Castro contra Aznar
Fidel entzieht dem designierten spanischen Botschafter das Plazet
Die Regierung Aznar vom konservativen Partido Popular (PP) tut sich schwer mit der Ausübung der traditionellen Vorreiterrolle Spa-niens in der Beziehung Kuba – europäische Außenpolitik. An den seit 1993 entstandenen joint-venture-Unternehmen auf kuba-nischem Boden, vorwie-gend in der Touristenbranche, ist mehr-heitlich spanisches Kapital beteiligt. Die BewohnerInnen der iberischen Halbinsel machen auch einen Großteil der Urlau-berInnen auf dem Antillen-Ei-land aus, das ehedem von ihnen “entdeckt” wurde. Die Regierung Aznar fühlt sich jedoch sichtlich der etwas weiter nördlich geltendenden Argumentationsweise verpflichtet und unterbreitete in diesem Sinne dem politischen Außenministerkommitee der EU eine Textvorlage, in der zu einer gemeinsam zu verabschiedenden härteren Vorgehensweise gegenüber Kuba aufgefordert wurde. Knackpunkte dieses Textes waren die bereits bei vorangegangenen Gelegenheiten aufs Tapet gebrachten Forderungen nach Demokratisierung, Respektierung der Menschenrechte und wirtschaftlicher Öffnung, und – als Novum – die Aufforderung, die Türen der jeweiligen Botschaften der 15 Mitgliedsstaaten sollten “jederzeit der (kubanischen) Opposition” offenstehen.
Letzteres brachte auf kubanischer Seite das Faß zum Überlaufen und führte dazu, daß Castro am 26. November 1996 dem neu designierten Botschafter der spanischen Regierung, José Coderch, das Diplomatenplazet entzog. Eine Vorgehensweise, die einerseits als Überreaktion, als ein Zeichen wachsender Nervosität Castros gedeutet wird, andererseits aber auch als improvisatorische Geste eines alten Guerillero-Hasen: Angriff und Verteidigung zugleich.
Remis oder schachmatt?
Die Interpretation der EU-Vorlage von kubanischer Seite fiel denkbar leicht, paßt doch alles ins vorgestrickte Schema: Es handele sich um eine “Blaupause” der Empfehlungen des Sonderbeauftragten der US-Regierung, Stuart Eizenstadt, was sonst ? In einer ersten Erklärung, die dem noch amtierenden spanischen Botschafter Edualdo Mirapeix, den Coderch Mitte Dezember hätte ablösen sollen, überbracht wurde, heißt es unmißverständlich, die spanische Regierung habe sich “in die Speerspitze der nordamerikanischen Interessen im Rahmen der EU” verwandelt. Um den aktuellen bilateralen Zustand der beiden Länder ins rechte Licht zu rücken, bezeichnete Castro Aznar als “Pferdchen”, das mit der Karibikinsel wohl eine Schachpartie führen wolle.
Die Begründung Havannas für den Entzug des Diplomatenpasses für Coderch gründet auf drei Argumenten: Die Einmischung in innere Angelegenheiten Kubas, die “grobe Willkür”, eine derartige Eskalation der Spannungen herbeizuführen, und die Verletzung der Normen der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen – so ein Kommuniqué des kubanischen Außenministeriums.
Provokationen spanischer Diplomatie
Coderch selbst, der zum betreffenden Zeitpunkt ja noch gar nicht Amtsinhaber war, ist hier eher als “Zugpferdchen” in einem ohnehin schwelenden Konflikt zu sehen. Dennoch wurde seine Erklärung in einem ABC-Interview, “jede Botschaft habe zwei Türen”, von Kuba als Provokation wie auch Drohung aufgefaßt, erinnerte sie doch an die sogenannte “Botschaftskrise” vom Juli 1990, als sich zahlreiche kubanische Dissidenten in die spanische Botschaft in Havanna flüchteten. In ähnlicher Weise ist die Gründung der “Hispano-Kubanischen Stiftung” in Madrid durch den Hardliner Mas Canosa und PP-Politiker noch nicht verwunden, die Kuba als Akt der offenen Feindseligkeit und als Komplizenschaft der spanischen Regierung mit der “antirevolutionären Mafia” bezeichnete.
Coderch provozierte zudem mit einer Anspielung auf das historische Datum 1898. Damals “verlor” Spanien Kuba im Krieg an die USA, was mittlerweile als koloniale “Unabhängigkeit” gefeiert wird. Coderch äußerte den frommen Wunsch, das 100-jährige Jubiläum in zwei Jahren möge in einem demokratischen Kuba gefeiert werden. Natürlich Wasser für die rhetorische Mühle Castros: Damals wie heute sei man an den Yankee-Imperialismus ausgeliefert worden.
