Nicaragua | Nummer 248 - Februar 1995

Die VerräterInnen sind immer die anderen

Die FSLN ist faktisch gespalten

Immer mehr einer Schlammschlacht ähnelte der Streit der letzten Monate zwischen den FSLN-Tendenzen “Izquierda Democrática” (ID) und “Movimiento de Renovación Sandinista” (MRS). Die politischen Differenzen wurden zunehmend von persönlichen Beleidigungen und bösen Un­terstellungen überlagert. Trauriger Höhepunkt war kürz­lich die Behauptung von Carlos Guada­muz, Direktor des sandinistischen “Radio Ya”, die beiden MRS-Abgeordneten Dora María Téllez und Ma­ría Ramírez führten eine lesbische Beziehung. Dora María Tellez trat daraufhin aus der “Nationalleitung” der FSLN aus, María Ramí­rez und ihr Vater Sergio Ramírez, bis 1990 Vizeprä­sident Nicara­guas und prominentester Vertreter der MRS, verließen die FSLN.

Michael Krämer

Die Spaltung der FSLN war spä­testens seit dem zweiten Par­teitag im Mai 1994 nur noch eine Frage der Zeit. Bis dahin waren die unter­schiedlichen Parteiströ­mungen relativ gleich­berechtigt an der Natio­nalen Leitung beteiligt worden, um die Einheit der sandinisti­schen Bewegung zu wahren. Im vergangenen Mai wurde der Pro­porz aufgegeben und die FSLN-Spitze fast durchgängig mit An­hänger­Innen von Ex-Präsident Daniel Or­tega be­setzt (vgl. LN 240). Die angekün­digte Par­tei­reform, ins­besondere eine Demo­kra­tisierung der Entscheidungs­strukturen, blieb jedoch aus.
Die Inhalte des Streits
Die “Demokratische Linke” (ID) um Daniel Ortega warf den FSLN-Par­la­ments­abgeord­neten um Ser­gio Ramí­rez vor, daß diese sich nicht an die Partei­be­schlüsse hielten und wie­derholt gegen den Willen der “Asamblea Sandi­nista”, dem höch­sten FSLN-Gremium zwischen den Par­teita­gen, in vielen Fragen mit der Re­gierung von Violeta Chamorro zusam­men­arbeiteten. Daniel Or­tega hatte diese Po­li­tik aller­dings selbst jahrelang mitge­tragen be­ziehungsweise war bei Streiks wiederholt als Vermitt­ler zwischen Regie­rung und Ge­werkschaften aufgetreten. Erst seit 1993 hatte er seinen Dis­kurs ra­dikalisiert und sich ein­deutig auf die Seite des sandinistischen Gewerkschafts­zusam­men­schluß “Nationale Ar­beiterInnenfront” (FNT) und an­derer Ba­sisorganisationen ge­stellt, die die Errungenschaf­ten der Re­volution durch die Mobilisierung der ver­armenden Ar­beiterInnen und Angestellten zu erreichen versuchen. Ser­gio Ramírez setzte jedoch weiter auf eine Zu­sam­menarbeit mit der Regierung, um so die neo­libera­len Refor­men sozial abfedern zu kön­nen. Um er­neut an die Macht zu kom­men sei zudem grundsätz­lich eine stärkere Öff­nung der FSLN zur Mitte hin not­wendig. Außer­dem, so die sogenannten “Re­formerInnen” um Ramírez, sei die Zu­sam­mensetzung der Asam­blea Sandinista längst nicht mehr repräsentativ für die FSLN, eine Unterordnung unter deren Be­schlüsse da­mit hinfäl­lig. Die Distanz zwi­schen Par­lamentsfraktion und Parteifüh­rung vergrö­ßerte sich immer mehr.
