Die VerräterInnen sind immer die anderen
Die FSLN ist faktisch gespalten
Die Spaltung der FSLN war spätestens seit dem zweiten Parteitag im Mai 1994 nur noch eine Frage der Zeit. Bis dahin waren die unterschiedlichen Parteiströmungen relativ gleichberechtigt an der Nationalen Leitung beteiligt worden, um die Einheit der sandinistischen Bewegung zu wahren. Im vergangenen Mai wurde der Proporz aufgegeben und die FSLN-Spitze fast durchgängig mit AnhängerInnen von Ex-Präsident Daniel Ortega besetzt (vgl. LN 240). Die angekündigte Parteireform, insbesondere eine Demokratisierung der Entscheidungsstrukturen, blieb jedoch aus.
Die Inhalte des Streits
Die “Demokratische Linke” (ID) um Daniel Ortega warf den FSLN-Parlamentsabgeordneten um Sergio Ramírez vor, daß diese sich nicht an die Parteibeschlüsse hielten und wiederholt gegen den Willen der “Asamblea Sandinista”, dem höchsten FSLN-Gremium zwischen den Parteitagen, in vielen Fragen mit der Regierung von Violeta Chamorro zusammenarbeiteten. Daniel Ortega hatte diese Politik allerdings selbst jahrelang mitgetragen beziehungsweise war bei Streiks wiederholt als Vermittler zwischen Regierung und Gewerkschaften aufgetreten. Erst seit 1993 hatte er seinen Diskurs radikalisiert und sich eindeutig auf die Seite des sandinistischen Gewerkschaftszusammenschluß “Nationale ArbeiterInnenfront” (FNT) und anderer Basisorganisationen gestellt, die die Errungenschaften der Revolution durch die Mobilisierung der verarmenden ArbeiterInnen und Angestellten zu erreichen versuchen. Sergio Ramírez setzte jedoch weiter auf eine Zusammenarbeit mit der Regierung, um so die neoliberalen Reformen sozial abfedern zu können. Um erneut an die Macht zu kommen sei zudem grundsätzlich eine stärkere Öffnung der FSLN zur Mitte hin notwendig. Außerdem, so die sogenannten “ReformerInnen” um Ramírez, sei die Zusammensetzung der Asamblea Sandinista längst nicht mehr repräsentativ für die FSLN, eine Unterordnung unter deren Beschlüsse damit hinfällig. Die Distanz zwischen Parlamentsfraktion und Parteiführung vergrößerte sich immer mehr.
Bei dem Streit ging es nicht nur um die politische Ausrichtung, sondern insbesondere um personelle Entscheidungen innerhalb der Frente. Eine Verhärtung der Auseinandersetzung gab es nämlich, seit Sergio Ramírez vor gut einem Jahr erstmals sein Interesse bekundete, 1996 für die FSLN bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Dies war natürlich eine klare Herausforderung an Daniel Ortega, der, “falls die Partei es wolle”, ebenfalls wieder antreten will. Auch der Durchmarsch der Ortega-Fraktion beim Parteitag im vergangenen Mai läßt sich zumindest zum Teil aus dieser Konkurrenz erklären. Öffentlich wurde allerdings stets auf inhaltliche Differenzen verwiesen.
Wie um die Unvereinbarkeit der beiden Tendenzen innerhalb einer Partei zu beweisen, wurden die inhaltlichen Unterschiede zwischen “ReformerInnen” und der Demokratischen Linken – vom Ramírez-Flügel als “Orthodoxe” bezeichnet – von beiden Seiten immer stärker betont. Eine Diskussion war kaum noch möglich, und dort wo sie noch ansatzweise stattfand, wurde sie mit allen Mitteln unterbunden. So zum Beispiel als Ende Oktober die Parteizeitung Barricada auf die Linie der Parteiführung gebracht und ihr langjähriger Direktor, der “Reformer” Carlos Fernando Chamorro kurzerhand abgesetzt wurde. Da war dann beispielsweise zu lesen, daß die “Ramírez-Gruppe” eine “rechtsradikale Politik” betreibe und “gemeinsame Sache mit den Somozisten mache” (vgl. LN 246).
