Kolumbien | Nummer 385/386 - Juli/August 2006

Bürgerkrieg ist gut fürs Geschäft

Transnationale Konzerne profitieren von Menschenrechtsverletzungen

Seit Jahrzehnten ist Kolumbien Schauplatz einer der weltweit blutigsten politischen Auseinandersetzungen und steht an der Spitze internationaler Gewaltstatistiken. Doch es gibt auch Akteure, die sich in dem schier endlosen Kreislauf der Gewalt gut eingerichtet haben: transnationale Konzerne. Wie sehr sie von der Gewalt profitieren und selbst für die Gewalt verantwortlich sind, untersucht die kolumbianische Sektion des „Permanenten Tribunals der Völker”. Unternehmen wie Coca-Cola, Nestlé und Chiquita werden massiver Menschenrechtsverletzungen bezichtigt.

Jörn Hagenloch

In Kolumbien bleiben 97 Prozent aller Menschenrechtsverletzungen straflos. Weil staatliche Institutionen versagen oder untätig bleiben, soll das „Permanente Tribunal der Völker“ als moralische Instanz zu Gerechtigkeit verhelfen. Das Tribunal wurde 1979 in Bologna gegründet und hat sich seither in zahlreichen Ländern zur Aufarbeitung staatlicher Gewalt eingesetzt. In Kolumbien ermittelt nun ein Gremium aus MenschenrechtsexpertInnen, StrafrechtlerInnen und indigenen VertreterInnen in welcher Weise transnationale Konzerne in gravierende Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. Bis Juli 2008 soll das Tribunal zu einem Urteil kommen.

Morde an GewerkschafterInnen

In einer ersten Anhörung wurde Anfang April dieses Jahres zunächst die Nahrungsmittelindustrie untersucht, exemplarisch entlang der drei Konzerne Coca-Cola, Nestlé und Chiquita. Die Vorwürfe reichen von der Ermordung von Gewerkschaftern über die systematische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und den kalkulierten Bruch des Arbeitsrechts bis zur Unterstützung paramilitärischer Gruppen mit Waffen.
Der Bilanz von Coca-Cola Kolumbien sieht man es nicht an, dass rings im Land ein brutaler Krieg tobt. Das Tribunal legte dazu erstaunliche Zahlen vor: Zwischen 1990 und 2001 konnte das Vermögen verachtfacht und der Umsatz um das 26-fache vermehrt werden. Allein in den 90er Jahren stieg die Rentabilität jährlich um 80 Prozent.
In der gleichen Zeit wurden mehrere gewerkschaftlich organisierte MitarbeiterInnen ermordet. Mitglieder der Nahrungsmittelgewerkschaft Sinaltrainal und ihre Angehörigen sind bis heute das Ziel paramilitärischer Gewalt. Sie stehen auf den Todeslisten der Paramilitärs ganz oben: 80 Prozent aller weltweit verübten Morde an GewerkschafterInnen werden in Kolumbien begangen, insgesamt waren es in den vergangenen 18 Jahren 4.000 gewerkschaftlich engagierte ArbeiterInnen, die von Paramilitärs oder Armeeangehörigen ermordet wurden.
Die Gewalt gegen GewerkschafterInnen ist bekannt, doch Coca-Cola setzt sich in keiner Weise für seine MitarbeiterInnen ein. Im Gegenteil, es ist offensichtlich, dass der Konzern unmittelbar von der Gewalt profitiert. Gerade während Tarifverhandlungen häufen sich Morddrohungen und Morde. 1996 wurde der Coca-Cola Gewerkschafter Isidro Gil als Verhandlungsführer ermordet. Vier Tage nach seinem Tod drangen die Paramilitärs erneut in das Werksgelände ein, versammelten alle Sinaltrainal-Mitglieder und zwangen sie zum Gewerkschaftsaustritt. Und was tut der Konzern? Statt sich um Aufklärung und Schutz zu bemühen, überzieht Coca-Cola bis heute Sinaltrainal mit Verleumdungsklagen, Erpressungs- und Kriminalisierungsversuchen.

