Literatur | Nummer 394 - April 2007

Der Kopf kann sich nicht senken

Paulo Fonteles verarbeitete Haft und Folter in einem beeindruckenden Gedichtzyklus

Valentin Schönherr

Paulo César Fonteles de Lima (1949-1987) war ein Überlebender der brasilianischen Militärdiktatur. Weil er in den Reihen der linken Untergrundorganisation Ação Popular (Volksaktion) versucht hatte, den Widerstand gegen das Regime zu organisieren, wurde er 1971 verhaftet. Dort hat man ihn auf entsetzlichste Weise gefoltert. Sein Buch legt davon Zeugnis ab.
Den ersten Teil bildet ein Zyklus aus 49 Gedichten, in denen Fonteles so nah wie möglich an das konkrete Erleben heranführen möchte. Er benutzt eine dokumentarische Lyrik, die mit wörtlichen Zitaten der Folterer ebenso arbeitet wie mit harten Benennungen, etwa in „Papageienschaukel“: „Zwei Böcke / Eine Eisenstange. // Man fesselt ihn an den Handgelenken / Und Fußknöcheln / Wie ein Schwein das zum Markt geht.“ Dazwischen finden sich etwas distanziertere, reflektierende Verse, in denen Erinnerungen an die Zeit vor der Haft auftauchen, Beobachtungen über Mitgefangene oder schmerz- und sehnsuchtsvolle Gedanken an seine Frau. Diese war im fünften Monat schwanger, wurde aber ebenfalls inhaftiert und gefoltert . Nur selten ist dagegen von den politischen Rahmenbedingungen die Rede, kaum einmal taucht „der Kampf des Volkes“, tauchen „die Kameraden“ auf.
Dabei waren offenbar gerade diese Rahmenbedingungen für Fonteles entscheidend. Hierüber informiert der zweite Teil des Buches, ein ausgreifender Essay des Übersetzers Steven Uhly – ein Glücksfall für die Publikation. Uhly versteht es hervorragend, den historischen Kontext verständlich und den Autor darin begreifbar zu machen. Nach seinen Angaben ist es Fonteles gelungen, die Folter und Verhöre durchzustehen, ohne jemanden zu verraten. So konnten viele noch entkommen. Und er gab nicht auf, als er aus der Haft entlassen wurde, sondern nahm noch während der Diktatur den Kampf wieder auf. Im Amazonasgebiet unterstützte er Landarbeiter, die sich gegen betrügerische Großgrundbesitzer wehrten. Von deren Schergen wurde er schließlich ermordet – 1987, als die Militärdiktatur bereits praktisch vorbei war.
In den Essay ist ein Bericht über die Hafterlebnisse aufgenommen, den Fonteles 1978 in einer Untergrundzeitschrift veröffentlicht hat. Auch dieser Bericht ist zutiefst beeindruckend. Was aber ist im Vergleich dazu das Spezifische an der lyrischen Form? Sie enthält durch Verknappung und Rhythmisierung bedeutungstragende Elemente, die der fortlaufende Text nicht bieten kann. Durch sprachliche Repetition etwa kann sie die fürchterlichen Methoden der Folter nachbilden („Wir werden deine Mutter nehmen / Wir werden deine Mutter nehmen / deine Mutter / deine Mutter / Wir werden deine Mutter nehmen / deine Mutter / Wir werden deine Mutter nehmen.“).
Dabei bleibt ein großer Rest, der einen Nichtgefolterten von der Erfahrungswelt des Autors trennt. Aller Würde, aller Selbstbeherrschung, allen Schamgefühls beraubt zu sein, von einem anderen Menschen äußerste Schmerzen zugefügt zu bekommen und gezielt an die Grenze des Todes geführt zu werden – das sind und bleiben Worte für den, der es nicht erlebt hat. Allenfalls eine Ahnung davon vermittelt Fonteles. Diese Ahnung aber könnte glaubwürdiger kaum sein.

Paulo César Fonteles de Lima: Wenn der Tod sich nähert, nur ein Atemzug. Gedichte. Port./dt., mit einem Essay vom Übersetzer Steven Uhly. Matthes & Seitz, Berlin 2006, 192 Seiten, 22,80 Euro.


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