Musik | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Der singende Psychiater aus Havanna

Manolín, El Médico de la Salsa spielt mit Tradition und Revolution

Unter den Musikern im obersten Liga des kubanischen Salsa-Himmels, sticht seit etwa drei Jahren ein “Medizinmann” heraus: Manolín, El Médico de la Salsa. Es gibt kaum einen anderen Vertreter des anhaltenden Salsa-Booms, der die Widersprüche im “Neuen Kuba” der Wirtschaftsreformen so exemplarisch verkörpert.

Geri Krebs

Heiligabend des Jahres 1995 im Tropical, der populärsten Konzert- und Tanzbühne der kubanischen Hauptstadt. Auf der Bühne tänzelt ein junger Schwarzer im Arztkittel und rappt ins Mikrofon:
“Die Leute fragen sich oft, wer wir sind
wir sind alle für einen und einer für alle
wir sind das Größte, das es gibt
wir sind das, was sich auf dem Markt wie warme Semmeln verkauft…”.
Die Band intoniert aber keine Hip-Hop-Begleitung, sondern Salsa, die auf das absolute Minimum reduziert ist: Perkussion, Baß, repetitive Piano-Ostinati und einige ganz sparsam gesetzte schrille Klänge der Bläser-Sektion. Das mehrtausendköpfige Publikum steht dichtgedrängt vor der Bühne, bewegt sich begeistert, offensichtlich ist ihm die Ironie des Textes wohlvertraut, es singt ganze Passagen mit. Zwischendurch hält der Sänger inne, überläßt für einige Sekunden dem Publikum das Ganze, er hat die Leute in der Hand, leider ist der Platz zum Tanzen zu eng. “Manolín, El Médico de la Salsa” ist in seinem Element, die Kids hängen an seinen Lippen, die ebenfalls sehr bekannte Salsa-Band Bamboleo hatte vorher die undankbare Aufgabe hinter sich bringen müssen, als Vorgruppe zu spielen. Während ihres Auftritts hatte das Publikum immer wieder “Médico, Médico, Médico” skandiert; offenbar ist es ein Ding der Unmöglichkeit, vor ihm zu spielen.

Período especial auf der Bühne

Das Tropical ist eine Freiluftbühne in Playa, einem westlich vom Zentrum gelegenen Stadtteil Havannas. Es gehört zur Parkanlage einer alten Bierbrauerei, die zu derartigen Anlässen manchmal sogar Bier zu erschwinglichen Preisen ausschenkt – so auch heute, schließlich ist ja Weihnachten… Und dann ist das Tropical einer der seltenen Orte in Kubas Metropole, wo für wenige Pesos Eintritt auch diejenigen Salsa-Größen auftreten, die man sonst fast nur noch in den Dollar-Enklaven der Tourismuseinrichtungen hören und sehen kann – vorausgesetzt, sie befinden sich überhaupt wieder mal in Kuba und nicht gerade auf einer Welttournee.
Manuel González Hernández war mit seiner Band irgendwann zu Beginn des Jahres 1994 auf eher schmuddligen Bühnen in den Vorstädten Havannas aufgetaucht. Es war die härteste Zeit des período especial, viele Leute hungerten, es gab kaum einen Anlaß, auszugehen. Die Erfolgsmeldungen in den Staatsmedien begannen damals bisweilen mit den Worten: “Erneut konnte der wirtschaftliche Niedergang im Bereich der….-Industrie gebremst werden…”. Immer noch war fast jegliche wirtschaftliche Privatinitiative verboten, wenn auch der Dollar einige Monate zuvor legalisiert worden war. Wer Dollars hatte, lebte zwar nicht schlecht, doch im Land selber gab es keine Möglichkeit, legal an die grünen Scheine heranzukommen, da mußte man schon ins Ausland. Zu den wenigen Glücklichen, denen diese Möglichkeit schon seit längerer Zeit offen gestanden hatte, gehörten bekannte Künstlerinnen und Künstler; Musikgruppen hatten dabei schon immer einen Vorteil gehabt. Der ganz große Salsa-Boom hatte in Kuba Ende der achtziger Jahre begonnen, mit Namen wie Isaac Delgado, Adalberto Alvarez, Juan Carlos Alfonso, José Luis Cortés, die – zusätzlich zu bereits bestehenden Gruppen wie Los Van Van, Irakere oder Revé neu am Salsa-Himmel auftauchten.

