Der zarte Charme des Establishments
Doces poderes – Süße Mächte
Und tatsächlich, das Studio ist fast verwaist, die meisten ehemaligen Fernsehleute tingeln durch das Land und entwerfen mehr oder weniger phantasievolle Werbespots für ihre je nach Staat eher smarten oder eher bodenständigen Kandidaten. So wie sie in Lateinamerika zu den besten Sendezeiten über den Bildschirm flimmern, ziehen die mit bunten Bildern untermalten Slogans immer wieder über die Kinoleinwand. Diese Werbepersiflagen, die vom Gerede der MacherInnen über ihre vermeintlich originären Ideen untermalt sind, werden eigentlich nur noch von den Originalen übertroffen, die in schöner Regelmäßigkeiten im brasilianischen TV zu sehen sind.
Im Wirbel der Korruption und Machtintrigen
Aber Bia ist bemüht, die Fahne der journalistischen Ethik und Integrität hochzuhalten, die bei immer mehr KollegInnen zunehmend nach dem Wind der finanziellen Möglichkeiten dreht. Doch schon nach den ersten politischen Sendungen regt sich Widerspruch. Der favorisierte Kandidat des Establishment vermißt die bisher gewohnte Unterstützung durch den Fernsehkanal. Sein Drängen wird von Sendung zu Sendung und von Meinungsumfrage zu Meinungsumfrage heftiger. Bia gerät in ein immer enger werdendes Netz aus Abhängigkeiten, persönlichen Beziehungen, Manipulation und Korruption. Viel schmutzige Wäsche wird gewaschen im Kampf um die Macht, die süß und verlockend auf bestimmten Posten winkt. Bia fällt es zunehmend schwerer, ihren eigenen Vorstellungen treu zu bleiben, zumal sie sich von vermeintlich loyalen KollegInnen im Stich gelassen fühlt.
Die manipulierende Rolle der Medien und allen voran des übermächtigen Fernsehens ist in Brasilien spätestens seit dem Wahlsieg des vorzeitig geschaßten Präsidenten Fernando Collor de Melo ein offenens Geheimnis. Ihm gelang der Wahlsieg 1992 nur durch den massiven Endspurt des marktführenden TV-Kanals Globo, der linke Gegenkandidat Lula konnte nur durch gezielte Schläge weit unter die Gürtellinie besiegt werden. Die Anspielungen in “Doces poderes” auf dieses zentrale medienpolitische Ereignis sind offenkundig. Überhaupt zeichnet sich dieser Film durch seine explizit politische Geschichte aus. Gerade die Tatsache, daß die dargestellten PolitikerInnen für das Publikum in Brasilien unzweifelhaft wiedererkennbar sind und mit real existierenden Figuren identifiziert werden können, macht ihn zu einem kurzweiligen und witzigen Kinoerlebnis. Die Reaktion der KinobesucherInnen in Rio und Sao Paulo machte jedenfalls deutlich, daß explizit politische Filme keineswegs überholt sind.
Schwungvoll hat Lúcia Murat das komplexe Thema der Macht der Medien und die Rolle von Journalisten in unserer Zeit aufgegriffen. Sie verzichtet dabei auf jede Schwarz-Weiß-Malerei und das klassische Gut-und-Böse-Schema. Alle Charaktere stoßen auf uneindeutige Situationen und durchleben innere Konflikte. “Doces poderes” zeichnet ein getreues Bild der real existierenden Polit-Szene in Brasilien und vor allem in der Landeshauptstadt Brasília. Was spontan an einen Dokumentarfilm denken läßt, entpuppt sich als Mischung aus Drama und Komödie, die von Romancen, Intrigen, realen Konflikten und einer gehörigen Portion Humor lebt. Humor mit dem bitteren Geschmack einer Tragikomödie.