Kuba | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Die weitere Öffnung der Wirtschaft ist eine ideologische Frage

Interview mit dem Finanzsenator a.D. der Hansestadt Ham­burg, Horst Go­brecht über die kubanischen Steuerreformen

Horst Gobrecht war von 1984-1991 Fi­nanz­senator der Hanse­stadt Hamburg, und zu­vor fi­nanz­politischer Sprecher der SPD-Bun­des­tagsfraktion. Seit April 1995 ist er auf Ver­mittlung der Friedrich-Ebert-Stiftung als Be­rater der kubanischen Regie­rung beim Auf­bau von Steuer­sys­tem und -verwaltung tätig.

Knut Henkel

LN: Was für Erfahrungen ha­ben sie bei Ihrem Kubabe­such im März dieses Jahres ge­macht?

Horst Gobrecht: Augenfällig ist die zu­neh­mende Aktivität auf den Straßen Ha­van­nas – der öf­fent­liche Nahverkehr funk­tio­niert im­mer besser. Die Zeit­takte, in denen die Busse die Halte­stellen anfahren, werden im­mer kür­zer, so daß die Kuba­ner­Innen wie­der die Möglichkeit ha­ben, pünktlich zu ihrer Arbeit zu kommen und nicht wie noch 1993 oder 1994 allein für den Arbeits­weg meh­rere Stunden ein­kalkulieren müssen. Letzt­lich hat sich die gesamte Ver­sor­gungs­si­tuation merk­lich ent­spannt, nur ist das Ver­sor­gungs­ni­veau nach wie vor sehr nied­rig.
Auf­fällig sind auch die zahl­reichen Bau­stellen, die das Stadt­bild der Hauptstadt prägen. Es sind beileibe nicht nur Hotel­neu­bau­ten oder repräsentative Häu­ser, an denen ge­arbeitet wird, son­dern ganze Straßenzüge wer­den renoviert und neue Wohn­häu­ser ge­baut, um den ex­tremen Woh­nungsmangel zu lin­dern.

Was sind die offen­sicht­lichsten Probleme der Re­gie­rung bei der Reformie­rung der ku­ban­ischen Wirt­schaft?

Ein zentrales Merkmal der kuba­nischen Ad­ministration ist, daß sie sehr bürokratisch ist. Vieles ist ungemein kompliziert or­ga­ni­siert – das kostet viel Zeit und hemmt Inno­va­tionen. Er­schwerend kommt die über­trie­bene Kontrollsucht hinzu, die in vielen Mi­nis­terien herrscht. Die Be­amtInnen bzw. der Staat wol­len alles sehr genau wissen, und kom­men den AntragstellernIn­nen mit sehr we­nig Vertrauen entgegen. Gerade beim Aufbau eines Steu­er­systems ist es aber sehr wich­tig, den Steuerzahle­rInnen mit ei­nem Vertrauens­vor­schuß ent­ge­genzukommen.
Die Leute im Finanzministe­rium und bei der Steuerverwal­tung haben dies bereits be­grif­fen. Es gibt zahlreiche Bemühungen, Selb­stän­dige besser über ihre Rech­te und Pflichten zu infor­mieren, beispielsweise über die von der Steuerbehörde viertel­jähr­lich heraus­gegebene Zeitung “El Contribuente”, aber auch durch Fernsehspots oder Quiz­sen­dungen zum Thema Steuern. Zu­dem sind die For­mulare für die Steuererklärungen genauso wie die dazuge­hörenden Infor­ma­tionsblätter über­sichtlich und all­gemeinverständlich auf­ge­baut und recht knapp gehalten. Mit zwei Sei­ten kommt die Steuerer­klä­rung aus – vier Sei­ten umfaßt das zugehörige Informations­blatt. Diese Bemühungen haben sich bereits aus­ge­zahlt, wie die hohe Zahl von ab­ge­ge­be­nen Steu­er­erklärungen zeigt. Fak­tisch haben na­hezu alle im Cu­enta propia-Bereich Tätigen ihre Steu­ererklärung abgegeben.

Welche Funktion kommt dem Pri­vatsektor in­nerhalb der ku­ba­nischen Wirtschaft zu­künf­tig zu?

Dem Privatsektor kommt ver­mehrt die Auf­gabe zu, die durch Ra­tionalisierungen frei­gesetzten Ar­beitskräfte aufzu­nehmen. Al­ler­dings tun sich die Kuba­ner­In­nen schwer, den Rah­men für Pri­vat­initiative wei­ter zu fas­sen, ob­gleich keine Alterna­tive zur wei­teren Öffnung der Wirtschaft in Sicht ist. Während die re­form­orien­tierten Ministe­rien wie das Finanz- oder das Wirt­schafts­mi­nis­terium eine Er­weiterung des Privat­sektors be­fürworten, gibt es in ande­ren Ministerien hef­tige Wider­stände. Letztlich ist es eine ideo­logische Frage; die einen wehren sich ge­gen eine “Ka­pi­tal­isierung” der kubanischen Wirt­schaft, die an­deren be­trachten dies als wirtschafts­politische Not­wen­digkeit.

Sind denn Erleichterungen für den Pri­vat­sektor geplant?

Anvisiert ist beispielsweise die Ein­rich­tung von Großmärk­ten für die Be­trei­ber­Innen der paladares – den klei­nen Res­tau­rants mit maximal 12 Plätzen an drei Tischen, die es mittlerweile bei­nahe an jeder Ecke gibt. Dort wer­den die Ein­kaufs­prei­se nie­driger sein, in etwa vergleichbar mit denen, die staatliche Res­taurants jetzt zah­len. Das ist für die BetreiberIn­nen der paladares eine enorme Er­leichterung, da sie nicht mehr darauf an­ge­wiesen sein werden, auf halblegalem Wege ein­zukaufen.

Und was ist im Steuerbereich in nächster Zeit zu erwarten – sol­len neue
Steuern ein­ge­führt wer­den?

Das Lohnsteuergesetz ist in der Kon­zep­tion fertig, wann es al­lerdings in Kraft tritt, steht noch in den Sternen. Ich habe der ku­ban­ischen Regierung vor­ge­schla­gen, das Ge­setz be­gleitet von fühlbaren Lohnerhö­hungen ein­zuführen. Wenn sich die wirt­schaft­liche Lage weiter ver­bes­sert und danach sieht es au­gen­blick­lich aus, dann sollen die Löh­ne um circa 12 Prozent er­höht werden. Fünf Pro­zent kön­nten dann in den Taschen der Ar­beit­nehmerInnen verbleiben, die rest­lichen sie­ben Prozent sollen auf die Lohnsteuer und die So­zial­abgaben entfallen.
Zudem wird langfristig die ein­phasige Um­satz­steuer, die der­zeit auf Waren und Dienst­leis­tungen erhoben wird, in eine mit der deutschen vergleichbaren mehr­phasigen Um­satz­steuer um­ge­wandelt werden. Schließ­lich dürf­ten bald die sich in Vorbe­rei­tung be­findlichen Verbauchs­steu­ern auf Kaffee, Tee, Alkohol und Tabak erhoben werden.

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