Die Armseligkeit, „ich“ zu sagen
Idea Vilariño zählt in Uruguay zu den populärsten LyrikerInnen – bei uns ist sie erst noch zu entdecken
Die Popularität der 1920 in
Montevideo geborenen Idea Vilariño gründet allein auf ihren Gedichten – eine bemerkenswerte Ausnahme im Literaturgeschäft. Die Öffentlichkeit hat sie stets gemieden, Preise abgelehnt, Interviews verweigert (eine lesenswerte Ausnahme findet sich unter www.jornada.unam.mx/2004/ago04/040808/sem-elena.html).
Ihre Gedichte aber sind in aller Munde, vor allem Los orientales, ein Lied gegen die Militärdiktatur von 1973-85, das in der Vertonung von Pepe Guerra zur Hymne des Widerstandes wurde. Die vorliegende Auswahl An Liebe enthält hingegen kaum politische Lieder, sondern Liebesgedichte, die auf ihre Weise nicht weniger intensiv gelesen wurden und werden. Viele von ihnen kreisen um ein Schlüsselerlebnis, nämlich das Ende einer Beziehung und die Einsamkeit nach der Trennung. (Der Geliebte war übrigens der uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti; zumindest er ist hierzulande kein Unbekannter.)
An Liebe, der rätselhaft-schöne Titel dieser Ausgabe, der Wörter anklingen lässt wie „Andenken“ oder „Anrede“, heißt im Zusammenhang: „Ich möchte sterben/ jetzt/ an Liebe/ damit du wüsstest/ wie und wie sehr ich dich geliebt habe.“
In immer neuen Variationen benennt Vilariño den Schmerz, sie spricht mit dem Geliebten, erinnert ihn an veraltete Versprechungen, sie lässt ihre Hände den nicht mehr anwesenden Körper fühlen, beklagt die Armseligkeit, „ich“ zu sagen, wo doch das „wir“ verloren ist. Diese Motive sind alles andere als neu, sie bilden als Trias „Liebe, Einsamkeit, Tod“ vielmehr das uralte Repertoire der Lyrik schlechthin. Auch geht Vilariño sparsam mit individualisierenden Details um. Obwohl also nichts besonders auffällt und man meint, das kenne man alles schon, haftet diesen Gedichten nichts Repetitives, Routiniertes an. Präzis wirken sie, stimmig und – einfach. So, als könnte es gar nicht anders gesagt werden. „Ich kenne deine Zärtlichkeit/ wie die Fläche meiner eigenen Hand./ Manchmal, zwischen zwei Träumen, fällt sie mir ein/ als hätte ich sie schon einmal verloren.“
Gut, dass diese Ausgabe zweisprachig gestaltet ist: so kann man sich den Originalklang herbeirufen, der Vilariño sehr wichtig ist. Denn in freien Versen, wie die Übersetzungen suggerieren, ist das Original nicht geschrieben. Das Spanische kennt statt der deutschen Hebungszählung die Zählung der Silben pro Zeile. Die beiden Königsversmaße sind der Sieben- und der Elfsilber. Und sie tauchen immer wieder auf, mal durch Zeilenumbrüche versteckt, mal ganz offensichtlich.
Vilariño schreibt in einer langen Tradition spanischsprachiger Lyrik: die Liebesgesänge des spanischen Barockdichters San Juan de la Cruz tönen ebenso nach wie die modernistische lateinamerikanische Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts – die gerade in Uruguay und dem kulturell verschwisterten Argentinien eine ganze Reihe hervorragender LyrikerInnen aufzuweisen hat. Verwurzelung und Originalität: Hier dürfte der Schlüssel der hohen Popularität liegen. Dem Nachwort ist zu entnehmen, dass von Vilariño sogar an Häuserwänden etwas zu lesen war.
Idea Vilariño: An Liebe. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Spanischen von Peter Schultze-Kraft, Erich Hackl und Dorothee Engels. Nachwort von Erich Hackl. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2005, 133 Seiten, 11,80 Euro.