Bei dem Streit ging es nicht nur um die po­litische Ausrich­tung, sondern insbeson­dere um personelle Entscheidungen in­nerhalb der Frente. Eine Ver­härtung der Auseinanderset­zung gab es nämlich, seit Sergio Ra­mírez vor gut einem Jahr erst­mals sein Interesse bekun­dete, 1996 für die FSLN bei den Prä­sidentschaftswahlen zu kandi­dieren. Dies war natürlich eine klare Herausforderung an Da­niel Ortega, der, “falls die Partei es wolle”, ebenfalls wieder an­treten will. Auch der Durch­marsch der Ortega-Frak­tion beim Par­tei­tag im vergan­genen Mai läßt sich zu­min­dest zum Teil aus dieser Konkurrenz er­klä­ren. Öffentlich wurde al­lerdings stets auf inhaltli­che Differenzen verwiesen.
Wie um die Unvereinbarkeit der beiden Tendenzen innerhalb ei­ner Partei zu be­weisen, wurden die inhaltlichen Unter­schiede zwi­schen “ReformerInnen” und der Demokrati­schen Linken – vom Ramí­rez-Flügel als “Orthodoxe” bezeichnet – von beiden Seiten immer stärker betont. Eine Dis­kussion war kaum noch möglich, und dort wo sie noch ansatz­weise statt­fand, wurde sie mit allen Mitteln unter­bunden. So zum Beispiel als Ende Ok­tober die Parteizeitung Barricada auf die Linie der Parteiführung ge­bracht und ihr langjähriger Di­rektor, der “Reformer” Carlos Fernando Chamorro kurzerhand ab­gesetzt wurde. Da war dann beispiels­weise zu lesen, daß die “Ramírez-Gruppe” eine “rechtsradikale Politik” be­treibe und “gemeinsame Sache mit den Somozisten ma­che” (vgl. LN 246).
Zum beherrschenden Streitthema der letz­ten Monate wurde die Verfassungsre­form, bei der die Mehrheit der FSLN-Parlaments­fraktion mit einem Teil der rechten Parteien zusammenarbei­tete. Mittlerweile ohne Einfluß in den Partei­gremien scherten sich die FSLN-Abge­ordneten tatsächlich kaum noch um Be­schlüsse und Richtlinien ihrer gesamten Partei. Nachdem sie bis zum 25. Novem­ber 1994 be­reits einmal verabschiedet wor­den sind, müs­sen die Reformen bis März 1995 nochmals ratifi­ziert werden. Neben einigen sinnvollen Änderungen, die den Einfluß der Legislative gegen­über der Exekutive stärken sol­len und die Wie­derwahl des/der Präsidenten/in ver­bietet, ist beispielsweise der Artikel, der den An­gehörigen des/der amtie­renden Präsiden­ten/in die Kan­didatur verbietet, eindeutig von wahltaktischen Gesichts­punkten ge­leitet und soll die mögliche Kandidatur von Präsi­dialamtsminister Antonio La­cayo, Schwieger­sohn von Violeta Cha­morro und potentieller Ver­bündeter von Daniel Ortega, bei den näch­sten Wahlen verhindern. Äußerst fragwürdig ist zudem der neue Asylparagraph, der “Terroristen” von diesem Recht ausschließt – also eine Legali­sierung von Abschiebungen bei­spielsweise von (potentiellen) ETA-An­ge­hörigen ermöglicht. Vor allem aber: Die­ser Paragraph in anderen Ländern an­ge­wandt hätte in den siebziger Jahren die San­dinistIn­nen selbst von Asyl ausge­schlossen. Und selbst Ser­gio Ramírez, Ende der siebziger Jahre immerhin Chef der mit der FSLN ver­bündeten zivilen “Grup­pe der Zwölf” und in Costa Rica im Exil, wäre wegen seiner Zu­sammenarbeit mit “Terroristen” Abschiebungskandidat ge­wesen.
