Chile | Nummer 236 - Februar 1994

Der kurze Moment der Hoffnung im Fall Soría

Lehrstück über die miesen Tricks der Militärjustiz

1976 wurde in Santiago der Spanier Carmelo Soría ermordet. Er hatte mit diplomatischem Status für die UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) gearbeitet und Kontakte zur chilenischen KP im Untergrund unterhalten. Für den Mord verantwortlich: der chilenische Geheimdienst DINA. Bislang ruhte das Verfahren bei der Militärjustiz, und auch kürzlich erst hatte wiederum eine Kammer des Obersten Gerichtes abgelehnt, den Fall einem Sonderrichter zu übergeben. Am 9. Dezember beschloß das Plenum des Obersten Gerichtes, den Fall nun doch dem Sonderrichter Libedinsky zu übertragen. Das Verfahren könnte endlich aufgerollt werden – eigentlich.

LN

Was zum Zeitpunkt der zweiten Entscheidung – angeblich – niemand wußte: Der Militärrichter hatte flugs das ganze Verfahren eingestellt und eine Amnestie verkündet, ohne, selbstverständlich, irgendeinen der uniformierten Täter zu identifizieren. Damit war, so der Richter Libedinsky, sein Untersuchungsauftrag bereits gegenstandslos, als er erteilt wurde: er war nicht eingesetzt, den Militärrichter zu überprüfen, sondern das Verfahren fortzuführen.
Die Anwälte der Familie Soría werfen Libedinsky vor, er habe rechtliche Spielräume nicht ausgenutzt. Libedinsky nimmt für sich in Anspruch, daß er zu Zeiten der Diktatur mit seinen Entscheidungen mehrfach querlag; den Sprung ins Obersten Gerichts verdankt er tatsächlich der Regierung Aylwin.
In Erinnerung an Brechts Galilei (Unglücklich das Land, das keine Helden hat. – Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig hat.) ist die Frage vielleicht wirklich zweitrangig, ob der Richter Libedinsky feige war oder nicht. Was für ein Land, in dem Gerechtigkeit vom persönlichen Mut eines Richters abhängt…
Zumindest hat er gerichtlich festgeschrieben, daß der angebliche Unglücksfall Sorías ein Mord war und die Täter einer Brigade des Geheimdienstes DINA angehörten. Und er hat erklärt, die Gesetzeslage verhindere die Gerechtigkeit; wer sich daran stoße, solle das Gesetz ändern, aber nicht die Richter schelten.
Eine Entscheidung wie die des Richters Libedinsky ruft ein heftiges, kurzzeitiges und anscheinend folgenloses Medienecho hervor. Auf soviel Aufmerksamkeit hoffen die Gefangenen, denen die Verlegung in den neuen Hochsicherheitstrakt droht, bisher vergeblich. So absurd es klingen mag: Isolationshaft, Trennscheiben gegen Besucher, besondere technische Vorkehrungen gegen Fluchtversuche werden erstmalig vier Jahre nach Beendigung der Diktatur in Chile eingeführt, und da diese barbarische Neuerung demokratisch legitimiert ist, erhebt sich kaum Widerstand.

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