El Salvador | Nummer 385/386 - Juli/August 2006

„Der Druck auf die Fabrikarbeiterinnen ist nach wie vor extrem”

nterview mit den Maquila-AktivistInnen Marina Rios und Thomas Krämer

Die Interviewpartnerin Marina Rios arbeitet in El Salvador bei der Frauenrechtsorganisation MAM zu Maquilas. Ihre Organisation berät und unterstützt Näherinnen und setzt sich für die Rechte der Maquila-Arbeiterinnen ein. Thomas Krämer ist der Vertreter der Christlichen Initiative Romero e.V. (CIR) in Mittelamerika. Vor Ort in El Salvador hält er den Kontakt mit Näherinnen aus den Maquilas in Mittelamerika, die für Adidas produzieren, sowie zu den Frauenorganisationen, welche die Maquila-Arbeiterinnen unterstützen.

Christliche Initiative Romero

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in den Weltmarktfabriken von Adidas entwickelt?

Thomas Krämer: Wir haben seit mittlerweile acht Jahren verfolgt, wie sich die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, in denen Adidas in Mittelamerika produzieren lässt, entwickeln. Bisher konnten wir keine bedeutenden Verbesserungen feststellen. In bestimmten Details schon, aber die Hauptprobleme bestehen nach wie vor. Es gibt kein Recht auf Vereinigungsfreiheit, es gibt Löhne, die unterhalb der Armutsgrenze liegen, und der Druck auf die Frauen, die in den Fabriken arbeiten, ist nach wie vor extrem.

Adidas hat einen eigenen Verhaltenskodex, der menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantiert. Warum funktioniert das in der Praxis nicht?

Thomas Krämer: Was wir an Adidas kritisieren ist, dass sie nach wie vor ein Kontrollsystem benutzen, das nicht in der Lage ist, die wirklichen Probleme der Fabriken zu erfassen. Ein konkretes Beispiel: Es werden angekündigte Kontrollbesuche gemacht, die Frauen werden vorher instruiert, was sie den Kontrolleuren antworten sollen. Und so kann nicht erfasst werden, wie es in den Fabriken aussieht. Selbst bei unangekündigten Besuchen, die ab und zu stattfinden, bleibt das Problem, dass die Frauen große Angst haben, die Wahrheit zu sagen. Und solange auswärtige Kontrolleure eingesetzt werden, die kein Vertrauen gegenüber den Beschäftigen aufgebaut haben, wird Adidas nie die Wahrheit darüber erfahren, was in den Fabriken passiert. Und so können auch keinen Verbesserungen stattfinden.

Adidas behauptet, Missstände vor Ort zu überprüfen und gegebenenfalls abzustellen.

Marina Rios: Es gibt keine nachvollziehbare Kontrolle der Arbeitsbedingungen. Dabei gibt es hier Organisationen, die solche unabhängigen Kontrollen der Maquilas durchführen könnten. Aber in der Praxis finden keine unabhängigen Kontrollen statt, auch nicht bei den Maquilas, die für Adidas produzieren. Da muss noch sehr viel geschehen, bis wir sagen können, dass eine der Maquilas ein Modell für dieses Land sein könnte.

Wie könnte Adidas die Arbeitsbedingungen vor Ort wirksam kontrollieren?

Thomas Krämer: Was wir Adidas vorwerfen ist, dass sie mit Organisationen der Zivilgesellschaft nicht genügend zusammenarbeiten, sowohl im Norden in Deutschland, als auch in den Regionen, in denen sie produzieren lassen. Hier in Mittelamerika gibt es zahlreiche Organisationen, die sich darauf spezialisiert haben Fabrikkontrollen durchzuführen, die sich sehr gut auskennen in den örtlichen Verhältnissen, die ein Vertrauen aufgebaut haben zu den Beschäftigten. Und Adidas ist bislang nicht bereit, die Kontrollen über diese Organisationen durchführen zu lassen. Das ist eine Forderung, die wir seit vielen Jahren aufgestellt haben, die bis heute noch nicht erfüllt wurde.

Der salvadorianische Staat garantiert das Recht auf gewerkschaftliche Organisation. Wie ist es möglich, dass in Nähfabriken gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen wird?

Marina Rios: In unserem Land kontrolliert der Staat nicht, ob die Arbeitsbedingungen gesetzeskonform sind. Selbst die Arbeitsverträge der Frauen werden nicht dahingehend überprüft, ob sie gesetzeskonform sind. In diesen Verträgen stehen Dinge wie zwangsweiser Schwangerschaftstest, Abstriche bei der gesetzlich vorgeschriebenen Krankenversicherung und der Rente, die eigentlich allen Arbeiterinnen zusteht. In der Maquila-Industrie gab es noch nie gute Arbeitsbedingungen. In der letzten Zeit hat sich die Lage aber deutlich verschlechtert.

Adidas hat 2005 einen neuen Rekordgewinn vorgelegt.

Marina Rios: Die Arbeiterinnen nicht nur in diesem Land tragen dazu bei, dass die großen internationalen Konzerne ihren Gewinn steigern können. Das ist traurig, wenn man bedenkt, dass die Frauen aus dem Süden jeden Tag all ihre Kraft aufbringen, damit die multinationalen Konzerne ihren Gewinn steigern können. Und die Konzerne verwenden das Geld für Werbung – und nicht für die Grundrechte der Frauen.

Was können KonsumentInnen tun, um die Arbeitsbedingungen der Näherinnen zu verbessern?

Thomas Krämer: Die Konsumenten und Konsumentinnen spielen eine extrem wichtige Rolle in diesem Zusammenhang. Man mag es vielleicht nicht glauben, dass der Einzelne etwas bewegen kann gegenüber einem so großen Konzern. Aber man muss berücksichtigen: Diese Unternehmen leben von ihrem Image. Und wenn die Konsumentinnen und Konsumenten Bedenken haben, dass die Produktion wirklich „sauber“ ist, also die Arbeitsbedingungen kritisch betrachten, dann kratzt das so am Image, dass Adidas sicherlich mehr Anstrengungen unternehmen würde, um die Bedingungen zu verbessern.

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