Kolumbien | Nummer 413 - November 2008

„Die europäische Unterstützung Uribes ist ein Skandal“

Interview mit dem Journalisten und Vermittler Carlos Lozano

Carlos Lozano ist Chefredakteur der kommunistischen Wochenzeitung Voz und war Vermittler im kolumbianischen Friedensprozess 1998 bis 2002. Wegen eines anhängigen Verfahrens musste Lozano eine für September geplante Europareise kurzfristig absagen.

Raul Zelik

Gegen 50 Abgeordnete des Regierungslagers laufen Strafverfahren wegen Verbindungen zu rechten Paramilitärs. Ist es nicht auffällig, dass nun wegen mutmaßlicher Verbindungen zur FARC auch Ermittlungen gegen Sie eingeleitet worden sind?
Ich denke, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt. Die Regierung hat ja nicht nur „Beweise“ gegen die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba und mich vorgelegt, sondern auch den Obersten Gerichtshof frontal angegriffen. Offensichtlich will Uribe den Parapolitik-Skandal verschleiern.

Trotzdem ist Uribe populär – vor allem wegen der Bekämpfung der Guerilla. Stehen die FARC vor ihrem Ende?
Die FARC befinden sich nicht in einem Auflösungsprozess, wie die Regierung behauptet. Aber es ist wahr, dass sie in den letzten acht Monaten mehr Schläge eingesteckt haben als in 40 Jahren zuvor. Für die FARC sollte das Anlass zur Reflektion sein. Eine bewaffnete Revolution ist in Kolumbien heute unmöglich, die Guerilla hat zur städtischen Realität keine Verbindungen. Wenn Kolumbien wie andere Länder Lateinamerikas eine progressive Regierung haben soll, dann müssen die FARC einen Friedensprozess einleiten. Eine Fraktionierung der FARC in eine „weiche“ und eine „harte“ Linie sehe ich zwar nicht. Aber ich hoffe sehr, dass der neue FARC-Kommandant Alfonso Cano, der eine Nähe zum städtischen und intellektuellen Milieu hat, die FARC öffnet. Die FARC haben Beziehungen zu den progressiven Regierungen Lateinamerikas aufgebaut. In Kolumbien selbst geht es um die Festigung einer Linkspartei. Der politische Raum ist entscheidend.
Das Mitte-Links-Bündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) hat bei den letzten Wahlen fast 25 Prozent der Stimmen erhalten und regionale Mehrheiten gewonnen. Geändert hat das wenig. Der PDA-Bürgermeister in Bogotá, Lucho Garzón, hat die neoliberale Politik fortgesetzt.
Der PDA befindet sich in einem Konstituierungsprozess. Es gibt eine Strömung, die um jeden Preis in die Regierung will. Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen PDA, der die Machtfrage stellen und echte Transformationen durchsetzen will. Die Frage, ob sich mit Wahlen in Kolumbien etwas verändern lässt, ist berechtigt. Uribe hat schon angedeutet, dass er „die Katastrophe“ eines linken Wahlsiegs mit allen Mitteln verhindern werde. Um so wichtiger wäre eine Verhandlungslösung. Das Ziel solcher Verhandlungen müsste sein, Kolumbien zu demokratisieren.

Es gibt zahllose Hinweise auf Verbindungen der Uribe-Regierung zur Drogenkriminalität und zu Todesschwadronen. Warum findet der Präsident trotzdem so viel Zuspruch?
Viele erklären das mit dem bewaffneten Konflikt: Im Kampf gegen die FARC wird Uribe alles verziehen. Ich halte diese Erklärung für zu einfach. Man muss auch sehen, dass die Regierung die führenden Medien kontrolliert und sich auf klientelistische Strukturen stützen kann. Das sorgt im Inneren für eine breite Unterstützung. Was mich entsetzt, ist die Haltung der internationalen Gemeinschaft. Von der Bush-Administration kann man nichts anderes erwarten. Aber dass Uribe auch in Europa Gehör findet, ist ein Skandal. Nichtsdestotrotz wird sich Uribe verschleißen. Die Militärausgaben sind zu hoch. In Verbindung mit der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise wird das zu einem sozialen Problem. In der kolumbianischen Rechten häufen sich die Stimmen, die von einem „Uribismus ohne Uribe“ sprechen.

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