Die Verhandlungen laufen
Das Abkommen vom März (vgl. LN 239) über die allgemeine Einhaltung der Menschenrechte, die Auflösung der Todesschwadrone und illegalen Streitkräfte und die Einrichtung einer UNO-Mission in Guatemala waren nur ein brüchiges Fundament für weitere Verhandlungen. Bereits im Mai klagten verschiedene Sektoren der guatemaltekischen Gesellschaft Regierung und Militär an, die Bestimmungen nicht einzuhalten; neue Menschenrechtsverletzungen wurden bekannt, und die UNO-Mission ließ auf sich warten.
Nach jahrelangem Widerstand hatte sich die URNG im März der Forderung der Regierungsseite gebeugt, die Frage der Wiederansiedlung der Flüchtlinge aus den allgemeinen Friedensverhandlungen auszuklammern. Seit über zehn Jahren befinden sich hunderttausende Flüchtlinge in Mexiko und im Landesinneren; zu ihnen gehören auch die Geheimen Widerstandsdörfer (CPR). Das Befürchtete trat ein: Die Armee war in den Verhandlungen im Frühjahr nicht bereit, irgendeine Verantwortung für die Repressionen zu übernehmen, die zu der riesigen Flüchtlingswelle geführt hatten. Sie erklärte den Verhandlungsbereich zu einem allgemeinen humanitären Problem, so daß nach ihrer Vorstellung nur praktische Fragen gelöst werden müßten, ohne die Ursachen zu thematisieren. Die Verhandlungen zur Wiederansiedlung waren vor allem durch folgende Streitfragen belastet:
1. Die Militärs waren nicht bereit, die Rückkehrenden einschließlich der BewohnerInnen der CPR (die von ihnen als politischer Arm der Guerilla betrachtet werden) als Zivilbevölkerung anzuerkennen.
2. Die Landbeschaffung für die retornos stand (und steht) vor großen Schwierigkeiten, weil das Land, von dem die Menschen 1981/82 vertrieben wurden, unter staatlicher Aufsicht neu besiedelt worden ist – durch sogenannte Modelldörfer und durch Militärstützpunkte.
3. Die Forderung der Flüchtlingsorganisationen, einzelne Personen als Zeugen der Vertreibung auftreten zu lassen, wurde seitens der Armee zurückgewiesen. “Verständlich”, denn die meisten der Verantwortlichen sitzen noch auf ihren Posten.
Zwei Abkommen im Juni
Aufgrund dieser Diskrepanzen kam es Anfang Juni zu einem kurzzeitigen Abbruch der Verhandlungen. Erstaunlicherweise wurde Mitte Juni in Oslo dennoch ein Abkommen zur Wiederansiedlung geschlossen. Es scheint aber so, daß die Regierungsseite großen Druck auf die URNG ausgeübt hat, um überhaupt irgendein Ergebnis vorweisen zu können, freilich um den Preis wirklicher Lösungen. Zum einen treten die Vereinbarungen erst nach Abschluß des Friedensvertrages in Kraft, der für Dezember dieses Jahres geplant ist, womit sich der Rückkehrprozeß unerträglich verzögert; zum anderen sind in dem Abkommen keinerlei Regelungen über eine Entmilitarisierung der Rückkehrgebiete getroffen worden. Dies ist aber eine der Hauptforderungen der Flüchtlinge und der URNG, zumal die letzten beiden Jahre gezeigt haben, daß die Militärpräsenz für die, die schon zurückgekehrt sind, eine reale Bedrohung bedeutet, von der psychischen Wirkung einmal abgesehen.
Wenige Tage nach dem Abkommen zur Wiederansiedlung unterzeichneten die Parteien ein zweites, in dem sie die Einrichtung einer Wahrheitskommission beschlossen. Auch dieses eine Farce, denn es tritt gleichfalls erst nach dem Friedensvertrag in Kraft. Zudem soll die Kommission lediglich sechs Monate arbeiten dürfen, was zu einem sehr lückenhaften Ergebnis führen muß – ganz im Sinne derer, die für die aufzudeckenden Verbrechen verantwortlich sind.
Im Sommer nahm die Zahl der Menschenrechtsverletzungen nicht ab, wie nach den beiden Juni-Abkommen zu erwarten gewesen wäre. Man verzeichnete sogar eine neue Welle von Gewalttaten, die rasch zum Abbruch der Verhandlungen führte: GewerkschafterInnen wurden ermordet, VertreterInnen internationaler Organisationen bedroht, und im Ixcán kam es zu schweren Gefechten zwischen der Armee und der URNG.
Neue Verhandlungsrunde unter UNO-Vermittlung
Am 19. September stimmte die UN-Vollversammlung, fast ein halbes Jahr nach den Beschlüssen vom März, der “Mission der Vereinten Nationen für Guatemala” (MINUGUA) zu. Bereits am 20. Septem-ber traf eine Vorbereitungsdelegation mit zehn TeilnehmerInnen im Land ein, geleitet von dem Argentinier Leonardo Franco. Er löste Jean Arnault ab, der bis dahin bei der UNO für Guatemala zuständig war und nach anfänglichem Desinteresse doch heftig auf Lösungen gedrängt hatte. Die Hintergründe dieses Wechsels wurden jedoch nicht bekannt.
Am Tag nach der Ankunft begannen die Gespräche der UN-Vertreter mit Präsident de Léon und anderen leitenden Regierungsmitgliedern. Am 28. und 29. September fand in Mexiko die erste neue Runde der Verhandlungen zwischen URNG und Regierung statt.
Das Klima der ersten Begegnung war von gegenseitigen Anschuldigungen wegen der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsaktionen der letzten Monate geprägt. Darüber hinaus zeichnete sich ab, daß die Regierungsseite nun sehr auf einen termingerechten Abschluß des Friedensvertrages im Dezember drängt und daß sich die Verhandlungen eher um die Einhaltung des Termins als um inhaltliche Fragen drehen werden.
Wie nun weiter? Offenbar hat die URNG eine schlechte Position, da sie militärisch nicht sehr schlagkräftig zu sein scheint, Regierung und UNO jedoch vor allem an schnellen Ergebnissen interessiert sind; der “Erfolg” von El Salvador soll sich in Guatemala wiederholen. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß die URNG immer weiter hinter ihre ursprünglichen Forderungen zurückweichen muß, daß beispielsweise die Flüchtlinge zwar zurückkehren, daß aber die Zustände, die sie zur Flucht gezwungen haben, nicht geändert werden.
Wird es die Guerilla wagen, die Verhandlungen abzubrechen, wenn die Verhandlungspositionen zu weit von ihren Grundforderungen abweichen?