Das kubanische Außenministerium von Roberto Robaina legte indes Wert darauf, das Problem als ein bilaterales darzustellen, und lud alle europäischen BotschafterInnen ausschließlich des spanischen zu einer Erklärung. In dieser betonte Vizeministerin Isabel Allende, die derzeitige Eskalation sei für beide beteiligten Länder kontraproduktiv und nutze allein der “antikubanischen Mafia in Miami”. Es wurde Dialogbereitschaft signalisiert und die indirekte Zusage gemacht, man werde einem neu vorgeschlagenen Botschafter nicht die Anerkennung verweigern – dies habe man schließlich bisher nie getan. An Aznar erging dennoch die Aufforderung, unter dem Vorzeichen der Nicht-Einmischung noch einmal alles zu überdenken. Insgesamt eine kubanische Haltung, die Rückendeckung ausgerechnet von den spanischen Investoren auf Kuba erfährt. Besonders die Hotel branche zeigt sich indigniert: einer von 450 spanischen Unternehmern, der an einer internationalen Handelsmesse in Havanna teilnahm, sprach von einer “unglaublichen Fehleinschätzung eines Marktes”, den die spanischen Unternehmer schließlich geöffnet hätten, hierbei Hürden für andere investitionswillige Staaten aus dem Weg räumend. In der Tat sitzen potentielle Investoren, allen voran Mexiko, in den Startlöchern, sollten sich die kubanisch-spanischen Beziehungen nachhaltig verschlechtern.
Stürmische Liebe
Die jetzige ist nicht die erste Beziehungskrise in besagtem bilateralen Verhältnis. Es gab bereits seit Castros ersten Regierungsjahren teilweise heftige Auseinandersetzungen mit Spaniens damaligem Franco-Regime, zu dem Castro jedoch nie Gegenposition bezog – bis heute nicht. Im Gegenteil: auf die spanische EU-Vorlage vom 16. November folgte drei Tage später der Ausspruch Castros, Franco habe mehr Würde besessen als Aznar, da er dem amerikanischen Druck widerstanden habe.
Das Franco-Regime seines Zeichens stand Anfang der 60er Jahre der neuen kubanischen Führung mit einer Mischung aus Vorsicht und Hoffnung gegenüber. Bald entstand eine ernstere Krise, ausgelöst durch einen Fernsehauftritt in Kuba, bei dem sich der spanische Botschafter Lojendio und Castro gegenseitig mit Verbalinjurien beschuldigten, eine Diktatur aufrechtzuerhalten. Das diplomatische Niveau wurde daraufhin auf Handelsbeziehungen heruntergeschraubt. Zu einem Eklat kam es dann, als Castro die auf der Insel tätigen etwa 700 spanischen Priester vor die Alternative stellte, entweder Zukkerrohr zu schneiden, oder nach Hause zu fahren – die Wahl fiel dann doch eher zugunsten der Heimat aus. Dieser Faux Pas Castros ist wohl mittlerweile durch seine Papstaudienz im November ausgemerzt.
Trotz der Eklats stellte sich das Franco-Regime jedoch nie auf die Seite der USA und ihrer Strategie des Wirtschaftsembargos. 1973 wurden die vollen diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt, und als Franco 1975 starb, ordnete Fidel Castro eine dreitägige Volkstrauer an.
Francos demokratisch gewählter konservativer Nachfolger Suarez war dann auch der erste westliche Staatschef, der 1978 Kuba besuchte. Mit dem sozialistischen Präsidenten González gestalteten sich die Beziehungen später ohnehin unkomplizierter – seit 1993 setzten schließlich die spanischen Direktinvestitionen in Form von joint-ventures in großem Umfang ein.
Spielsüchtige Duz-Freunde
Mit Aznar jedoch herrscht ein anderes Klima – aller Duzerei und der Geste des Krawattentauschs auf dem iberoamerikanischen Gipfel im November in Chile zum Trotz. Hier redete Aznar Tacheles: “Ich habe nichts gegen Kuba, aber ich habe alles gegen Dein Regime”, sagte er zu Castro, und tags drauf: “Wenn Castro eine Schachfigur bewegt, wird auch Spanien eine bewegen”.
Während Castro am 2. Dezember mit Pomp und der nach zehn Jahren ersten Militärparade den 40. Jahrestag der Abfahrt des Revolutionsschiffs Granma beging, verabschiedete die EU zeitgleich die strittige Resolution. Dies jedoch in einer stark abgemilderten Form, die nicht wesentlich von der bisherigen Kuba-Position der Gemeinschaft abweicht.
Die EU-Linie in der Kuba-Politik unterschied sich seit jeher von der US-amerikanischen dahingehend, daß Funktionalismus und Empfehlungen vorherrschen – “sanfter” Druck ohne Anschuldigungen. So wird auch in der jetzt verabschiedeten Resolution die Forderung nach Demokratisierung, Öffnung und der Einhaltung der Menschenrechte lediglich positiv akzentuiert, und ohne Terminangabe – “in dem Maße, wie Reformen auf Kuba voranschreiten” – eine über humanitäre Hilfe hinausgehende wirtschaftliche Hilfe in Aussicht gestellt. Von den ursprünglichen spanischen Forderungen, die – so die Kritik vor allem von schwedischer, belgischer und französischer Seite – fast sklavisch an der US-amerikanischen Rhetorik orientiert waren, ist in dem Dokument nicht mehr die Rede. Anzumerken ist auch, daß die “gemeinsame Position” nicht vom Ministerrat, sondern vom Ausschuß für Wirtschaft und Finanzen verabschiedet wurde, im Vordergrund standen also eher wirtschaftliche als politische Interessen.
