Literatur | Nummer 240 - Juni 1994

Domingos Pellegrini Jr.

Brasilien literarisch

Carola Albrechts

Auf die Frage, wer er ist, und was er macht. antwortet er: “Bin geschieden, habe vier Kinder und spreche Englisch.” Er sieht in der Literatur die “größte Brücke der Welt” und behauptet: “Tudocomencou com o homen”(“Alles begann mit dem Mensch/Mann”, wobei er hier den “Mann”meint). “Da gab es Adam und Eva, zwei Söhne, einer tötet den anderen und daraus entstand die Menschheit.” Domingos Pellegrini Jr. ist einer der fünf Autoren, die im Mai im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HdKW) bei der Veranstaltung “Eine Reise ohne Ende” Auszüge ihrer Texte vorlasen. Zusammen mit der brasilianischen Buchkammer lud das HdKW AutorInnen ein, die sie als Vertreterinnen brasilianischer “Wurzeln der Gegenwart” sehen. So schreiben die Herausgeber der Anthologie “Nachdenken über eine Reise ohne Ende” (Babel-Verlag; 24,80 DM): “Vielerorts ist das Klischee lebendig, Brasilien sei ein Land ohne Wurzeln, ein Synonym für Neubeginn oder für den Glauben an den Wechsel und an die Vorzüge rasanter Veränderungen.” Sie wollen “zeigen, da6 es m diesem relativ jungen Land eine Prägung durch vielfältige lebendige Traditionen gibt, die oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber hinter der dynamischen Fassade des Alltags vorhanden sind.” Domingos Pellegrini Jr. wurde 1949 in Londrina.Paraná geboren und lebt dort noch heute als freier Journalist, Schriftsteller und Kinderbuchautor. Er studierte Literaturwissenschaften und beschäftigt sich in seinen Texten u.a. mit der brasilianischen Familie, als deren “Chronist der letzten Jahrzehnte” er von einigen brasilianischen LiteraturkritikerInnen bezeichnet wird. 1987 wurde er mit dem brasilianischen Jugendbuchpreis aus- gezeichnet. Neben seiner Kurzgeschichte “Mann am Meer”, die er auf der Veranstaltung vortrug und die auch in der Anthologie auf deutsch veröffentlicht ist, gibt es nur wenig auf deutsch übersetzte Texte von ihm: “Zärtliche Marmelade”, Berlin, Zürich: Edition dia, 1991; “Die größte Brücke der Welt” in Erhard Engler, Hg.: Erkundungen, Berlin 1988. Die Veranstaltung wird im Juni mit der dritten und letzten AutorInnengruppe zuendegehen. (8.-11.Juni im HdKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin.)

“Gleichheit ist eine Utopie”

Das kürzeste Interview mit Domingos Pellegrini Jr.

LN: Wie sind Sie Autor geworden?
Domingos Pellegrini: Deus que sabe -allein Gott weiß es-. Als ich das Lesen lernte, begann ich sofort, die Zeitungsränder mit irgendwelchen Worten vollzukritzeln. Ich war sieben. Ja, ich denke, daß es Gott war.

Was halten Sie von der brasilianischen Literatur von heute?
Es werden nicht mehr gute und schlechte Autoren in Brasilien geboren als in Deutschland.

Gibt es typisch brasilianische Literatur?
Nein. Jeder Autor hat seine eigene Mystik. Márquez zum Beispiel hat seine eigene, Jorge Amado hat eine andere, die von der Kultur Nord-Ost-Brasiliens geprägt ist.

Was ist Ihre Mystik?
Die großen Worte, die auf -ade [sprich: adsche] enden.

Welche?
Liberdade, sinceridade, honestidade, productividade, amizade. (Freiheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit. Produktivität, Freundschaft). Nur nicht die egualidade (Gleichheit).”

Warum nicht?
Gleichheit ist eine Utopie! Es gibt nicht zwei Menschen, die sich für zehn Dollar, die ich ihnen in die Hand drücke dasselbe kaufen. Die Menschen sind unterschiedlich, das ist nunmal so.”

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