Spätestens seit diesen Verfas­sungs­re­formen war klar, daß ein Kom­promiß zwischen den beiden Tendenzen nicht mehr möglich ist. Durch die wieder­holten per­sönlichen Diffa­mierungen des Gegen­spielers wurden die Grä­ben zwi­schen den beiden Tendenzen weiter ver­tieft. In den Augen der Ortega-Fraktion galten die Mit­glieder der “Sandinistischen Er­neu­er­ungs­bewegung” (MRS) um Ramí­rez nur noch als “Rechte”, “Bourgeois” oder sogar als “Ver­räterInnen” – so als hätte nicht die gan­ze Partei jah­relang die Zusammen­arbeit mit der Regierung und einem Teil der UNO-Fraktion mitgetra­gen. Außer­dem haben die sieben FSLN-Abge­ord­neten, die zur “Demokratischen Linken” ge­hö­ren, auch schon zusammen mit den Ab­geordneten ge­stimmt, die dem rechts­extremen Bürgermei­ster von Mana­gua, Arnoldo Ale­man, nahestehen.
Die Schmutzkampagne gegen die “Re­for­mer­Innen” gipfelte im Ja­nuar in dem “Vorwurf” von Car­los Guadamuz, María Ra­mírez und Dora María Téllez führten eine les­bische Beziehung. Für Sergio Ramírez Grund genug, die Partei zu verlassen, zumal Guada­muz seinen Po­sten als Chef von “Radio Ya” behielt und von To­mas Borge – der Daniel Ortega als FSLN-Vorsitzender vertritt, seit dieser wegen einer Herz­krankheit auf Kuba be­handelt wird – lediglich eine halbher­zige Entschuldigung kam.
Allerdings verhielten sich auch die Refor­merInnen nicht viel besser. Ernesto Cardenal, der bereits im November aus der FSLN aus­getreten war und den Re­formerInnen nahe­steht, verg­lich Daniel Ortega in einem In­terview indirekt mit Hitler, Stalin und So­moza. Und Sergio Ramírez erklärte bei seinem Austritt aus der FSLN in Mana­gua: “Ich kann nicht länger in einer Partei bleiben, wo Delin­quenten mit Parteibuch unge­straft blei­ben.”
Für Ramírez war der Ausfall von Gua­da­muz eine willkommene Gelegen­heit, sich von der FSLN zu trennen – auch wenn er vor­gibt, es sei lediglich eine “persönliche Entschei­dung” ge­wesen (vgl. das folgende Inter­view). Bereits seit Mo­naten ist er mit den Vorberei­tungen zur Gründung einer neuen Partei be­schäftigt und hatte vergeblich auf einen Par­teiausschluß ge­wartet, der die Chancen erhöht hätte, daß ihm ein größerer Teil der FSLN-Ba­sis folgt. Die neue Partei wird vermutlich am 21. Februar, dem Todestag von Augusto César Sandino, der Öf­fentlichkeit vorgestellt. Wie die sandini­stische Basis sich verhalten wird, ist noch nicht klar abzusehen. Es wird allge­mein davon ausgegangen, daß sich annähernd die Hälfte der FSLN-Mitglieder keiner der bei­den Tendenzen zugehörig fühlt – was es unwahrscheinlich macht, daß sie den “ReformerInnen” folgen werden und ebenfalls die Partei verlassen. Allerdings hat National­leitungsmitglied Henry Ruíz mittlerweile seine Sympathie für die “ReformerInnen” bekundet. Lange Zeit galt der an der Basis we­gen seiner per­sönlichen Inte­grität sehr beliebte Ex-Komman­dant als möglicher Konsenskan­didat für beide Seiten. Er führte bislang die “Strömung der Strömungslosen” an und hatte sich stets um Ausgleich zwi­schen den beiden Lagern be­müht. Trotz seiner kürzlichen Par­teinahme für die “ReformerInnen” will Henry Ruíz jedoch in der FSLN bleiben: “Ich bleibe in der Partei bis sie mich rausschmeißen.”


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