Argentinien | Nummer 333 - März 2002

“Der Peronismus war immer eine Mafia“

Osvaldo Bayer im Gespräch

Jürgen Vogt

Wie stabil ist die peronistische Regierung von Eduardo Duhalde?

Die ist überhaupt nicht stabil. Die haben die zwei Parteien, die radikale und die peronistische, ausgekungelt, weil sie Angst haben, dass eine neue Kraft entsteht. Da die Peronisten im Kongress die Mehrheit haben, haben sie diesen Präsidenten gewählt. Gegen die Verfassung, denn eigentlich kann der Kongress den Präsidenten nur für drei Monate bestimmen, dann muss neu gewählt werden. Aber Duhalde will bis 2003 bleiben. Außerdem hat er die letzten Wahlen verloren, das heißt: er ist kein echter Repräsentant.

Wieso ist ein Militärputsch unwahrscheinlich?

Ein Militärputsch ist nicht möglich. Die Armee hat die Schlacht verloren. Die Bevölkerung würde das nicht akzeptieren. Die Niederlage war so groß, dass sie Angst haben, an die Macht zu kommen, und sie wollen auch nicht. Aber was passieren kann, ist, dass die Generäle der Diktatur, die nach der Amnestie in die Politik gegangen sind und neue Parteien – und zwar rechte Parteien – geschaffen haben, nun Ordnung und Disziplin schaffen wollen. Aus dieser Ecke könnte Gefahr drohen, wenn die Lage in dieser Unordnung weitergeht. Vielleicht ist es auf der nationalen Ebene nicht möglich, aber zum Beispiel hat Ex-General Bussi, einer der schlimmsten Verbrecher der Diktatur, zweimal die Gouverneurswahlen in Tucúman gewonnen. Auch im Chaco hat ein General der Diktatur die Wahlen gewonnen, ebenso in Salta, und einige sind Bürgermeister in bekannten Städten in der Provinz Buenos Aires.

Was verhindert eine starke Partei auf der Linken, wenn rechte Parteien es schaffen, und die beiden herkömmlichen Parteien abgewirtschaftet haben?

Die Linken waren immer ideologisch zerstritten. Die Trotzkisten mit den Kommunisten, mit den Sozialisten usw. Sie sind immer mit eigenen Kandidaten in die Wahlen gegangen und deswegen haben sie nichts gewonnen. Bei den letzten Wahlen im Oktober 2001 hat Luis Zamora, ein Trotzkist, 10 Prozent der Stimmen in der Hauptstadt Buenos Aires gewonnen. Das ist ein großer Erfolg, und man denkt, er kann vielleicht die Einheit der Linken herbeiführen. Aber das kann allenfalls in der Haupstadt und der Provinz Buenos Aires passieren. Im Landesinnern dominieren nach wie vor die Radikalen und die Peronisten. In den Provinzen herrschen die Caudillos, und das sind Peronisten oder Radikale. Da ist die Gesellschaft immer autoritär geblieben. Die Linken sind fast unbekannt. Deswegen sollte man sich keine großen Illusionen machen.

Rund zehn Prozent der Argentinier organisieren sich außerhalb von politischen Parteien. Wie könnte daraus ein politischer Faktor entstehen?

Das ist ein Traum, aber das ist die einzige Möglichkeit. Da sind zum Beispiel die Piqueteros, als eine sehr wichtige Kraft in Argentinein. Das sind Leute ohne Arbeit, die die großen Straßen dichtmachen. Aber es sind Gruppen, die unabhängig voneinander agieren, und es ist sehr schwierig, diese Gruppierungen zu einer großen, zu einer politischen Bewegung zu machen. Beispielsweise die Leute aus La Matanza, diesem großen Distrikt in der Provinz Buenos Aires, sie diskutieren mit den Arbeitern, den Leuten aus den anderen Stadtteilen, die ganz anders sind. Aber wenn sie in die Hauptstadt marschieren, machen sie alles zusammen. Dann existiert die Spontanität der Massen.

Welche Rolle spielt die revolutionäre Linke? Welche Rolle spielen die Caceroleros und ihre Topfschlagkonzerte?

