Literatur | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Der Traum von Land und Freiheit

Im Hintergrund ist alles gesteuert

Abseits des Medieninteresses, den der Kampf der EZLN im Hochland und in der Selva Lancandona erfuhr, kam es seit 1994 zu weiteren Aufständen gegen das überkommene Herrschaftssystem in Chiapas. Über “Die Rebellion der Habenichtse” gegen deutsche Kaffeebarone in der Frailesca und im Soconusco haben Boris Kanzleiter und Dirk Pesara, Mitarbeiter der LN, ein spannendes Buch geschrieben …

Michael Krämer

Es war wohl auch die Ähnlichkeit zu den eigenen Tugenden, die Mexiko Ende des vergangenen Jahrhunderts so attraktiv für Deutsche gemacht hatte: Von 1877 bis 1911 herrschte der Diktator Porfirio Díaz unter dem Motto “Ordnung und Fortschritt”. In seiner Amtszeit begann der Aufstieg deutscher Einwanderer zu den mächtigsten Kaffeeplantagenbesitzern in Chiapas. Ordnung und Fortschritt diente als Rechtfertigung für die Enteignung indianischer Gemeinden und die Vertreibung von Kleinbauern von den fruchtbarsten Böden im südlichsten Bundesstaat Mexikos. Ordnung und Fortschritt bedeutete Reichtum für einige wenige und Armut und Ausbeutung für die Mehrheit der Bevölkerung. Die Revolution zwischen 1910 und 1920 führte in Mexiko zu einschneidenden Veränderungen, doch in Chiapas blieb alles beim alten: Isolierte Aufstände konnten die Macht der Oligarchie nicht erschüttern.

Ordnung und Fortschritt

Was Ordnung und Fortschritt auf den Fincas der deutschen Kaffeepflanzer für die indianischen SaisonarbeiterInnen hieß, schilderte schon B. Traven in seiner “Rebellion der Gehenkten”: “Nein, ich will nicht in den Soconusco gehen. Dort sind die Deutschen, sie sind die Herren der Kaffeeplantagen. Sie sind barbarischer als die Bestien des Urwalds und behandeln dich wie einen Hund.”
Wegen der miserablen Arbeitsbedingungen hatten selbst professionelle Anwerber große Schwierigkeiten, ausreichend Arbeitskräfte für die Kaffeernte zu finden: Nach monatelanger, härtester Arbeit auf den Kaffeefeldern kehrten die ArbeiterInnen ohne Geld, zum Teil sogar mit Schulden in ihre Dörfer im Hochland zurück. Ihren kargen Lohn hatten die ArbeiterInnen in Wertmarken ausbezahlt bekommen, die sie nur in Läden einlösen konnten, die dem Finquero gehörten. Selbstverständlich waren die Preise in diesen Tiendas de Raya überhöht, so daß die ArbeiterInnen anschreiben lassen mußten. Und somit waren sie verpflichtet, ihre Schulden im nächsten Jahr abzuarbeiten. Obwohl seit der Revolution verboten, hielt sich das System der Tiendas de Raya bis lange nach dem 2. Weltkrieg. Und auch sonst herrschten auf den Kaffeeplantagen eigene Gesetze, die die Finqueros willkürlich bestimmen konnten. Wer nicht parierte, kam ins Finca-eigene Gefängnis.
Seit Jahrzehnten sind die deutschen Kaffeebarone enge Verbündete der Staatspartei PRI. Die Regierung stellt Militär und Polizei, um zusammen mit den Guardias Blancas, den privaten Todesschwadronen der Großgrundbesitzer und Viehzüchter, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Wenn ihnen, wie in den vergangenen Jahren, die Kontrolle einmal aus den Händen zu gleiten droht, kennt die Repression keine Grenzen mehr. Nach Schätzungen des katholischen Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas wurden allein 1994 in Chiapas, außerhalb des Aufstandsgebietes der EZLN, 400 Bauern und Bäuerinnen ermordet.
1994 war ein schweres Jahr für die deutschen Kaffeepflanzer in Chiapas. Nachdem die EZLN am 1. Januar 1994 in der Selva Lacandona und im Hochland ihren Aufstand für “Land und Freiheit” begonnen hatte, wurde es auch im Soconusco und in der Frailesca immer unruhiger.
Ein Zentrum des Widerstands war das Dorf Nueva Palestina. Die DorfbewohnerInnen – Kleinbauern und SaisonarbeiterInnen auf den nahegelegenen Kaffeefincas – versuchten bereits seit Jahren, zusätzliches Land zu erkämpfen. Mit gutem Recht, schließlich war der Großgrundbesitz in der Nähe von Nueva Palestina illegal. Als Höchstgrenze für individuellen Landbesitz ist im mexikanischen Agrargesetz nämlich 300 Hektar festgelegt. Doch allein die Kaffeefinca Liquidambar, in unmittelbarer Nähe des Dorfes gelegen, hat mehrere Tausend Hektar. Eigentümerin: Die Familie Schimpf-Hudler, die insgesamt über 10.000 Hektar Land besitzt und zu den größten Grundbesitzern in Chiapas überhaupt zählt. Lediglich pro Forma ist ihr Land allerdings auf Familienmitglieder und Strohmänner aufgeteilt, allein für die Finca Liquidambar haben 13 Personen Besitztitel.
Der Aufstieg des deutschen Einwanderers Hermann Schimpf wird von Boris Kanzleiter und Dirk Pesara detailreich nacherzählt. Bis zu seinem Tod 1976 war Hermann Schimpf nicht nur zu einem der reichsten Kaffeepflanzer in Chiapas geworden. Mit den Gewinnen aus dem Kaffeeverkauf hatte er auch in Deutschland ein Millionenvermögen angehäuft und mehrere Unternehmen erworben. Hermann Schimpf betrieb sein Geschäft mit deutscher Gründlichkeit und ließ es sich nicht nehmen, die Arbeiter persönlich mit dem Stock anzutreiben. Auch sein Sohn German Schimpf, der die Geschäfte auf Liquidambar seit den sechziger Jahren führte, bewahrte sich die rechte Einstellung: Im Verwaltungsgebäude von Liquidambar war noch bis 1994 eine NS-Ehrenurkunde mit Hakenkreuz ausgestellt, die er für seinen Dienst in der Wehrmacht erhalten hatte.
Für die BewohnerInnen von Nueva Palestina haben die Schimpf-Hudlers nur Verachtung übrig. Vom Reichtum, der in Liquidambar produziert wurde, bekommen sie nichts zu sehen. Ihr größter Wunsch: Die Ausbeutung soll ein Ende haben. Sie organisierten sich in der Unión Campesina Popular Francisco Villa (UCPFV). Nach langer Vorbereitung war es am 4. August 1994 soweit: 500 Mitglieder der UCPFV besetzten Liquidambar. Wenig später folgte Prusia, die nur wenige Kilometer entfernt gelegene Finca der ebenfalls deutschstämmigen Kaffeepflanzerfamilie von Knoop, und mehrere weitere Fincas in der Frailesca und im Soconusco.
Der kurze Winter der Anarchie begann. Eigenständig organisierten die BesetzerInnen die Arbeit auf den Fincas und gründeten eine Kooperative. Hatten sie im Vorjahr auf Liquidambar noch einen Tageslohn von rund 4,- DM erhalten, so bezahlten sie sich diesmal etwa 15,- DM. Aber vor allem: Der Finca-eigene Sicherheitsdienst war verschwunden, die Arbeit war kollektiv organisiert, für die Familie und nicht mehr für den Finquero wurde gearbeitet.

