Guatemala | Nummer 245 - November 1994

Die Verhandlungen laufen

Nach langer Unterbrechung sind in Guatemala Ende September die Friedens­verhandlungen zwischen der Guerilla “Unidad Revolucionaria Nacional Gua­temalteca” (URNG) und der Regierung wiederaufgenommen worden. Noch ist nicht klar, ob es zu einem Friedensschluß kommen wird, der die Basis für eine zivile Gesellschaft bildet und zumindest die wichtigsten Reformforderungen der URNG erfüllt. Die Wunden sind tief, und terroristische Aktionen behindern die Verhandlungen seit Monaten. Der folgende Artikel versucht, die Ereignisse des letzten halben Jahres nachzuzeichnen.

Valentin Schönherr

Das Abkommen vom März (vgl. LN 239) über die allgemeine Einhaltung der Men­schenrechte, die Auflösung der Todes­schwadrone und illegalen Streitkräfte und die Einrichtung einer UNO-Mission in Guatemala waren nur ein brüchiges Funda­ment für weitere Verhandlungen. Bereits im Mai klagten verschiedene Sektoren der guatemaltekischen Gesell­schaft Regierung und Militär an, die Be­stimmungen nicht einzuhalten; neue Men­schenrechtsverletzungen wurden bekannt, und die UNO-Mission ließ auf sich warten.
Nach jahrelangem Widerstand hatte sich die URNG im März der Forderung der Regierungsseite gebeugt, die Frage der Wiederansiedlung der Flüchtlinge aus den allgemeinen Friedensverhandlungen aus­zuklammern. Seit über zehn Jahren befin­den sich hunderttausende Flüchtlinge in Mexiko und im Landesinneren; zu ihnen gehören auch die Geheimen Widerstands­dörfer (CPR). Das Befürchtete trat ein: Die Armee war in den Verhandlungen im Frühjahr nicht bereit, irgendeine Verant­wortung für die Repressionen zu über­nehmen, die zu der riesigen Flüchtlings­welle geführt hatten. Sie erklärte den Ver­handlungsbereich zu einem allgemeinen humanitären Problem, so daß nach ihrer Vorstellung nur praktische Fragen gelöst werden müßten, ohne die Ursachen zu thematisie­ren. Die Verhandlungen zur Wieder­an­sied­lung waren vor allem durch folgende Streit­fra­gen belastet:
1. Die Militärs waren nicht bereit, die Rückkehrenden einschließlich der Be­wohnerInnen der CPR (die von ihnen als politischer Arm der Guerilla betrachtet werden) als Zivilbevölkerung anzuerken­nen.
2. Die Landbeschaffung für die retornos stand (und steht) vor großen Schwierig­keiten, weil das Land, von dem die Men­schen 1981/82 vertrie­ben wurden, unter staatlicher Aufsicht neu besiedelt worden ist – durch sogenannte Modelldörfer und durch Militärstütz­punkte.
3. Die Forderung der Flüchtlingsorganisa­tionen, einzelne Personen als Zeugen der Vertreibung auftreten zu lassen, wurde seitens der Armee zurückgewiesen. “Verständlich”, denn die meisten der Ver­antwortlichen sitzen noch auf ihren Po­sten.
Zwei Abkommen im Juni
Aufgrund dieser Diskrepanzen kam es Anfang Juni zu einem kurzzeitigen Ab­bruch der Verhandlungen. Erstaunlicher­weise wurde Mitte Juni in Oslo dennoch ein Abkommen zur Wiederansiedlung ge­schlossen. Es scheint aber so, daß die Re­gierungsseite großen Druck auf die URNG ausgeübt hat, um überhaupt ir­gendein Ergebnis vorweisen zu können, freilich um den Preis wirklicher Lösun­gen. Zum einen treten die Vereinbarungen erst nach Abschluß des Friedensvertrages in Kraft, der für Dezember dieses Jahres geplant ist, womit sich der Rückkehrprozeß unerträglich ver­zögert; zum anderen sind in dem Abkom­men keinerlei Regelungen über eine Ent­militarisierung der Rückkehrgebiete ge­troffen worden. Dies ist aber eine der Hauptforderungen der Flüchtlinge und der URNG, zumal die letzten beiden Jahre ge­zeigt haben, daß die Militärpräsenz für die, die schon zurückgekehrt sind, eine reale Bedrohung bedeutet, von der psychi­schen Wirkung einmal abgesehen.
Wenige Tage nach dem Abkommen zur Wiederansiedlung unterzeichneten die Parteien ein zweites, in dem sie die Ein­richtung einer Wahrheitskommission be­schlossen. Auch dieses eine Farce, denn es tritt gleichfalls erst nach dem Friedens­vertrag in Kraft. Zudem soll die Kommis­sion lediglich sechs Monate arbeiten dür­fen, was zu einem sehr lückenhaften Er­gebnis führen muß – ganz im Sinne derer, die für die aufzudeckenden Verbrechen verantwortlich sind.
Im Sommer nahm die Zahl der Menschen­rechtsverletzungen nicht ab, wie nach den beiden Juni-Abkommen zu erwarten ge­wesen wäre. Man verzeichnete sogar eine neue Welle von Gewalttaten, die rasch zum Abbruch der Verhandlungen führte: GewerkschafterInnen wurden ermordet, VertreterInnen internationaler Organisa­tionen bedroht, und im Ixcán kam es zu schweren Gefechten zwischen der Armee und der URNG.
Neue Verhandlungsrunde unter UNO-Vermittlung
Am 19. September stimmte die UN-Voll­versammlung, fast ein halbes Jahr nach den Beschlüssen vom März, der “Mission der Vereinten Nationen für Guatemala” (MINUGUA) zu. Bereits am 20. Septem-ber traf eine Vorbereitungsde­legation mit zehn TeilnehmerInnen im Land ein, geleitet von dem Argentinier Leonardo Franco. Er löste Jean Arnault ab, der bis dahin bei der UNO für Gua­temala zuständig war und nach anfängli­chem Desinteresse doch heftig auf Lösun­gen gedrängt hatte. Die Hintergründe die­ses Wechsels wurden jedoch nicht be­kannt.
Am Tag nach der Ankunft begannen die Gespräche der UN-Vertreter mit Präsident de Léon und anderen leitenden Regie­rungsmitgliedern. Am 28. und 29. September fand in Mexiko die erste neue Runde der Verhandlungen zwischen URNG und Regierung statt.
Das Klima der ersten Begegnung war von gegenseitigen Anschuldigungen wegen der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsaktionen der letzten Monate ge­prägt. Darüber hinaus zeichnete sich ab, daß die Regierungsseite nun sehr auf einen termingerechten Abschluß des Frie­densvertrages im Dezember drängt und daß sich die Verhandlungen eher um die Einhaltung des Termins als um inhaltliche Fragen drehen werden.
Wie nun weiter? Offenbar hat die URNG eine schlechte Position, da sie militärisch nicht sehr schlagkräftig zu sein scheint, Regierung und UNO jedoch vor allem an schnellen Ergebnissen interessiert sind; der “Erfolg” von El Salvador soll sich in Guatemala wiederholen. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß die URNG im­mer weiter hinter ihre ursprünglichen Forderungen zu­rückweichen muß, daß beispielsweise die Flüchtlinge zwar zurückkehren, daß aber die Zustände, die sie zur Flucht gezwun­gen haben, nicht geändert werden.
Wird es die Guerilla wagen, die Ver­handlungen abzubrechen, wenn die Ver­handlungspositionen zu weit von ihren Grundforderungen abweichen?

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