Transparenz nur als taktisches Verhalten
Tatsächlich hat die Gewerkschaft in den letzten Jahren sehr erfolgreich dafür gekämpft, weltweites Aufsehen für ihre Situation zu erregen. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Turin sah sich der Konzern sogar genötigt, einer unabhängigen Untersuchung über die Umstände des Todes von Isidro Gil zuzustimmen. Doch kaum war die Olympiade beendet, zeigte sich, dass die neue Offenheit und Transparenz von Coca-Cola nicht mehr als ein taktisches Manöver war. Plötzlich wird nicht mehr von einer Untersuchung, sondern nur noch von einem Delegationsbesuch Carepa, dem Tatort der Ermordung gesprochen. Und GewerkschafterInnen sind als Delegationsmitglieder nicht erwünscht, wie ein Mitglied von Sinaltrainal in einer Video-Botschaft für die Coca-Cola Boykott Kampagne berichtet.
Luis Javier Correa Suarez, Präsident der Sinaltrainal und seit über 20 Jahren bei Coca-Cola, konnte dem Tribunal einen Einblick in das Ausmaß der psychischen und physischen Gewalt geben, der GewerkschafterInnen in Kolumbien ausgesetzt sind. Er überlebte zwei Attentate, seine Kinder wurden entführt und seine Mutter und seine Frau wurden zu entführen versucht. Zudem berichtete er von Artikeln an Schwarzen Brettern des Unternehmens, in denen die GewerkschafterInnen Sinaltrainals Guerilleros genannt wurden, da sie die Reform des Arbeitsgesetzes ablehnten. Des Weitern wurde bekannt gegeben, Personen, die Kontakte zu Correa hätten, würden nicht eingestellt. 2003 wurde er vom Geschäftsführer Carlos Gaia angezeigt. Correa wurde vorgeworfen, er habe sich illegal mit anderen Gewerkschaftsmitgliedern zusammengeschlossen, um Straftaten gegen das Unternehmen vorzubereiten.

LeiharbeiterInnen zum halben Tariflohn

Auch Nestlé kann mit den Profiten seiner kolumbianischen Tochter sehr zufrieden sein. Zwischen 1990 und 2005 wurde die Produktivität um fast das Vierfache gesteigert. Während des Tribunals zeigte sich, dass dieser satte Anstieg auch auf das aggressive Betriebsklima und die paramilitärische Gewalt zurückzuführen ist. Dieser kausale Zusammenhang wird besonders deutlich am Beispiel der Verhandlungen eines Gesamtarbeitsvertrages am Standort Cicolac in Valledupar. Diese waren 2002 ohne Ergebnis beendet worden, woraufhin ein Streik beschlossen wurde, welcher jedoch nach massiven Morddrohungen abgebrochen wurde. Dennoch entließ Nestlé daraufhin neun GewerkschaftsvertreterInnen. Dies war jedoch erst der Beginn einer allgemeinen Entlassungswelle. Die ArbeiterInnen wurden gezwungen, der Auflösung ihrer Arbeitsverträge zuzustimmen und durch LeiharbeiterInnen ersetzt. Diese arbeiten zum halben Tariflohn, ohne jegliche soziale Absicherung und gewerkschaftliche Rechte. Zu Beginn der 90er beschäftigte Nestlé noch keine LeiharbeiterInnen, heute sind es fast 900, Tendenz steigend.
Die Ermordungen gehen unterdessen weiter. Jüngstes Opfer ist der Nestlé-Gewerkschafter Luciano Romero. Nachdem er zwischenzeitlich aufgrund massiver Todesdrohungen einige Jahre im spanischen Exil verbracht hatte, wurde er nach seiner Rückkehr am 11. September 2005 entführt, gefoltert und umgebracht.
Der Konzern Chiquita ging vor zwanzig Jahren aus der berüchtigten United Fruit Company hervor. 2004 gab der Konzern zu, eine „terroristische“ Gruppe finanziert zu haben. Die Indizien, die dem Tribunal vorgelegt wurden, machen deutlich, dass es sich um rechtsgerichtete paramilitärische Todesschwadronen handelte. Selbst die Staatsanwaltschaft bestätigte in einer ihrer wenigen Ermittlungen, dass „im Hafen von Carepa 3.000 Gewehre AK 47 und 5 Millionen Patronen des Kalibers 5,62 mm auf nationales Territorium gelangten (…). Entladen wurde das Kriegsmaterial in den Lagerhallen der Panadex S.A.“ Bei der Tochterfirma von Chiquita wurden die Waffen auf Lastwagen verladen und an paramilitärische Verbände geliefert, wie die Staatsanwaltschaft ermittelte.