Die Leute, die auf die Straße gehen und diese so genannte Revolution gemacht haben, waren ohne Zweifel von den Piqueteros und den Caceroleros. Die Caceroleros, das ist die Mittelklasse, die aber schon immer reaktonär war. Die sind auf die Straße gegangen, weil sie um ihre kleinen Renten Angst hatten, weil sie Angst hatten, sie würden ihre kleinen Ersparnisse verlieren. Deswegen sind sie zum ersten Mal in der Geschichte Argentiniens auf die Straße gegangen mit den Piqueteros, die etwas ganz anderes wollten. Die wollen Arbeit und ein ganz anderes soziales Regime. Die Argentinier sind nicht links. Seit 1945, seit Perón, haben die Argentinier Angst vor der linken Ideologie. Warum sind sie mit argentinischen Fahnen auf die Straße gegangen? Sie wollten keine rote Fahne. Nicht, weil sie nationalistisch sind, sondern weil wir nur eine Fahne haben und das ist die argentinische, und kommt eine rote Fahne, haben alle Angst. Alles was links ist, wurde verfolgt. Die Diktatur hatte einen absoluten Erfolg, alles was links war, zu eliminieren, und sie hat eine schreckliche Propaganda gegen die Linke gemacht. Diese Angst ist geblieben.

Bei soviel Armut und Elend könnte man erwarten, dass Parteien, die eine Alternative anbieten, Zulauf bekommen?

Das ist ein großes Problem. Wir haben den Peronismus, und der hat die ganze Linke ausgerottet, und dieser Peronismus ist jetzt an der Regierung. Die Peronisten sind die besten Repräsentanten des Kapitalismus. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Gewerkschaften anarchistisch, sozialistisch und kommunistisch und eine sehr große Kraft für die Arbeiter. Als der Peronismus kam, verschwand alles, wurde verboten oder wurde peronistisch. Und heute wissen die Menschen nicht mehr davon. Sie haben ihr ganzes Leben nur vom Peronismus gehört. Und was ist Peronismus? Peronismus ist ‘Viva Perón’. Peronismus ist Gerechtigkeit für die Argentinier, eine große nationale Industrie. Und die Peronisten haben die große nationale Industrie zerstört. Das ist das Schicksal eines jeden Populismus. Er fängt ganz links an, wenn das Land reich ist, wird verteilt. Der Peronismus hat sehr viel verteilt. Argentinien war nach dem zweiten Weltkrieg ein reiches Land. Ich kann mich erinnern, dass die Metallarbeiter plötzlich Hotels an der Atlantikküste hatten. Mit Perón haben wir das Meer gesehen, die Kinder aus dem Landesinnnern in den neuen Hotels, die er für die Gewerkschaften gemacht hatte. Solche Sachen hat er gemacht, aber nicht den Sozialismus. Aber als das Land arm wurde, wurde eine reaktionäre Politik gemacht.

Wenn der Peronismius eine faschistische Bewegung mit einer sozialen Unterfütterung ist, warum hat die Linke, statt diesen Peronismus zu bekämpfen, ihn teilweise unterstützt?