Ein Winter der Anarchie

Die Finqueros schäumten vor Wut, schwörten Rache und organisierten den Gegenschlag. Doch 1994 befanden sie sich in der Defensive. Erst mit dem Amtsantritt des neugewählten Präsidenten Ernesto Zedillo und des Gouverneurs von Chiapas Robledo Rincón (der nur durch massiven Wahlbetrug an die Macht kam) im Dezember 1994 begann sich das Blatt erneut zu wenden.
Mexiko zum Jahreswechsel 1994/95: Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, nach dem “Tequila-Crash” muß die heimische Währung durch umfangreiche Auslandskredite gestützt werden, viele Unternehmen gehen Bankrott. Der neue Präsident will Stärke zeigen und holt zum militärischen Gegenschlag gegen die ZapatistInnen und andere oppositionelle Bewegungen aus.
Auch die Kaffeeoligarchie erholt sich von ihrem Schock: Todesschwadronen ermorden Aktivisten der UCPFV und der Oppositionspartei PRD. Ende April 1995 werden Liquidambar, Prusia und andere Kaffeefincas durch ein Großaufgebot von Militär, Polizei und Guardias Blancas geräumt, im Mai werden Haftbefehle gegen 170 Mitglieder der UCPFV ausgestellt. Immer wieder kommt es zu Übergriffen der Guardias Blancas gegen die BewohnerInnen von Nueva Palestina und anderer Gemeinden der Umgebung, Ende 1995 wird der UCPFV-Aktivist Reyes Penagos Martínez von der Polizei gefoltert und ermordet. Seit Oktober 1996 steht Nueva Palestina unter ständiger Militärkontrolle, doch die Gegend um Liquidambar und Prusia kommt nicht mehr zur Ruhe. Die Opposition gegen die deutschen Kaffeebarone hält an.
Die Autoren haben mit “Die Rebellion der Habenichtse” ein spannendes Buch über den Kampf gegen die deutschen Kaffeebarone in Chiapas geschrieben. Ausführlich kommen sowohl die Menschen aus Nueva Palestina als auch die deutschen Kaffeepflanzer zu Wort. Gerade diese Gespräche sind eine gute Ergänzung zu den Informationen über Geschichte und Politik in Chiapas, den Aufstand der EZLN oder die Mechanismen des internationalen Kaffeemarktes. Wohl niemand könnte die Großgrundbesitzer besser demaskieren als sie selbst, wenn man sie zu Wort kommen läßt. Folke von Knoop beispielsweise analysierte die Besetzung seiner Finca Prusia folgendermaßen: “Die Besetzungen haben auch mit Greenpeace und Sendero Luminoso in Peru zu tun, die alle vorn das Gute zeigen, aber im Hintergrund ist alles gesteuert.”

B. Kanzleiter/D. Pesara: Die Rebellion der Habenichtse. Der Kampf um Land und Freiheit in Chiapas. Edition ID-Archiv, Berlin 1997, 144 Seiten, 16,- DM.

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