Musik | Nummer 327/328 - Sept./Okt. 2001

Das Politische ist privat

Ein Interview mit Manu Chao

In den Sommermonaten befand sich der französische Sänger spanischer Eltern auf einer großen Europa-Tournee. Zwischen den Auftritten hatte er schon mal Zeit für das eine oder andere Solikonzert wie zum Beispiel bei den Gegenveranstaltungen zum G-8 Gipfel in Genua Mitte Juli. Im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin sprachen die Lateinamerika Nachrichten mit ihm über Macht, Markt und Musik.

Miriam Lang, Markus Müller

Am Vorabend der ersten Demonstration gegen den G-8 Gipfel in Genua tanzten tausende von ausgelassenen AktivistInnen zu deiner Musik. Unterdessen mussten Polizei und Militär ihrer Pflicht nachgehen und brachten in der Roten Zone die letzten Befestigungen an. Wie war dieser Auftritt für dich?

Es war sehr interessant. Das Konzert wurde innerhalb von ein paar Tagen geplant mit den Leuten vom Genoa Social Forum, von verschiedenen besetzten Häusern in Milano, vom Centro Zapata in Genua und mit Don Gallo. Es hat Spaß gemacht. Und es ist auch einiges Geld für Rechtshilfekosten dabei herausgekommen, das jetzt dringend gebraucht wird.

Ihr habt aber die Bewegung noch auf andere Art unterstützt. In der Clandestino-Bar, direkt am zentralen Treffpunkt für die Protestaktionen gelegen, konnte jeder und jede sich vor anstehenden Demonstrationen und Aktionen kostenlos mit Proviant und Wasserflaschen versorgen. War das deine Idee?

Die Idee stammt von einem Priester namens Don Gallo, einem sehr interessanten alten Mann, der in Genua sehr gute Arbeit macht mit Drogensüchtigen. Die ganzen Leute, die in der Clandestino-Bar gearbeitet haben, waren Leute aus besetzten Häusern oder ehemalige Drogenabhängige.

Viele sehen dich als Symbol oder Sprachrohr der Protestbewegung gegen die neoliberale Globalisierung. Teilst du diese Sichtweise?

Die Einzigen, die behaupten ich sei ein Symbol von was auch immer, sind die Medien. Die Leute selbst sagen das nicht. Ich weise diese Verantwortung zurück. Nicht weil sie besonders schwer zu handhaben ist, sondern weil ich sie nicht will. Ich habe nicht die Verantwortung, das Symbol von irgendetwas zu sein. Die Presse braucht immer Führungsfiguren. Und ich denke, dass es für alles was derzeit passiert sehr wichtig ist, dass es keine Führungsfiguren gibt. Wenn wir mit Führung anfangen, geht das in eine ganz falsche Richtung. Die einzige Führungsfigur, das habe ich in Genua und danach immer wieder betont, ist die Masse der Leute.

Hast du nach Genua noch weitere politische Projekte?

Ich verstehe das Wort “Politik” nicht. Meine politischen Projekte sind meine Privatangelegenheit. Ich habe viele Projekte, und alle Projekte sind politisch. Was bedeutet politisch? Egal wo du arbeitest und was du machst, es steht immer in einem gesellschatlichen Kontext. Du bist immer konfrontiert mit einer sozialen Situation. Entweder du schaust weg, oder du schaust hin, und das tut weh, dann steckst du schon mittendrin.

Clandestino, dein erstes Soloalbum ist vor allem auch ein politisches Album. Der Titelsong beschreibt die Situation von illegalen Einwanderern in Spanien. Betrifft dich dieses Problem auf einer persönlichen Ebene?