Spanien machte schließlich auch nicht von seinem Recht Gebrauch, den Entwurf noch einmal zu diskutieren. Hierin ist wohl eine Reaktion auf die scharfe Kritik aus den eigenen Reihen zu sehen. Denn nicht nur die spanischen Unternehmer, die auf Kuba investieren, zeigten ihr Befremden, auch PP-Mitbegründer Manuel Fraga, der Gouverneur von Galizien, machte sich für eine versöhnliche und de-eskalierende Kuba-Politik stark. Er beklagte, Aznar befände sich auf einem “emotionalen Irrweg”.
Demokratisierung – auf wessen Rücken?
Gerade mit der galizischen Provinz verbinden viele Kubaner “familiäre Bande”, nicht nur die Castros. Dies ist jedoch nicht der alleinige Grund für Fragas Distanz zu Aznars Politik. Fraga, der von 1962 bis 1969 Minister unter Franco war, gehört zu der Generation, die den spanischen Übergang zur Demokratie aktiv und nicht wie die Altersgenossen Aznars als passive Zuschauer mitbekommen haben, von daher ist die Sichtweise eine andere und differenziertere.
Die spanische Zeitung El País kommentierte die Überreaktion Aznars gegenüber dem Castro-Regime als eine Art Kompensation für die eigenen “weißen Seiten” in der politischen Biographie, was Demokratisierungsprozesse angeht. Eine Herangehensweise, für die letztendlich die um Demokratie bemühten KubanerInnen die Zeche zu zahlen hätten. Gerade das Beispiel Spaniens habe gezeigt, wie die Demontage eines diktatorischen Systems vonstatten gehen könne: Ohne eine Invasion von außen, einen bewaffneten Aufstand oder einen Bürgerkrieg, vielmehr durch ausgehandelte Übereinkünfte zwischen reformistischen Kräften des alten autoritären Regimes und der demokratischen Opposition. Unter Ausschluß der militanten Flügel beider Gruppierungen sei damals die Basis für einen politischen Konsens gelegt worden, der tragfähig war, die Konflikte gemäß den Regeln eines Rechtsstaates aufzulösen.
Wie gehabt: David gegen Goliath
Die Reaktion Castros auf Aznars Affront war in gewisser Weise voraussehbar. Bereits die Tatsache, daß es ganze zwei Monate dauerte, bis Coderch das beantragte Diplomaten-Plazet überhaupt bekam, zeugte von einer gestörten politischen Beziehung. Ein gefährlicher Schachzug war dann der Entzug der diplomatischen Anerkennung allemal, da er Spanien durchaus in Konfrontation mit der EU hätte bringen können, die kein Interesse hat, von ihrer nicht US-amerikanischen Position abzurücken. Nun aber bleibt die Krise zwischen Spanien und Kuba vorerst auf bilateraler Ebene.
Außenminister Jorge Matutes deutete bereits unmittelbar nach dem Entzug des Plazets für seinen Untergebenen an, man werde moderat vorgehen, sich Zeit lassen. Bis auf weiteres wird sich die Aufenthaltsdauer des amtierenden Botschafters Mirapeix verlängern, Coderch kann sich um seine Diplomatenschule in Madrid kümmern. Matutes freut sich, daß die EU endlich zu einer einstimmigen Außenpolitik gegenüber Kuba gefunden hat, während sein Amtskollege Robaina betont, einen neu gefundenen Botschafter-Kandidaten werde Kuba wohl anerkennen.
Für Castro ist diese Schachpartie letztendlich alles andere als erfolglos, macht es sich doch immer wieder gut in der Rolle des David, für den ohnehin durch das Helms-Burton- Gesetz mit der Verschärfung des US-Embargos eine große Sympathiewelle in Lateinamerika losgetreten wurde. Dies zeigte sich erst kürzlich auf dem chilenischen Gipfel. Auch innerhalb der spanischen Gesellschaft überwiegt nach Umfragen neueren Datums die Solidarität mit Kuba gegenüber einem Verständnis für Aznars Hardliner-Politik.
Die anticastristische Haltung ist sicher nicht der beste Weg, eine Demokratisierung in Kuba zu beschleunigen. Attacken von außen erwecken Nationalismus und bieten sich an, in autoritärem Sinne ausgeschlachtet zu werden. Touristische und sonstige wirtschaftliche Projekte sind wesentlich besser geeignet, eine Öffnung nach außen zu erzielen, was zwischenzeitlich bis hin zur Papstaudienz von Castro geführt hat. Was auch immer man davon halten mag, so hat auch das Recht auf Religionsausübung zumindest irgendetwas mit Freiheit zu tun.