Cachao, Papa Bajo
Adagio des Danzón. Israel López, Cachao, schmiegt sich an seinen Kontrabaß mit der Hingabe und Eleganz der Tanzenden. Erhoben und in gemessenen Schritten bewegt sich das Publikum auf dem Salonparkett oder unter Königspalmen. Zwischen Timbales, Violinen und Flöte streicht Cachao den Baß mit der Vollendung eines kubanischen Philharmonikers. Aber wenn mit Kuhglocke, Klavier und Trommelwirbel der bewegte Teil des Danzón einge
läutet wird, beginnt Cachao die Saiten seines Instruments mit dem Bogen zu schlagen oder zu zupfen. Der Rhythmus wird von Perkussion, Violinenphrasen und Chor betont, mambo, mambo, mambo, doch vom Gesang des Basses geheimnisvoll beherrscht.
Cachao streicht im Sinfonieorchester von Havanna unter der Leitung von Erich Kleiber, und spielt für Tanzgesellschaften. Um die vierziger Jahre entwickelt er mit seinem Bruder Orestes den Mambo, einen schnellen Gang des Danzón. Nach seinen regulären Konzerten trifft er sich mit befreundeten Musikern zu sogenannten descargas oder, wie man sie später in New York nennt, Cuban Jam-Sessions. Cachao liefert den improvisierenden Musikern mit seinem Baß eine rhythmische Grundlage, auf der sie sich frei bewegen können. So entstehen Stücke mit Titeln wie “Zwiesprache”, “Flöten-Überraschung” oder “Streit der Metallbläser”, untermalt von Congas, Timbales, Bongos und dem Geräusch des schrappenden Flaschenkürbis.
Caballeros –
mi montuno es pa’ bailar.
Oye ese cuero, cómo habla…
Déja la paila sonar…
Y ahora – 。vamos a gozar!
Die descargas entstehen mit dem Genuß und der Weisheit von Oriente, nach Art des Son montuno, nach Mitternacht und nach einem üppigen Mahl aus Reis, Huhn, Bohnen und malanga, der Kartoffel aus der Sierra Maestra. Im Havanna der späten fünfziger Jahre bilden diese Sessions in Clubkellern oder anderswo eine spontane Versammlung musikalischer Insider und einen Kontrapunkt zum modischen Cha-Cha-Cha, dem Enkel des Danzón.
Cachao unterlegt den Wirbel der afrokubanischen Perkussion mit der Gewalt und Präzision seiner gezupften Saiten. In New York, spielen Cachao und seine Rhythmusgruppe (wie Machito, Tito Puente und andere Latinos) zusammen mit amerikanischen Jazzmusikern. Es entstehen Anfang der sechziger Jahre, descargas/Jam-Sessions in einer Komposition aus Guajiras, Henry-Mancini-Style (Bongos und Flöten), Boogaloo, Uhuruh, Chunga, sowie Piano und Trompete im feeling des Jazz. Sie sind beherrscht von den Rhythmen aus Oriente. Und von Cachao, der seinen Kontrabaß umklammert wie ein archaischer Reiter sein Pferd aus dunklem Holz und Saiten.
Aber Cachao, groß, vornehm und bescheiden wie sein Instrument, gerät später in Vergessenheit und muß sich mit kleineren Engagements als Hausmusiker über Wasser halten. Erst nach Jahrzehnten, in Miami, wird er wiederentdeckt, rechtzeitig zu seinem 75jährigen Geburtstag. Andy García, Hollywood-Schauspieler kubanischer Abstammung, drehte einen Dokumentarfilm über den Maestro und produziert 1993 eine von Cachao arrangierte CD mit Danzones, Guajiras, descargas und Rumbas, bei der die prominenten Musiker der kubanischen Exilgemeinde mitwirken: Gloria Estefan, Paquito D’Rivera, “Chocolate” Armenteros oder Alfredito Valdés.
Cachao ist nicht weniger als der Vater und Meister des Basses, el bajo más alto, ein ergrauter Dekan der kubanischen Musik. Sein Instrument bildet das Rückgrat von Danzón und Salsa, óyelo, und zugleich deren musikalisches Bindeglied. Cachao ist wohl der einzige Musiker, der heute noch das akustische, warmklingende Instrument aus Holz spielt, mit vornehmer Tradition und unbändiger Vitalität – como su ritmo no hay dos!
Platten:
Cachao y su ritmo caliente. From Havanna to New York. Caney, 1994
Cachao Master Sessions Volume 1. Sony, 1994