Eins meiner Probleme ist, dass ich einen Pass habe. Also kann ich überall auf der Welt hingehen, wo ich will, und schließe dort Freundschaften in den Vierteln, wo ich unterkomme — die Leute dort werden zu meiner Familie. Ich kann überall hin reisen, aber diese Leute nicht. Alle meine Freunde aus Dakkar beispielsweise kann ich besuchen, aber sie mich nicht. In Südamerika ist es dasselbe. Wegen fehlender Papiere, oder einfach weil ein Flugticket zu teuer ist.
Gleichzeitig werden die Gesetze in Europa immer schärfer, um illegale Einwanderer los zu werden. Da wird sehr falsch gespielt. Die Regierungen sagen, sie wollen keine illegale Einwanderung, aber ich denke was sie wirklich wollen sind Menschen ohne Papiere. Sie wollen sie nicht legalisieren, nämlich wenn sie ihnen Papiere geben, müssen sie sie ordentlich bezahlen. Wenn sie Illegalisierte einstellen, können sie sie wie Sklaven benutzen. Die gesamte spanische Landwirtschaft basiert auf der Arbeit von Afrikanern ohne Papiere. In Kalifornien ist es dasselbe. Was sie nicht wollen, ist, dass Leute von außerhalb dasselbe verdienen wie Leute aus Europa.

Entsteht also zwölf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer eine neue Mauer?

Als die Berliner Mauer fiel, war das für viele ein wunderbarer Erfolg. Aber jetzt steht da eine andere, sogar stärker befestigte Mauer rund um Europa. Es ist genau dasselbe. Heute sterben zwischen Ceuta und Gibraltar mehr Leute als in den 30 Jahren an der Berliner Mauer. Die Mauer ist also noch da, nicht am selben Ort, sie trennt nicht Ost und West, sondern Süden und Norden, aber es gibt eine sehr hohe Mauer.

Und wie bist du mit deiner neuen Platte zufrieden? Sie hat sich ja in einem Monat so oft verkauft wie Clandestino in drei Jahren.

Mir gefällt sie, klar, sonst hätte ich sie ja nicht herausgebracht. Aber das Problem, das du ansprichst, ist ja bekannt. Selbst wenn diese Platte der letzte Dreck wäre, würde sie sich wegen der Marktgesetze genau so gut verkaufen. Erst die Nächste würde sich nicht mehr so gut verkaufen.

Und gab es da keinen Druck von Seiten deiner Plattenfirma?

Nein. Ich akzeptiere von niemandem Druck, und heute, wo es mir gut geht, wüsste ich erst recht nicht, warum ich ihn akzeptieren sollte.

Hast du denn eine Strategie, um dich dem Druck des Marktes zu widersetzen?

Nein. Ich versuche immer im Moment zu improvisieren. Meine einzige Strategie ist, gegen Terminpläne zu kämpfen. Und daran muss sich meine Firma anpassen. Das ist Gesetz. Wenn sie dazu keine Lust haben, finden sie auch eine andere Band. Aber Momentan passen sie sich gerne an.

Warum ist Próxima estación — Esperanza nicht mehr so politisch?

Das war ein bisschen absichtlich. Clandestino ist eher zufällig ein politisches Album geworden. Ich hatte das gar nicht so beabsichtigt, sondern einfach Songs aufgenommen. Politisch wurde das Album dann vor allem in Lateinamerika aufgenommen. Das war auch für mich eine Überraschung.
Bei dem neuen Album war es wichtig für mich, meine Musik von meinen politischen Ideen zu trennen, eben weil ich wusste, dass sie sich gut verkaufen würde. Weil politische Ansichten und Rebellentum ein sehr mächtiges Marketing-Instrument sind. Deshalb will ich die Dinge auseinanderhalten. Wenn die Leute meine Musik kaufen, sollen sie das wegen der Musik tun. Mit meiner Musik Geld zu verdienen bereitet mir keine Probleme, denn das ist mein Beruf. Aber mit politischen Meinungen Geld zu verdienen, ist schon etwas ganz anderes, oder?

Ist es richtig, dass du Geld von der französischen Regierung für eine Afrika-Tournee abgelehnt hast?

Ja. Wir würden gerne in Afrika spielen. Aber dort muss man alles selbst organisieren. Es ist schwierig, dafür in Afrika Geld aufzutreiben, und noch schwieriger ist es, europäisches Geld für eine Afrika-Tournee zu akzeptieren. Denn dieses Geld stinkt. Ich hoffe, dass wir eines Tages nach Afrika gehen werden. Aber ganz sicher nicht in so einem großen Rahmen. Es wird in einem kleinen Rahmen stattfinden, vielleicht zwei Autos und eine kleine Anlage, und wir werden auf den Marktplätzen spielen und Afrika auf diese Weise erspüren.

Ein Radio-Feature über Manu Chao gibt es im Internet unter: www.npla.de/onda

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