Ich bin im selben Jahr wie der Schriftsteller Rodolfo Walsh geboren, er war Peronist, ich nicht. Wir haben die ganze Geschichte des Peronismus erlebt. Wir waren 18 Jahre alt, als Perón an die Regierung kam, wir haben erlebt, wie die erste Regierung Perón war. Wir haben Eva Perón erlebt. Wir haben mit viel Wut erlebt wie der Peronismus den Francismus unterstützt hat. Eva ging 1948 nach Madrid, als Franco schon am Ende war. Zusammen mit Franco hat sie zu den spanischen Arbeitern gesprochen und hat ihnen gesagt: so wie die argentinischen Arbeiter immer ja sagen zu General Perón, so sollt ihr Arbeiter Spaniens immer tun, was der Generallissimo Franco sagt. Das ist auch der Peronismus, eine Mischung aus Faschismus und Opportunismus. Und als die Militärs 1955 Perón stürzten, wohin ging Perón? Zuerst in das Paraguay von Strössner, dann nach Venezuela von Perez Jimenez, ein Repräsentant der USA, ein Militär und Diktator, dann in die Kanalzone von Pamana, von dort in die Dominikanische Republik von Diktator Trujillio und schließlich nach Franco-Spanien, wo er blieb, bis er nach Argentinien zurückkehrte. Allein schon an dieser Route kann man sehen, welche Ideologie Perón hatte.
Ich kann mich erinnern, wie wir als Studenten gelitten hatten unter der Juventud Peronista, der peronistischen Jugend. Sie war durch und durch faschistisch. Aber diese Studenten, die in den 60er Jahren so gelitten hatten, gingen später zum Peronismus. Ich hatte Rodolfo Walsh gefragt, wie kannst du sowas machen? Oder den Dichter Juan Gelmann, der vom ganz linken Kommunismus zum Peronismus ging. Und die Antwort war: Donde está el pueblo? Wo ist das Volk? Und das Volk war peronistisch, also mussten wir mit dem Volk sein. Aber das Volk war weder sozialistisch noch revolutionär. Und deswegen war es ein großer Irrtum der Montoneros, der linksnationalistischen Stadtguerilla in Argentinien, zu glauben, der Peronismus sei revolutionär und lateinamerikanisch. Wir waren Europäer, die Ideen kamen aus Europa und nicht aus Lateinamerika. Die Montoneros waren eine so genannte nationale Bewegung und hatten sehr wenig mit Lateinamerika zu tun oder mit den Guerillabewegungen Lateinamerikas. Aber die Montoneros sagten immer, dass Perón ein Revolutionär sei. Wir haben viel diskutiert: was hat Perón von einem Revolutionär? Als er 18 Jahre später aus Spanien zurückkam – und dies nur durch den Kampf der Montoneros – und wieder Präsident wurde, verjagte er die Montoneros bei einer großen Kundgebung von der Plaza de Mayo. Sie haben dann weiter gegen die Bürokratie des Peronismus gekämpft. Das waren sehr tragische Zeiten. Viele wurden vom Geheimdienst oder der Polizei ermordet. Die Besten wurden getötet oder verschwanden. Dann triumphierte die Diktatur Videlas und von den Linken und den Guerillabewegungen blieb nichts. Als ich nach acht Jahren Exil 1983 zurückkam, war ich erstaunt. Es war ein absolut anderes Land. Es blieb nichts von der linken Kultur. Ich war ein sehr bekannter Schriftsteller. Mein Buch „Aufstand in Patagonien“ wurde 200.000 mal verkauft, und als ich zurückkam kannte niemand meinen Namen. Die kannten keinen Linken mehr.

Liegen die Wurzeln des Problems nicht auch außerhalb Argentiniens, beispielweise beim Internationalen Währungsfonds?

Ich glaube es ist beides. Die Lösungen, die der IWF vorgibt, sind immer gegen die Nation und gegen die Freiheit gerichtet. Das sind nicht meine Worte. Das sagen die großen Denker der Ersten Welt. Aber es wäre zu einfach, wenn wir Argentinier die Schuld nur auf den IWF schieben würden. Es sind wir, es ist unsere Gesellschaft, die die Demokratie nie respektiert hat. Das hat zu tun mit der ganzen Bürokratie und der Unmoral des Peronismus. Zuerst Perón – dann Menem, der Schlimmste unter den Korrupten. Aber es ist eine nationale Partei, es ist argentinisch, peronistisch zu sein. Und peronistisch zu sein, heißt, korrupt zu sein. Die ganzen Minister von heute sind Mafiatypen. Der Peronismus war immer eine Mafia, auch unter Perón. Dafür kann man dem IWF nicht die Schuld geben.

Pressegespräch im FDCL vom 6. Februar 2002
Zusammenstellung: Jürgen Vogt

KASTEN:
Zur Person

Osvaldo Bayer ist 1927 in Santa Fe, Argentinien, geboren. Er studierte Philosophie und Geschichte in Buenos Aires und an der Universität Hamburg. Bis vor einem Jahr war er ordentlicher Professor für das Fach Menschenrechte an der Philosophischen Fakultät der Universität Buenos Aires. Er ist Autor folgender Bücher: La Patagonia rebelde, (vier Bände), Severino Di Giovanni, el idealista de la violencia, Exilio, (in Zusammenarbeit mit dem Dichter Juan Gelman), Los anarquistas expropiadores y otros ensayos históricos, Rebeldía y esperanza und El camino hacia el paraíso. Bayer ist Drehbuchautor folgender Filme: „La Patagonia rebelde“ (silberner Bär bei der Berlinale 1974). In Argentinien war er Redaktionssekretär der Zeitung Clarín (1958-1973) und Herausgeber der Zeitschrift Imagen. Während der Militärdiktatur Videlas, lebte er von 1976 bis 1983 im Exil in der Bundesrepublik Deutschland. Z. Zt. schreibt er Leitartikel für die argentinische Zeitung Página12. 2001 erschien sein Roman Rainer und Minou, eine Liebestragödie zwischen Berlin und Buenos Aires in den 60er und 70er Jahren.

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