Brasilien | Nummer 239 - Mai 1994

Der Preis der Demokratie oder was kostet ein Abgeordneter

Der Preis der Demokratie oder was kostet ein Abgeordneter

Die Interessen des Volkes als gewählter Abgeordneter zu vertreten ist eine kost­bare Aufgabe – ohne Zweifel. In Brasilien wird dieses Jahr nicht nur der Präsi­dent, sondern auch das nationale Parlament und alle Landesparlamente neu gewählt. Das ruft eine ganze Marketing-Industrie auf den Plan, die bei den Wahlen auf jeden Fall auf der Gewinnerseite steht.

Thomas W. Fatheuer

Nach Angaben einer der größeren Firmen der Branche, Meio e Mensagem, gibt ein Kandidat für das Landesparlament etwa 600.000 bis 800.000 US-Dollar aus. Wer ins Bundesparlament kommen will, muß hingegen 1,5 bis 2 Millionen Dollar hinle­gen. Dies, so sagt die Firma, gelte für eine Kampagne mittlerer Größe.
Natürlich geht es auch billiger, erheblich billiger. KandidatInnen, die populär sind, oder die eine feste Stammwählerschaft haben (in einer Stadt oder einer Gewerk­schaft) kommen mit erheblich weniger aus. Insbesondere die KandidatInnen der Linken können mit den hier angegebenen Summen nicht aufwarten. Ihre Kampa­gnen beruhen auf der “Militanz”, dem eh­renamtlichen Einsatz vieler. Dennoch geht der Bundesabgeordnete der PT (Arbeiterpartei) Paulo Paim davon aus, daß er für seine Wiederwahl etwa 40.000 US-Dollar ausgeben muß. Ivanir Santos, Kandidat der PT in Rio und der Schwar­zenbewegung verbunden, will hingegen mit etwa 15.000 Dollar den Sprung ins Landesparlament schaffen.
Diese Zahlen werden nur auf dem Hinter­grund des brasilianischen Wahlsystems verständlich: JedeR KandidatIn muß – auch bei den linken Parteien – seinen ei­genen Wahlkampf führen. Ist seine Kan­didatur durch die Partei einmal bestätigt, ist er oder sie, abgesehen von einigen zentralen Wahlmaterialien, weitgehend auf sich angewiesen. Denn am Wahltag kreuzen die WählerInnen keine Parteienliste, sondern nur einen Namen an. Die anderen Namen auf der Liste einer Partei sind für die einzelnen KandidatIn­nen also auch Konkurrenten, der Kampf um Stimmen wird auch und gerade im La­ger der PT-WählerInnen geführt. Aber die Konkurrenz ist nicht grenzenlos: Die Stimmen der meistgewählten Abgeordne­ten werden umverteilt. Ein erheblich ver­einfachtes Beispiel: Wenn zu dem Einzug ins Landesparlament 10.000 Stimmen notwendig wären und der/die meistge­wählte KandidatIn einer Partei über 15.000 Stimmen erreicht, könnte auch die Nummer 2 mit 5.000 Stimmen einziehen.

Und wieviel kostet ein Präsident?

Dieses System hat Konsequenzen für die politische Kultur. Zum einen konzentriert sich der Wahlkampf nicht auf Parteien, sondern auf Personen. Dieser hochgradi­gen Personalisierung entkommt auch die PT nicht, die am ehesten den Charakter einer Partei mit Programm aufweist und kein reiner Wahlverein ist. Zum anderen sind die Kampagnen völlig auf Spenden angewiesen, eine Wahlkostenerstattung wie in der BRD gibt es in Brasilien nicht. Als der Bestechungsskandal um Ex-Präsi­dent Collor aufbrach, ging es zunächst hauptsächlich um die illegale Finanzie­rung seiner Kampagne. Nach dem damals gültigen Parteiengesetz durften juristische Personen (also Unternehmen) keine Spen­den geben; die Sache war illegal. Inzwi­schen sind Spenden von Unternehmen legalisiert, maximal 180.000 US-Dollar können sie offiziell ihren KandidatInnen zufließen lassen. Dennoch vermutet Car­los Mendes, als Richter für die Wahlauf­sicht zuständig, daß von den erwarteten fünf Milliarden Dollar, die in die Wahl­kampagnen gehen, mindestens 2 Milliar­den illegal bleiben. Die Gründe liegen auf der Hand: Oft ist das Geld illegal erwor­ben und in vielen Fällen soll die massive Unterstützung eines Kandidaten, etwa durch Baufirmen, nicht ruchbar werden.
Die linken Parteien können ihre finan­zielle Schwäche am ehesten auf lokaler (durch konkrete Arbeit vor Ort) und auf nationaler Ebene ausgleichen. Bei letzte­rer spielt natürlich die Popularität Lulas eine große Rolle, aber auch die Tendenz zur Protestwahl. Während sich Abgeord­nete durch konkrete Versprechungen für einen bestimmten Ort oder eine Siedlung Stimmen angeln, werden an einen Präsi­denten andere Erwartungen gerichtet: Schluß mit der Inflation, wirtschaftlicher Aufschwung. Am schwierigsten ist an­scheinend die mittlere Ebene. Die PT stellt zwar viele BürgermeisterInnen in Brasilien, aber keinen Gouverneur. Kein Wunder: Eine Kampagne für den Gouver­neursposten kostet etwa 20 bis 30 Millio­nen Dollar, in Sao Paulo bis zu 100 Mil­lionen.
Ja und wieviel kostet ein Präsident? – 150 bis 200 Millionen Us-Dollar, meint Meio e Mensagem.

(Quelle für die Angaben von Meio e Men­sagem: Jornal do Brasil, 17.4.1994)

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