Zum beherrschenden Streitthema der letzten Monate wurde die Verfassungsreform, bei der die Mehrheit der FSLN-Parlamentsfraktion mit einem Teil der rechten Parteien zusammenarbeitete. Mittlerweile ohne Einfluß in den Parteigremien scherten sich die FSLN-Abgeordneten tatsächlich kaum noch um Beschlüsse und Richtlinien ihrer gesamten Partei. Nachdem sie bis zum 25. November 1994 bereits einmal verabschiedet worden sind, müssen die Reformen bis März 1995 nochmals ratifiziert werden. Neben einigen sinnvollen Änderungen, die den Einfluß der Legislative gegenüber der Exekutive stärken sollen und die Wiederwahl des/der Präsidenten/in verbietet, ist beispielsweise der Artikel, der den Angehörigen des/der amtierenden Präsidenten/in die Kandidatur verbietet, eindeutig von wahltaktischen Gesichtspunkten geleitet und soll die mögliche Kandidatur von Präsidialamtsminister Antonio Lacayo, Schwiegersohn von Violeta Chamorro und potentieller Verbündeter von Daniel Ortega, bei den nächsten Wahlen verhindern. Äußerst fragwürdig ist zudem der neue Asylparagraph, der “Terroristen” von diesem Recht ausschließt – also eine Legalisierung von Abschiebungen beispielsweise von (potentiellen) ETA-Angehörigen ermöglicht. Vor allem aber: Dieser Paragraph in anderen Ländern angewandt hätte in den siebziger Jahren die SandinistInnen selbst von Asyl ausgeschlossen. Und selbst Sergio Ramírez, Ende der siebziger Jahre immerhin Chef der mit der FSLN verbündeten zivilen “Gruppe der Zwölf” und in Costa Rica im Exil, wäre wegen seiner Zusammenarbeit mit “Terroristen” Abschiebungskandidat gewesen.
Spätestens seit diesen Verfassungsreformen war klar, daß ein Kompromiß zwischen den beiden Tendenzen nicht mehr möglich ist. Durch die wiederholten persönlichen Diffamierungen des Gegenspielers wurden die Gräben zwischen den beiden Tendenzen weiter vertieft. In den Augen der Ortega-Fraktion galten die Mitglieder der “Sandinistischen Erneuerungsbewegung” (MRS) um Ramírez nur noch als “Rechte”, “Bourgeois” oder sogar als “VerräterInnen” – so als hätte nicht die ganze Partei jahrelang die Zusammenarbeit mit der Regierung und einem Teil der UNO-Fraktion mitgetragen. Außerdem haben die sieben FSLN-Abgeordneten, die zur “Demokratischen Linken” gehören, auch schon zusammen mit den Abgeordneten gestimmt, die dem rechtsextremen Bürgermeister von Managua, Arnoldo Aleman, nahestehen.
Die Schmutzkampagne gegen die “ReformerInnen” gipfelte im Januar in dem “Vorwurf” von Carlos Guadamuz, María Ramírez und Dora María Téllez führten eine lesbische Beziehung. Für Sergio Ramírez Grund genug, die Partei zu verlassen, zumal Guadamuz seinen Posten als Chef von “Radio Ya” behielt und von Tomas Borge – der Daniel Ortega als FSLN-Vorsitzender vertritt, seit dieser wegen einer Herzkrankheit auf Kuba behandelt wird – lediglich eine halbherzige Entschuldigung kam.
Allerdings verhielten sich auch die ReformerInnen nicht viel besser. Ernesto Cardenal, der bereits im November aus der FSLN ausgetreten war und den ReformerInnen nahesteht, verglich Daniel Ortega in einem Interview indirekt mit Hitler, Stalin und Somoza. Und Sergio Ramírez erklärte bei seinem Austritt aus der FSLN in Managua: “Ich kann nicht länger in einer Partei bleiben, wo Delinquenten mit Parteibuch ungestraft bleiben.”
Für Ramírez war der Ausfall von Guadamuz eine willkommene Gelegenheit, sich von der FSLN zu trennen – auch wenn er vorgibt, es sei lediglich eine “persönliche Entscheidung” gewesen (vgl. das folgende Interview). Bereits seit Monaten ist er mit den Vorbereitungen zur Gründung einer neuen Partei beschäftigt und hatte vergeblich auf einen Parteiausschluß gewartet, der die Chancen erhöht hätte, daß ihm ein größerer Teil der FSLN-Basis folgt. Die neue Partei wird vermutlich am 21. Februar, dem Todestag von Augusto César Sandino, der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie die sandinistische Basis sich verhalten wird, ist noch nicht klar abzusehen. Es wird allgemein davon ausgegangen, daß sich annähernd die Hälfte der FSLN-Mitglieder keiner der beiden Tendenzen zugehörig fühlt – was es unwahrscheinlich macht, daß sie den “ReformerInnen” folgen werden und ebenfalls die Partei verlassen. Allerdings hat Nationalleitungsmitglied Henry Ruíz mittlerweile seine Sympathie für die “ReformerInnen” bekundet. Lange Zeit galt der an der Basis wegen seiner persönlichen Integrität sehr beliebte Ex-Kommandant als möglicher Konsenskandidat für beide Seiten. Er führte bislang die “Strömung der Strömungslosen” an und hatte sich stets um Ausgleich zwischen den beiden Lagern bemüht. Trotz seiner kürzlichen Parteinahme für die “ReformerInnen” will Henry Ruíz jedoch in der FSLN bleiben: “Ich bleibe in der Partei bis sie mich rausschmeißen.”