Der “clevere Psychiater” gibt seinen Job auf

Aber erst durch die neu geschaffene Möglichkeit, legal Dollars zu besitzen, wurde die Welle kubanischer Salsa-Musik im Ausland richtig angeheizt. Von nun an war es für eine bekannte Gruppe natürlich viel interessanter, auf Auslandstournee zu gehen als vorher, wo man als Musiker seinen fixen Monatslohn von einigen Hundert Pesos vom Instituto Cubano de la Musica bezogen hatte. Wenn man von einer Auslandtournee zurückkam, mußte die (Dollar-) Gage an den Staat abgeliefert werden, von dem sie zum Kurs von 1:1 in Pesos umgetauscht wurden. Jetzt aber, wo man den Großteil der Gage behalten durfte, sah natürlich vieles anders aus: 1993/94 waren praktisch sämtliche Salsa-Größen permanent auf Auslandstourneen.
Der clevere Psychiater Manuel González Hernández gab jetzt seinen Arztjob ganz auf – eigentlich nichts besonderes in einer Zeit, in der Zehntausende ihren akademischen Beruf, der ihnen nicht einmal mehr einen Hungerlohn garantierte, hinwarfen, um sich fortan als private Taxichauffeure, Kofferträger, Hotelportiers oder eben MusikerInnen durchzuschlagen. González Hernández konnte zwar nicht singen, außerdem macht man mit diesem Namen, der im deutschsprachigen Raum etwa “Hans Huber-Meier” entsprechen würde, weder in Kuba noch in einem anderen Land der hispanischen Welt Karriere.

Der Schatten von NG la Banda eilt ihm voraus

Diese beiden Handicaps konnte González Hernández vor allem durch seine Freundschaft mit José Luis Cortés wettmachen, dem Begründer von NG la Banda, einer der einflußreichsten Bands seit Beginn des Salsa-Booms Ende der achtziger Jahre. Cortés, in den siebziger und achtziger Jahren in den Bläsersektionen der “Institutionen” Los Van Van und Irakere bekannt geworden, wurde Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre mit seiner Nueva Generación (NG) schnell zu einer Legende. Wie kaum ein anderer verstand er es damals, tanzbare Musik mit äußerst komplexen Bläsersätzen zu verbinden; dazu griffen die Texte Themen auf, die die kubanische Jugend beschäftigten, wie z.B. Tourismus und Prostitution.
Der Stern von Cortés, El Tosco (der Grobschlächtige) war aber in den Jahren 1993/94 schon wieder am Sinken. Er hatte den schmalen Grat zwischen Populärem und Vulgärem so stark zugunsten letzteren überstrapaziert, daß ihm selbst eingefleischte Fans seine Obszönitäten und Anzüglichkeiten übel zu nehmen begannen. Genau in diesem richtigen Moment tauchte González Hernández auf, nun als Arzt einer Salsa, die zwar keine medizinische Behandlung nötig hatte, aber aus den oben erwähnten Gründen mehrheitlich im Ausland und in Tourismuseinrichtungen zu hören war. Der Médico borgte sich einige der besten Musiker aus der Küche von Cortés aus, und ließ ihn als seinen Berater und teilweise auch Arrangeur walten.

Recycling-Salsa

Musikalisch bediente er sich darüberhinaus ziemlich ungeniert bei anderen Salsa-Größen – da war und ist er beileibe nicht der einzige – und machte seine gesanglichen Mängel durch einen Sprechgesang wett, der zeitweise mehr von den Schwarzenghettos der US-Großstädte beeinflußt scheint als von der afrokubanischen Tradition. Bei Salsa-Puristen ist er deshalb nicht besonders beliebt, für sie hat er sich zu weit vom “Echten” entfernt.
Auch bei den Texten betreibt er schonungslos Recycling, wenn es auch einige Liebeslieder gibt, die sich in den gängigen Bahnen bewegen. Immer wieder taucht dabei das Thema auf, daß sie, die große Liebe, mit einem Ausländer abgehauen ist, oder sich für Touristen prostituiert. Im Unterschied zu José Luis Cortés, bei dem Ende der achtziger Jahre noch durchaus moralische Empörung zu spüren war (etwa in den Stücken: Tu eres una bruja oder Jinetero yo?), gehört das beim Médico bereits zum Alltag, und oft ist die Grenze zum Zynismus fließend.
Wie Manolín mit den offiziell verkündeten Werten des sozialistischen Kuba umgeht, zeigt er beispielsweise in dem Lied La bola aus seiner zweiten und bisher letzten, 1995 erschienenen CD Para mi gente. Sowohl musikalisch wie auch im Refrain spielt das Stück auf Yo me quedo (Ich bleibe) an, die musikalische Durchhalteparole, die 1980 – als Antwort auf die Massenflucht der Marielitos – vom damaligen “Staatssänger” Pablo Milanés gesungen wurde. Auch beim Médico heißt es:
“Wenn du gegangen bist
dann hast du verloren
ich aber nicht
ich bin geblieben (…)
Man muß auf dem laufenden sein
man muß seine Connections haben”
(“arriba de la bola”).
Bei Live-Auftritten folgt auf diesen Refrain die Aufforderung:” A la batalla” – Auf in den Kampf: Ein Aufruf, den schon lange zahllose Salsa-Bands als Aufforderung ans Publikum gebrauchen, endlich mit dem Tanzen anzufangen. Der Médico hängt aber an dieser Stelle fieserweise das Wörtchen dicen (sie sagen) davor, und entlarvt damit auf einfachste Weise die Hohlheit von Durchhalteparolen.

(mit Dank für wertvolle Anregungen an Susana Marrero und Adrian Fiechter von der schweizerisch-kubanischen Salsa Gruppe “Moropo Niche”)

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