Die weitere Öffnung der Wirtschaft ist eine ideologische Frage
Interview mit dem Finanzsenator a.D. der Hansestadt Hamburg, Horst Gobrecht über die kubanischen Steuerreformen
LN: Was für Erfahrungen haben sie bei Ihrem Kubabesuch im März dieses Jahres gemacht?
Horst Gobrecht: Augenfällig ist die zunehmende Aktivität auf den Straßen Havannas – der öffentliche Nahverkehr funktioniert immer besser. Die Zeittakte, in denen die Busse die Haltestellen anfahren, werden immer kürzer, so daß die KubanerInnen wieder die Möglichkeit haben, pünktlich zu ihrer Arbeit zu kommen und nicht wie noch 1993 oder 1994 allein für den Arbeitsweg mehrere Stunden einkalkulieren müssen. Letztlich hat sich die gesamte Versorgungssituation merklich entspannt, nur ist das Versorgungsniveau nach wie vor sehr niedrig.
Auffällig sind auch die zahlreichen Baustellen, die das Stadtbild der Hauptstadt prägen. Es sind beileibe nicht nur Hotelneubauten oder repräsentative Häuser, an denen gearbeitet wird, sondern ganze Straßenzüge werden renoviert und neue Wohnhäuser gebaut, um den extremen Wohnungsmangel zu lindern.
Was sind die offensichtlichsten Probleme der Regierung bei der Reformierung der kubanischen Wirtschaft?
Ein zentrales Merkmal der kubanischen Administration ist, daß sie sehr bürokratisch ist. Vieles ist ungemein kompliziert organisiert – das kostet viel Zeit und hemmt Innovationen. Erschwerend kommt die übertriebene Kontrollsucht hinzu, die in vielen Ministerien herrscht. Die BeamtInnen bzw. der Staat wollen alles sehr genau wissen, und kommen den AntragstellernInnen mit sehr wenig Vertrauen entgegen. Gerade beim Aufbau eines Steuersystems ist es aber sehr wichtig, den SteuerzahlerInnen mit einem Vertrauensvorschuß entgegenzukommen.
Die Leute im Finanzministerium und bei der Steuerverwaltung haben dies bereits begriffen. Es gibt zahlreiche Bemühungen, Selbständige besser über ihre Rechte und Pflichten zu informieren, beispielsweise über die von der Steuerbehörde vierteljährlich herausgegebene Zeitung “El Contribuente”, aber auch durch Fernsehspots oder Quizsendungen zum Thema Steuern. Zudem sind die Formulare für die Steuererklärungen genauso wie die dazugehörenden Informationsblätter übersichtlich und allgemeinverständlich aufgebaut und recht knapp gehalten. Mit zwei Seiten kommt die Steuererklärung aus – vier Seiten umfaßt das zugehörige Informationsblatt. Diese Bemühungen haben sich bereits ausgezahlt, wie die hohe Zahl von abgegebenen Steuererklärungen zeigt. Faktisch haben nahezu alle im Cuenta propia-Bereich Tätigen ihre Steuererklärung abgegeben.
Welche Funktion kommt dem Privatsektor innerhalb der kubanischen Wirtschaft zukünftig zu?
Dem Privatsektor kommt vermehrt die Aufgabe zu, die durch Rationalisierungen freigesetzten Arbeitskräfte aufzunehmen. Allerdings tun sich die KubanerInnen schwer, den Rahmen für Privatinitiative weiter zu fassen, obgleich keine Alternative zur weiteren Öffnung der Wirtschaft in Sicht ist. Während die reformorientierten Ministerien wie das Finanz- oder das Wirtschaftsministerium eine Erweiterung des Privatsektors befürworten, gibt es in anderen Ministerien heftige Widerstände. Letztlich ist es eine ideologische Frage; die einen wehren sich gegen eine “Kapitalisierung” der kubanischen Wirtschaft, die anderen betrachten dies als wirtschaftspolitische Notwendigkeit.
Sind denn Erleichterungen für den Privatsektor geplant?
Anvisiert ist beispielsweise die Einrichtung von Großmärkten für die BetreiberInnen der paladares – den kleinen Restaurants mit maximal 12 Plätzen an drei Tischen, die es mittlerweile beinahe an jeder Ecke gibt. Dort werden die Einkaufspreise niedriger sein, in etwa vergleichbar mit denen, die staatliche Restaurants jetzt zahlen. Das ist für die BetreiberInnen der paladares eine enorme Erleichterung, da sie nicht mehr darauf angewiesen sein werden, auf halblegalem Wege einzukaufen.
Und was ist im Steuerbereich in nächster Zeit zu erwarten – sollen neue
Steuern eingeführt werden?
Das Lohnsteuergesetz ist in der Konzeption fertig, wann es allerdings in Kraft tritt, steht noch in den Sternen. Ich habe der kubanischen Regierung vorgeschlagen, das Gesetz begleitet von fühlbaren Lohnerhöhungen einzuführen. Wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verbessert und danach sieht es augenblicklich aus, dann sollen die Löhne um circa 12 Prozent erhöht werden. Fünf Prozent könnten dann in den Taschen der ArbeitnehmerInnen verbleiben, die restlichen sieben Prozent sollen auf die Lohnsteuer und die Sozialabgaben entfallen.
Zudem wird langfristig die einphasige Umsatzsteuer, die derzeit auf Waren und Dienstleistungen erhoben wird, in eine mit der deutschen vergleichbaren mehrphasigen Umsatzsteuer umgewandelt werden. Schließlich dürften bald die sich in Vorbereitung befindlichen Verbauchssteuern auf Kaffee, Tee, Alkohol und Tabak erhoben werden.