Bukele setzt sich durch
Trotz Betrugsvorwürfen gewinnt Nuevas Ideas absolute Kontrolle über den Kongress
„Nayib! Nayib! Nayib!“ Der Vorname des salvadorianischen Präsidenten schallt durch die Sportarena Gimnasio Nacional in San Salvador. Ein türkisfarbenes Meer von Frauen und Männern hebt die rechte Faust und ruft in drohendem Ton den Namen ihres Idols, Nayib Bukele. Was wie eine Wahlkampfveranstaltung aussieht, ist tatsächlich einer von vielen angespannten Momenten bei der finalen Stimmenauszählung für die Parlamentswahl in El Salvador. Die brüllenden Fanatiker*innen, gekleidet in Westen in den Farben der Partei von Bukele, Nuevas Ideas (Neue Ideen, NI), wurden nach dem Wahlsonntag am 4. Februar von der Partei beauftragt, ihren erwarteten Sieg zu verteidigen. Und das taten sie über die darauffolgenden chaotischen zwei Wochen um jeden Preis.
Allen Umfragen zufolge hätten die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen einen leichten Sieg für Nayib Bukele und NI bedeuten sollen. Seine Popularität ist seit Beginn seiner Amtszeit eine der höchsten unter Politiker*innen des Kontinents, was vor allem auf den vermeintlichen Erfolg seiner repressiven Sicherheitspolitik zurückzuführen ist. Der von NI kontrollierte Kongress hat darüber hinaus illegale Wahlreformen veranlasst, um die Partei zu begünstigen und die Opposition zu entmachten.
Selbstbewusst verkündete Bukele weniger als zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale am Wahlsonntag seinen Erdrutschsieg auf Twitter und rief zu einer großen Feier vor dem Nationalpalast im historischen Zentrum der Hauptstadt auf. Doch während er und seine Anhänger*innen in seiner Rede das „erste demokratische Einparteiensystem der Welt” feierten, herrschte in den Wahllokalen Chaos. Die elektronische Stimmenauszählung fiel zu großen Teilen aus, so dass es um diese Uhrzeit noch keine vorläufigen Ergebnisse gab. Wahlhelfer*innen aus dem ganzen Land berichteten von der Verdopplung einiger Stimmen bei ihrer Eingabe ins System, konstanten technischen Störungen und Internet- und Stromausfällen. In der Nacht wurde beschlossen, dass die Wahlhelfer*innen die Stimmen von Hand auszählen sollten, was in einigen Wahllokalen mehr als zwölf Stunden dauerte.
Als am nächsten Tag 70 Prozent der Stimmen für die Präsidentschaftswahlen und nur fünf Prozent der Stimmen für die Parlamentswahlen registriert worden waren, wurde die Auszählung vom Obersten Wahlgericht für gescheitert erklärt. Die Richter*innen entschieden, dass die verbleibenden 30 Prozent der Stimmen für die Präsidentschaftswahlen sowie alle Stimmen für den Kongress erneut ausgezählt und geprüft werden müssten. Im Laufe der darauffolgenden Woche häuften sich die Berichte über Unregelmäßigkeiten: In privaten Lagern, Schulen und Kasernen wurden vermisste Wahlurnen und -zettel gefunden.
Die Neuauszählung fand im Gimnasio Nacional statt. Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen waren schnell bestätigt: Nach zwei Tagen wurde Bukele mit 83 Prpzent der Stimmen zum Sieger erklärt. Auf dem zweiten Platz, allerdings weit abgeschlagen, landete Manuel „Chino” Flores von der linken Partei FMLN mit etwas mehr als sechs Prozent. Während das Ergebnis vorhersehbar gewesen war, blieb dennoch die genaue Besetzung der künftigen Legislative noch offen.
Am 11. Februar begann die finale Auszählung der Parlamentswahlen, die ebenso chaotisch verlief wie die vorangegangenen Tage. Hunderte Anhänger*innen von Nuevas Ideas – mit und ohne Akkreditierung – stürmten die Sportarena und störten den Auszählungsprozess. Sowohl Mitarbeiter*innen des Wahlgerichts als auch internationale Wahlbeobachter*innen und -helfer*innen der Oppositionsparteien waren dabei konstanten Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Die Presse durfte sich den Auszählungstischen nicht nähern und wurde am Rand der Halle isoliert. Unzählige Meldungen von Unregelmäßigkeiten wurden vom Obersten Wahlgericht ignoriert. In der Praxis handelte es sich außerdem nicht um eine ordentliche Neuauszählung, da das Oberste Wahlgericht beschlossen hatte, dass gültige Stimmzettel, die fälschlicherweise als ungültig gekennzeichnet wurden, oder ungültige Stimmzettel, die als Stimmen für NI gekennzeichnet wurden, nicht erneut berücksichtigt werden konnten.
Die Niederlage einer entmächtigten Opposition
Trotz des offensichtlich korrupten Prozesses wurden die Ergebnisse der Parlamentswahl genau zwei Wochen nach dem Wahlsonntag offiziell verkündet: Nuevas Ideas gewann 54 der 60 Kongresssitze. Die Opposition erhielt nur sechs Sitze, und zwar für die rechtskonservativen Parteien ARENA, VAMOS, PCN und PDC. Die beiden Letztgenannten waren in der vergangenen Legislaturperiode informell mit der Partei von Bukele verbündet gewesen, mit der sie als Koalition agierten. Es ist also zu erwarten, dass nur die drei Abgeordneten der anderen Parteien ein wirkliches Gegengewicht zur Cyan-Fraktion – wie sich die NI-Gesetzgeber*innen selbst nennen – bilden werden. Die FMLN-Partei, demokratische Nachfolgerin der linken Guerrilla, wurde zum ersten Mal seit den Wahlen nach dem Ende des Krieges im Jahr 1994 nicht in den Kongress gewählt. Somit wird die Linke aus der Gesetzgebung für die kommende Legislaturperiode ausscheiden.
Die Verteilung ist Folge der illegalen Wahlreformen, die Nuevas Ideas 2023 durchgesetzt hat. Die geänderte Gesetzgebung zur Verteilung der Sitze begünstigt nun stärkere Parteien und benachteiligt schwächere. Dadurch erlangte die NI 90 Prozent der Sitze, obwohl weniger als ein Drittel der Wähler*innen für sie stimmte.
Nach der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse forderte ein Bündnis von Mitte-Rechts-Oppositionsparteien, darunter ARENA und Vamos, formell die Annullierung der Wahlen. Parallel dazu stellte die FMLN denselben Antrag. Die Präsidentin des Wahlgerichts, Dora Esmeralda Martínez, bekräftigte allerdings noch am selben Tag auf einer Pressekonferenz, dass das Verfahren mit „absoluter Transparenz” durchgeführt worden sei. Das nach dem Bürgerkrieg hart erkämpfte Vertrauen in das Wahlsystem ist weg.