Sie gehen über Leichen

Im Laufe des Tribunals wurde deutlich erkennbar, dass in Kolumbien Gewinn- und Produktivitätssteigerung nur zum Teil das Ergebnis effizienterer Betriebsabläufe oder der Automatisierung sind. Es ist vor allem das Resultat einer shareholder-orientierten Firmenpolitik, die buchstäblich über Leichen geht. Wo keine Gewerkschaftsarbeit möglich ist sinken die Löhne und entsprechend steigen die Profite. Libardo Sarmiento Anzola, Mitglied des Tribunals und Herausgeber der kolumbianischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, erläutert, die Anstellung von LeiharbeiterInnen und Scheinselbständigen bei Coca-Cola während des letzten Jahrzehnts habe zu einer Reduktion der Lohnkosten um bis zu 60 Prozent geführt. Insgesamt sei das Lohnvolumen um 250 Prozent abgesenkt worden. Die ArbeiterInnen würden gezwungen, aus der Gewerkschaft auszutreten, sehr prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, oder das Unternehmen zu verlassen.
Zudem wirft das Tribunal den Regierungsorganen „absolute Parteilichkeit“ vor. Die Gesetzgebung schränke die Gewerkschaftsfreiheit ein und höhle das Arbeitsrecht aus. Angesichts der bedrückenden Anzahl von Ermordungen, Morddrohungen und gewalttätigen Übergriffen kommt der freundliche Umgang bundesdeutscher RegierungsvertreterInnen mit dem kolumbianischen Präsidenten Uribe einer Verhöhnung der Opfer gleich. Mit keinem Wort ging der damalige Bundeskanzler Schröder beim letzten Besuch Uribes im Februar 2004 in Berlin auf die dramatischen Menschenrechtsverletzungen und die Beteiligung staatlicher Organe am Terror ein. Vielmehr wurde das „freundschaftliche Gespräch“ betont und der Staatsgast bestärkt, seinen fragwürdigen Weg zum Frieden fortzusetzen. Der sieht unter anderem vor, den Paramilitärs Straffreiheit zu gewähren, wenn sie ihre Waffen abgeben. Gerhard Schröder damals: „Wir sehen mit großem Respekt die Anstrengungen, die der Präsident in der Bekämpfung des Terrorismus gemacht hat, und zwar nicht nur (…) mit den Mitteln der Sicherheitspolitik, sondern auch durch Integrationsangebote.“
Offenkundig gibt es in der EU und ihren Mitgliedsstaaten bislang keinen politischen Willen, Kolumbien und die Konzerne zur Aufarbeitung und Bestrafung der Menschenrechtsverletzungen zu drängen. Es bleibt weiterhin den sozialen Bewegungen überlassen, für Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu sorgen. Um den Druck auf die Konzerne zu verstärken, wurde nun auch in Europa ein „Tribunal der Völker gegen die transnationalen Konzerne Europas und gegen ihr Herrschaftssystem in Lateinamerika und der Karibik“ veranstaltet. Die erste Etappe fand im Mai parallel zum EU-Gipfeltreffen mit den Staatschefs aus Südamerika und der Karibik in Wien statt.

Aus der Selbstbeschreibung von Coca-Cola:
Partnerschaftliches Engagement für die Gesellschaft bedeutet für uns, immer und überall ein offenes Ohr für die Menschen und ihre Bedürfnisse zu haben und dabei einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Fragen zu leisten.

Aus den Nestlé-Unternehmensgrundsätzen:
Nestlé stellt sicher, dass in der gesamten Organisation entsprechend den höchsten Standards verantwortungsbewussten Verhaltens gehandelt wird .

Aus der Selbstdarstellung von Chiquita:
Sozial- und Umweltverantwortung wird bei Chiquita groß geschrieben. Alle Aktivitäten des Unternehmens orientieren sich an den vier Grundwerten: Integrität, Respekt, Chancen und Verantwortung.

Eine längere Fassung des Artikels erschien im April auf Telepolis www.heise.de/tp. Für die Videodokumentation des Tribunals siehe tribunal.colombia.kanalb.org

KASTEN:
Ermordete CocaCola GewerkschafterInnen

In Kolumbien werden jedes Jahr um die 100 GewerkschafterInnen ermordet. Dabei spielen Konzerne wie Coca Cola und Nestlé eine wichtige Rolle. Um die Verflechtung zwischen diesen Konzernen, den Paramilitärs und dem kolumbianischen Staat exemplarisch zu zeigen, hat kanalB einen Fall gründlich recherchiert: Isidro Gil wurde am 5. Dezember 1996 in der Coca-Cola Abfüllanlage „Bebidas Y Alimentos de Urabá“ von Paramilitärs erschossen. In der Folge zwangen Paramilitärs die gesamte Belegschaft aus der Gewerkschaft auszutreten. Heute gibt es die Gewerkschaft in der komplett paramilitarisierten Region nicht mehr und die Mörder laufen frei herum.
Der Film rekonstruiert den Fall im Detail und bettet ihn in die jüngere politische Geschichte der Region Urabá im Norden Kolumbiens ein, wo 1995 bis 1998 eine erfolgreiche Linkspartei, alle Sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften buchstäblich ausgerottet wurden und schlägt dann den Bogen zurück nach Deutschland mit der Frage, ob das mit der internationalen Solidarität unter GewerkschafterInnen funktioniert oder nicht.
kanalB ausgabe nr 24, 2004, Team: Bärbel Schönafinger/Bernhard Kratz/Jorge Pavez/Volker Moritz u.a., Sprache: deutsch oder spanisch, Länge: 50 min
Weitere Infos und Filmbestellung unter www.kanalB.org

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