauenfragen und internationale Frauensolidarität wurde. Heute hat sie ihre Bedeutung als Quelle von Frauen geschriebener Geschichte.
Anfang dieses Jahrhunderts, im Zeitalter der industriellen Revolution, traten vor allem zwei Frauenbewegungen für die Gleichberechtigung ein. Die Suffragetten forderten das Frauenwahlrecht, die Weberinnen und Näherinnen höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten.
Die Aufbruchstimmung der demokratischen und progressiven Kräfte wurde durch den Militärputsch 1964 jäh gestoppt. Gewalt und Terror regierten den Alltag. Frauen setzten sich für ihre Verwandten ein, die als politische Gefangene im Gefängnis saßen, beteiligten sich an verbotenen politischen Aktivitäten oder direkt am bewaffneten Kampf. Dies veränderte jedoch nicht die frauenfeindliche Haltung der Linken. “Die Guerrilla erlaubte es den Frauen zwar, in einem außergewöhnlichen Moment ihren Mut und ihre Fähigkeit zum Kampf unter Beweis zu stellen. Doch gleichzeitig wurden sie innerhalb der bewaffneten Organisationen diskriminiert, was allerdings dazu führte, daß sie sich als Frauen entdeckten.”
Das von der UNO 1975 erklärte ‘Internationale Jahr der Frau’ bot erneut Anlaß und Möglichkeit, feministische Vorstellungen und Aktionen in die Öffentlichkeit zu tragen. Es entstanden neue Frauenzeitungen, Frauen suchten Austausch im ganzen Land. Der 8.März wurde zum Frauenkampftag. Die feministische Bewegung gewann an Popularität durch gemeinsame Forderungen vieler Frauenbündnisse z.B. nach Kinderkrippen, gegen sexuelle Gewalt, für ein freies Ausleben von Sexualität etc. An der Frage nach politischer Autonomie spaltete sich die Frauenbewegung in autonome Frauen und Parteifrauen.
Um politisch handlungsfähig zu bleiben, stellt Maria Amélia heraus, ist es weiterhin wichtig, sich in der Arbeit aufeinander zu beziehen: “Die Autonomie der Bewegung ist eine historische Notwendigkeit für den Befreiungskampf der Frauen. Aber an der Bewegung sollten sowohl autonome wie Parteifrauen teilnehmen.”
Auf dem Hintergrund ihrer eigenen politischen Erfahrungen und Entwicklung bestimmt Amélia Teles ihr Verständnis von feministischer Politik und ihr Verhältnis zur Linken in Brasilien. Sie beansprucht politische Autonomie der Frauenbewegung aber gleichzeitig die Offenheit, mit Gruppen der Linken und der Basisbewegung Bündnisse einzugehen. “Der Kampf um Frauenbefreiung sollte niemals in unserer Geschichte von der Suche nach allgemeinen gesellschaftlichen Lösungen abgekoppelt werden.”
Besonders lesenswert wird dieses Buch auch dadurch, daß in der Auseinandersetzung um das Verhältnis der feministischen Bewegung zu der Linken in Brasilien gewisse Parallelen mit der hiesigen gezogen werden können. Mich selbst hat am meisten fasziniert, daß in ihren Gedanken nichts von Bitterkeit zu spüren ist, sondern eine leidenschaftliche Entschlossenheit, eine grundlegende Gesellschaftsveränderung weiter voranzutreiben.
“brasil mulher – Kurze Geschichte des Feminismus in Brasilien” von Maria Amélia Teles. FDCL-Verlag/Verlag Libertäre Assoziation