Musik | Nummer 247 - Januar 1995

Cachao, Papa Bajo

Roman Rhode

Adagio des Danzón. Israel López, Cachao, schmiegt sich an seinen Kontrabaß mit der Hingabe und Eleganz der Tanzenden. Erhoben und in gemesse­nen Schritten bewegt sich das Publikum auf dem Salon­parkett oder unter Kö­nigspalmen. Zwischen Tim­bales, Violinen und Flöte streicht Cachao den Baß mit der Vollendung eines kubanischen Philharmoni­kers. Aber wenn mit Kuhglocke, Klavier und Trommelwirbel der bewegte Teil des Danzón einge
läutet wird, beginnt Cachao die Saiten seines Instruments mit dem Bogen zu schlagen oder zu zupfen. Der Rhythmus wird von Perkussion, Violinen­phrasen und Chor betont, mambo, mambo, mambo, doch vom Gesang des Basses geheimnisvoll beherrscht.
Cachao streicht im Sinfonieorchester von Ha­vanna unter der Leitung von Erich Kleiber, und spielt für Tanzgesell­schaften. Um die vierziger Jahre entwickelt er mit seinem Bruder Orestes den Mambo, einen schnellen Gang des Danzón. Nach seinen regulären Konzerten trifft er sich mit be­freundeten Musikern zu sogenannten descargas oder, wie man sie später in New York nennt, Cuban Jam-Sessions. Cachao lie­fert den improvisierenden Mu­sikern mit seinem Baß eine rhythmische Grund­lage, auf der sie sich frei bewegen können. So entstehen Stücke mit Titeln wie “Zwiesprache”, “Flöten-Überra­schung” oder “Streit der Metallbläser”, untermalt von Congas, Timbales, Bongos und dem Geräusch des schrappenden Fla­schenkürbis.

Caballeros –
mi montuno es pa’ bailar.
Oye ese cuero, cómo habla…
Déja la paila sonar…
Y ahora – 。vamos a gozar!

Die descargas entstehen mit dem Genuß und der Weisheit von Oriente, nach Art des Son montuno, nach Mitternacht und nach einem üppigen Mahl aus Reis, Huhn, Bohnen und malanga, der Kartoffel aus der Sierra Maestra. Im Havanna der spä­ten fünfziger Jahre bilden diese Ses­sions in Clubkellern oder anderswo eine spon­tane Versammlung musikalischer Insider und einen Kontra­punkt zum modischen Cha-Cha-Cha, dem Enkel des Danzón.
Cachao unterlegt den Wirbel der afroku­ba­nischen Perkussion mit der Gewalt und Präzision sei­ner gezupften Saiten. In New York, spielen Cachao und seine Rhyth­musgruppe (wie Machito, Tito Puente und andere Latinos) zu­sammen mit amerikani­schen Jazzmusikern. Es entstehen Anfang der sechziger Jahre, descargas/Jam-Ses­sions in einer Komposition aus Guajiras, Henry-Mancini-Style (Bongos und Flöten), Boogaloo, Uhuruh, Chunga, sowie Piano und Trompete im feeling des Jazz. Sie sind beherrscht von den Rhyth­men aus Oriente. Und von Cachao, der seinen Kontrabaß um­klammert wie ein archa­ischer Reiter sein Pferd aus dunklem Holz und Saiten.
Aber Cachao, groß, vornehm und be­scheiden wie sein Instrument, gerät später in Vergessenheit und muß sich mit kleine­ren Enga­gements als Hausmusiker über Wasser halten. Erst nach Jahrzehnten, in Mia­mi, wird er wiederent­deckt, rechtzeitig zu seinem 75jährigen Ge­burtstag. Andy García, Hollywood-Schauspieler kubani­scher Abstammung, drehte einen Doku­mentar­film über den Maestro und produ­ziert 1993 eine von Cachao arrangierte CD mit Danzones, Guajiras, des­cargas und Rumbas, bei der die prominenten Mu­siker der kubanischen Exilge­meinde mit­wirken: Gloria Estefan, Paquito D’Rivera, “Chocolate” Armenteros oder Alfredito Valdés.
Cachao ist nicht weniger als der Vater und Meister des Basses, el bajo más alto, ein ergrauter Dekan der kubanischen Musik. Sein Instrument bildet das Rückgrat von Danzón und Salsa, óyelo, und zugleich deren musikalisches Bin­deglied. Cachao ist wohl der einzige Musiker, der heute noch das akustische, warmklingende Instrument aus Holz spielt, mit vornehmer Tradition und unbändiger Vitalität – como su ritmo no hay dos!

Platten:
Cachao y su ritmo caliente. From Havanna to New York. Caney, 1994
Cachao Master Sessions Volume 1. Sony, 1994

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